Lieber Durs Grünbein,
ich beginne den Text auf dieser Ebene, weil er möglicherweise hier und da ins Persönliche übergeht. Das muss für die Argumentation nicht schädlich sein. Vor etwas mehr als einer Woche saßen Sie mit Ihrem Dresdner Autorenkollegen Uwe Tellkamp auf dem Podium des Dresdner Kulturpalastes; sie diskutierten über Einwanderung, den kulturellen Hochmut des linken Medienmilieus gegen die Ostdeutschen, über die Meinungsfreiheit.
Die, wie man so sagt, Nachbereitung der öffentlichen Debatte teilte sich in zwei Stränge. Zum einen stellten Zeitungen fest, meist unter Benutzung des immer gleichen Ausschnitts aus der sehr langen Diskussion, Tellkamp habe sich selbst aus der Gemeinschaft nicht nur der Intellektuellen, sondern schlechthin der bundesrepublikanischen Bürger ausgeschlossen. Tellkamp sei ein „Wasserträger des Hasses“, schrieb beispielsweise die “Berliner Zeitung”, der „will, was die neofaschistischen Kräfte in diesem Land fordern“. Die „Süddeutsche” mutmaßte, ob das, was Tellkamp sagte, überhaupt noch Meinung genannt werden könne; die „Zeit“ fragte: „Wie viel Raum wollen wir diesen Gedanken und deren Verbreitung geben?“ Und die sächsische Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange erklärte Tellkamps Ansichten zur „Privatmeinung“, was angesichts der SED-Sozialisation der Politikerin wohl heißen sollte: er hätte sie zuhause äußern können, aber nicht öffentlich.Der zweite Strang besteht in dem, was Sie, Durs Grünbein, nach der Diskussion in der Süddeutschen über ihren Kollegen Tellkamp schrieben. Nehmen wir also Ihren Text einmal genauer, unterziehen wir ihn einem close reading. Dort erzählen Sie, wie alles angefangen habe, wie es überhaupt zu dem Streitthema gekommen sei, der Meinungsfreiheit. „Der Auslöser für alles“, wie Sie schreiben, war eine Mail von der Loschwitzer Buchhändlerin Susanne Dagen, die nach den linksradikalen Übergriffen auf Verlagsstände der Buchmesse die „Charta 2017“ verfasst hatte, einen Aufruf gegen einen aus ihrer Sicht zunehmenden politisch-moralischen Druck gegen alle Ansichten rechts von der Mitte. Ihr Kollege Uwe Tellkamp hatte den Aufruf unterschrieben. Dagen hatte auch Sie gebeten, Ihren Namen darunterzusetzen. Sie, so schildern Sie den Verlauf, schrieben zurück:
„Du kennst mich. Diese dummen Rempeleien von links und rechts mache ich nicht mit. (…) Wer jetzt von Meinungsfreiheit redet, sollte sich zunächst von der sehr realen Gewalt der rechten Szene distanzieren. Wenn ich aber wählen muss, kommt mir die Gewalt gegen Dinge weniger schlimm vor als die Gewalt gegen Menschen.“
Abgesehen davon, dass sie kurz danach einen Gegenaufruf unterschrieben, den man durchaus als wenig intelligente Rempelei von Links sehen kann, abgesehen davon, Durs Grünbein: Was Sie da schreiben, ist, um es vorsichtig zu sagen, weit unterhalb Ihrer Ebene. Erstens: Warum muss jemand, der von Meinungsfreiheit spricht sich „von der sehr realen Gewalt der rechten Szene distanzieren?“ Die Zerstörung von Büchern, die Verhinderung von Veranstaltungen – ist das nur imaginäre Gewalt? Und warum sollte sich Susanne Dagen „zunächst“ von rechter Gewalt distanzieren? Was hat sie mit Gewalt überhaupt zu tun? Warum sollte sich jemand distanzieren – also Abstand schaffen – zu einem Phänomen, das ihm nie nah war? Die Antwortet lautet: weil Sie meinen, jemand von der nichtlinken Seite müsste sich durch Distanzierung erst einmal einen Berechtigungsschein erwerben, um überhaupt zur Debatte zugelassen zu werden. Sie zitieren dann aus Schriften der so genannten „Freitaler Gruppe“, einer rechtsterroristischen Gruppe, deren Mitglieder Anschläge verübten, gerade zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden, und schreiben: „Das Hetzvokabular kommt eindeutig von rechts.“ Zunächst einmal, Durs Grünbein, empfiehlt es sich zur Wiederherstellung der Diskurshygiene, zwischen rechtsextrem (die Gruppe Freital), rechtsradikal und demokratisch rechts zu unterscheiden. Und zweitens: das toxische Vokabular kommt eben nicht nur von rechts außen und/oder rechts. Sie finden genau diese verachtende, drohende Rhetorik auch auf salafistischen und generell islamistischen Webseiten bei Facebook und anderswo. Sie finden sie auf linksextremen Seiten, wo Chatteilnehmer sich über Hinrichtungsmethoden für AfD-Mitglieder austauschen. Auf einer Webseite, die prominente Dresdner aus dem Kulturleben vorstellt, finden Sie unter dem Eintrag für Susanne Dagen folgende Einträge:
„Wer sich mit Neonazis gemein macht, hat keinen Platz im Diskurs verdient. Ekelhaftes DDR Gewäsch.“
Bei einem anderen heißt es: „Stasi-Faschodagen.“
Und was Gewalt angeht, die Sie mit der Erwähnung der Freitaler Gruppe ansprachen: haben Sie eigentlich die aberdutzenden Brandanschläge auf Autos von AfD-Mitgliedern registriert? Die Prügelattacken auf Teilnehmer des von Leyla Bilge organisierten Frauenmarschs in Berlin? Den Angriff auf einen älteren Teilnehmer der Merkel-muss-weg-Demonstration in Hamburg? Den Schägerüberfall auf den rheinland-pfälzischen AfD-Landesvorsitzenden Uwe Junge?
Und terroristische Gewalt kommt seit 2015 in diesem Land nicht überwiegend von rechts. Sondern von islamistischer Seite. Dreizehn Tote und fast fünfzig Verletzte auf dem Breitscheidplatz in Berlin. Zwölf Verletzte nach dem Nagelbomben-Attentat in Ansbach. Ein Toter nach einem salafistischen Messerangriff in einem Hamburger Supermarkt. Fünf Verletzte und teils lebenslang Entstellte nach dem Axtangriff eines Salafisten in einem Regionalexpress bei Würzburg.
Merken Sie vor diesem Panorama, wie eitel und dumm Ihr Satz ist: „Wenn ich aber wählen muss, kommt mir die Gewalt gegen Dinge weniger schlimm vor als die Gewalt gegen Menschen“? Wieso sollten Sie wählen müssen? Niemand muss zwischen verschiedenen Abstufungen der Gewalt wählen. Und was die Bemerkung angeht, Gewalt gegen Sachen fänden Sie weniger schlimm als Gewalt gegen Menschen – das ist albernes rhetorisches Fingerabspreizen. Jeder Zivilisierte findet Gewalt gegen Menschen schlimmer als Gewalt gegen Sachen. Nicht nur Sie.
Wie wäre es eigentlich, wenn ich Ihr Spiel spielen und sagen würde: Herr Grünbein, distanzieren Sie sich erst mal von der Antifa und vom Salafismus? Wollen Sie ernsthaft auf dieser Ebene diskutieren? Oder finden Sie, diese Verdachtsebene sollte nur für die Dagens und Tellkamps gelten, aber nicht für einen Wohlmeinenden wie Sie?
Kommen wir zur Fortsetzung Ihrer Rhetorik auf einem anderen Gebiet, dem Sozialen. Sie fragen in der Süddeutschen, was denn von Tellkamps Argument zu halten sei, die meisten Migranten würden in die Sozialsysteme einwandern: „Dass es ein Privileg ist, Deutscher zu sein? Die selben Leute“ – Sie reden von den Ostdeutschen – „die in die Sozialsysteme des Westens eingewandert sind, beklagen sich heute über den Zuzug aus anderen Erdteilen. Dabei müssten sie den Drang, die eigenen Lebenschancen zu verbessern, doch aus eigener Erfahrung kennen.“
Nur ganz nebenbei: die Ostdeutschen wanderten 1990 nicht ins westdeutsche Sozialsystem ein, sondern zahlten von Anfang an auch ein. Selbst in den Zeiten der schlimmsten Arbeitslosigkeit in den Neunzigern arbeitete in Sachsen ein höherer Prozentsatz der Bevölkerung auf dem ersten Arbeitsmarkt als in Rheinland-Pfalz. Die hohen Arbeitslosenzahlen im Osten rührten daher, dass es dort vor 1990 eine Beschäftigungsquote von 90 Prozent gab.
Weiter oben bemerken Sie noch, Zahlen und Fakten interessierten Sie „nicht die Bohne“. Da deutet sich Ihr Problem und das vieler Leute, die sich für linksliberal halten, schon einmal an. Ich versuche trotzdem, ein wenig auf Fakten aufmerksam zu machen. Wenn nicht für Sie, dann für die Leser dieses Textes.
Die Teilnahme an sozialen Sicherungssystemen in Deutschland beruht nicht auf einem Geburtsprivileg. Sondern darauf, dass jemand einzahlt, und sich damit Rechte erwirbt. Zehntausende, die in Deutschland arbeiten, ohne einen deutschen Pass zu besitzen, sind kranken- und rentenversichert. Umgekehrt gibt es eine sechsstellige Zahl von Menschen in Deutschland, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht krankenversichert sind (in Deutschland gibt es erst seit einigen Jahren eine Krankenversicherungspflicht). Sie bekommen folglich keine Leistungen der Kranversicherung. Entweder zahlen sie selbst, oder sie haben Pech. Das gleiche gilt für die Arbeitslosen- und Rentenversicherung: wer nicht einzahlt, bekommt nichts, auch wenn sein Stammbaum bis zu Otto I. zurückreicht. Der Sozialstaat beruht nicht auf Blut, wohl aber auf Boden, nämlich auf das Vertrauen, dass in einem überschaubaren und nicht zu heterogenen Gebiet mit stabiler Ordnung genügend Leute über Generationen hinweg in die Kassen einzahlen. Der Sozialstaat ist also exklusiv. Es wird also deutsche Hilfe für Menschen anderer Länder in Not geben, aber nie ein soziales Sicherungssystem mit Somalia und dem Maghreb. Auch nicht mit Somalis und Nordafrikanern, die ohne Qualifikation nach Deutschland kommen, um, wie Sie schreiben, „ihre Lebenschancen zu verbessern“.
Fällt Ihnen eigentlich nicht auf, dass weder in Ost- noch Westdeutschland abgesehen von einigen verstreuten Schraten jemand über die zugezogenen Vietnamesen, Chinesen, Polen und Spanier auch nur ein Wort verliert? Glauben Sie mir: auf deutschen Baustellen, in Schlachthöfen und in Großmarkthallen geht es schon seit vielen Jahren wesentlich farbiger zu als im deutschen Schriftstellerverband, der Redaktion der Süddeutschen und im Prenzlauer Berg. Weder Leipziger Schweißer noch Wolfsburger Autobauer haben ein Problem mit zugewanderten Kollegen, die an Ihrer Seite arbeiten, Steuern zahlen und Abgaben in die Sozialkassen abführen. Sie (biodeutsche wie zugewanderte Arbeitnehmer) begreifen nur wesentlich besser als viele Schriftsteller, Redakteure und Dies-und-das-Studenten, dass ein Sozialstaat nicht unter den Bedingungen einer wahllosen Masseneinwanderung existieren kann. Ein Sozialstaat kann auf mittlere Dauer nicht Wellen von Einwanderern verkraften, die selbst unter den Bedingungen einer Hochkonjunktur nur zu zehn Prozent in versicherungspflichtigen Jobs landen, vielleicht auch zu 20 Prozent, falls die Hochkonjunktur unwahrscheinlicherweise noch lange anhält. Was ist mit den restlichen 80 oder 90 Prozent? Selbst jetzt kommen durch Merkels Politik jährlich noch 200 000 Menschen pro Jahr zusätzlich ins Land. Nach einer Untersuchung des Bundesinstituts für Berufsbildung haben 59 Prozent der arbeitssuchenden Migranten keinen Schulabschluss und 80 Prozent keine Berufsausbildung.
Wenn nur eine schrumpfende Zahl von Bewohnern eines Landes einzahlen, die Sozialsysteme aber der ganzen Welt offenstehen sollen, dann muss diese Politik zwangsläufig in einer Katastrophe enden.
Rolf-Peter Sieferle – auch ein verfemter Autor – schrieb in seinem Buch „Das Migrationsproblem“, die Idee eines Sozialstaats bei offenen Grenzen für alle gleiche dem Versuch, ein Haus mit dauerhaft sperrangelweit offenen Fenstern weiter zu beheizen und dann, wenn die Temperatur im Inneren zwangsläufig sinkt, die Heizung einfach weiter aufzudrehen.
Meine Aussichten sind gering, aber ich versuche, in Ihnen und Leuten, die wie Sie denken, die Ahnung zu wecken, wie sehr ihr gesamtes schiefes Gedankengebäude auf ökonomische Ignoranz gründet. Auf einer Art Alchemie; Sie glauben in ähnlicher Weise daran, aus eingewanderten analphabetischen berufslosen jungen Männern ließen sich Facharbeiter machen, wie Menschen im Mittelalter an die mögliche Verwandlung von allerlei Pulver in Gold glaubten.
So. Und nun kommen wir zu dem, was Tellkamp quer durch die Presselandschaft vorgehalten wird: Dass er eine falsche Zahl nannte, als er von 95 Prozent Migranten sprach, die ins deutsche Sozialsystem einwandern. Es ist in der Tat komplexer. Wie gesagt, bisher haben 10 Prozent der Migranten eine versicherungspflichtige Arbeit bekommen. Gut 0,3 Prozent der Migranten sind politisch Verfolgte, dazu kommen Kriegsflüchtlinge. Etwa 40 Prozent der Migranten fallen weder unter das Asylrecht noch die Genfer Flüchtlingskonvention noch unter subsidiären Schutz. Praktisch alle durchquerten aber auf dem Weg nach Deutschland ein halbes Dutzend sichere Länder. Sie suchten sich Deutschland also bewusst als Ziel aus.
Aber gut, sagen wir, die Zahl 95 Prozent sei unterkomplex.
Ich möchte hier auf eine interessante Fußnote hinweisen. Unterkomplexe Zahlen und Behauptungen kommen in der politischen Debatte öfters vor. Im Jahr 2013 behauptete Chaudia Roth, bei der Reaktorkatastrophe in Fukushima wären 16 000 Menschen umgekommen, sie buchte einfach die Tsunami-Toten aus politischen Gründen um. Nach den Massenübergriffen in Köln zu Silvester 2015/16 erfand die so genannte Aktivistin Anne Wizorek die „offizielle Dunkelziffer“ von 200 Vergewaltigungen jährlich auf dem Oktoberfest, und durfte sie im ZDF verkünden. Die Zahl war völlig aus der Luft gegriffen. Vor kurzem behauptete die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli auf Twitter, an der Essener Tafel gebe es Lebensmittel „nur für Deutsche“. Eine Fake News. In allen drei Fällen – und es gibt viele weitere – nahm die Qualitätspresse von den alternativen Fakten keine Notiz oder beurteilte sie mit äußerster Milde.
Im Fall Uwe Tellkamp wird aus einer angreifbaren Zahl eine Anklageschrift zusammengezimmert mit dem Ziel, ihn aus dem öffentlichen Diskurs zu verdrängen.
Und Sie, Durs Grünbein, treten als Zeuge der Anklage gegen Ihren Kollegen auf.
Hier noch ein älterer, aber hoch aktueller Text zum Thema Meinungsfreiheit:
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Von den am Schluss genannten alternativen Fakten (u.v.a.m.) nahmen die Mainstream-Medien meiner Erinnerung nach durchaus Notiz, brachten sie wohl auch ziemlich gross raus. Wovon sie KEINE Notiz nahmen, war die 'Alternativität' dieser 'Fakten'.
Den Ostdeutschen vorzuhalten, sie seien qua Wiedervereinigung ins westliche Sozialsystem "eingewandert", würden diese Art von Wandern aber nun den Orientalen und Afrikanern verweigern wollen, obwohl sie deren Drang zum besseren Leben doch ganz besonders gut verstehen müßten, kann nach meiner Ansicht nicht mehr mit Schäbigkeit und Unredlichkeit entschuldigt werden. Statt Schäbigkeit lese ich hieraus Niedertracht, statt Unredlichkeit Denunziation. Schlüsselbegriffe des Stasi-Staates.
Ich glaube es war Hermann Kant, der zu Zeiten Honeckers einigen in den Westen emigrierenden Kollegen im Neuen Deutschland nachwarf "Reisende soll man nicht aufhalten!" Ja, wohlgelitten sind die Speichler und Bückdiener an den Tischen der Mächtigen.
"Niedertracht, Unredlichkeit, Denunziation."
Oder schlicht: Dummheit?
(Was ich als Vielleser - auch gerne Gedichte - von seinen Kollegen über Herrn D.G. weiß, ist er - als Verseschmied - nicht gerade erste Sahne. Eher so einer wie der Hans Neuenfels in der Theaterszene. Wahrscheinlich empfindet er's sogar als Lob. Soll er. Liebhaber von Gedichten aber lächeln mitleidig)
Brilliant, wie der Franzose sagt! Diesem Durs wird so recht die verdiente eigentliche zweite Silbe für seinen Hausnamen verpasst, nämlich: Schnabel! Horridoh!!
Sehr guter Text. Allerdings gibt es seit 2011 Krankenversicherungspflicht in Deutschland.
https://www.krankenkassenzentrale.de/wiki/krankenversicherungspflicht#
Wenn ein Selbstständiger pleite geht wird er aus der privaten Krankenversicherung hinausgeworfen und die gesetzliche Krankenkasse verweigert die Aufnahme. Dass
man vorher 30 Jahre lang Steuern gezahlt hat, interessiert niemanden.
Wenn, wie Herr Grünbein verkündet, Gewalt gegen Sachen, auch gegen Bücher, nicht so schlimm ist wie Gewalt gegen Menschen, warum regen wir uns dann über die Bücherverbrennungen von 1933 und die brennenden Synagogen von 1938 auf? Ganz einfach, weil wir zu Recht sagen: Erst brennen Bücher, dann Menschen. In Analogie dazu: erst werden Bücher rechter Verlage zerstört, dann Autos von AfD-Politkern angezündet, und irgendwann verschwinden Menschen wieder in den Gulags.
Wenn Herr Grünbein "den Ostdeutschen" vorwirft, sie seien "per Wiedervereinigung ins westliche Sozialsystem" eingewandert wäre dazu zum Einen zu entgegnen, dass, wie Sie Herr Wendt in Ihrem brillanten Artikel darlegen, dies nicht der Wahrheit entspricht. Herr Grünbein scheint sich dennoch nicht zu schade dafür zu sein.
Weiter wäre anzuführen, dass bis 1989 ein sog. "Wiedervereinigungsgebot" Bestandteil der Präambel des Grundgesetzes war das u.a. lautete: "„Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.“.
Auch das Verschweigen dieses Faktums ist ein Beleg dafür, dass, ebenso wie das Ignorieren des Art 16a GG, die Aufhebung der Staatsgrenzen oder die Einführung des "NetzSchnüffG" Rechtsstaatlichkeit durch Politiker und Medienschaffende in weiten Teilen durch ideologische Verbohrtheit und bewusstes Ignorieren der Realität zugunsten einer Gesinnungsdiktatur abgeschafft wurde die Orwell oder Huxley nicht einmal in ihren schlimmsten Visionen hätten vorwegnehmen können.
Sehr geehrter Herr Wendt,
ich werde nicht der erste sein, der Ihre Artikel gut findet. So auch Ihren obigen Beitrag.
Was mich - sie verzeihen den Sprung - mehr beschäftigt: der von mir in den 1960ern aufgeschnappte Spruch "die Intelligenz steht links" war damals und viele Jahre danach diskussionswürdig. Spätestens seit Herbst 2015 scheint es nun, als stünde die Intelligenz rechts - oder jedenfalls weit im konservativen Gelände. Vermutlich aber steht die Intelligenz weder links noch rechts, sondern ziemlich weit oben, wohin nur wenige klettern können, weil die Luft dort ganz dünn wird. Wo man kräftig durchatmen muß, was die Masse der Kurzatmigen einfach nicht kann. Von wo aus aber die Klüngeleien und Machenschaften der gerade herrschenden Kaste gut zu beobachten sind. Wen wundert es, wenn die weiter unten stecken Gebliebenen nicht oder nur widerstrebend glauben wollen, was sie selbst nicht sehen konnten? Nur so kann ich mir die überwältigende Zustimmung unserer Landsleute zur bundesdeutschen Rot-Rot-CDU-rosa-Grünen Einheitsfront einigermaßen erklären.
Für Sie wichtiger: Ich habe mein Handelsblatt-Abo gekündigt, das über 20 Jahre gelaufen ist. Das Handelsblatt hat sich für meinen Geschmack in den letzten fünf, sechs, sieben Jahren mehr und mehr zu einer Zeitung entwickelt, in der soziale und feministische Themen aus sozialistischer bzw. feministischer Sicht abgehandelt werden. Man betrachte etwa die Literaturbesprechungen der letzten Jahre, von denen die meisten ebensogut in der SZ stehen könnten oder den einseitigen (im Sinne von: eine Seite umfassend) Artikel im HB vom 8.3.18 "Investoren schließen sich der #MeToo-Bewegung an". Sicher muß es Zeitungen geben, in denen soziale Mißstände in aller Deutlichkeit beklagt und Besserungen eingefordert werden. Und ebenso sollen Feministen und Genderisten jeglicher Art sich mit ihren Sorgen und Nöten in der Medienlandschaft wiederfinden. Aber es sind keine Themen, die ich vermehrt in einer Wirtschaftszeitung lesen möchte. -- Den für das Abo eingesparten Betrag werde ich nach einem Schlüssel, dessen genauere Beschaffenheit ich mir noch überlegen muß, unter Autoren wie Sie, Michael Klonovsky, die achgut-Redaktion, Bernd Zeller, Vera Lengsfeld, Hadmud Danisch aufteilen. Letzterer ist ein merkwürdiger Mann, liefert aber einen Denkanstoß nach dem anderen. Und tatsächlich ist es wohl so, daß man in Zeiten des Aufruhrs gar nicht verschwörungstheoretisch genug vorgehen kann.
Was ich an Leuten wie Ihnen und den Genannten bewundere ist ihr Rückgrat, Ihre Zivilcourage, ihre Zähigkeit, ihre Standhaftigkeit. Auf die Berge zu steigen und klar zu sehen, ist nicht ganz leicht - das Gesehene im Tal den stets lynchbereiten Einäugigen und Blinden zu verkünden, ist schwerer.
Freundliche Grüße
Peter Wichmann
Der Kommentar von Peter Wichmann hat ein sprachliches und argumentatives Niveau, dass dem Text von Wendt kaum nachsteht. Vielen Dank.
Volker
Sehr geehrter Herr Wichmann,
Meine aufrichtige Gratulation zu diesem hervorragenden Kommentar auf den wahrlich ebenso brillanten Artikel des verehrten Herrn Wendt.
Beides zu lesen, ich gebe es gerne zu, lässt mich wieder Hoffnung schöpfen, in dieser dunklen Zeit der Diffamierung, des Meinungsfaschismus und der stetig zunehmenden Zahl "stets lynchbereiter Einäugiger und Blinder".
PS: Vielen Dank auch für den Hinweis auf Danisch.de. Das sind die berühmten Strohhalme, nach denen man greift, um dem scheints sicheren Ertrinken zu entgehen.
Bei mir war's immer "Das Herz schlägt links."
Aber auch ich musste mich der Realität anpassen.
Und die - nicht ich - hat sich derart verändert, dass ich mich plötzlich "rechts" wiederfinde?!
Sachen gibt's...
Sehr geehrter Herr Wichmann,
Sie sprechen (schreiben ) mir aus dem Herzen.
Viele Grüße aus dem Nordosten
Henry Haase
Sehr geehrter Herr Wichmann,
Sie haben dankbarerweise etwas angesprochen, was ich schon in meiner Schulzeit in den 80ern , in der ich von einem, zugegeben ansonsten sehr guten "68er" Lehrer in Deutsch und Geschichte unterrichtet wurde, auch festgestellt habe:
Diese Hybris der Linken, daß ihre Einstellung zu den Dingen, also die linke automatisch die intelligentere ist. Es scheint für jene festzustehen, daß eine konservative oder gar rechte Meinung nur entstehen kann, wenn man entweder nicht genug reflektiert (also schlicht zu dumm ist) oder zwar klug, aber wegen interessengeleiteter (i.d.R. materielle Interessen) falschen Auffassungen,ein schlechter Mensch ist.
Im übrigen bin ich wie Sie dazu übergegangen die genannten Autoren zu unterstützen, wobei ich anmerken muß, daß ich Herrn Danisch gar nicht so merkwürdig (oder eben genau das :merk-würdig) finde. Er schreibt einfach nur mehr oder weniger ungefiltert, das kann ich nicht beurteilen, was ihm zu bestimmten Themen gerade einfällt, was auf seinem eigenen Blog, da sind wir uns ja einig, auch sein gutes Recht ist.
Ja! Danisch ist streckenweise wahnsinnig unterhaltsam - wenn er nicht gerade ellenlange Artikel über Fotogerätschaften oder Computer-Verschlüsselungstechnologien vom Stapel läßt (die meiner Meinung nur von einer Handvoll Spezialisten verstanden werden können) oder wenn er ein ums andere Mal seiner hintertriebenen Promotion nachtrauert. Aus genau dem Grund, daß nämlich sein Promotionsverfahren aus dem Hinterhalt torpediert und versenkt wurde, hat er heute viele 10.000x mehr ´Follower´ , als dies mit Dr.-Titel der Fall gewesen wäre – denn dann hätte er wohl nie zu bloggen begonnen. Und im Gegensatz zu Michael Klonovsky, der irgendwo in seiner „acta diurna“ sinngemäß schreibt, Danisch sei humorfrei, halte ich ihn geradezu für einen Großmeister des - meinetwegen schwarzen - Humors, oft mit stark sarkastischem Einschlag und keinesfalls Mainstreamhumor, aber jedenfalls Humor vom Feinsten. --- Freundliche Grüße / PW.
1. Seit dem 1.1.2009 gibt es in Deutschland eine Krankenversicherungspflicht.
2. Eine "Einwanderung in die Sozialsysteme" findet überall und z.B. schon dann statt, wenn einer bei Bedarf die bereitgestellten Notrufsysteme 110/112 in Anspruch nehmen könnte. Die Frage kann doch nur sein, was einer zur Finanzierung beiträgt; der entsprechende Fehlbetrag oder Überschuss wird bei einzelnen dieser "Einwanderer" durchaus siebenstellige Höhen erreichen. Dass allerdings die millionenfache Einwanderung von i.d.R. schwach qualifizierten "Flüchtlingen" unsere Sozialsysteme auf Dauer überfordern und zu enormen Krisen führen wird, wagt außerhalb einer eng begrenzten politisch-medialen Klasse kaum noch jemand ernsthaft zu bestreiten.
So sieht halt die widerliche Laviererei eines "Intellektuellen" aus. Möglichst alle Türchen offen halten, um am Ende auf der "richtigen" Seite zu stehen.
Statt „Sachen“, hatte ich zuerst „Sachsen“ gelesen.