Labour-Politiker, langjähriger Londoner Bürgermeister und erbitterter Israel-Gegner Ken Livingstone hatte vor einiger Zeit in einem iranischen Sender Hitler als Förderer des Zionismus dargestellt. Der Londoner Journalist Hansjörg Müller berichtete auf Publico über den noch unentschiedenen Versuch, Livingstone deshalb aus der Partei auszuschließen. Müllers Text wiederum führte zu einer heftigen Debatte unter Publico-Lesern: etliche meinten, der Labour-Mann liege doch nicht ganz falsch.
In Geschichtsdebatten empfiehlt es sich immer, den Blick von Meinungen zu den Fakten zu lenken.
Das deutsche Judentum zählt 165.000 Holocaustopfer innerhalb von 500.000 Angehörigen.
Dies beläuft sich auf einen Anteil von etwa 2,7 % der Gesamtzahl (zuzüglich des österreichischen Anteils etwa 4%). Die von dem Labourmitglied und Londoner Bürgermeister Ken Livingstone insinuierte Kollaboration des Zionismus mit Hitlerdeutschland hat mit der späteren Vernichtung des europäischen Judentums folglich eher am Rande zu tun.
Das 1933 geschlossene und bis Kriegsbeginn operationale Ha’avara Abkommen ermöglichte deutschen Palästinaflüchtlingen mit Kapitalbesitz davon deutsche Ware zu erwerben die nach Palästina exportiert und ihnen dort im Gegenwert nach Landeswährung von der Yishuv gutgeschrieben wurde. Also einerseits ein Handelsvertrag, andererseits ein Eintrittsgeld.
Selbstverständlich kam Hitler auch die zionistische Werbung in allerlei Publikationen entgegen, die er unbehelligt ließ. Kein Folterknecht schneidet seinem Opfer die Zunge ab, es soll ja reden, und kein Vertreiber schließt die Türen. Die deutschen Juden sollten verschwinden auf Nimmerwiedersehen. Verjagung benötigt zwingend ein Wohin; die Möglichkeit einer “Endlösung” eröffnete erst der Krieg. Daß ihr Los den Verjagten zum Segen geriet, erscheint erst so im Wissen um die Ausrottung. Daß jemand alsbald in der Lage sein könnte, Europa vom Nordkap bis Kreta, von der Wolga bis zum Atlantik per Mord zu entjuden, lag bei Erlaß der nationalen Rassengesetze 1935 jenseits jeglicher Vorstellung. Selbst als es geschah, wollten Normalmenschen, die davon erfuhren, es nicht für denkbar halten. Vielleicht bei den Bolschewiken aber nicht bei den Nachfahren Kants und Beethovens !
Im Nachhinein betrachtet, war die Alternative zur Ausflucht Zion, im Lande zu verweilen, sich schikanieren und zwischen 1941 und ’45 umbringen zu lassen. Oder aber nach Westeuropa auszuwandern, dies kam letztlich auf das gleiche heraus : Mit der deutschen Militärherrschaft waren die Refugien mit Beginn des Genozids illusorisch.
Im Sommer 1938 versuchte eine Flüchtlingskonferenz der Staatenwelt zu Evian vergeblich, die wilde Fluchtbewegung mittels Aufnahmequoten zu regeln. Vermutlich hätte das Nazireich sich dem gar nicht in die Quere gestellt, es feixte allerdings hämisch, als niemand Einlaßzahlen anbot.
Die USA, scheinheiliger Initiator der Konferenz, beharrte auf ihrer alten Einwanderungsquote von 27.370 Deutschen und Österreichern p.a., ob Jude oder nicht.
Als der Massenmord schließlich auf Touren kam und durchaus international bekannt, wenn auch vorsorglich bezweifelt wurde, änderte sich wenig an dem Bild. Nun herrschte Krieg und sämtliche Energien galten dem Sieg. Als er errungen, war den Deutschen von allem, was sie sich vorgenommen hatten, das eine weitgehend gelungen. Daß sie selbst dabei vor die Hunde gingen, hat sie nicht aufgehalten. Es sind konsequente Menschen. Doch hat eine Tat zwei Voraussetzungen, einen Täter und genügende, die ihn gewähren lassen.
* Heillose Flucht: Im Jahr 1939 fuhr der deutsche Dampfer St. Louis mit 937 jüdischen Passagieren erst nach Kuba, dann in die USA. Beide Länder lehnten die Aufnahme der Emigranten ab. Der Kapitän Gustav Schröder kehrte mit ihnen nicht nach Deutschland zurück, und erreichte die Aufnahme der Juden in mehreren europäischen Ländern. Hier ein Bericht aus der dänischen Zeitung Dannevirke vom Juni 1939.