Gastbeitrag von Hansjörg Müller, London
Wer Ken Livingstone beobachtet, könnte meinen, Antisemitismus wäre eine Art Zwangsstörung, vergleichbar dem Tourette-Syndrom. Wie manche Tourette-Patienten fortwährend Schimpfworte ausstoßen – allerdings unwillkürlich – so scheint Livingstone, ein 72-jähriger Labour-Politiker, gar nicht anders zu können, als von Zeit zu Zeit antisemitische Aussagen zu machen. Und dies, obwohl er laut eigener Aussage „seit 35 Jahren von der Israel-Lobby dafür verfolgt“ wird.
Bevor Adolf Hitler verrückt geworden sei und sechs Millionen Juden tötete, habe er den Zionismus unterstützt, hatte der frühere Londoner Bürgermeister 2016 behauptet. Vor etwa einem Jahr entschied ein Komitee seiner Partei, dass er Labour-Mitglied bleiben durfte. Seine Mitgliedschaft wurde lediglich für ein Jahr suspendiert.Mit den üblichen Entschuldigungsversuchen, die Politiker nach verbalen Fehltritten gerne vorbringen, mochte sich Livingstone damals nicht aufhalten, lieber bat er auf unübliche Weise um Verzeihung, nämlich „für die Lügen jener Labour-Mitglieder, die behauptet haben, ich hätte Hitler einen Zionisten genannt“. Vor seiner Anhörung hatte er noch einmal nachgelegt: Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hätten Nazis und Zionisten kollaboriert.
Zwar gab es in den frühen NS-Jahren tatsächlich Versuche, Juden gezielt nach Palästina abzuschieben. Zu einem “Unterstützer” des historisch viel älteren Zionismus macht das Hitler natürlich nicht. Livingston macht sich mit seinen Tiraden bewusst zum Kronzeugen des Narrativs etlicher arabischer Staaten und des Iran, bis zu den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts hätten Juden in Palästina gar keine Rolle gespielt.
Ende April wäre die Suspendierung ausgelaufen, doch letzte Woche wurde sie auf unbestimmte Zeit verlängert. Das ist eine ziemliche Überraschung. Dass die Labour-Partei ihr Antisemitismus-Problem nun ernst nehmen würde, sollte man daraus freilich nicht folgern: Die Verlängerung wurde von Generalsekretär Iain McNicol verhängt, einem Mann, der nicht mehr lange im Amt sein wird. McNicol ist kein Freund von Parteichef Jeremy Corbyn und wird demnächst durch einen von dessen Gefolgsleuten ersetzt werden.
Livingstone macht derweil weiter wie gehabt: Noch Ende Januar trat er bei Press-TV auf, dem Auslandskanal des iranischen Staatsfernsehens. Diskutiert wurde darüber, ob die Juden den Holocaust nutzten, um andere zu unterdrücken. Einmal mehr wiederholte der Labour-Politiker dabei seine Behauptung, Hitler habe mit den Zionisten kooperiert. „Er arbeitete mit den Zionisten zusammen, um 60.000 Juden zum Gehen zu bewegen“, so Livingstone. „Aber es war eine halbe Million. Und dann änderte er seine Politik hin zum Völkermord.“
Bevor darüber entschieden werde, ob Livingstone seine vollen Rechte als Parteimitglied zurückerhalte, müssten die Vorwürfe geklärt werden, begründete Noch-Generalsekretär McNicol seine Entscheidung. Wann das geschehen wird, ist offen. Vielleicht wird sich das Nationale Exekutivkomitee der Partei diesen Monat mit der Angelegenheit beschäftigen, vielleicht aber auch nicht. Livingstones bisherige Ausfälle scheinen seinen Parteifreunden noch nicht zu genügen, um ein abschließendes Urteil zu fällen: Man muss wohl mindestens bei den Nürnberger Prozessen auf der Anklagebank gesessen haben, um bei Labour endgültig als Antisemit zu gelten.
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So ganz aus der Luft gegriffen ist diese These nicht. Es gab in den 30er tatsächlich Bestrebungen, Deutsche mit jüdischem Glauben zur „freiwilligen“ Auswanderung zubewegen. Deswegen unterstützen die Nazis anfangs auch zionistische Vereinigungen, bspw. die „Zionistische Vereinigung für Deutschland“. Zu nennen ist hier u.a. das "Ha’avara-Abkommen", insbesondere aber Leopold von Mildenstein. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat darüber eine informative Artikelserie namens "Ein Nazi fährt nach Palästina" geschrieben. Es folgte nur eine mäßige Emigration, u. a. weil die Briten sich im Palästina querlegten; auch waren viele damalige Mitmenschen mit jüdischem Glauben überzeugte Deutsche, warum sollten sie ihre Heimat verlassen. Die deutsch-jüdische Elite emigrierte größtenteils nach den USA und die US-Amerikaner konnten ihr Glück über diesen Know-how-Transfer überhaupt nicht fassen. Der bis heute vorhandene wissenschaftliche Vorsprung der USA wurde u. a. auf diese Emigranten gegründet.
So paradox es klingen mag, nichts war unterm Strich antideutscher als der Nationalsozialismus - diese wirre Ideologie hat Deutschland regelrecht filetiert. Wer heute Hakenkreuzfahnen schwingt, muss einen extremen Hass auf Land und Leute haben – und diese Halbdenker merken es noch nicht mal.
Das einzige, was noch zwanghafter ist als Antisemitismus, ist Philosemitismus.
(…)
Darüber hinaus verstehe ich nicht, warum es einen zum Antisemiten machen soll, wenn man ausspricht, daß die Juden 1947 das heutige Land Israel einfach erobert haben und seitdem als Israelis mit dem Recht des Eroberers dort leben (Peter Hitchens, der dem Autor des Artikels ein Begriff sein wird, sieht es ähnlich).
Die allermeisten Völker leben heute in Gebieten, die einst jemand anderem gehörten und man kann es den Juden ja wohl nicht ankreiden, daß sie es erst seit geschichtlich gesehen kurzer Zeit tun.
Die aggressiven Philosemiten tun aber implizit genau dies. Israel wird als ein im linksliberal-modernen Sinne mustergültiger Staat dargestellt, der die einzige westliche Demokratie in Nahen Osten sei und 1947 sozusagen aus historisch zertifiziertem Menschheitsrecht das Licht der Welt erblickt habe. Die Philosemiten müssen dies auch tun, weil jede andere Legitimation in der heutigen Zeit problematisch gesehen wird. Die Wahrheit ist natürlich eine andere. In den 1930er Jahren gab es nur relativ wenige Juden im damaligen Palästina und die Israelis haben ihren Staat 1947 mit Gewalt erkämpft und ihn später mit Gewalt verteidigt und ausgeweitet. Das muß man doch gar nicht weglügen, das machen nämlich alle so.(…)
"Der bis heute vorhandene wissenschaftliche Vorsprung der USA wurde u. a. auf diese Emigranten gegründet."
...und nach '45 dann auf W. v. Braun et.al.
Hitler ein Zionist? Blödsinn. Hitler und die Nazis waren Bewunderer der Muslime! Hier ein paar Belege:
"You see it's our misfortune to have the wrong religion... The Mohammedan relgion would have been more compatible to us than Christianity. Why did it have to Christianity, with its meekness and flabbiness?" (Albert Speer, Inside the Third Reich, S. 96).
Heinrich Himmler bedauerte in einem Gespräch mit al-Husseini, dem damaligen Grossmufti von Jerusalem, dass der Westen vor Poitou und Wien gesiegt hatte. Damit hätte sich Europa zweier grossartiger Gelegenheiten beraubt, sich des geistigen Lichts und der Zivilisation des Islam zu bedienen (siehe hierzu, wie generell zum Verhältnis der Nazis zu den muslimischen Arabern: David Motadel, Islam and Nazi-Germany).
"After the war, Eva Braun's sister Ilse, remembered that Hitler had often discussed the islamic religion with her and Eva. In his tabletalks, Hitler repeatedly compared Islam with Christianity in order to devalue the latter... In contrast to Islam, Hitler which he portrayed as a strong and practical faith, he described Christianity as a soft, artificial, weak religion of suffering..." (Motadel).
"Hitler's adjutant, Nikolaus von Below, ... remembered in his memoirs, that Hitler had been impressed by the thought that Charles Martell's victory... had contributed to the disintegration of Europe... Islam could have kept the unity of Europe" (ibid.).
Hitler wird heute noch in islamistischen Kreisen bewundert - gerade wegen seiner Judenvernichtung.
Der Versuch von Ken Livingstone, der als "Muster-Repräsentant" der britischen "loony left" gilt, stellt den primitiven Versuch dar, Israel über den Zionismus mit der Nazikeule zu treffen, indem man Hitler zum Zionisten macht. Die historische Realität hat damit nichts zu tun. Was m.W. stimmt, wie F. Jungeleit oben ausführt, ist, dass Hitler eine Zeitlang glaubte, den Zionismus als Vehikel nutzen zu können, um die Juden loszuwerden. Das macht ihn aber nicht zum Zionisten.
Das einzige, was Livingstone's Aussagen zeigen, ist, mit welch abgrundtiefer Perversion Linke vor nichts zurückschrecken, um politische Gegner zu diffamieren.
Danke Hansjörg Müller!