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Unterwerfung

Wie die ARD Michel Houellebecq politisch passend macht

Welche Geschichte erzählt eigentlich Michel Houllebecqs Roman „Unterwerfung“? Es scheint zwei Fassungen zu geben. Eine, die Leser des Franzosen bisher kennen. Und eine, die die ARD den deutschen Fernsehzuschauern auftischt, versehen mit einer Maischberger-Talkrunde im Anschluss. Zur Einordnung, wie das heute in den öffentlich-rechtlich-guten Sendeanstalten heißt.

Houellebecqs Roman erzählt die Geschichte des Literaturwissenschaftlers Francois, der im Paris des Jahres 2022 lebt. Dort kommen Flammenzeichen nicht als Metapher vor, wie der Roman überhaupt auf die Ausbreitung einer These verzichtet. Es brennt wortwörtlich, es fallen scharfe Schüsse, die Pariser sehen den Rauch der Anschläge von Identitären, während in den Fernsehnachrichten davon kaum die Rede ist.  Auf der einen Seite des politischen Grabens steht der Front National, auf der anderen schwache linke und halblinke Parteien. Um die Machtübernahme von Front National und Identitären zu verhindern, werfen die Linken ihre laizistischen Prinzipien über Bord und verbünden sich mit dem Führer der Islampartei Mohamed Ben-Abbes. Der gewinnt die Präsidentschaftswahl und führt in Frankreich die Scharia ein. Beamte und Wissenschaftler, auch Francois, stehen vor der Wahl, sich dem Islam zu unterwerfen, hohe Gehälter zu kassieren und mehrere Frauen heiraten zu dürfen – oder künftig außerhalb der Gesellschaft zu leben. Die Juden verschwinden aus Frankreich. Der Autor – und das macht seine Größe aus – befasst sich weniger mit der islamischen Diktatur in Frankreich, die sich kaum von milden arabischen Autokratien unterschiedet, sondern in hochauflösenden Aufnahmen mit den Spätbürgern einer westlichen Gesellschaft, die sich ohne Gegenwehr, erleichtert oder sogar begeistert in die neue Ordnung fügen.

So weit die Literatur. Die ARD-Variante will damit nichts zu tun haben. Schon auf der Ankündigung des Films in den Zeitungsanzeigen sind die beiden Hauptprotagonisten des Films zu sehen, Francois und sein opportunistischer Wissenschaftlerkollege, der zum Sorbonne-Präsident aufsteigt. Im Hintergrund, wie eine Tür, erscheint ein Kreuz. Ein anderes religiöses Symbol kommt nicht vor.

Der ARD-Film ist eigentlich die Abfilmung des Theaterstücks „Unterwerfung“, in dem Edgar Selge die Hauptrolle spielt. Eingepackt, gewissermaßen gesichert, wird das ganze durch eine Rahmenhandlung: Wir sehen Selge in Hamburg auf dem Weg zum Theater, mehrere junge arabische Migranten tanzen ihn an, er vermisst, im Theater angekommen, seine Brieftasche. Die natürlich gar nicht weg ist. Sein Verdacht ist nur eine Projektion, das will uns die pädagogisch wertvolle TV-Fassung sagen, so, wie ja auch Houellebecqs Beschreibung des politischen Islam und des opportunistischen weltoffenen Westlers nur Szenen nur paranoide Ideen im Kopf des Autors sind. Wer das noch nicht auf Anhieb versteht, dem hilft Selge in einem FAZ-Interview auf die Sprünge. Warum, fragt der FAZ-Redakteur, überhaupt die fingerzeigende Rahmenhandlung?

„Sie ist notwendig, weil man im Fernsehen deutlich machen muss, welche Haltung man selbst dem Roman gegenüber einnimmt. Das Theater kann es sich leisten, die Bewertung dieses Stoffes, der so viele Phobien berührt …dem Zuschauer zu überlassen…Bei der Fernsehverfilmung muss man vorsichtiger sein.“

Warum?, fragt die FAZ nach.

„Weil ein Film aufpassen muss, dass er nicht Beifall von der falschen Seite bekommt.“

Bloß keinen Beifall von der falschen Seite – von welcher eigentlich? Es gibt den schönen Satz von Michael Klonovsky: jede Seite ist die falsche. In der DDR hieß die entsprechende Formel übrigens: Wir dürfen dem Feind keine Munition liefern. Wahrscheinlich hängen in den deutschen Sendeanstalten mittlerweile Transparente mit genau diesem Satz. In der DDR herrschte übrigens auch die Praxis, das eine oder andere kritische Theaterstück zuzulassen, etwa Christoph Heins Politbüro-Parabel „Die Ritter der Tafelrunde“. Ins Massenmedium Fernsehen kam es selbstredend nicht.

Wer die politische Absicherung der ARD-Produktion immer noch nicht verstanden haben sollte, für den wiederholt sie Selge in der FAZ noch einmal etwas gröber:

„Aufgehetzt von populistischen Scharfmachern, neigen wir heute dazu, in jedem Migranten einen potentiellen Kriminellen zu sehen“ (Einschub: wer eigentlich sieht in jedem ostasiatischen Migranten und jedem amerikanischen Gastprofessor einen potentiellen Kriminellen? Allein hier wird die Gaunersprache schon überdeutlich). Aber weiter: „Auch Francois muss diesen Reflex bei sich erkennen, wenn er am Ende beschämt seinen Geldbeutel in den Tiefen seines eigenen Rucksacks wiederfindet. Mit dieser kleinen Rahmenhandlung setzt der Film ein unmissverständliches Signal seiner politischen Ausrichtung.“

An dieser Stelle fragt sich der halbwegs luzide Leser: Ist Selge ein Schelm? Will er wie weiland DDR-Autoren zwischen den Zeilen etwas darüber mitteilen, was heute eben nötig ist, um ein Stück wie „Unterwerfung“ im besten spätmerkelistischen Deutschland aller Zeiten öffentlich-rechtlich sendefähig zu machen? Aus Houllebecqs Werk muss dafür nicht nur der Kern herausgeschnitten werden, nämlich die westliche Feigheit vor dem Islam, der die Selbstreflektion nicht kennt, sondern in die Leerstelle muss auch noch eine politisch korrekte Füllmasse. Den Rest dazu steuert wahrscheinlich Maischberger bei.

Der ARD-Film „Unterwerfung“ ist ein politisches Lehrstück, wie es besser nicht aufgeführt werden könnte. Die eigentliche Rahmenhandlung dazu, das ist Deutschland 2018.

 

Alexander Wendt: Weitere Profile:

Kommentare anzeigen (28)

  • Da schau ich mir doch lieber im anderen Staatssender Jurassic Park, die soundsovielte, an.

    Die schnappenden Biester sind sympathischer als die morbid-aggressive linksgrüne Lenkungskaste des "spätmerkelistischen Deutschlands" (schöne Wendung, Herr Wendt!).

  • Man setzt auf das Zielpublikum der ARD. Dieses hat das Buch nicht gelesen. Und wenn es doch gestern das Buch gelesen haben sollte, wird es sich heute nicht mehr daran erinnern und die Schwester fragen, wann der Kaiser zur Audienz erscheint. Kafkas Prozeß handelt übrigens von einem kränklichen Anwalt, bei dem nie richtig aufgeräumt wird. Erst die patente Hilfskraft aus Eritrea schafft Ordnung. Der Anwalt wird gesund und kämpft gegen Rechts. Das nur als Anregung fürs ZDF.

  • Selge im NZZ-Interview:

    "Wir sind mit unserem Wohlstand verantwortlich für die Vernichtung der Lebensgrundlage der Menschen, die hier Schutz suchen. Deshalb müssen die Grenzen für sie durchlässig sein. Auf der anderen Seite müssen wir unsere demokratischen Errungenschaften schützen, vor allem die Emanzipation, die Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt bis hin zur Quotenregelung."

    https://www.nzz.ch/feuilleton/houllebecq-ist-ein-autor-der-absoluten-schlaffheit-das-gefaellt-mir-an-ihm-und-entspannt-mich-ld.1391488

    Den ARD-Film und das anschließende Geplapper spare ich mir.

    • Leute wie dieser Kulturschaffende sind in ihrem staatsfinanzierten Wohlstand verantwortlich für die Vernichtung der Lebensgrundlage der Menschen, die hier schon länger leben.

  • Ich hab's gewusst! Dass die Verfilmung des Romans Unterwerfung in der ARD gezeigt wurde KONNTE nur bedeuten, dass der Inhalt verfälscht und "passend" gemacht wurde.
    Darum habe ich ihn nicht angesehen!
    Enttäuscht bin ich von Schauspielern wie Selge und Brandt dass sie sich zu dieser Volksverdummung hergeben!

  • Richtig......
    Und wenn man die Endsequenz des Filmes gesehen hat, …...wer dann überhaupt noch am Fernseher sass, der weiss dass es ganz genauso ist.
    Der Protagonist kommt nach dem Abschminken aus dem Theater, trifft auf der Strasse eine kleine Gruppe von Migranten und erschrickt, er erwartet irgendwie dass sie ihn nun gleich angehen, aber das passiert nicht, die Migranten grüssen ihn und gehen vorbei.
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    Darob scheint es, als ob der Protagonist des Theaterstückes aus einem Traum aufwacht, …….er ist sichtlich erheitert dass alles nur Einbildung war …...eben Theater.
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    Wenn man das Ende sah und das Buch von Houellebecq kennt, weiss man um diese grobe Entstellung seines Romans durch den Film.
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    Aber das war ja von vornherein klar, im Deutschen Fernsehen von 2018 kann man nichts anderes mehr erwarten ……..und die Sendung mit Maischberger macht sogar den guten alten Karl-Eduard von Schnitzler noch eifersüchtig......

  • Ist der Begriff "Posse" für knallchargiges Bühnengepolter noch in Gebrauch? Er trifft für diese Produktion (inklusive Interview und Laberrunde vorneweg und hintendrein) wie der Faust auf den August.

  • Henryk M. Broder
    hat einmal auf entsprechende Frage sinngemäß geantwortet:
    "Wenn ich Rücksicht darauf nähme, Beifall von der falschen Seite zu erhalten, müßte ich verstummen!"

    Ähnlich ist es mit der Wahrheit oder Klarheit:
    Wenn z.B. ein Kretin etwas Richtiges sagt, bleibt das richtig
    und der Kretin bleibt ein Kretin!

    Noch Fragen Kienzle?

  • Edgar Selge spielt zwar im Film nicht wirklich Michel Houellebecqs Schöpfung Francois, aber er lebt ihn in der Realität aus. Die ARD wollte mit dem Film eine paranoide Darstellung der Figur Francois erreichen und schuf ungewollt in der Realität mit Edgar Selge und seiner Angst vor Applaus von der falschen Seite eine Hommage an diesen Protagonisten.

    Seine Statements könnten dem Roman entspringen, bspw. möchte er demokratische Errungenschaften wie Emanzipation und Gleichberechtigung schützen – lässt aber vorsichtshalber offen, wer sie bedroht. Es gibt tief greifende globale Umwälzungen und Herr Selge möchte eine Partei gründen, weil weitere Katastrophen wie der Ausstieg des Staates bei Post und Bahn nicht passieren dürfen. Letztendlich mit seiner devoten Überzeugung, unser Lebensstil initiiert globale Flüchtlingsströme, ist er mit Haut und Haaren bei Houellebecq angekommen; als wäre Houellebecq vor dem Buchprojekt auf Selge getroffen.

    • Dies trifft meine Einstellung zu dem gesehenen Film ganz besonders: “als wäre Houellebecq vor dem Buchprojekt auf Selge getroffen.“ Toll.

      Von der Erwartung befreit, den Realismus des Buches im ARD visualisiert zu bekommen, war die Vorstellung doch ganz genüßlich, künstlerisch auf hohem Niveau und auch mit langen Sätzen, welche die Kraft hatten, vom ersten Buchstaben zum Punkt eine Geschichte zu erzählen.
      Fast war ich erschrocken darüber, welches Niveau der ÖR seinen Zuschauern abverlangte, zumindest semantisch, aber auch dort, wo Houellebecq deutlich herausblinzelte. Die Befragung im Bekanntenkreis danach war ernüchternd zwischen “nicht gesehen“, “umgeschaltet“ oder “ganz anders als das Buch“, und ich muß wohl eingestehen, dass dies als “Bekannter“ auch auf mich zurückfällt. War die Inszenierung wirklich zu schwer fürs Publikum?
      Ich beruhige mich mit der Vermutung, dass diese Rezipienten auch die die Verfälschung durch die Brieftasche nicht erkannt haben.

      Francois ist paranoid? Ach was!
      Aber sooo schlimm wird es schon nicht werden....

  • Ihrer Meinung habe ich nichts hinzuzufügen, und ich bewundere Sie nicht nur wegen Ihrer Kritik, sondern auch, wie sie den Inhalt des Roman "Unterwerfung" in ganz wenigen Sätzen präzise zusammenfassen. Ich habe nach 15 Minuten den Auschaltknopf gedrückt, nachdem klar war, dass der Film rein gar nichts mit dem Buch zu tun hat. Aber ich war auch nicht schlecht. Nachdem ich das Filmende durch Sie kenne, muß ich sagen, dass ich mit meinem durch langjährige Feindbeobachtung von ARDZDF erworben Expertenstatus richtig lag: ich wußte sofort, daß die von Migranten scheinbar gestohlene Geldbörse gegen Ende des Film beim scheinbaren Opfer selbst wieder auftauchen wird.

    • Ich hätte mir ob der täglich auswuchernden Unverfrorenheit der Märchenerzähler schon erwartet, dass die Migranten in das Theater kommen und ein keusch grinsender Kriegsversehrter aus Aleppo in unterwürfiger Geste dem diffusverängstigten Teutonen seine unbeschadete Brieftasche übergibt, die er draußen auf der Straße verloren hat.
      Schade, dass dieses daramaturgische Leckerli nicht noch in den großen Teller voll unverdaulicher Propagandabrekkies für den köterrassigen (gerichtlich bestätigt erlaubte Bezeichnung, bitteschön) Mediendackel eingerührt wurde. Da wurde eine große Chance vertan.

  • Ich verstehe nicht, warum Selge nicht klar ist, dass er exakt der angepasste, opportunistische und prinzipienlose Duckmäuser ist, den Houllebecq in seinem Roman beschreibt.