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Wochenrückblick: Geduzter Bürger, sag mir, wo du stehst

Wenn unsereins – also Leute, die bis 1989 Zeit im zweitbesten Deutschland verbracht hatten –  von einer DDR-Wiederauflage sprechen, dann meinen wir das natürlich nicht vollumfänglich. Wir wissen schon, dass ein unbotmäßiger Bürger damals im Gefängnis landen konnte. Ein Staat, der die Methode für die Behandlung von allzu dreisten Abweichlern „Zersetzung“ nannte, meinte es genau so. Der allgemeine Verfall von Städten, der Umweltdreck und die spezielle Presse bildeten unter diesen Umständen nur die milderen Begleiterscheinungen.

Wenn unsereins also von DDR light spricht, dann meinen wir extraleicht. Oft wissen es die Westdeutschen auch nicht besser. Wenn beispielsweise der damalige CDU-Generalsekretär Peter Tauber ein Parteimanifest mit „Hier steht die CDU – sag mir wo du stehst“ überschrieben hatte, dann ahnte er höchstwahrscheinlich nicht, dass es sich bei „Sag mir, wo du stehst“ um ein Lied des DDR-„Oktoberklub“ handelte, eine Art Chor der FDJ. Dass die Attitüde dahinter die gleiche ist – die Regierungspartei fordert geduzten Bürgern eine Erklärung zu deren politischer Haltung ab – merkt vielleicht tatsächlich nur der, den dabei ein Déjà-vu-Erlebnis überkommt.

Und woher soll ein Spiegel-Online-Autor auch ein Sprachgefühl haben, das ihm sagt, Wendungen wie „Aufrührer“ und „eine kleine Minderheit, die die Stimmung im Land vergiftet“ für  missliebige Demonstranten und Wähler könnten möglicherweise historisch belastet sein?

Wir, die historisch Erfahrungsreicheren, würden auch nicht gleich von Überwachungsstaat sprechen, wenn der sozialdemokratische Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz jetzt plant, schätzungsweise 25 000 Ferienwohnungsvermieter der Stadt zehn Jahre rückwirkend und flächendeckend darauf zu überprüfen, ob sie möglicherweise Steuern hinterzogen haben, und dazu auch auf die Daten von Vermietungsplattformen zugreifen will. Hinter dieser Aktion steht bei ihm zwar das Prinzip, einen Bürger erst einmal grundsätzlich für verdächtig zu halten. Beim Zugriff auf die Vermietungsdaten der letzten zehn Jahre, die auch unbeteiligte Dritte betreffen, scheint die Datenschutzgrundverordnung keine Rolle zu spielen. Aber es geht ihm nur ums Geld.

Und zudummerletzt, wenn der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther in der vergangenen Woche eine Koalition von CDU und Linkspartei vorerst im Osten ins Spiel bringt, dann denken nur einige Menschen mit Sachsen- und 89er-Hintergrund an die gute alte Blockparteistruktur, die schlussendlich dazu führte, dass nur noch eine gemeinsame Liste der Nationalen Front (so hieß das damals, heute wäre das anders) gewählt zu werden brauchte.

Wie die Beispiele oben zeigen, macht die mentale Annäherung fast aller Parteien von CDU bis Linkspartei schon gute Fortschritte. Linkspartei, das ist übrigens die Truppe, in der eine Sahra Wagenknecht schon als rechtsradikal gilt, weil sie meint, offene Grenzen für alle und Sozialstaat inklusive bedingungslosem Grundeinkommen wären auf Dauer doch nicht kombinierbar.

Aber jetzt zu den Unterschieden, die das Land und uns allesamt, egal mit welchem Erfahrungshintergrund, von der real existiert habenden Täterä unterscheiden. Regierungen sind abwählbar, niemand muss wegen Regierungskritik ins Gefängnis, die Wirtschaft läuft entschieden besser, es gibt eine Opposition im Bundestag und eine Vielfalt gesellschaftskritischer Medien. Flächendeckende Überwachung findet nur zu Steuereintreibungszwecken statt. Parteiausschlussverfahren gingen früher schneller.

Das politische Führungspersonal ist heute nicht unbedingt besser angezogen, aber bunter.

Es gibt eine sehr, sehr weitgehende Demonstrationsfreiheit.

Und Bürger, die führende Repräsentanten treffen wollen, wären früher nicht erst fünf Stunden vorher in einen sog. Workshop geladen worden, der damals auch anders geheißen hätte.

Mit anderen Worten: Den Satz „aber das darf man ja nicht mehr sagen“ sollte aus oben genannten Gründen niemand sagen. Immer raus damit. Es darf auch beleidigend sein, es sollte nur nicht dumm sein. Diese Unterscheidung konnte man übrigens auch schon in der DDR treffen.

Ein wirklich wichtiger Unterschied besteht dagegen in der Möglichkeit, sich heute  seinen Standort in jeder Hinsicht selbst aussuchen zu können.

 

 

 

 

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Kommentare anzeigen (25)

  • Naja Herr Wendt, die DDR hat beileibe nicht mehr alle inhaftiert, welche unbequem waren. Da hätte sie ja noch anbauen müssen. Einigen wurde einfach die berufliche Karriere verbaut. So konnten Ingenieure auch mal als Bauhelfer ihre Schrippen verdienen oder man wurde in der Mitropa von einer Biologin abkassiert. Und ganz Renitente, die eh einen Ausreiseantrag gestellt hatten, sind dann ganz schnell von heute auf morgen "draußen" gewesen. Und wenn man die Antifa heute so beobachtet, machen sie es nicht anders: den "Andersdenkenden" das Leben schwer machen, sie anschwärzen, mit dem Ziel ihnen die berufliche Karriere zu zerstören, zumindest deren Ruf nachhaltig zu schädigen. Am liebsten ekelt man ihn weg oder macht ihn mundtot unter Androhung oder sogar Verwendung von Gewalt. Was hat sich da geändert? Mag sein, dass sie das von mir unbemerkt auch schon vor 15-20 Jahren so praktiziert haben und ich erst heute wach geworden bin. Oder aber, sie haben aufgrund sich ändernder politischer Bedingungen jetzt immer mehr Oberwasser. Darüber sollten wir mal dringend nachdenken!

    • "Was hat sich da geändert?"

      Das Motto.

      Neu ist, daß diese Niederträchtigkeiten unter dem Vorwand, "Toleranz", "Vielfalt" und der Verhinderung der "Ausgrenzung" stattfinden.

  • Die sog. Light- Versionen machen am Ende nur noch fett und impotent. Prof Mag Meier-Bergfeld

  • Was den Herrn Günther anbelangt, kann man nur noch den Kopf schütteln: Ein Bündnis mit den Nachfolgern der Mauertotenpartei kann er sich vorstellen, eine Koalition mit der AfD aber ist des Teufels. Da fragt sich der unbefangene Bürger nach der politischen Urteilsfähigkeit eines Mannes, der schließlich MP eines Bundeslandes ist. Schlußfolgern kann man nur noch, dass die Angst vor der AfD ja riesgengroß sein muß - was sich hoffentlich in den kommenden Wahlen kräftig bestätigt.

    • ...mit der „Linken“ wird lediglich nur noch eine Option gezogen, um Merkel eine Mehrheit zu verschaffen.
      Solange sie die Mehrheit hat - und durch die ganzen Rentner wird sie die behalten - bleibt sie im Kanzleramt, bis das Amt des Bundeskanzlers von einer Art Gouverneur ersetzt wird. Siehe die Berichterstattung z.Zt.
      Günther: These, Merkel: Antithese, Journalist: Synthese. Ziel ist und bleibt das Vereinignte Europa. Die jetzigen Rentner werden es nicht mehr erleben, die künftigen bekommen...tja. wer zahlt die Rente dann nach welchem Schlüssel in welcher Währung aus?

  • Die "Liste der Nationalen Front" heißt heute "Breites Bündnis" und das ist bunt wie eine Burka.
    Wohlan...

  • "Flächendeckende Überwachung findet nur zu Steuereintreibungszwecken statt." (?)
    Wenn ich das bitte noch ergänzen darf: Auch der "Beitragsservice" in Köln, früher GEZ, betreibt eine flächendeckende Überwachung, ein allumfassendes Personenstandsregister sozusagen, das dem der Steuerbehörden in nichts nachsteht, vermutlich sogar aktueller ist. Scheidung? Neue Freundin in der Wohnung? GEZ erfährt es on-line und in Echtzeit von den Einwohnermeldeämtern.
    Es sei denn, man betrachtet den "Beitrag" auch als Steuer, dann erübrigte sich mein Hinweis, aber das wurde ja gerade vom BVerfG in Karlsruhe anders entschieden.

  • Herzlichen Dank für Ihre sachkundigen Querverweise auf die DDR und das dort praktizierte Demokratieverständnis. Mir sind als Bundesbürger nach fast 30 Jahren vor allem die Schikanen an den Grenzübergängen und der menschenverachtende behördliche Umgangston in Erinnerung. Dass eine ehemalige FDJ-Sekretärin, die sich stets systemkonform verhielt und bis heute jede Einsichtnahme in ihre Stasi-Akte ablehnt, eines Tages hier Bundeskanzlerin wird, hätte ich nie für möglich gehalten. Dass sie in dieser Rolle dem gewählten US-Präsidenten noch vor seinem Amtsantritt demokratische Gepflogenheiten beibringen wollte, macht mich immer noch sprachlos.

  • Schönes Foto, Herr Wendt, – handelt es sich bei dem gefiederten Begleiter im Hintergrund um den aus vielen Sagen und Märchen bekannten Krächzer, der dem Wanderer in allen Fährnissen den Weg weist?

  • Hallo Herr Wendt,
    Ich stimme Ihnen in vielem zu. In einem Punkt möchte ich aber etwas ergänzen. Die Wirtschaft läuft gut. Das stimmt momentan bei oberflächlicher Betrachtung. Aber die Tendenz ist klar abwärts gerichtet. Dafür sehe ich mehrere Ursachen.
    1. Durch grüne Ideologie weit in der Gesellschaft verbreitete Fortschrittsfeindlichkeit drängt z.B. Grüne Gentechnik Forschung zunehmend in's Ausland.
    2. Die Energiewende macht Energie als Lebenselixier der Wirtschaft zunehmend teuer und unzuverlässig.
    3. Das Bildungsniveau und der IQ der deutschen Bevölkerung sinkt kontinuierlich. Besonders die aktuell unkontrollierte Einwanderung beschleunigt dies.
    4. Angriffe auf die Kernindustirie Deutschlands (Automobilbau) über EU-Verordnungen, und durch Toyota über die Unterstützung der Deutschen Umwelthilfe werden befördert statt bekämpft.
    5. Ideologie und Gefühle steuern Regierungsentscheidungen an Stelle rationaler Überlegungen.
    6. Junge Leistungsträger wandern ab und Sozialschmarotzer wandern zu.
    Das abrutschen Deutschlands spiegelt sich schon in Vergleichsstudien wieder.

  • Ich verstehe in dem Text nicht, was der Autor uns sagen möchte.

    Herr Alexander Wendt, es stellt sich hier die Frage ob Sie West- oder Ostdeutscher sind.
    Ich schätze mal nach Ihren Äußerungen sind Sie Ersteres.

    Ich denke die Unterscheidungen zwischen Ost und West zu beurteilen sollte man den Ostdeutschen überlassen.

    Und das wird jeder dann auch aus seinem Horizont heraus wiederum anders beurteilen.

    Ich als Frau damals Anfang 30 im Jahr 1990 empfand die alt-BRD antiquiert im Denken rund um die Gleichberechtigung - die Zeit schien stehengeblieben zu sein.

    Diskriminierung war nun nicht mehr nur ein Wort, das ich kannte, sondern ich erlebte es nun an eigener Haut - in diesem Zusammenhang fiel mir das Wort „Herrenmensch“ ein.

    Die Staatsmacht empfand ich als subtil überdimensional, die die BRD-Bürger bis heute am Gängelband hält und das tägliche Leben so schwierig macht - man braucht schon ein starkes Gemüt oder Scheiß-egal-Einstellung um der täglichen Willkür wenigstens mental entrinnen zu können. Dabei wird der einzelne Bürger von den Politikern alte wie neue (außer eine) mit Hohn und Spott und Beleidigungen überhäuft: Pack, Dunkeldeutschland, Deutschland verrecke und du mieses Stück Scheiße (ich als Deutsche fühle mich in meinem Ehrgefühl verletzt)

    An Gesetze haben sich Politiker früher wie heute nie gehalten. Es wird so geschwurbelt und entstellt, dass für sie immer das richtige herauskommt: siehe Selbstermächtigung Merkel -Gewaltenteilung eine Farce bzw. als Alibi.

    Die GEZ als Systempropaganda-Organ geschaffen und vom höchsten Gericht von zwei Brüdern zuerst geschaffen und dann abgesegnet (ist das nicht Rechtsbeugung?) soll die Menschen gleichschalten und in eine Richtung einschwören. Hatten wir in der DDR, nur war der Unterschied zu heute, dass die Leute damals in der DDR sich kein X für ein U haben vormachen lassen.

    Diese GEZ wurde so in trockene Tücher gepackt, dass diese sogar eine Rasterfahndung bei kleinen Lichtern wie den GEZ-Verweigerern rechtfertigt und der Datenschutz vollkommen ausgehebelt ist...

    Ich könnte über diese meine Eindrücke ein ganzes Buch füllen damals wie heute die vielen und nochmals vielen Paradoxa wie z.B. Oberflächenwasser-Gebühr, Anliegerkosten, Zweitwohnsitzsteuer, Mehrwertsteuer, Meldegesetz für Längerhiergebliebene und Aussetzung für Asylanten, die sich neue und gleich zur Absicherung mehrere schaffen, Energiesteuer, Haushaltsabgabe ...merken Sie was? Meistens geht's nur ums Geld um den Leuten noch mehr Geld aus der Tasche zu holen.

  • "Regierungen sind abwählbar ..."

    Theoretisch ja, aber das in den meisten europäischen Ländern bestehende Mehrheitswahlrecht in Kombination mit der Zerfaserung der Parteienlandschaft macht das mittlerweile sehr schwer. Egal wohin man schaut: es ist kaum möglich, eine Regierung komplett loszuwerden, es werden nur ein oder zwei Koalitionspartner ausgewechselt, und weiter geht's.

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