Als die Frankfurter Allgemeine am 6. Oktober einen Beitrag des AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland in ihrer Rubrik „Fremde Federn“ veröffentlichte, schien – hier passt die Journalistenstanze wirklich – der Skandal perfekt. War er aber nicht. Perfekt wurde er erst, als ein Twitternutzer namens znuznu entdeckte, dass eine kurze Passage aus dem Gauland-Text mit dem Titel „Warum muss es Populismus sein?“ eigentlich von Adolf Hitler stammte. Beziehungsweise von ihm hätte stammen können. Oder ihm jedenfalls nicht völlig unähnlich sah.
Der „Tagesspiegel“, im Kampf gegen das Böse stets an vorderster Front dabei, deckte den Skandal auf Seite eins auf.Worum ging es? Gauland hatte in seinem Beitrag geschrieben: „Wir sind nicht ‚das’ Volk, aber wir wollen, dass das Volk mehr politischen Einfluss bekommt.“ Dann beschäftigt er sich mit der Frage, wie der Populismus – der seiner Partei regelmäßig vorgeworfen wird – aus seiner Sicht entstanden ist:
„Im Zuge der Globalisierung hat sich nach dem Ende des Ost-West-Konflikts eine neue urbane Elite gebildet, man könnte auch von einer neuen Klasse sprechen. Zu ihr gehören Menschen aus der Wirtschaft, der Politik, dem Unterhaltungs- und Kulturbetrieb – und vor allem der neuen Spezies der Informationsarbeiter.
Diese globalisierte Klasse sitzt in den international agierenden Unternehmen, in Organisationen wie der UN, in den Medien, Start-ups, Universitäten, NGOs, Stiftungen, in den Parteien und ihren Apparaten, und weil sie Informationen kontrolliert, gibt sie kulturell und politisch den Takt vor. Ihre Mitglieder leben fast ausschließlich in Großstädten, sprechen fließend Englisch, und wenn sie zum Jobwechsel nach London oder Singapur ziehen, finden sie überall ähnliche Appartements, Häuser, Restaurants, Geschäfte und Privatschulen. Dieses Milieu bleibt sozial unter sich, ist aber kulturell ‚bunt’. Das hat zur Folge, dass die Bindung dieser neuen Elite an ihr jeweiliges Heimatland schwach ist (…) Der Regen, der in ihren Heimatländern fällt, macht sie nicht nass.“
Gaulands Passage enthält selbst noch gar keine Wertung, sie ist deskriptiv gehalten. In dieser Beschreibung nun erkannte der Twitterer znuznu und in der Folge der „Tagesspiegel“, die Historiker Wolfgang Benz, Michael Wolffsohn und der Privatgelehrte Sigmar Gabriel allerreinsten Hitler, wenn auch ins 21. Jahrhundert transponiert. Denn in der Tat, im November 1933 hatte Adolf Hitler vor Arbeitern des Siemenswerks in Berlin eine Rede gehalten, in der er gegen eine „kleine wurzellose Clique“ polemisierte, die sich durch Bindungslosigkeit auszeichne:
„Es sind das die Menschen, die überall und nirgends zuhause sind, sondern die heute in Berlin leben, morgen genauso in Brüssel sein können, übermorgen in Paris und dann wieder in Prag oder Wien oder in London, und die sich überall zu Hause fühlen.“
Laut Wolfgang Benz habe sich Gauland an Hitler „angeschmiegt“. Michael Wolffsohn diagnostizierte im “Tagesspiegel”,, Gaulands Text sei „Hitler light“.
Nun finden sich in Reden und Aussprüchen ganz verschiedener Politiker zu verschiedenen Zeiten öfters ähnlich klingende Formulierungen, zumal, wenn beide noch aus dem gleichen Sprachgebiet stammen, aber selbst, wenn sie in unterschiedlichen Sprachen redeten.
Die Zitate etwa: „Aus diesen Trümmern wird sich siegreich erheben der Phönix eines neuen Geistes“ und
„Es ist das erregende Beispiel eines Volkes, das bereit war, sich (…) aufzuopfern, damit seine Asche als Fundament für eine neue Gesellschaft diene“, sind einander ungefähr so ähnlich wie Gaulands und Hitlers Passage. Der eine Satz stammt von Joseph Goebbels, der andere von Ché Guevara.
Die Wendung von Martin Schulz, die AfD gehöre „auf den Misthaufen der Geschichte“, lässt sich – ohne AfD natürlich – bei Leo Trotzki nachlesen.
Dass Äußerungen kontextabhängig sind, lernt eigentlich jeder Student irgendeiner Geisteswissenschaft. Früher lernten es sogar Abiturienten.
Auch sind die Gedanken Gaulands nicht neu. Darauf erhebt er keinen Anspruch. Sie gehen im Wesentlichen auf den britischen Publizisten David Goodhart zurück, der mit dem Gegensatz zwischen den „Anywheres“, denjenigen also, die überall zuhause sein können, und den „Somewheres“, die sich an ihren Ort gebunden fühlen oder es tatsächlich sind, das tiefe Zerwürfnis der britischen Gesellschaft über den Brexit erklärt. Der Grundgedanke findet sich auch bei vielen anderen – etwas bei dem amerikanischen Autor Corey Robin („Der reaktionäre Geist“).
Am ähnlichsten sind Gaulands Sätze über die urbane Elite allerdings der Passage eines Textes, der – Tusch, Trommeltremolo – vor einiger Zeit im „Tagesspiegel“ erschien. Dort schrieb der Blogger und Dozent Michael Seemann 2016:
„Es gibt heute eine globalisierte Klasse der Informationsarbeiter, der die meisten von uns angehören und die viel homogener und mächtiger ist, als sie denkt. Es sind gut gebildete, tendenziell eher junge Menschen, die sich kulturell zunehmend global orientieren, die die “New York Times” lesen statt die Tagesschau zu sehen, die viele ausländische Freunde und viele Freunde im Ausland haben, die viel reisen, aber nicht unbedingt, um in den Urlaub zu fahren. Es ist eine Klasse, die fast ausschließlich in Großstädten lebt, die so flüssig Englisch spricht wie ihre Muttersprache, für die Europa kein abstraktes Etwas ist, sondern eine gelebte Realität, wenn sie zum Jobwechsel von Madrid nach Stockholm zieht.“
Nach der „Tagesspiegel“-, Benz- und Wolffsohn-Logik hatte also jemand schon 2016 dem antifaschistisch vorbildlichen Blatt Hitler light untergejubelt. Beziehungsweise Goodhaart classic. Bevor ein Medium in Zukunft eine NS-Textanleihe bei einem rechten Publizisten anprangert, sollte es sich erst einmal auf Volltextsuche im eigenen Archiv begeben.
Für die schönste Wendung in diesen Absurditäten sorgte Seemann selbst, denn er beklagt sich nun einerseits, Gauland habe ihn plagiiert, muss aber logischerweise gleichzeitig erklären, warum in seiner eigenen Textpassage kein Hitler steckt. Seine Herleitung kann sich jeder hier durchlesen Zusammengefasst: Er, Seemann, habe ja eigentlich über das „Feindbild der AfD“ geschrieben, das gleiche ja wiederum irgendwie dem Feindbild der NSDAP. Und deshalb sei ein Gedanke, der schon bei Hitler auftauche – und später bei Goodhart und etlichen anderen – bei ihm, Seemann, kein Hitler, bei Gauland, der fast die gleichen Sätze benutzt, aber schon.
Beim “Tagesspiegel” ist die Not nun so groß, dass Chefredakteur Lorenz Marold offenbar endgültig den Überblick verliert, der wahrscheinlich nur mit Ritalin und anderen rücksichlosesten Maßnahmen wiederhergestellt werden kann. Maroldt twitterte: “Hier der komplette Gastbeitrag von Michael Seemann, vom 25.10. 16, der nach Meinung einiger Hobbyhistoriker eine Hitler-Rede plagiiert und von Gauland für seinen FAZ-Beitrag abgeschrieben wurde.”
Kein Historiker (Benz, Wolffsohn) noch die Gemeinschaft der Hobbyhistoriker (Tagesspiegel-Redaktion) hatte je behauptet, Seemann hätte Hitler plagiiert. Sondern Wolffsohn und Benz, eigens vom “Tagesspiegel” angefragt, hatten zweifelsfrei festgestellt, Gauland hätte beim Führer abgepinselt. Dummerweise erfolgte diese zweifelsfreie Feststellung eben, bevor der Seemann-Tagesspiegeltext exhumiert wurde. FAZ-Redakteur Philipp Plickert fragte vorsichtshalber bei Maroldt auf Twitter an, ob er nun Wolffsohn und Benz als Hobbyhistoriker bezeichnen will, bekam aber keine Antwort. Tausendmal schade.
Zurück zu Seemann und Gauland: Eine Plagiatsklage dürfte Seemann nicht gewinnen. Dazu ist das Phänomen des Konflikts zwischen mobiler Elite und verwurzeltem Rest zu allgemein. Und offenbar spielt dieser Konflikt auch eine große Rolle. Anderenfalls würden sich nicht so viele an ihm abarbeiten. Eine Partei, die ihn wie die AfD aufgreift, bekommt offensichtlich Zulauf.
„Tagesspiegel“-Autor Sigmar Gabriel scheint das zu ahnen, denn er schreibt, dass das, was Gauland über Somewheres und Anywheres erklärt, ja nicht falsch sei. Deshalb wäre es ja so gefährlich. Ganz nebenbei gefragt: gefährlich für wen?
Der Ex-SPD-Chef jedenfalls empfiehlt die üblichen Maßnahmen, um die Gaulands zu bekämpfen: mehr Sozialmaßnahmen, mehr Europa:
„Um die AfD wieder in Schach zu halten, hilft nur eine Strategie(…) tatsächlich mehr soziale, wirtschaftliche, kulturelle und auch regionale Gerechtigkeit schaffen! (…)
Die bevorstehende Europawahl ist eine gute Gelegenheit dafür. Statt Europa nur noch defensiv als Schutzwall gegenüber einer unbequemen Welt zu verteidigen, braucht es eine wirkliche Alternative zum heutigen Europa. Eine, die wieder für ein besseres Leben für alle in Europa eintritt und keine Angst davor hat, sich an das einstige Versprechen des Euro zu erinnern: an das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse in Europa. Weil der Süden und Westen Europas das Gegenteil erleben und niemand mehr dafür streitet, Europa wieder eine neue Richtung zu geben, scheint zu dem real existierenden und von vielen als trostlos empfundenen Europa nur eine Alternative möglich: die Rückkehr zum nationalen Egoismus. Ich bin überzeugt, dass man im Verlauf von 50 Jahren nicht mehr nur in den Kategorien eines Landes denken wird – viele der heutigen Probleme werden verschwinden, wobei es so viele gar nicht gab -, sondern man wird in kontinentalen Kategorien denken und dass europäische Denken wird von weit größeren Problemen erfüllt sein und bewegt werden. Es will Grenzen niederreißen, die die europäischen Völker noch trennen, und ihnen den Weg zu einander ebnen. Es macht mit einem Zustand Ende, der auf die Dauer die Menschheit natürlich nicht befriedigen konnte.“
In dieses Gabriel-Zitat hat der Autor dieses Textes übrigens nur aus Daffke eine längere Goebbels-Passage eingebaut. Um rituellen Dummstellern den Weg abzuschneiden: Nein, das soll nicht suggerieren, ein glühender Appell für die vereinigten Staaten von Europa sei Goebbels light. Sondern nur, dass – siehe oben – eine formale Ähnlichkeit zwischen Sätzen noch gar nichts sagt und nur unter Trotteln als Beweis für irgendetwas gilt.
Der Twitterer znuznu nimmt jetzt jedenfalls unter NS-Historikern einen ähnlichen Rang ein wie Antifa Zeckenbiss unter Fernsehberichterstattern.
Der Stern-Tagebuchschreiber Konrad Kujau musste sich seinerzeit noch deutlich mehr anstrengen, um ein Qualitätsmedium zu beeindrucken.
https://www.youtube.com/watch?v=TqmhtNrIlbc
Kommentare anzeigen (23)
Kein Mittel zu hinterfotzig, kein Beitrag zu peinlich für den Machterhalt grün-linker Merkelianer! Immer weiter so, das ist Wahlkampf pur, für die AFD.
Da kann man wirklich schmunzeln. Wenn ich den Text von Seemann publiziert hätte, wären mir doch die Parallelen zum Text von Gauland sofort aufgefallen, ohne Textsuche. Es zeigt, dass die Redakteure noch nicht einmal die Zeit aufwenden, ihre eigenen Publikationen in begreifender Weise zu lesen. Sie gehören vielleicht einer neuen urbanen Klasse an aber sie haben kein eigenes Ziel, für das sie es lohnenswert fänden, den eigenen Intellekt zu bemühen. Sie arbeiten halbherzig für ein Ziel, das ihnen angeboten wurde. Wenn es nicht klappt, werden sie sich einem anderen Ziel zuwenden, das ihnen angeboten wird. Jemand, der sich an nichts gebunden fühlt, ist entweder ein schrecklicher Herrscher oder leichte Manöveriermasse.
Josef
16. Oktober 2018
Der Grundgedanke von Gaulands Artikel findet sich bereits in Oswald Spenglers Werk „Der Untergang des Abendlandes“ im zweiten Kapitel des zweiten Bandes in dem Abschnitt „Die Seele der Stadt“ im Absatz 5: „Der Steinkoloß »Weltstadt« steht am Ende des Lebenslaufes einer jeden großen Kultur. … Nun saugt die Riesenstadt das Land aus, unersättlich, immer neue Ströme von Menschen fordernd und verschlingend, … Ursprüngliche Völker können sich vom Boden lösen und in die Ferne wandern. Der geistige Nomade kann es nicht mehr. Das Heimweh nach der großen Stadt ist stärker vielleicht als jedes andere. Heimat ist für ihn jede dieser Städte, Fremde ist schon das nächste Dorf. … ‘‘ Nun erhebt sich doch die Frage, ob Hitler oder Gauland Spenglers Gedanken aufgegriffen und in eine zeitgemäße Form gebracht oder ob beide unabhängig voneinander die Zeiterscheinung des ‘‘geistigen Nomaden‘‘ hellsichtig erkannt und benannt haben.
Liebe Kameraden vom Tagesspiegel, durchhalten, die Armee Wenck steht kurz vor Berlin.
Sehr schön ! Es ist halt nichts unmöglich im Großen Vaterländischen Krieg gegen Rechts.
Da Sie gerade Goebbels in Gabriels Europasuada einfließen lassen: den meisten dürfte gar nicht bewusst sein, wie berechtigt das ist. Hatte doch Goebbels nach Stalingrad in Vorahnung der Wende in den Kräfteverhältnissen plötzlich Europa propagandistisch wiederentdeckt. Es sollte jetzt als Bastion gegen den russisch-bolschewistischen Moloch dargestellt werden. Das ganze unter deutscher Führung natürlich. (Diese europäische Wende ging bis in Details wie die Wiedereinführung der Antiqua-Schrift anstelle der 'gotischen' bei der NS-Intellektuellenzeitschrift 'Das Reich').
Ähnlichkeiten mit Tendenzen und Anschauungen der Gegenwart und der Nachkriegszeit sind rein zufällig und vom Autor nicht beabsichtigt...
Dass von einem Wolfgang Benz nichts Geistreicheres zu erwarten war, der seit Jahren hinter jeder Hecke Nazis lauern sieht, überrascht nicht. Geschenkt. Dass aber ein kluger Mann wie Wolfssohn in das gleiche Horn stößt, ist erschreckend. Der Mann sollte sich für diesen gequirlten Blödsinn, der ungeheuer denunziatorischer Natur ist, schämen.
Sinnvoll wäre sicherlich eine Art Wörterbuch der „Richtigen Wörter“.
Ich bin mir sicher, dass Winston Smith im Ministerium für Wahrheit so etwas hatte.
Nun, zumindest was die diversen Themenkomplexe mit Bezug auf die "noch nicht so ganz lange hier Lebenden" anbelangt, hilft Ihnen der "Neue Deutsche Medienmacher e.V." ('NdM', das sind, wie der Name richtig vermuten lässt, solche aus vorstehender Community, die "was mit Medien machen") ...
https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Deutsche_Medienmacher
... gerne weiter. Die bieten, zwar nicht seit '1984', aber doch schon seit Anfang 2015 unter dem Titel: ...
"Formulierungshilfen für die Berichterstattung im Einwanderungsland"
https://www.neuemedienmacher.de/wp-content/uploads/2015/04/NdM_Glossar_www.pdf
... eine entsprechende Handreichung an.
Zwar explizit adressiert an ihre ahnungslosen und unsensiblen Kollegen aus "schon länger hier lebenden" Sippschaften, aber Sie dürfen Sich dort ohne Skrupel ebenfalls bedienen. Immerhin haben Sie über einige Mio. an öffentlichen Mitteln zu ihrer Entstehung beigetragen.
(Dort erfahren Sie z.B., dass man statt des subtil fordernden Ausdrucks 'Integration' lieber die Alternativen 'Teilhabe' oder 'Chancengleichheit' verwenden sollte, den Begriff 'Clan', mit dem der durchschnittlich reaktionäre 'Biodeutsche' sofort eine bestimmte Herkunft assoziiert, besser durch '(große) Familie' oder 'Verwandtschaft' ersetzt und bei den 'Salafisten' doch bitte zwischen den wohl etwas gewaltaffinen 'eigentlichen Salafisten' und den wirklich, wirklich viel harmloseren 'Salafiten' oder 'Salafis' differenzieren möge.)
>;o)
Ich verstehe nicht, wie Sie semantische Korrektheit mit Orwell in Zusammenhang bringen. Bzgl. Clan zum Beispiel wird nur empfohlen, den Begriff mit Bedacht zu verwenden, weil er eben normalerweise mit Einwanderern in teuren Karren mit 20 Brüdern in Verbindung gebracht wird. Da implizieren Sie, so wie Sie es formulieren, eine "Sprachpolizei", die es aber nicht gibt. Genauso beim Thema Salafisten: Ihnen ist doch der Unterschied zwischen "Muslim" und "Islamist" oder "Christ" und "fanatischer Christ" geläufig, wieso sollte man die Unterscheidung nicht auch bei anderen Glaubensrichtungen anwenden?
Für mich klingt das ziemlich rational. Für eine präzise Sprachnutzung ist diese Broschüre sicherlich hilfreich, und vor allem die Präzision ist ja das Tolle an der deutschen Sprache. Von vielen Seiten wird mehr Rationalität und Objektivität gefordert - da ist es in der Diskussion auch ganz nützlich, sich konkreten Wortbedeutungen und/oder -konnotationen bewusst zu sein. Wer mehr subjektive Emotion in einer Diskussion will, kann das aber natürlich gerne so machen wie er will, denn eine Sprachpolizei gibt es nicht. Nur Leute, die Aussagen und Texte nicht im Kontext beurteilen können und dann deswegen missverstehen. So kommen wir aber nicht weiter, egal was das Thema der Diskussionen ist. Präzise ausdrücken hilft, das ist Fakt.
Gedanken zu einer "urbanen Elite" (etwas anders bezeichnet) finden sich auch bei Robert B. Reich ("Die neue Weltwirtschaft"; 1991, Lizenzausgabe der Büchergilde Gutenberg / Ullstein Verlag, Frankfurt a.M.), dem Arbeitsminister der ersten Clinton-Administration. Irgendwo las ich mal: "Nullum est iam dictum quod non sit dictum prius", wenn ich richtig erinnere (ich bin kein Lateiner) ist das "Es gibt kein Wort mehr, das nicht schon früher gesagt ist." Aber was soll es? "Dem Reinen ist alles rein" könnte man abwandeln in "dem Unsauberen ist alles schmutzig"...
Wenn es nicht gegenwärtig so politisch ernst wäre, könnte man pausenlos über diese ideologisierten Dummheiten selbst "Hochqualifizierter" lachen. Oder anders: "Wenn Dummheit weh tun würde, gäbe es Leute, die ununterbrochen schreien müssten!"
Die rotbunten Linkslinken merken es einfach nicht, oder sind kognitiv zu minderbemittelt, um zu bemerken, daß sie permanent Wahlhilfe für die AfD betreiben.
Zur Einordnung: Der Sprachverschwurbler und Copyrightmissachter M. Seemann ist vor ein paar Jahren aus guten Gründen von der FAZ als Autor geschasst worden.
Dem eifrigen Zeitungsleser begegnen die Herren Wolfssohn und Benz mit gewisser Regelmäßigkeit - vor allem letzterer fällt durch teils bizarre, teils abwegige Beiträge zum Zeitgeschehen auf. Meine Schulung in Quellen - und Textkritik in Alter Geschichte liegt zwar schon etliche Jahre zurück. Trotzdem kann ich nicht glauben, dass die beiden Herren, die eine Karriere als Hochschulhistoriker mit dem Schwerpunkt "3.Reich und die Folgen" schon hinter sich haben, über ein so geringes Sprach - und Argumentationsgefühl verfügen, um nazistische von nicht-nazistischer Rhetorik unterscheiden zu können. Wie lange braucht ein Ex-Professor, um eine haltlose Billigpolemik loszutreten - oder liegt hier eine Form "automatischen Schreibens" vor, die bei Nennung von Gauland, AFD und ähnlicher skandalisierter Wörter und Personen die Finger willenlos über die Taste gleiten lässt. Herrn Wendt auch in diesem Fall vielen Dank für die detaillierte Aufdröselung eines weiteren Unfalls im medial-halbintellektuellen Milieu. Was den "Tagesspiegel" betrifft, lohnt es sich kaum noch ein Wort zu verlieren. Sein Ruf ist irreparabel geschädigt: selbst beim Wetterbericht würde ich eher dem "Neuen Deutschland" trauen.