X

Presserat weist Beschwerden zu Hetzjagd-Falschmeldungen über Chemnitz zurück

Beim Deutschen Presserat gingen 2018 insgesamt 2038 Beschwerden ein, die zweithöchste Zahl seit Bestehen des 1956 gegründeten Presserates. Höher war die Beschwerdezahl nur im Grenzöffnungsjahr 2015 (2358).


Etliche Beschwerden richteten sich im vergangenen Jahr gegen die Behauptung von Medien, in Chemnitz habe es am 26. August 2018 „Hetzjagden“ auf Migranten gegeben.
Das Branchen-Portal „MEEDIA“ berichtet: „Einige Leserinnen und Leser bezweifelten, dass es dort tatsächlich zu Hetzjagden gekommen sei, über die viele Medien berichtet hatten. Der Presserat wies diese Beschwerden allerdings als unbegründet ab.“

Nun bezweifeln nicht „einige Leser“, dass es an diesem 26. August auf den Straßen in Chemnitz zu „Hetzjagden“ gekommen war. Vielmehr hatte die sächsische Generalstaatsanwaltschaft nach Auswertung von Videomaterial festgestellt, dass sie bei ihren Ermittlungen auf keine Hetzjagd-Hinweise gestoßen war. Der Sprecher der Behörde Wolfgang Klein sagte am 1. September 2018 auf Anfrage von Publico, dem ersten Medium, das sich danach erkundigt hatte: „Nach allem uns vorliegenden Material hat es in Chemnitz keine Hetzjagd gegeben.“ An diesem Sachstand änderte sich auch später nichts.

Die Hetzjagd-Behauptung vieler Medien bezog sich ganz konkret auf den Spätnachmittag des 26. August, und auf ein hundertfach verlinktes oder per Screenshot abgebildetes 19-Sekunden-Video, das damals von einem Absender namens „Antifa Zeckenbiss“ verbreitet worden war. Es zeigt einen Mann, der auf einen jüngeren Mann zuläuft und ihm über eine Strecke von etwa fünf Metern nachsetzt, ohne ihn zu erreichen. Obwohl auf den Bildern keine „Hetzjagd“ zu erkennen war –  also eine Verfolgung von Menschen über eine längere Strecke oder eine längere Zeit, ja noch nicht einmal eine klar strafbare Handlung – suggerierte der kurze Videoschnipsel eine solche Hatz durch seinen mitgelieferten und von zahlreichen Journalisten praktisch direkt übernommenen Text: „Menschenjagd in #Chemnitz“.

Am 27. August behauptete Angela Merkel bei einem Auftritt vor der Presse, ihr lägen „Videos“ vor, die „Hetzjagden“ und „Zusammenrottungen“ in Chemnitz zeigen würden. Erst durch Nachfragen (unter anderem von Publico) stellte sich heraus, dass es sich bei den „Videos“, auf die sie sich berief, tatsächlich nur um ein einziges handelte – nämlich die 19 Sekunden, die „Antifa Zeckenbiss“ verbreitet hatte. Aus der relativ unspektakulären Szene hatte die Kanzlerin „Hetzjagden“ im Plural gemacht – und damit eine deutschlandweite und internationale Medienresonanz erzeugt.

In Chemnitz tötete in der Nacht vom 25. zum 26. August eine Gruppe von Asylbewerbern den Chemnitzer Daniel Hillig mit Messerstichen und verletzte zwei weitere Männer schwer; es kam anschließend sowohl zu friedlichen Demonstrationen gegen die Asylpolitik als auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Polizisten, mehrere Rechtsradikale zeigten Hitlergrüße, es kam zu einem bis heute nicht aufgeklärten Angriff auf ein jüdisches Restaurant in Chemnitz mit leichtem Sachschaden, und nach einer späteren Demonstration zu einer körperlichen Attacke auf eine Gruppe heimreisender Demonstranten der SPD. All das wurde allerdings lange durch die „Hetzjagden“-Berichterstattung überlagert.

Der Presserat begründete seine Zurückweisung der Beschwerden so: “Es ist unstrittig, dass in Chemnitz Menschen andere Menschen gejagt haben. Die Definition – ob ‘Hetzjagden’, ‘Menschenjagden’ oder ‘Jagdszenen’ – war dabei für die Ausschüsse zweitrangig.”
Dabei trifft genau das Gegenteil zu: Unstreitig zeigt das Chemnitz-Video nichts, was jemand objektiv mit „Menschenjagd“ in Verbindung bringen würde. Spätestens, seit Journalisten von „Tichys Einblick“ die Urheber des mittlerweile millionenfach geklickten „Hase“-Videos in Chemnitz fanden und mit ihnen sprachen, gibt es eine bisher unwiderlegte Schilderung der Szene, die eben nur zum Teil in dem Video festgehalten wurde.
Demnach ging eine Provokation von zwei afghanischen Asylbewerbern dem „Kanacke“-Ruf des Protagonisten auf dem Video voraus. Doch selbst ohne diese zusätzliche Schilderung bleibt es dabei: Die Szene – und genau darauf bezogen sich die „Hetzjagd“-Berichte in den Medien – zeigt weder eine Hetzjagd noch eine Menschenjagd noch „Jagdszenen“ im Plural, sondern einen Mann, der einige Schritte auf einen anderen zu- und dann hinterherläuft, ohne dass es zu einem Körperkontakt kommt.

Genau darauf hatte unter anderem auch der frühere Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen öffentlich hingewiesen – und sah sich deswegen einer ressentimentgesteuerten Kampagne ausgesetzt. Auf deren Höhepunkt bezeichnete ihn die ZDF-heute-Show als „Schädling“ („Vor Schädlingen muss man sich schützen“), und verbreitete die Fake News, er habe „Insiderinfos an die AfD“ gegeben.

Dutzende Medien behaupteten oder suggerierten im Zuge dieser Kampagne auch, Maaßen habe das Chemitz-Video als „Fälschung“ bezeichnet – was er nachlesbar nicht getan hatte.


Weder gegen die Neuauflage der totalitären Sprache („Schädling“) noch gegen diese offensichtlichen Falschbehauptungen sprach der Presserat eine Rüge aus. Immerhin hatte das ZDF das „Schädlings“-Posting nach kritischen Hinweisen mit Bedauern zurückgezogen; die anderen unwahren Behauptungen über Maaßen blieben allerdings so stehen, genau so wie die Darstellung, es habe am 26. September in Chemnitz „Hetzjagden“ gegeben.

Zum ersten Mal in seiner Geschichte erklärte damit der Presserat eine mittlerweile auch durch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen widerlegte politische und mediale Falschbehauptung für „unstreitig“.

„Wie kommt es, dass das Bedürfnis nach medienethischen Beurteilungen durch die Freiwillige Selbstkontrolle wieder gestiegen ist?“, fragte der Presserats-Sprecher Volker Stennei bei der Vorlage des Berichts für das Jahr 2018. Und antwortet selbst: „Ein Grund dafür ist sicherlich die Glaubwürdigkeitsdebatte, die seit Jahren sowohl ernsthaft als auch interessengesteuert geführt wird. Etlichen Beschwerden war ein grundsätzlich medienkritischer Unterton gemeinsam. Einige Leserinnen und Leser zweifelten dem Presserat gegenüber sogar generell am Wahrheitsgehalt von Artikeln.“
 

Alexander Wendt: Weitere Profile:

Kommentare anzeigen (33)

  • Hätte es Hetzjagden gegeben, wären die Belege dafür öffentlich ausgebreitet worden.

    Es war schlicht und ergreifend ein von der Regierung unterstütztes Mobbing der Leitmedien an den Ostdeutschen im Allgemeinen, und an den Sachsen im Speziellen.

    • Der Presserat gehört eben auch zu den Lügenmedien.
      Sind alles Befehlsempfänger

  • Nun denn! Zu den "Videos" und "Hetzjagden" von Merkel muss man klar sagen: Die Kanzlerin hat gelogen!

    Der Rausschmiss von Maaßen gründete sich auf einer Lüge der Kanzlerin! Und (fast) alle machten mit!

    Bei den von der Kanzlerin angeklagten "Zusammenrottungen" muss man ebenso klar sagen: Damit hatte sie recht, die hat es wohl gegeben! Allerdings war sie da durcheinander gekommen: Das war strafbar in der DDR. In der Bundesrepublik Deutschland ist das grundgesetzlich erlaubt und nennt sich Versammlungsfreiheit.

    In der heutigen Zeit kann sich diese Grundrecht-Unkundigkeit offensichtlich sogar eine Kanzlerin leisten, ohne dass die politische Öffentlichkeit Anstoß nimmt. O tempora, o mores!

  • Ein "wunderbarer" Presserat! Nur nicht der Kanzlerin widersprechen, auch wenn die eine Unwahrheit sagt. Dieses Pflichbewußtsein! Bewundernswert! (Ironie off)
    lg
    caruso

  • "Einige Leserinnen und Leser zweifelten gegenüber dem Presserat sogar generell am Wahrheitsgehalt von Artikeln." Das geht natürlich gar nicht. In dieser politisch-korrekten Musterdemokratie spricht die Presse, besonders die links-grüne immer die Wahrheit - jeder muss das glauben, ansonsten ist er ein "Nazi".

  • Mit Zwangsabgaben ausgehaltenes Pack!
    Sie haben noch nicht begriffen, daß sie auf einem toten Pferd sitzen...

  • Der "Haltungsjournalismus" setzt sich auch beim Presserat durch... Fatal daran ist vor allem die offene Einladung dazu, auch zukünftig derartig zu berichten und Dinge zu erfinden und aufzubauschen. Der Eindruck einer "braunen Chemnitz-Front" entstand durch die wochenlange Kampagne der Mainstreammedien, es hätte "Hetzjagden" gegeben. Objektive Recherche und Berichterstattung hätte in keinem Fall eine derartig tendenziöse Darstellung zulassen können. Aktuell deutet übrigens die "Welt" den gesamten Vorfall von Chemnitz um: "Im September 2018 war der als versierter Jurist und Verfassungsschützer anerkannte Maaßen in die Kritik geraten, nachdem er bezweifelt hatte, dass es während Protesten in Chemnitz mit einem Toten zu Hetzjagden auf Ausländer gekommen war."
    Hier wird quasi suggeriert, dass durch die Proteste (von Deutschen) ein Toter zu beklagen war. Derart dreist den Mord von Migranten quasi dem "deutschen Mob" unterzuschieben ist auch schon eine Leistung, die man erstmal abliefern muss. Nebenbei wird im volkspädagogischen Sinne mal wieder gegen Maaßen gehetzt. Blätter, wie dieses Springer-Produkt, wollen festlegen, mit wem ein CDU-Politiker sprechen darf...

  • Was hatte man denn erwartet von dem "Presserat"? Doch wohl hoffentlich nicht, dass der sich in irgendeiner Form gegen die "moralisch richtigen" Flaschdarstellungen stellen würde, oder? Was mit Menschen geschieht, die sowas machen, konnte man deutlich genug an Herrn Maaßen sehen. Geschasst, abgeschoben, kaltgestellt. Da hat doch so ein Presserat wohl eher keine Böcke drauf, denke ich.
    Also, falls die "richtige Haltung" nicht schon für das "richtige Ergebnis" gesorgt hat, dann vermutlich die latente Bedrohung von Karriere, Ansehen und letztlich auch friedlichem Weiterleben. Drohungen muss man dazu heute nicht einmal mehr explizit aussprechen. Die sind allgegenwärtig. Schon im privaten Bereich überlegen es sich sehr viele Menschen heute lieber zweimal, ob sie zu bestimmten Themen etwas und falls ja, was sie dann sagen und vor allem zu wem (!). Wer weiß, ob das Gegenüber oder ein zufälliger Zuhörer nicht Kontakte zur Sta... sorry, zur "Anti"Fa hat...

    Nö. Gegen die Lücken- und Lügenpresse hilft nur noch: nicht mehr kaufen, im Netz nicht mehr (oder nur noch mit Werbeblocker!) anklicken, Abo-Werbern auf der Straße bestimmt aber freundlich sagen, wo sie sich ihre Werbeprämien hinstecken können.

    Solange es noch keine Presse-Demokratie-Abgabe gibt, ist das die einzige Möglichkeit. Dadurch wird die Presselandschaft zwar nicht schöner, aber auf einer abgebundenen Warze wachsen ja auch keine Blumen. Trotzdem stirbt sie irgendwann ab und ist dann weg.

    "Presserat"... my Ass :-)

    (Ihr Buch, lieber Herr Wendt, über Depressionen uA habe ich übrigens verschlungen. War ein erschreckendes Vergnügen, danke schön!)

  • Wie man es auch immer dreht und wendet. Es ist und bleibt die “gute” alte Lügenpresse.

  • Der letzte Absatz wirft ein grelles Licht auf den zerrütteten Geisteszustand des Presserates: Wir können die Lüge nicht zugeben, weil inzwischen zu viele Menschen glauben, dass wir lügen. Wir finden ähnliche Begründungen in den Fallstudien, die Eugen und Manfred Bleuler präsentieren (Manfred Bleuler, Lehrbuch der Psychiatrie, 15. Auflage). Dabei gehört es zu den rhetorischen Finessen, immer mal eine Unwahrheit einzuräumen. Das erhöht die Glaubwürdigkeit.

    • Wie wahr, Herr Richter, eine der jüngsten eingeräumten Unwahrheiten - zwecks Erhöhung eigener Glaubwürdigkeit - heißt Relotius. Hoffe nur, dass sich diese rhetorische Finesse aufgrund ihres inflationären Gebrauchs bald genauso abnutzt wie die omnipotente N*zikeule, die bei so manchen "Andersdenkenden" (besser: Klardenkenden) zu einer seelischen Hornhaut geführt hat.

      • "... seelischen Hornhaut ... "

        @ Plutonia: Schön gesagt, ich befinde mich bereits im Stadium des Abfalls meiner Seele.

  • Der Presserat hat sich disqualifiziert.
    Er gehört zur Lückenpresse und in diesem Fall lügt und täuscht er die Bevölkerung.
    Das ist kriminell und dafür gehört dieser Presserat vor Gericht gestellt.
    Hier handelt es sich um Rufmord und Volksverhetzung - mindestens.

    • Das wäre wunderbar, Herr Bichler, wenn es denn eine unabhängige Justiz in diesem verkommenen Land gäbe. Ich fürchte, die sitzt mit Politik, Medien und Unternehmen in einem Boot. Und welche Bedeutung das auf der "Farbskala" hat, sollten gerade wir Deutschen recht genau wissen.