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„Das Modell, die Macht im Hinterzimmer aufzuteilen, wird definitiv enden“

Publico-Gespräch mit dem Spitzenkandidat der Konservativen und Reformer Jan Zahradil über die Zukunft des Europaparlaments – und seine Haltung zur AfD

Der tschechische Politiker Jan Zahradil, 56 , führt als Spitzenkandidat die Allianz der Konservativen und Reformer (ACRE) in die Europawahl. Stärkste Kräfte in dem Bündnis von Parteien aus 15 Ländern sind zwei Regierungsparteien – die polnische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die britischen Torys.

Mitglieder in der Allianz sind außerdem die Schwedendemokraten und die tschechische liberalkonservative Partei ODS, der Zahradil angehört. Während die britischen Konservativen Stimmen einbüßen dürften, werden den Schwedendemokraten Zugewinne prognostiziert. Bei der Wahl am 26. Mai könnte die ACRE wieder drittstärkste Kraft im neuen Parlament werden.

Publico traf Zahradil in Berlin.

 

Publico: Herr Zahradil, als Europawahl-Spitzenkandidat der Konservativen und Reformer, kurz ACRE, hatten Sie kürzlich in Berlin-Kreuzberg bei einer von der taz organisierten Podiumsdiskussion über Europa teilgenommen. Wie war’s?

Interessant und anstrengend. Ich habe das hier so stark wie kaum irgendwo sonst erlebt, wie Linke sich gar nicht vorstellen können, dass jemand die Welt anders betrachtet als sie. Für sie gibt es nur diejenigen mit den richtigen Ansichten – sie selbst – und die sogenannten „Rechten“ und „Populisten“.

Publico: Zu denen gehören Sie nach deren Einschätzung ja auch.

Ja, natürlich. Aber auch gegenüber vielen anderen, die aus Mittelost-Europa kommen, ist die Haltung der guten Linken ungefähr so: Wir wissen ja, dass ihr ein bisschen zurückgeblieben seid. Aber wir können euch helfen, wieder auf den richtigen Weg zu kommen. Die benehmen sich sehr paternalistisch.

Publico: Woher kommt diese Haltung Ihrer Meinung nach?

Es gibt eine ziemlich große Nervosität vor der Europawahl. Denn dadurch werden sich die Kräfteverhältnisse im EU-Parlament dramatisch ändern. Es werden Abgeordnete von Parteien hineinkommen, die bisher keine so große Rolle spielten. Es können sich ganz neue Zusammenschlüsse ergeben.

Publico: Sie selbst kommen aus der tschechischen ODS, und führen als Spitzenkandidat den Block der Konservativen und Reformer an. Wie würden Sie Ihre politischen Positionen beschreiben?

Strikt marktwirtschaftlich, und in wichtigen gesellschaftlichen Fragen liberal. Ich sehe beispielsweise eine vernünftig geregelte Migration und die gleichgeschlechtliche Ehe positiv.

Publico: Auf welche Position im neuen Europa-Parlament hoffen Sie für Ihren Block?

Wir haben die Chance, wieder drittstärkste Kraft zu werden.

Publico: Der CSU-Politiker Manfred Weber und Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) hofft darauf, den Posten des Kommissionspräsidenten zu bekommen, falls die EVP stärkste Kraft wird. Wie sehen Sie seine Chancen?

Der bevorzugte Partner Webers ist der Block der Sozialisten. Aber erstens sieht es nach den aktuellen Umfragen so aus, als ob es für eine Mehrheit von EVP und Sozialisten knapp würde. Und zweitens, selbst wenn es noch reichen sollte, kann es sein, dass die Sozialisten bei schweren Stimmverlusten sagen: Wir sind geschlagen, wir beteiligen uns an keiner informellen Koalition mehr, sondern sortieren uns erst einmal. So eine ähnliche Diskussion haben Sie ja bei der SPD in Deutschland: da meinen offenbar auch einige, die Partei sollte die Koalition mit Merkel verlassen.

Publico: Wenn Weber mit dem Sozialistischen Block keine Mehrheit bekommt – würden Sie ihn dann unterstützen?

Statt mit den Sozialisten könnte er eine Dreierkoalition formen, zum Beispiel mit den Liberalen und uns.

Publico: Was wären Ihre Bedingungen?

Erstens: Keine europäischen Mehrheitsentscheidungen in der Steuerpolitik, keine Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik. Und für die Migrationspolitik sollte wieder die nationale Ebene zuständig sein. Diese Frage sollte jedes EU-Land in eigener Entscheidung regeln können. Außerdem wollen wir durchsetzen, dass neben dem Euro auch Währungen wie die dänische und tschechische Krone und der Zloty offiziell als europäische Währungen festgeschrieben werden.

Publico: Der Euro soll also nicht Perspektivwährung sein, den irgendwann alle EU-Länder haben müssen?

Nein.

Publico: Das sind Positionen, wie sie in Deutschland Teile der Union vertreten, aber auch die AfD. Warum gehört die AfD nicht zu Ihrem konservativen Block?

Als Tscheche habe ich mit einigen Aussagen von AfD-Spitzenpolitikern Probleme, etwa mit dem Satz von Parteichef Alexander Gauland über die Leistungen der deutschen Wehrmacht. Aber ich sehe, dass es auch vernünftige Leute und Positionen in der AfD gibt. Ich beobachte, in welche Richtung sich diese Partei entwickelt.

Publico: Der ungarische Premier und Fidesz-Chef Viktor Orbán hat jetzt – obwohl die Fidesz formal noch zur EVP zählt – Manfred Weber die Unterstützung aufgekündigt. Wäre Orban in Ihrem konservativ-reformerischen Bündnis willkommen?

Ich hätte keine Probleme damit, wenn Orbán zu uns käme.

Publico: Hat Sie der Bruch zwischen Orbán und Weber überrascht?

Nein. Denn Weber hatte sich ja vorher auch von Orbán distanziert.

Publico: Sie sagten, das Europarlament würde sich mit der Wahl dramatisch ändern. Aber sind die Beharrungskräfte nicht sehr groß? Bisher haben EVP und Sozialisten die Macht mehr oder weniger unter sich aufgeteilt.

Bisher war das so. Ich glaube, dass dieses Modell, dass zwei Parteiblöcke alle Absprachen im Hinterzimmer treffen, schon sehr bald definitiv zum Ende kommt. Und zwar ganz unabhängig davon, wie die Wahl im Einzelnen ausgeht. Es wird in Brüssel und Straßburg sehr viel mehr Debatten auf offener Bühne geben.

 

 

Redaktion:

Kommentare anzeigen (8)

  • Nun ja, eine klare Linie wäre was anderes.

    Dieser Mann lässt mir zu viele Fragen offen, betrachtet zu vieles wohl als verhandelbar.

    Dreierkoalition mit Weber...… Resultat = Deffätismuss.

    Ich als Schweizer habe auch gehört, was Gauland zur Wehrmacht sagte...…. und ich finde die Aussage richtig..... so man sie denn verstehen wollte und nicht unbedingt etwas Negatives hineininterpretierte.

    Wenn der Mann also Gauland eher negativ beurteilt, ja was und welchen Politiker kann er dann akzeptieren ? ...… Weber sicher nicht.

    Gauland ist doch für viele nahezu das Herz der AfD, dessen Ruhepol.
    Ein erfahrener Politiker, eine "Vaterfigur" der in seiner Altersmilde und Gelassenheit vieles ausgleicht, was junge Heisssporne anrichten.
    Einen besseren zu finden wird schwer sein...…..

  • Fraglos ein interessantes Interview. Ich hätte aber gerne mehr erfahren zum Thema "geregelte Migration", nämlich wie Herr Zahradil sich eine solche konkret vorstellt. Er plädiert ja dafür, die Migrationspolitik wieder in die Hände der Nationalstaaten zu legen, was an sich ja schon sehr sinnvoll wäre. "Geregelte Migration" heißt für ein Land wie die Tschechische Republik dann vielleicht 1.000 Personen mit nachweisbarer Qualifikation per anno. Doch wie soll Deutschland, das Dank der Merkelschen Migrations-Exzesse - vom schmierigen Herrn Weber goutiert - randvoll mit Minderqualifizierten aus der 3. Welt ist, weiter verfahren? Da funktioniert keine "geregelte Migration" mehr, wenn man nicht zuvor die Früchte der ungeregelten Migration zumindest in Teilen wieder aus dem Land bekommt. Doch wie soll das funktionieren, selbst in einer Zeit, in der die Merkels und Webers nicht mehr das Sagen haben?

    Im Augenblick stehen die Weichen auf immer mehr und immer schneller - und das zerstört unser Land vollends und lässt den Menschen keine Alternativen mehr. Etwas anderes als die AfD kann man in Deutschland doch gar nicht wählen, wenn man den Wahnsinn erkannt hat und sich nicht klaglos ins düstere Schicksal fügen will. Da ist es mir auch sowas von piepegal, was Gauland mal an einem schlechten Tag gesagt hat. Ich kenne ihn übrigens ziemlich lange, noch aus seiner Frankfurter CDU-Zeit, und bin überzeugt, dass er ein absolut integrer Konservativer ist. Gauland hätte ich im Übrigen gerne zum Nachbarn. ;-)

  • Mir gefällt der Mann ganz gut. Mit seinen konservativ-liberalen Ansichten kann ich mich anfreunden. Bezüglich der AfD verharre auch ich in einer Lauerhaltung. Sehr gute Leute - Weidel, Curio, Meuthen - stehen neben Gestalten, die mich abstoßen (Gedeon, Höcke u.a.). Gauland wird zwar meist entschuldigt, weil er mit Metaphern auf Kriegsfuß steht, aber man kann sie sich auch sparen, die Metaphern.

  • "Als Tscheche habe ich mit einigen Aussagen von AfD-Spitzenpolitikern Probleme, etwa mit dem Satz von Parteichef Alexander Gauland über die Leistungen der deutschen Wehrmacht."
    Wenn der Herr nichts anderes als Antwort anzuführen weiß , so ist das sehr dürftig. Er hat sicher unter der Wehrmacht nicht zu leiden gehabt, somit pflegt er alte tschechische Verurteilungen gegenüber allem was Deutsch ist und bis in die Steinzeit zurück reicht. Vermutlich entzücken ihn historische Ereignisse a la Fenstersturz Wallensteins vor fünfhundert Jahren in Prag noch heute in hohem Maße. Im Gegensatz zu ihm haben meine Mutter, meine Schwester und ich seine Landsleute nach dem 8. Mai 1945 live und ungeschminkt erlebt bevor sie uns im Oktober des genannten Jahres aus der Heimat ins zerstörte Deutschland verjagten.
    Der Mann ist n.m.E. reinrassiger EU-Europäer, vielleicht ein wenig erträglicher als dieser Weber, aber in der Summe nicht wesentlich anders oder gar besser. Nicht umsonst würde er mit dessen Klub für ein Dreierbündnis paktieren. Sag' mir mit wem du gehst und ich sage dir, wer du bist.

  • "Seine Haltung zur AfD"? - Wenn das alles ist, was ihm dazu einfällt, dann ist das nicht nur dürftig, dann ist das gar nichts! Was liegt ihm am Herzen? Die Rettung Europas? Die Selbstbestimmung der Nationen? Der Erhalt unserer Kultur? Oder "Sätze von AfD-Politikern" die ihm nicht "genehm" sind? Nur gut, dass nun neben dem Verfassungsschutz auch Herr Jan Zahradil die AfD "beobachtet"!

  • Ja, gut: Aber sehr viel mehr Debatten? Machen wir uns doch nichts vor: Das Europa-Parlament ist eine "Organisation", die machtpolitisch in der Luft hängt und auf die wirklich ausgekungelten Entscheidungen der Staatsführer und Ministerrunden kaum Einfluss hat. Und bloßes Palavern nützt niemandem!
    Halt, doch: Den Europa-Abgeordneten. Die bekommen alle fette Diäten und lassen sich's in Straßburg und Brüssel wohlsein. Wenn die nicht wirklich mal auf den Tisch hauen und den Aufstand proben, passiert doch nichts.
    Muss man sich wundern, dass die "Europa-Wahl" kaum jemand wirklich hinter dem Ofen hervorlockt?

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