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Wie du als junger Medienschaffender schnell empörkommst

Ein Leitfaden

Dieses kleine Manual befähigt dich als jungen Medienschaffenden, auch in den Sommerferien bei knapper Redaktionsbesetzung deine Aufgaben zu erfüllen. Als junger netzaffiner Mitarbeiter_*in bist du vor allem für die immer wichtigere emotionale Berichterstattung hauptsächlich im Onlinebereich zuständig. Der nachfolgende Ablaufplan zeigt dir, wie du dich als Medienmitarbeiter in der häufigsten Standardsituation richtig verhältst.

  1. Jemand hat etwas gesagt. Dieser Jemand gehört grundsätzlich nicht zu unserem Milieu. Der CDU-Politiker Carsten Linnemann will Schulverbot für alle Kinder, die schlecht Deutsch sprechen.

    Schalke-Boss Clemens Tönnies will Afrikanern den Sex verbieten. Ein dubioser britischer Gelehrter, der für die Regierung arbeitet, wirft mit rassistischen Sprüchen nur so um sich. Und so weiter. Es gibt, wie wir auf Twitter lesen, schon ein bisschen Empörung.
    Was du sofort tun musst: Twitter und Facebook abgrasen. Was sagen dort Sawsan Chebli, Ralf Stegner, Sibel Schick, KueniKev, Aiman Mazyek, Renate Künast, Christopher Lauer und Ruprecht Polenz beispielsweise über Carsten Linnemann, Clemens Tönnies oder irgendjemanden, der noch gar nicht ahnt, dass er jetzt dran ist? Tweets mit Verurteilungen, sarkastischen Kommentierungen und irgendetwas mit Rassist einfach screenshotten und zu einem Text verarbeiten.
  2. Damit ist der, wie es die Redaktionsprofis nennen, erste Aufschlag schon einmal geschafft. Gut ist immer ein #Hashtag.
  3. Wenn sich der Empörungsnachschub in den kommenden Stunden als schwach herausstellen sollte (viele gute Leute auch außerhalb von Redaktionen im Urlaub etc.), dann sollte ein Redaktionsmitglied – nämlich du – zum Hörer greifen und die oben genannten und weitere Leute fragen: Was sagen Sie zu den empörenden Äußerungen von Carsten Linnemann beziehungsweise (aktuellen Namen einsetzen). Tipp: Ruprecht Polenz (CDU) und Christopher Lauer (SPD) bitte berücksichtigen. Erstens wegen der politischen Ausgewogenheit. Zweitens, weil sie themenunabhängig immer etwas meinen und ähnlich wie die 112 und 115 durchgängig erreichbar sind.
  4. Obacht: Beim aktiven Empörungseinsammeln muss allerdings schon ein Mehrwert rumkommen. Also: Forderung nach Rücktritt, Ausschluss des Rassisten aus irgendeinem Gremium und ähnlichem. Es geht schließlich um die Weiterdrehe (engl. Escalator), wie wir Medienprofis sagen.
  5. Eine Überschrift geht immer so: „XY sorgt für Empörung“
  6. Jetzt ist die Zeit gekommen, um von der nüchternen Nachricht zum Kommentar zu wechseln. Wichtige Textbausteine: Empörung, empört, empörend. Gefährlich, rassistisch, gerade in Zeiten, in denen, Walter Lübcke.
    Wichtig ist, dass die Leser deine persönliche Empörung spüren. Stelle sie deshalb in den Mittelpunkt deines Textes. Du bist empört. Das ist die Nachricht.
  7. Ein querulatorischer Leser verlangt, du solltest doch einmal lesen was XY, also der aktuelle Empörungshervorrufer „eigentlich“ gesagt hat. Oder er fragt scheinheilig: Was hat der eigentlich gesagt? Oder dreist: Was ist eigentlich falsch an einer Vorschulpflicht für Kinder, die schlecht Deutsch sprechen? Schon die Frage muss dich empören, denn die ist dermaßen zwanzigstes Jahrhundert. Zu fragen: Was hat m/w/d „eigentlich“ gesagt – das ist so absurd, als würde jemand wissen wollen, welches Geschlecht jemand „eigentlich“ hat. Wofür gab es eigentlich Bourdieu und Derrida? Nein, das sind nicht die Praktikantenweine von Lidl, die bei euch in der Teeküche stehen. Egal, jedenfalls: Inhalte sind Konstrukte. Es ist deine Aufgabe, sie zu deuten, aber ohne in die Falle zu tappen, das Empörende noch einmal wortwörtlich durchzukauen. Grundsätzlich gilt: Was jemand wie Linnemann, Tönnies oder dieser Brite gesagt hat, steht in der Überschrift, die das zuerst meldende Medium oder die Nachrichtenagentur ihrer Meldung gibt, es steht bei Twitter oder in der Pressemitteilung einer nichtpopulistischen Partei.
  8. Falls der Querulant jetzt fragt: Ja, was gilt denn nun – ist Inhalt ein Konstrukt, oder legen wichtige Gesellschaftsschaffende in ihren Tweets fest, was jemand gesagt hat? Dem ist zu antworten: Es gilt natürlich beides.
  9. Ganz wichtig, damit es nicht zu Missverständnissen kommt: Falls jemand aus dem grundsätzlich richtigen Milieu etwas, nun ja, Angreifbares gesagt haben sollte, gibt es in unserer Redaktion keinen Platz für Empörung, das Einsammeln von Reaktionen, Kommentar etc.

    Haltungslose Scheinneutralität ist ein Konzept aus der Vergangenheit, die es sowieso nie so gab, und die gerade deshalb zu Recht vorbei ist.

    Du fragst, warum diese Unterscheidung wichtig ist?9a) Ja? Weißt du, dass du auch was mit Internet und Menschen machen kannst, wenn du draußen bei einem Lieferdienst arbeitest? Du so: warum? Wir so: Dingdong, dein Zeitvertrag als Onlineschrubber läuft aus.
    9b) Nein, denn das ist dir sowieso sonnenklar? Gut. Dann weiter mit
  10. Jetzt kommt der schwierigste Teil. Manchmal scheint es so zu sein, dass der, der etwas gesagt hat, das Empörende nicht ganz so gesagt hatte, wie es zuerst hieß. Das könnte eigentlich egal sein, nur gibt es mittlerweile viele populistische Plattformen außerhalb des Qualitätsmedienbereichs, die dieses gefundene Fressen breittreten. Also: Carsten Linnemann hat nicht wirklich ein Grundschulverbot für Ausländer gefordert. Dpa korrigiert sogar die ursprüngliche Überschrift.
    Der Schalke-Boss hat nichts wirklich Rassistisches gesagt, wenn er Kraftwerke in Afrika fördern will.
    Ein AfD-Politiker aus Baden-Württemberg hat nicht wirklich gefordert, Hexen zu verbrennen.
    Die frühere AfD-Chefin Frauke Petry hatte nicht wirklich einen Schießbefehl an der Grenze gefordert.
    Der Autor Roger Scruton hat sich weder rassistisch über Chinesen noch antisemitisch über George Soros geäußert.
    Der Physik-Nobelpreisträger Tim Hunt hat nicht wirklich getrennte Labors für männliche und weibliche Wissenschaftler gefordert. Oder das Zitat stimmte schon, der Kontext ist aber etwas anders.
    Ja, nicht schön. Wo in Redaktionen gearbeitet wird, kommt es zu Ergebnissen. Beziehungsweise: Shit happens. Leider immer wieder. Jetzt ist Differenzierung nötig. Das Mitglied einer Regierungspartei kann schon einmal anders behandelt werden als jemand, der von dieser Partei stammt, die ständig Fake News auf die Mühlräder kippt. Wer Frauke Petry war, weiß heute sowieso keiner mehr. Und Roger Scruton – das ist was für Feinschmecker, wie wir altgedienten Redaktionshasen sagen. Immer empfehlenswerte Formulierung in diesen Fällen: XY fühlt sich falsch verstanden/will es ganz anders gemeint haben/rudert zurück/bestreitet.
  11. An diesem Punkt übernehmen wir Älteren in der Redaktion wieder. Es ist nämlich Zeit für den wöchentlichen Essay über die wachsende Hysterisierung der Gesellschaft und die Verantwortung der Qualitätsmedien, die immer wichtiger werden, gerade jetzt, wo so viele ungeprüfte Behauptungen in den sozialen Netzwerken herumgeistern.
Alexander Wendt: Weitere Profile:

Kommentare anzeigen (8)

  • Wie üblich ein richtig guter Artikel. Sie haben darin alles klar und deutlich gesagt, was es zu diesem Thema zu sagen gibt.

  • Köstlich. Leider alles offensichtlich nur zu wahr, Herr Wendt.

  • "Das ist fein beobachtet!" (Loriot)

    Aber es wird nix ändern. Die können nicht anders. Wer Wirklichkeit für ein Konstrukt hält, muss sich damit nicht weiter befassen. Und dabei bleibt es dann eben.

  • Guten Tag Herr Wendt. Betroffen machende Beschreibung des fragilen psychiatrischen Ist-Zustandes der in diversen Redaktionen bereits allgegenwärtig ist. Und dortselbst offensichtlich weniger Beachtung findet, als der gefahrvolle, heroisch geführte aktuelle Kampf gegen die Nationalsozialisten. Ja, richtig, Nationalsozialisten - denn was sonst meint "Nazi". Ihren Begriff von der zunehmenden Hysterisierung der selbsternannten Eliten dieses nur noch dahinsiechenden, ehemaligen Rechtsstaates möchte ich mir zu eigen machen. Markenzeichen des neuen Staatsgebildes Merkelscher Provenienz: um sich beißen, treten und von hinten draufschlagen. Lügen, betrügen, auslassen, dazudichten, vernebeln, hetzen. Undiskutierbare Deutungshoheit selbstverständlich nur bei denen, die Sie weiter oben so treffend und entlarvend coloriert haben. NUR DIE können so vernichtend den Zeigefinger am Trigger, sprich: der Tastatur, haben.

  • Ihr literarisches Werk, und um ein solches handelt es sich ernsthaft für mich, hat mich nicht nur lächeln lassen und zugleich meinen Kenntnisstand erweitert, sondern insbesondere auch gezeigt, dass die Linkspresse (einschl. ARD/ZDF), auch bekannt als Meanstream (Bosheits-) Presse quasi am Ende ist mit ernsthaftem Journalismus. So ist z. B. Twitter DAS Aufregungs- und Beleidigungsmedium schlechthin und daher als seriöse Quelle eher ungeeignet. Wie kann man das ernst nehmen?

    Ernsthafter Journalismus wird, soweit ich das übersehen kann, fast nur noch von den Alternativ Medien betrieben. Dort arbeiten die letzten ernsthaften Journalisten, die es in der Meanstream Presse nicht mehr aushielten, weil sie weiter ehrlich bleiben wollen. Siehe PUBLICO, ACHSE DES GUTEN, SCIENCEFILES (für die Sozialwissenschaften, Gender usw.), und Tichys Einblick, um nur einige zu nennen.

  • @ Robin Festgang - es wird nichts ändern sagen Sie, aber die Sache ist verästelter als Sie denken, wenn ich mich hier ausnahmsweise auf ein paar schlaue Sprüche auf einer Rotweinflasche in der Redaktionsküche beziehen darf ("Bourdieu" - Mon Dieu - "Gröver Nacktarsch", hehe).
    Also, wo war ich - verästelt, bon. Es ist nämlich so: Dass Sie, Robin Festgang dies hier lesen und wir uns darüber austauschen usw. ist selber schon eine Änderung!

    Wozu das alles führt werden sie nun vielleicht fragen. Aber da muss ich sagen, dass das sowieso keiner weiß. Ich denke da immer an Karl Valentin: Prognosen sind allgemein schwierig - und besonders schwierig sind sie, wenn sie die Zukunft betreffen (die kennen wir nämlich alle nicht - das ist uraltes erfahrungswissen, das in der etwas überoptimistischen heutigen Zeit leider etwas ins Hintertgreffen geraten ist, obwohl es stimmt!)

  • Zur Ergänzung: heute (Sa) wieder mal DLF gehört. In den Mittagsnachrichten um 13.00 Uhr die Meldung von den viel fliegenden Bundestagsabgeordenten. Kein Wort aber davon, dass hier ausgerechnet die Grünen am meisten flogen, immerhin haben das BILD und SPON ganz vorne berichtet. Na ja, ist halt nicht von überregionaler Bedeutung beim DLF.
    Dann der absolute Hammer, die vier Samstags-Kommentare, moderiert von Frau Welter mit DLF-typischer moralinsaurer Betroffenheits-Stimme:
    1. Klima/Fleisch: Verbote müssen her, zuviel Fleisch ist schädlich, da muss jetzt was passieren. Kein Wort, dass die EU gerade mit den USA und mit Argentinien Abkommen über den Import von mehr Fleisch geschlossen hat. Klar, EU darf man nicht kritisieren. Macht ja bald vdL.
    2. USA/Trump/Anschläge: Kommentator Pintor machte es kurz: Trump ist astreiner Rassist, ist wegen seiner Tweets verantwortlich für die beiden letzten Attentate.
    3. Indien/Kaschmir: Premier Modi ist der Böse, klar, entwickelt sich vom anfänglichen Modernisierer zum Rassisten.
    4. GB/Brexit/B.Johnson: Ist absoluter Chaot, wird hoffentlich bald weg sein vom Fenster. Das Wort Rassist fehlte noch...
    Ich hätte fast mein Mittagessen ausge...., so übel war mir nach dieser halbstündigen Gehirnwäsche.