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Sie lernen es nicht

Nach den Wahlen in Sachsen und Brandenburg erreicht die Verachtung des tonangebenden Milieus für den hässlichen Ossi neue Höchststände. Diese Verachtung sagt allerdings mehr über die besserfühlenden Kreise aus als über Ostdeutschland. Was bilden sich die Gutmeiner eigentlich ein?

Auf die französischen Bourbonen und grundsätzlich auf alle, die immer in der gleichen Spur bleiben, obwohl sie im eigenen Interesse gute Gründe hätten, sie zu wechseln, münzte Charles Maurice de Talleyrand 1814 den Satz: „Sie haben nichts gelernt und nichts vergessen“. Ils n’ont rien appris, ni rien oublié. Für die meisten Großkommentatoren der Wahlen in Sachsen und Brandenburg reicht schon die erste Satzhälfte.

Das allermeiste von dem, was Meinungsschaffende über die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg meinten, hatten sie und ihre nächsten Kollegen so ähnlich schon zu den Bundestagswahlen 2017, den Europawahlen oder zu anderen Gelegenheiten geschrieben. In ihrem Tonfall mischen sich zwei Affekte. Zum einen Verachtung, zum anderen der Anspruch, die Aufsicht über ein lästiges Milieu trotz dessen fortgesetzter Renitenz nicht aufzugeben.

Das Hauptproblem der Kommentatoren besteht darin, sich im Vergleich zu ihren früheren Ausführungen noch zu steigern. „Höre, ich solle Ostdeutsche ‚ernst nehmen’“, twitterte Spiegel-Autor Hasnain Kazim im Bundestags-Wahljahr 2017: „Ihr kamt 1990 mit nem Trabbi angeknattert und wählt heute AfD – wie soll ich euch ernst nehmen?“
Der damalige Medien- und Kommunikationschef des Erzbistums Köln Ansgar Mayer machte nach der Bundestagswahl 2017 folgenden Tauschvorschlag auf Twitter:
„Tschechien, wie wär’s: Wir nehmen euren Atommüll, Ihr nehmt Sachsen?“

Dies ist übrigens, um das Missverständnis zu vermeiden, kein Text der umgekehrten Kollektivvorwürfe gegen Westdeutschland. Er beschäftigt sich nur mit einem kleinen, aber definitionsmächtigen Teil des Westens: mit Dünkeldeutschland.

Da der Osten auch im September 2019 immer noch zur Bundesrepublik Deutschland gehört, und ihr Verstoß gegen die politischen Erwartungen des gutmeinenden Milieus besonders impertinent ausfiel, meldeten sich dieses Mal auch Kommentatoren, denen ein Tweet nicht genügt. Länger fallen die Grundsatztexte vor allem deshalb aus, weil eine große Dosis Paternalismus untergebracht werden muss. Bloße Verachtung braucht in aller Regel nur ein paar Zeilen, so wie bei dem frommen Mayer aus dem Bistum.

Nikolaus Hermann Blome, geboren 1963 in Bonn, stellvertretender Chefredakteur der BILD, ist nach eigenem Bekunden sauer über die Ossis, und zwar ganz grundsätzlich:

„Ja, liebe „Ossis“, da darf man sauer sein. Dankbarkeit gibt es nicht in der Politik, heißt es immer. Aber warum eigentlich nicht? Die Wiedervereinigung hat Freiheit, Rechtsstaat, D-Mark und Umweltschutz in die kaputte DDR gebracht, finanziert haben das ganz überwiegend die im Westen. Billionen, über 30 Jahre hinweg. Im Ruhrgebiet mussten sich selbst Pleite-Kommunen verschulden, um jedes Jahr ihre Abgabe für den Aufbau Ost zu zahlen. Gerade erst wurden an die neun Milliarden Euro für den Ausstieg aus der Braunkohle beschlossen. Natürlich gibt es im Osten ‚abgehängte Gebiete’, fast leere Landstriche, und wer dort lebt, muss auf vieles verzichten, was in einem guten Staat selbstverständlich sein sollte: Handynetz, regelmäßiger Busverkehr, Polizeidienststelle oder Bäckerei. Allerdings gibt es solche Gebiete in Westdeutschland auch – sie wählen nur bei weitem nicht so stark und flächendeckend AfD.“

Aus den fast leeren Landstrichen in Sachsen und Brandenburg kamen also am 1. September 842 959 Menschen, denen es an Dankbarkeit fehlt. Denn so viele wählten in beiden Ländern zusammen mit ihrer Zweitstimme AfD. Entweder können die Landstriche doch nicht so leer sein, wie Blome meint, oder die Leere von Landstrichen spielten keine oder eine nur sehr nachrangige Rolle für die Wahlentscheidung. Aber Logik ist die Sache des BILD-Vize generell nicht. Abgesehen von der dämlichen Annahme, eine Region schulde in Deutschland einer anderen ein bestimmtes politisches Verhalten: Wieso sollten die Ostdeutschen dem Westen für die Freiheit dankbar sein? Demonstrations- , Rede- und Bewegungsfreiheit besaßen die Ostdeutschen schon vor der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Sie bekamen sie nicht geschenkt wie die Westdeutschen 1945. Die Demonstranten im Herbst 1989 eroberten sie sich selbst. Es erschließt sich auch nicht recht, warum sich Ostdeutsche im Jahr 2019 für die 2002 verschwundene D-Mark mit ihrem Abstimmungsverhalten bedanken sollten. Und vor allem: bei wem?
Wer sich die Finanzhistorie von Ruhrgebietsstädten näher anschaut, der sieht übrigens ziemlich schnell, dass die Verschuldung dort ziemlich wenig mit den Transfers in den Osten zu tun hat.

Da Blome ein miserables oder völlig fehlendes Mobilfunknetz offenbar für eine natürliche Gegebenheit ländlicher Gebiete hält, sollte er seine nächsten Recherchereisen am besten nach Spanien und Portugal unternehmen, wo selbst in abgelegenen Gegenden noch vergleichsweise exzellenter Empfang herrscht. Oder gleich nach Albanien. Im europäischen Ranking der Mobilfunkabdeckung rangiert Deutschland nämlich hinter diesem Balkanland. Niemand im Osten und übrigens auch im Westen muss dem Milieu von Nikolaus Blome für seine Freiheit dankbar sein, genau so wenig, wie er eine miserable Infrastruktur hinnehmen muss, wenn er nicht in einer Metropole wohnt. Und warum sich ausgerechnet in den zur Abwrackung freigegebenen Kohlerevieren der brandenburgischen und sächsischen Lausitz jemand in der Wahlkabine dankbar für die Beseitigung von etwa 20 000 Jobs zeigen sollte, das bleibt Blomes tiefes Geheimnis.

„Kann es sein, dass zwar die DDR untergegangen ist, nicht aber die Staatsgläubigkeit und Vollkasko-Anspruchshaltung, zu der sie Generationen erzogen hat?“, will Blome wissen: „Kann es sein, dass bestimmte Gruppen im Osten sich eingerichtet haben in der Rolle als Opfer der Wende – und irgendwie all derer ‚da oben’? Weil das genau nämlich die Fragen nach eigenen Schwächen oder Fehlern überflüssig macht.“

Über eigene Schwächen und Fehler nachzudenken schadet natürlich nie. Selbstverständlich gibt es in Ostdeutschland Ressentiments. Die Frage ist nur, ob selbst das schlichteste und finsterste Gemüt in Sachsen in der Beschränktheit seiner Ressentiments mit dem Abscheu westdeutscher Meinungseliten gegen die da unten ernsthaft konkurrieren kann. Wahrscheinlich nicht. Eine derart offen herausgekrähte Verachtung wie bei Hasnain Kazim und Ansgar Mayer findet sich möglicherweise bei bestimmten Leuten und gegen andere Kollektive auch in Ostdeutschland. Nur findet sie sich dort eben nicht bei Redakteuren großer Medien und bei Kommunikationsdirektoren.

Aber zurück zu Blome, der denen da unten seine Meinung im Jammerton der enttäuschten Gouvernante geigt. Gründe, AfD zu wählen, gibt es aus Sicht von AfD-Wählern mehrere, auch im Westen des Landes. Könnten in West- und eben in Ostdeutschland auch so genannte strukturelle Gründe darunter sein? Über welche eigene und auch irgendwie kollektive Schwäche sollte ein demnächst Arbeitsloser beziehungsweise zum Abwandern gezwungener Braunkohlearbeiter in der Lausitz nach Blomes Ansicht eigentlich nachsinnen? Und könnte ganz generell die kulturelle Verachtung, die aus den Texten Blomes und anderer tropft, auch ein Grund sein, gegen genau dieses Meinungsmilieu zu wählen? Kazim, Mayer und Blome bilden nämlich noch nicht einmal die publizistische Speerspitze gegen den ostdeutschen Pöbel, der übrigens immer – grundsätzlich – als Kollektiv angesprochen wird. Es lässt sich, siehe oben, alles noch ein bisschen steigern.

„Was bilden sich die Ossis eigentlich ein?“, will der Holtzbrinck-Journalist Werner Kolhoff in seinem Kommentar über den Osten eigentlich nicht ernsthaft wissen.

Kolhoff, ehemaliger Juso-Aktivist Mitarbeiter des Bundespresseamtes, war übrigens der Journalist, der 2018 über die Ermordung der 16-jährigen Susanna F. in Wiesbaden durch einen irakischen Asylbewerber schrieb: „Ein pubertierendes Mädchen treibt sich im Umfeld von Heimen mit Jungs herum – so etwas geht nicht immer gut.“

Ähnlich intelligent und sympathisch nähert er sich nun den Ostdeutschen beziehungsweise den AfD-Wählern dort in toto:
„Ihr glorifiziert euer untergegangenes Land. Mauer, Stacheldraht, Stasi, alles schon vergessen?“
Dass nun ausgerechnet AfD-Wähler die DDR glorifizieren, ist nur eine von mehreren Erkenntnissen, die Kolhoff exklusiv hat.
Um dann gleich zu fragen:
„Glaubtet ihr wirklich, dass das Manna vom Himmel fallen würde? Wolltet ihr eigentlich nur einen Sozialismus mit Westmark? Was habt ihr damals geraucht?“

Sozialismus mit Westgeld – heute natürlich Euro – das dürfte eher das Projekt des jetzigen Juso-Anführers Kevin Kühnert sein. Kolhoff weiter:
„Habt ihr nicht gewusst, dass die Bundesrepublik, mit der ihr wiedervereinigt werden wolltet, ein westliches, offenes und liberales Land ist? Eine Demokratie, die vom Mitmachen ihrer Bürger und von Toleranz lebt? […] Was habt ihr gegen Ausländer? Und gegen Flüchtlinge? Kennt ihr überhaupt welche? Empathie ist die Fähigkeit, nachzufühlen, was andere empfinden. […] Und wenn ihr schon keine Empathie habt, wo ist dann wenigstens euer Geschichtsbewusstsein? Wisst ihr nicht, dass das Herumhacken auf Fremden, Minderheiten und Andersgläubigen ungefähr das Dümmste ist, was die Menschheit je hervorgebracht hat? Und das Zweitdümmste, solche Leute zu wählen, die das tun. Hattet ihr das nicht in der Schule? Ihr solltet dringend etwas mehr nachdenken.“

Tatsächlich, die Bundesrepublik ist ein tolerantes liberales Land, das selbst Gestalten wie Ansgar Mayer verdaut und Empathiebolzen wie Werner Kolhoff, der einem Mädchen postum die Schuld an ihrer Vergewaltigung und Ermordung zuschiebt und herrenmenschelndes Herumhacken auf kulturell Fremden und Andersmeinenden für die erste Journalistenpflicht hält, sofern es sich um Ossis handelt.

Da gerade das Stichwort Offenheit und Empathie fiel: Auch Kolhoffs Suada lässt sich noch ein bisschen steigern. In seiner ZDF-Sendung meinte der Fernsehmitarbeiter Jan Böhmermann zur Landtagswahl in Sachsen:

„Das einzige, was dieses Bundesland noch retten kann, ist eine Koalition aus Roter Armee und Royal Air Force.“
Eine Steigerung kommt noch, wirklich die letzte, jedenfalls nach aktuellem Stand: In der Sendung „Nightwash“ des WDR empfahl eine Frau namens Maria Clara Groppler, nach Selbsteinschätzung Comedyschaffende, die braunen Chemnitzer mit Napalm auf den richtigen Weg zu bringen.

Um es zu wiederholen: Die Bombardierungs- und Verbrennungswünsche stammen nicht aus Privatecken des Internet, sondern aus gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Sendern. Im Staatsvertrag des WDR heißt es übrigens:

„Das Programm soll das friedliche und gleichberechtigte Miteinander der Menschen unterschiedlicher Kulturen und Sprachen im Land fördern und diese Vielfalt in konstruktiver Form abbilden.“

Diese Verachtung allein wäre schon ein hinreichender Grund, per Wahlzettel zurückzuverachten. Es nehmen auch deutlich mehr Menschen im Osten wie im Westen diese Verachtung als zentrales gesellschaftliches Übel wahr als noch vor zwei, drei Jahren. Ihnen fällt darüberhinaus auf, dass es bisher weder von dem sehr besorgten Bundespräsidenten noch von Merkel ein Wort dagegen gibt. Die Chronologie der Verachtung reicht mittlerweile weit zurück, von Napalm und Atommüll bis ins Jahr 2000 zur Sebnitz-Geschichte von BILD, deren stellvertretender Chef den Ostdeutschen so dringend anempfiehlt, über eigene Fehler nachzudenken.

Diese Verachtung ist nur ein Teil des Bildes. Die tiefe Spaltung zwischen Progressisten und Bewahrern zieht sich durch ganz Europa, zwischen gut verdienenden Urbanen und sich für weltoffen haltenden Anywheres, die überall leben können, und den Somewheres, denen die Mittel dafür fehlen, und die sich auch oft – so irre das auf Medienschaffende in Berlin Mitte wirken mag – an ihre Kleinstadt oder ihr Dorf gebunden fühlen. Die Somewheres in Ost- wie in Westdeutschland sehen ihren Lebensstil durch die No-Border-No-Nation-Ideologie und die Drift zum EU-Einheitsstaat massiv angegriffen. Aber alles, was Menschen im Westen aufbringt, bringt das gleiche Milieu im Osten noch viel stärker auf. Und zwar aus objektivierbaren Gründen. Immer wieder halten die Gutmeinenden den Ostdeutschen vor, in ihrem Gebiet würden doch überhaupt keine Migranten leben. „Kennt ihr überhaupt welche?“, fragt beziehungsweise belehrt Kolhoff.

Es ist richtig, dass der Ausländeranteil in Sachsen insgesamt nur fünf Prozent beträgt. In den Justizvollzugsanstalten des Landes allerdings fast 30 Prozent. Das beschreibt schon einen wesentlichen Teil des Problems. In vielen Gebieten Ostdeutschlands stellten vor 2015 Vietnamesen beziehungsweise Deutsch-Vietnamesen die relativ größte Gruppe mit ausländischen Wurzeln, eine perfekt integrierte Gruppe, geschäftlich erfolgreich und ohne jedes aggressive Revierverhalten. Die allermeisten Ostdeutschen waren in der Tat mental schlechter darauf vorbereitet als Westdeutsche, dass es auf einmal in ihren Städten Messerstechereien gab und Plätze, die man abends besser zu meiden hatte. Als in Cottbus 2018 ein jugendlicher Migrant vor einem Einkaufszentrum ein Messer zückte, um von einem einheimischen Ehepaar „Respekt“ zu erzwingen – es ging um den Vortritt – , kam es in der Stadt zu Demonstrationen.

In Chemnitz bekanntlich genauso im August 2018, als ein abgelehnter irakischer Asylbewerber mit langer krimineller Karriere einen 35-jährigen Einheimischen erstach.
„Man erging sich in Wortklaubereien über die Frage, ob es in Chemnitz nun ‚Hetzjagden’ gegeben habe“, schrieb Jens Schneider im August 2019 in der Süddeutschen, „als ob nicht die Feststellung eindeutig reichte, dass Menschen vermeintlich fremder Herkunft angegriffen wurden, sich nicht mehr sicher fühlten.“

Dass sich schon vor dem Messermord viele Chemnitzer nicht mehr sicher fühlten und wegen etlicher Überfälle und Übergriffe abends dem Stadtzentrum fernblieben, ist der Süddeutschen überhaupt keine Erörterung wert. In Cottbus wie Chemnitz bestand die Antwort des staatlich-halbstaatlich-rechtschaffenen Milieus darin, großstädtische Progressisten mit Bussen an den jeweiligen Übelort zu karren, und mit größtem propagandistischen Aufwand den angeblichen Rassismus symbolisch niederzuringen.

Zur missratenen Migrationspolitik kommt die Weigerung der tonangebenden Klasse, über die Folgen auch nur zu diskutieren. Die Wahlergebnisse in Ostdeutschland sind ein Gesamtkunstwerk der Blomes und Kolhoffs, der Böhmermanns, der ARD-Kommentatoren und der grünen Aktivisten. Deren soziale Blindheit beschränkt sich nicht auf die Migrationspolitik.

Wie oben schon gesagt: Das ist kein Text, der eine Gegnerschaft zwischen Ost und West behauptet oder gar beschwört. Die Somewheres, die Leute, die die Bedingungen des Zusammenlebens nicht täglich neu aushandeln wollen, gibt es auch reichlich westlich der Elbe. Der Punkt liegt eher darin, dass die Blomes, Kolhoffs, Böhmermanns und Neubauers ausschließlich im Westen vorkommen und reüssieren. Es ist ein Milieu, so anmaßend, so durchdrungen von seiner eigenen Bedeutung, so lernunfähig, so wahrnehmungsgestört für die von ihnen geförderten sozialen Verhältnisse, so unfähig, von sich selbst zu abstrahieren, wie es die Adligen des Ancien Régime in Frankreich waren.

Im Westen Deutschlands verdienen 13,5 Prozent der Arbeitnehmer bei Vollzeit weniger als 2000 Euro brutto. In Ostdeutschland liegt der Anteil doppelt so hoch, nämlich bei 27,5 Prozent. In fünf Brandenburger Landkreisen verdient mehr als jeder dritte Beschäftigte weniger als 2000 brutto in Vollzeit. In diesen Gebieten wirkt es also noch ganz anders, wenn ein bestens versorgter WDR-Redakteur in den Tagesthemen den Staat anfleht, er möge doch bitte Fleisch und Flugreisen so richtig teuer machen. In diesen Gebieten, in denen viele stundenlang zur Arbeit pendeln, wirkt es noch ganz anders, wenn etwa die ZEIT dazu aufruft, „das deutsche Automobil zu überwinden“. Auf Leute, die signifikant wenig Vermögen besitzen, wirkt die Nullzinspolitik der EZB, die auch noch das kleine Sparguthaben auffrisst, noch ganz anders als auf die besser Situierten.

Die aus wohlhabenden Verhältnissen stammende deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer geht auch vielen Westdeutschen auf die Nerven. Aber es wirkt noch einmal ganz anders, wenn ein bereits durch die ganze Welt gejettetes Rich Kid die Kohlearbeiter in der Lausitz darüber belehrt, dass ihre Arbeitsplätze so schnell wie möglich beseitigt werden müssen.

Diesen Leuten an der politischen und sozialen Peripherie macht das Milieu der Guten in Medien und Politik ein Angebot. Es bietet Hohn an und Spott, dazu Verachtung und Ekel, Auslöschungsfantasien bis zur Napalmbombardierung. Und es stellt gleichzeitig besorgte Fragen. Warum freuen sich so viel Brandenburger und Sachsen nicht über Armutsmigration aus arabischen und afrikanischen Ländern? Warum fahren die Leute in der Uckermark nicht einfach die 50 Kilometer mit dem Fahrrad zur Arbeit und wieder zurück? Warum essen sie nicht mehr Bio? Warum verzichten sie nicht mal auf einen Seychellen-Tauchurlaub? Warum können sie nicht so wie wir sein?

Immer wieder erhebt sich die Frage, warum die Deutschen auf den Riss der Gesellschaft so viel anders, nämlich stiller regieren als die Franzosen. Das Bild ist nicht ganz vollständig. Linksrheinisch antworteten sehr viele genau dieser Pendler und 2000-Euro-Verdiener auf die Verachtung durch die linksgrünen Großstädter mit heftigen Demonstrationen. Die entglitten dann rasch in Gewalt, was es für die Regierung leichter machte, sie zu denunzieren. Trotzdem zwang das „France périphérique“ (Christophe Guilluy ) die tonangebende Klasse, ihm zuzuhören. Es trotzte ein paar Kompromisse ab. Östlich der Elbe ziehen genau diese an die soziale und in die politische Peripherie Gedrängten keine gelben Warnwesten an. Sie artikulieren sich in der Wahlkabine.

Warum führt die Verachtung der Guten und Offenen für die Ostdeutschen eigentlich nicht zu deren völliger Ignoranz? Warum kreisen sie in ihren Kommentaren eigentlich derart obsessiv um ihren Gegenstand? Die Ostdeutschen sind ihnen in Wirklichkeit wichtig: als negatives Identifikationsangebot. „Ihr wollt doch nicht so sein wie die, oder?“ – so ungefähr lautet ihre Botschaft an alle Westdeutschen, die ebenfalls keinen Sinn in der Migrationspolitik erkennen können, in der Klimahysterie, die sich von den linksurbanen Kreisen genauso verachtet fühlen. Deshalb – damit das negative Identifikationsangebot funktioniert – ist es ja auch so wichtig, sich in Reportagen, in Fernsehsendungen und auf Partys im Prenzlauer Berg über den Dialekt der Sachsen lustig zu machen, die spießigen Frisuren der Provinzler zu beschreiben, die unbeholfenen Exemplare vor die Kamera zu bekommen, um das Ergebnis dann in der heute-show abzuspielen. Deshalb muss sie ein Hasnain Kazim noch einmal an ihr komisches Auto erinnern, mit dem sie 1989 in seine Welt geknattert kamen.

Dass sehr viele AfD wählen, ist für Leute wie ihn ein längst einkalkulierter Kollateralschaden. Es geht dem tonangebenden Milieu darum, wenigstens im Westen des Landes noch die Definitionshoheit aufrechtzuerhalten.
Deshalb das negative Identifikationsangebot des hässlichen Ossis.
Ein positives Identifikationsangebot für ihren Gesellschaftsentwurf fällt ihnen schon seit geraumer Zeit nicht mehr ein.

 

Alexander Wendt: Weitere Profile:

Kommentare anzeigen (68)

  • Herr Wendt, das habe ich nur selten jemandem geschrieben: Von Ihnen kann man viel lernen. Sie schreiben u.a., „Dass sich schon vor dem Messermord viele Chemnitzer nicht mehr sicher fühlten und wegen etlicher Überfälle und Übergriffe abends dem Stadtzentrum fernblieben, ist der Süddeutschen überhaupt keine Erörterung wert“.
    .
    Ich vermute neben den von Ihnen angeführten Gründen, dass die Presse/TV gar nicht mehr berichten, wie ein echter Journalist, z.B. wie Sie. Vielmehr haben diese Leute den Auftrag, die RICHTIGE, also die Linke Meinung zu vermitteln und damit Einfluss auf Wähler, Politik und Wirtschaft zu nehmen. Sie sind mit einem Wort: Total parteiisch und nicht mehr an Fakten interessiert.
    .
    Ganz so, wie es die von Ihnen aufgeführten Blätter und die ehemals seriöse Tagesschau und ebensolches heute Journal täglich den Leuten einzuhämmern versuchen. Die Wahlergebnisse geben den „Aktivisten“: wie sie wohl besser heißen, recht. Die Ergebnisse sind trotz AfD wie gewünscht. Mehr als 50 % der Wähler wollen den Sozialismus, einschl. Links - CDU. Ob die wirklich wissen (wollen), was das tatsächlich bedeutet?

  • Werner Kolhoff ist ein linker Kotzbrocken, dem unsere Ludwigsburger Kreiszeitung unverständlicherweise eine regelmäßige Kolumne gewährt.

    Was Dankbarkeit angeht, so frage ich mich, wo die denn in den linken Hochburgen Berlin und Bremen gegenüber den südlichen Zahlern des Finanzausgleichs zu finden ist? Es freut mich wenigstens, wie uns im Süden die Wähler im Osten mit ihren Stimmen unterstützen, unsere eigenen Kälber wählen doch noch allzu häufig den Metzger.

  • Wenn Sie so austeilen, Herr Wendt, sind sie mir am liebsten. Die Zitate sprechen für sich. Danke dafür, dass Sie die alle noch einmal so übersichtlich zusammengestellt haben.

    Wie besoffen sie doch sind von ihrer eingebildeten moralischen Überlegenheit, zu der wie selbstverständlich freche Lügen bzw. das Verschweigen und Verdrehen von Tatsachen gehören, was ja auf das gleiche hinausläuft. Am schlimmsten ist jedoch der herablassende Tonfall, aus dem oft eine Kolonialherrenmentalität herauszuhören ist. Als Replik reicht da in den meisten Fällen der hochgehaltene Mittelfinger.

    Dass der "Ossi" ein "negatives Identifikationsangebot" an die Westdeutschen darstelle, mag sein. Die Wirkung beschränkt sich, meine ich, aber im wesentlichen auf jene linksurbanen Kreise, von denen die Rede ist. Die anderen schweigen. Die obsessive Dämonisierung der AfD (unzweifelhaft teilweise von Rechtsextremen unterwandert) erfüllt die gleiche Funktion. Der Westdeutsche fürchtet sich davor, als "Rechter" abgestempelt zu werden, der "Ossi" dagegen weniger, und das ist gut.

    • "Die Zitate ... Danke dafür, dass Sie die alle noch einmal so übersichtlich zusammengestellt haben."
      Dem schließe ich mich gerne an. Drei Extra-Herzen für diese Fleißarbeit, Herr Wendt!

  • Als Wessi, der seit 1991 im Osten lebt, stimme ich Ihnen aus vollem Herzen zu. Es erstaunt mich eher, wie relativ gelassen die Leute hier mit der westdeutschen Hetze durch die Medien umgehen. Kann auch daran liegen, dass hier keiner Sueddeutsche, Zeit, Spiegel oder FAZ liest und beim TV gucken die Öffentlich-Rechtlichen und die Nachrichten wegzappt. Viele, die hier AfD gewählt haben, mögen die Nazinahen in der AfD auch nicht, aber noch viel weniger mögen Sie Westdeutsche, die sich als Besserwessis mit Kolonialherrengehabe aufspielen.

  • Sehr geehrter Herr Wendt,

    Sie bringen es einfach immer auf den Punkt! Und Sie regen meine Fantasie an, ein paar Schritte vor und zurück zu denken.

    EIGENTLICH oder WIRKLICH ist es eine Ungerechtigkeit, wenn innerhalb Deutschlands mit anderen Maßstäben gemessen wird, als auf globaler Ebene, wo für die Ärmeren alle Augen zugedrückt werden trotz gleicher Technologie-Ebene. Warum wird eine CO2-Steuer und all das Drumherum an Reglementierung nicht einfach NUR dort eingeführt, wo die vergleichsweise Reichen in Deutschland leben. Und ja: Dort dann kollektiv für alle, mitgehangen und mitgefangen, mitgewählt und mitgezahlt. In den Großstädten und in vielen Regionen des Westens, da wo die Grünen- und CDU-Wähler sitzen, die all das Befürworten. Als Maßstab gilt dann das bundesweite Ziel an Einsparungen, nur eben auf die reicheren Regionen und Städte begrenzt und dort umso teurer. Beispielsweise eine Stadt wie Stuttgart und ihr Speckgürtel. Sollen die Leute doch 150 oder 250 Prozent Steuer und Auflagen bekommen und andere Regionen eben 0 Prozent. Die können es sich leisten, denn die haben das gewählt. Wieso sollten alle in Deutschland trotz so unterschiedlicher Lohnniveaus und Perspektiven das selbe zahlen müssen? Das geschieht global ja auch nicht. Weder in Europa wird das den Nachbarn abverlangt, trotz vergleichbarer Lebensstandards, noch weltweit. Machen wir doch aus München, Hamburg, Stuttgart, Köln - Berlin schon aus Prinzip durch Landesregierung und Bundesregierung - genau das, was die Leute von dort in Medien und überall so laut fordern. Ein scheiße teures Leben. Schweizer Preisniveaus und Verhältnisse sind noch gar nichts. Die wollen noch mehr zahlen. Das sollen Sie auch gerne tun. Machen wir Ihnen das Leben so teuer, dass sie sich endlich wieder gut fühlen und in den Spiegel schauen können. Der Maßstab sind die Leute, die es sich nicht leisten können. Erst wenn die Anywheres aus manchen Regionen Somewhere zu Hause sind, die Somewheres dort so richtig die Schnauze voll haben, ist Augenhöhe auf Oberkante Unterlippe hergestellt

  • Ich schätze Sie wirklich sehr, lieber Wendt, und dieser Blog zählt zu meinen Favoriten (nebenher zu den besten, die ich im politischen Diskurs kenne). Meist stimme ich Ihnen zu, oft mit doppelter Unterstreichung.
    Nun, ich bin "Wessi"; sogar als Bonner "in der Wolle gefärbt", wie man so sagt hier im Rheinland. Die Wiedervereinigung hat mich damals umgehauen. Positiv. Für mich erfüllte sich die deutsche Nachkriegsgeschichte zum Schönsten, ganz und vollkommen ohne Ressentiments. Obgleich ich zuvor viele Jahre als Referent mit umfassender Sach- und Faktenkenntnis zu Themen der deutsch-deutschen Beziehungen gearbeitet habe. Obgleich ich sehr wohl wusste, dass im Osten massive anti-West-Grundhaltung herrschte als Ergebnis 40-jähriger stringenter Doktrin -die nicht "nur" staatlich betrieben, sondern ebenso von großen Teilen der Menschen aus Überzeugung mitgetragen wurde. So what - dass "zusammen kommt was zusammen gehört" war für mich eine prallvolle Wundertüte. Ich habe mich gefreut wie Bolle.
    Anfang der 90'er war ich geschäftlich viel in den neuen Ländern unterwegs. Die Zustände haben mich mehr als einmal schockiert. Nicht nur die kaputten Habitate, der Schmutz allenthalben, der Gestank ganzer Landstriche um Buna und Leuna (anderswo sicher nicht weniger), das Phlegma vieler Menschen, mit denen ich sprach, die Lebensplanung und Anspruchshaltung der "Werktätigen" insgesamt - mir wurde rasch klar, welch riesige Aufgabe da bevorstand. Und mir war klar, dass sie vordringlich und hauptsächlich nicht aus eigener (Ost)Kraft zu leisten war. Aber ich war guter Dinge.
    2010 machte ich einen kleinen beruflichen Ausflug in die Gastronomie. In meiner Hometown Bonn führte ich einige Monate ein Restaurant. Einer der Köche war kurz zuvor aus Halle "zugereist", mit Frau und zwei Kindern. Einen Feierabend habe ich mich lange bei einer Flasche Wein privat mit ihm unterhalten, wir mochten uns irgendwie. Seine Familiengeschichte war ein echter Hades. In seiner eigenen näheren Familie war er der einzige mit Job. In der seiner Frau gab es zwei in Brot und Arbeit. Wir haben die Gesamtzahl der Beschäftigten in beiden Familien mit Strichliste ermittelt: es waren 6 (sechs) von fast 50 (ohne die Kinder). Geschwister, Eltern, Großeltern, Onkeln und Tanten, Nichten und Neffen, Cousins und Cousinen. Ein kompletter "Stütze-Clan", das Gros seit 1990. Meine Frage, ob er dies nicht falsch fände, zumindest seltsam, ging ihm nicht ein. "Warum sollten sie? Wenn sie arbeiten, kriegen sie auch nicht mehr. Und mit "nebenher" dazu stehen sie sich doch viel besser." Von 13 Monaten, die ich dabei war, war er etwa vier Monate krank, einmal weil er sich "den Fuß verstaucht" hatte - aus der Küche humpelte er, um draußen zur Bahnhaltestelle zu sprinten ...
    Einzelfall? Ich weiß es nicht. Die Erfahrungen, die Bekannte mit Ost-Werktätigen gemacht haben, sind durchwachsen und reichen bis heute von "hör mir auf damit" bis "tadellos". In dem Betrieb, in dem ich heute arbeite, ist eine Kollegin aus Brandenburg die absolut unerreichte Spitzenreiterin bei den Fehltagen (bei den Kollegen eine "Fachkraft" aus Eritrea). Business as usual wohl ...

    Ich bin nach wie vor überzeugt, dass 1989 ein Glücksjahr für Deutschland war, und zwar, trotz aller Wehwehchen, für das gesamte Land. Schade und (Sie sind ein hochintelligenter Mensch) schlimm, dass Sie mit diesem Beitrag hier so (in meinen Augen) nur sehr einseitig reflektiert die Ossi-Wessi-Sau über die Latifundien treiben. Es ist nicht alles schlecht und böse, was aus dem Westen kam und kommt; ebenso ist nicht alles gut und edel, was im Osten geschieht. Schreihälse, Vollhonks und Prädikatsarschlöcher finden wir in jedem Winkel der Republik. Vor drei Jahren fand ich meinen BMW am Leipziger HBF mit einem die komplette Fahrerseite zierenden großen "DRECKSWESSI". Schön tief mit einem Nagel o.ä. in die Karosse geritzt. Das war nicht "Dunkeldeutschland", das war ein Idiotenasi. Auch die gibt es allenthalben und zuhauf.

    Seien Sie etwas gnädiger mit uns hier drüben. Die meisten hier sind ziemlich erträglich und finden dieses gegenseitige Behämen eher zum kotzen. Wenn's von "drüben" kommt, ja gut, etwas mehr. Hier hat sich die Ansicht verfestigt, dass die Billionen, die seither von West nach Ost geflossen sind, wenigstens nicht mit Ignoranz und Spott bedacht werden sollten. Und das ganz unpolitisch. Der Erfolg der AfD wird im Westen von sehr, sehr vielen Wählern mit aufmerksamer Genugtuung bedacht; steht zu hoffen, dass er sich bei den nächsten Wahlen in Thüringen und 2020 in Bayern, Hamburg und NRW fortsetzt.

    "Dunkeldeutschland" reicht, fürchte ich, in nicht mehr allzu ferner Zukunft von Husum bis Konstanz und von Aachen bis Görlitz. Auf dieser Titanic sind wir schlicht alle gemeinsam. Sollten aus Sachsen irgendwann die ersten Montagsdemos z.B. mit "wir wollen ein Volk bleiben" gemeldet werden, werde ich von Herzen dabei sein. Und sehr, sehr viele hier im Westen ebenfalls.

    Nichts für ungut. Sie sind und bleiben mir Wert.

    • Es wäre schön, wenn der Kommentator selbst einmal zu diesem Zeitpunkt in Mitteldeutschland gewesen wäre. Ja es stimmt, die Mehrheit der Menschen hat aufgrund der Liquidierung der Industrie im Ganzen nach Arbeit suchen müssen. Massenhaft sind die Menschen in den Westen gegangen, um zu überleben, selbst zum jetzigem Zeitpunkt gehen die nicht gebundenen, vor allem junge Leute auf Arbeitssuche nach Westen.
      Nach 30 Jahren hätte man annehmen können, dass andere Verhältnisse bestehen.
      "Doofe arbeitsscheue Ossis" haben es halt nicht anders verdient, erlauben sich "undankbar" zu sein, Haben halt längere Arbeitszeiten bei weniger Geld damit für die westdeutschen Verdiener etwas mehr übrig bleibt.

      • Die Dankbarkeit der Ostdeutschen hält sich in Grenzen... kann ich verstehen, wenn man bedenkt, dass :
        - der größte Teil der Aufbaugelder an westliche Firmen geflossen sind, zum Abriss fast aller Betriebe und Schaffung blühender Landschaften (Unkrautbrachen)
        - durch die Lüge der "russischen Bedingung zur Beibehaltung der Bodenreform" ein riesiger Teil des Landes an den Staat fiel, um meistbietend verschachert zu werden
        - die Schuldenübernahme der westlichen Staatsschulden pro Kopf ohne Gegenleistung geschah (nebenbei war die DDR im Gegensatz zur BRD meines Wissens international schuldenfrei)
        Es gibt noch viele weitere Beispiele ...

        • @Willi: Die DDR hinterließ bei ihrem Zusammenbruch einen Schrotthaufen. Und stand finanziell kurz vor dem Kollaps.

          • @Onkel Doch
            Ich möchte nicht allzu scharf auf Ihren äußerst arroganten Einwurf reagieren. Lieber lasse ich Zahlen sprechen. Es ist zweifellos richtig, dass die wirtschaftliche Situation der DDR vor allem in den letzten Jahren nicht rosig war. Dennoch gebietet es der Respekt und der Sachverstand, anhand von nachprüfbaren Zahlen zu bewerten, was war. Hier gebe ich Ihnen die Möglichkeit dazu:
            http://www.memo.uni-bremen.de/docs/m2706b.pdf
            Es ist eine "Weststudie", also völlig unbeeinflusst von etwaigen Ostbiographien und daraus möglicherweise entspringenden Sentimentalitäten.
            Es gibt auch eine Studie der Deutschen Bank, ich glaube aus dem Jahre 1996, die sich mit der Analyse der finanziellen Situation der DDR befasst. Auch die Deutsche Bank kam unzweifelhaft zu dem Schluss: Schwierige Situation ja, aber keinesfalls existenzbedrohend.

            Ich halte es für wichtig, die derzeitige Situation in Brandenburg, Sachsen oder anderswo im Osten Deutschlands vor diesem historischen ökonomischen - und somit sozialen - Hintergrund zu betrachten.
            Nach 1990 haben innerhalb kürzester Zeit fast 90% aller Beschäftigen in der DDR ihre Arbeit verloren und mussten sich komplett neu orientieren. Die Ursachen waren vielfältig. Ja, es gab Firmen, die hatten einfach keine Überlebenschance. Das haben die Menschen im Osten auch verstanden. Aber es gab auch sehr viele Firmen, die mittels Treuhand und Co in ihre Bestandteile zerlegt wurden, und das aus Gründen der "Feldberäumung", also um sich möglicher Konkurrenz zu entledigen.

            Seither - seit der Deindustrialisierung der DDR - ist (makro-)ökonomisch nicht viel passiert im Osten. DAS treibt die Menschen um, diese sich daraus ergebende Perspektivlosigkeit. Nimmt man dazu noch die gezielte, systematische Aushöhlung des Sozialsystems durch die sogenannten Volksparteien, dann muss man sich nicht wundern, DASS die Leute im Osten langsam den Kanal voll haben, sondern dass es so lange gedauert hat.
            Wir leben ökonomisch und politisch in D auf einem Pulverfass. Niemand weiß, wann die ganzen €-Verbindlichkeiten Deutschlands (Target und anderes) fällig werden, aber DASS es so kommen kann, wird auf Grund der herrschenden Politik eher wahrscheinlicher als eben nicht. Der Anteil der Arbeitnehmer am Wachstum des Effizienzsteigerung der Wirtschaft - kurz Steigerung des Realeinkommens - ist seit Anfang 2000 ein Witz. Allein gegenüber Norwegen und der Schweiz hat Deutschland dabei ca. 20-25% verloren (im Schnitt). Und damit verlieren die Menschen direkt ihre Zukunft, ihr Einkommen.

            Vor diesem Hintergrund muss man die Erfolge der AfD und vor allem den Absturz der anderen Parteien betrachten. Und dabei habe ich mich nur auf objektive Fakten bezogen. Wenn man dann noch die "weichen" Politikfaktoren hinzu nimmt, wird das Bild noch klarer: Wer will sich schon dauerhaft als "Pack" bezeichnen lassen? Wie kommt es, dass Politikgrößen (in diesem Falle Gabriel) erst nach dem Ausscheiden aus der aktiven Politik (besser gesagt: nach dem fehlenden persönlichen Zugriff auf die finanziellen Fleischtöpfe, die damit im Zusammenhang stehen) ansatzweise Klartext sprechen und z.B. die Entscheidung von Merkel aus dem 09-2015 GANZ VORSICHTIG zu kritisieren wagen?
            Von dem um sich greifenden von jeglicher Vernunft völlig ungetrübten Genderismus, von dem irrigen Kohle- und Atomausstieg (woher soll die Grundlast danach kommen?? Oder will man das Land nun komplett deindustrialisieren?) will ich mal erst gar nicht anfangen. ..

            Diese Gesamtgemengelage halte ich persönlich für hochgefährlich. Und die haben AUSSCHLIESSLICH die sogenannten Alt-Parteien zu verantworten!

            Schönen Abend.

    • "Es ist nicht alles schlecht und böse, was aus dem Westen kam und kommt"
      Stimmt. Nicht alles, nur fast.

    • Stimme Ihnen in großen Teilen zu , aber das mit den Billionen die gen Osten geflossen sein sollen kann irgendwie nicht ganz stimmen , bei der Bevölkerung ist davon nicht viel angekommen.
      In Wirklichkeit war die Wiedervereinigung nicht mehr als ein riesiges Konjunkturprogramm West.
      Die Wende hat Kohl grade nochmal das Amt gerettet. Beim Durchschnittsossi ist davon nicht viel angekommen.
      Der große Bauboom war gegen 2000 vorbei. Und die letzten Jahre ging´s im Osten wieder bergab.
      Ansonsten haben sie natürlich Recht und es ist immer wichtig sich in eine andere Mentalität auch mal reindenken zu können.

  • Guter Artikel. Beschreibt die Arroganz und DUMMHEIT dieses links-grünen, offensichtlich "politisch-korrekten" Meinungspöbels! Wenn man sie allerdings fragen würde, wie sie sich z.B. an dem von der Bundesregierung und EKD initiierten Projekt NesT persönlich beteiligen, würde die Antwort eher mau ausfallen. Sie würden sofort abtauchen und Ausreden erfinden.

  • Die Herrschaften der Meinungsblätter kommen mit keinem Gedanken darauf, dass ihr Agieren die Menschen aus dem östlichen Beitrittsgebiet an die DDR-Presse erinnert. Deren Gleichschritt mit Honeckers Politbüro war systematisch und machte allen täglich klar, dass man in einer Diktatur gefangen war. Dass heute die Kampagnen gegen Kritiker aus dem Osten mit dem Input des ersten Mannes im Staat - dem Bundespräsidenten Joachim Gauck: "Dunkeldeutschland" oder Frank-Walter Steinmeier: Chemnitzer Jubelparty "Wir sind mehr" nach einem Messermord! - Menschen im Osten mehr aufbringen als im Westen, hat eine einfache Erklärung. Der Helldeutsche hat sich an seine Entmündigung durch öffentlich-rechtlichen Politboulevard gewöhnt. Der Ossi will das nicht! So mancher Propagandaaktivist scheint daran zu verzweifeln; ihm fällt nichts Dümmeres ein, als Öl in das Feuer zu gießen, über das sie mit irren Schuldzuweisungen klagen! An Merkels epochalem Zerstörungswerk haben dieselben Aktivisten nichts auszusetzen. Sie gehören gefühlt zu ihrem Hofstaat und glauben, dass ihr Gebell "gut ankommt". Mit dem AfD-Wähler haben sie nicht gerechnet!

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