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Wochenrückblick: Bildungstest im Pressespiegel

In der vergangenen Medienwoche ging es um Bildung in Deutschland, speziell um die Schülerleistungen in Mathematik und Naturwissenschaften. Und auch ein wenig um die Leistungen der Medien, zumindest auf der Metaebene.

Das „Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen“ (IQB) veröffentlichte die Testergebnisse aus den einzelnen Bundesländern. Wer die Tabelle ansieht, dem kommt Robert Walsers „Jakob von Gunten“ in den Sinn: “Man lernt hier sehr wenig, es fehlt an Lehrkräften, und wir Knaben vom Institut Benjamenta werden es zu nichts bringen.“ Was leider nicht nur für die Knaben und für ein paar Institute gilt. Die Resultate fallen ziemlich eindeutig aus: Halbwegs ordentliche Ergebnisse erzielen nur noch Schüler in Süddeutschland. An der Spitze in den Mathe-Leistungen liegt mit deutlichem Abstand Sachsen – das Bundesland, um das sich die wohlmeinenden Medien traditionell die meisten Sorgen machen. In Sachsen erreichen 56,6 Prozent der Schüler den Regelstandard in Mathematik, nur 14 Prozent verfehlen ihn, zur Spitzengruppe zählen 6,5 Prozent. In Bayern schaffen 55,2 Prozent das Soll, 17,2 Prozent verfehlen die Mindestanforderungen, die Spitzengruppe liegt bei 6,2 Prozent.

In Berlin – vorletztes Land – erreichen nur 38,4 Prozent die Mindestanforderungen, mehr als jeder Dritte – 33,9 Prozent – bleibt unter dem Soll, zur Spitzengruppe zählen nur 2,9 Prozent. In Bremen, dem Tabellenletzten, erwerben nur 28,6 Prozent aller Schüler eine Grundkompetenz im Rechnen, niederschmetternde 40,6 Prozent bleiben unter dem Mindestmaß. Zur Spitze gehören verschwindende 1,8 Prozent.

Wie gehen Medien mit dem Ergebnis um?

Am konsequentesten macht es die Tagesschau: Sie nennt in ihrer Zusammenfassung auf tagesschau.de den Spitzenreiter Sachsen überhaupt nicht, und verzichtet auch auf alle konkreten Ergebnisse. In der Redaktion der Hauptnachrichtensendung macht man sich vielmehr Gedanken über das Geschlechterverhältnis:
„Jungen sind laut der Studie von Negativtrends häufiger betroffen als Mädchen. Mädchen lägen in allen Fächern vor den Jungen – Mathematik ausgenommen. Nichtsdestotrotz schätzen Mädchen ihr Können und ihre Interessen auch in den Fächern Chemie und Physik schlechter ein als die Jungen.“

Das stimmt zwar im Schnitt. Nur sind Mädchen in Bremen eben bedeutend schlechter dran als Jungen (und Mädchen) in Sachsen, dem „dunkelsten Bundesland Deutschlands“ (Der Stern).

Beim Rundfunk Berlin-Brandenburg, der gewissermaßen aus dem Zentrum der Misere berichtet, präpariert man das eigentliche Problem heraus: den allgemeinen Neuntklässler. „Neuntklässler schneiden in Naturwissenschaften schlecht ab“, lautet die Überschrift auf der Webseite des öffentlich-rechtlichen Senders. Eine Zusammenstellung der Zahlen mutet der RBB seinem Publikum nicht zu.

Der Deutschlandfunk verzichtet ebenso auf die Nennung von Zahlen aus dem IQB-Ranking. Dafür filtert der Sender einen wichtigen Trend heraus: „Hart trifft es drei ostdeutsche Bundesländer“. Tatsächlich hatten sich im Vergleich zum letzten Text Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen verschlechtert. Allerdings rangieren sie immer noch weit über Berlin und Brandenburg, Thüringen steht sogar noch auf Rang drei. Dass sich aus dem Test ein ziemlich deutliches Nord-Süd-Gefälle ergibt (auch Baden-Württemberg hält sich noch halbwegs gut) – die Feststellung findet sich weder bei Tagesschau, Deutschlandradio, Spiegel Online und etlichen anderen Medien.

Könnten die Unterschiede nicht nur an der Himmelsrichtung liegen, sondern auch an der Schulpolitik? Dass die einzigen beiden Bundesländer, in denen die Leistungen stabil hoch blieben – Sachsen und Bayern – eine reaktionäre und von allen progressiven Experten verdammte Schulpolitik verfolgen, mit gegliedertem System, verbindlicher Gymnasialempfehlung, Leistungsorientierung, sogar hier und da Frontalunterricht – und dass es sich bei den ohnehin schon schlechten und immer weiter absackenden Tabellenletzten um rot-rot-grün-regierte (Bremen vorher lange rot-grün) regierte Länder handelt, wo man weiß, dass Faktenwissen überschätzt und Kompetenz im Kommen ist – diese Beobachtung findet sich in praktisch keinem qualitativ hochstehenden Medium.

Stattdessen zitiert der Deutschlandfunk den hessischen Kultusminister und Präsidenten der Kultusministerkonferenz Alexander Lorz mit einer, nun ja, Überlegung, woran es denn liegen könnte:
„Das ist eine Frage, die wir noch nicht abschließend beantworten können. Das ist erst mal eines der wichtigsten Ergebnisse dieser Bestandsaufnahme, aber in den zuständigen Ministerien rauchen bestimmt schon jetzt die Köpfe, um sich genau über diese Dinge Gedanken zu machen und das herauszufinden.“

Woran liegt es also bloß? Am Migrantenanteil jedenfalls kaum. Der beträgt im erstplazierten Sachsen 11,6 Prozent, in dem sehr viel schlechteren Mecklenburg-Vorpommern liegt er mit 9,4 Prozent darunter, im schlechten Brandenburg mit 12,1 Prozent nur unwesentlich höher. Und beim zweiten Tabellenführer Bayern wiederum sind es 28,9 Prozent. Und auch nicht an den Ausgaben pro Schüler: die differieren deutschlandweit zu wenig, um die extremen Leistungsunterschiede zu erklären.
Eine so gut wie nirgends zitierte Deutung lautet übrigens so: „Dass Bayern und Sachsen so robust dastehen, liegt vielleicht auch daran, dass diese Länder so wenig an ihren Schulsystemen herumexperimentieren.“
Sie stammt von Petra Stanat, der Direktorin des IQB.

Aber gut: Sachsen bekommt demnächst eine schwarz-rot-grüne Koalition; die neu in die Regierung einrückenden Grünen gehören zu einem Bündnis, das experimentieren will und vor allem mehr Gesamtschulen in Sachsen fordert. Denn „obwohl sie als erfolgreich gelten und beliebt sind“, klagte der Deutschlandfunk kürzlich, würde diese Schulform in dem unsympathischsten Bundesland Deutschlands bisher von der Regierung stiefväter- und mütterlich behandelt.

Beliebt und erfolgreich sind übrigens auch die Medien, die über einen bildungspolitisch wichtigen Test so berichten, dass sich ihr Publikum die eigentlichen Fakten am besten woanders zusammensucht. Oder gleich bei den dunkelsten Medien Deutschlands nachliest.

 

 


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13 Responses
  • Dr. Mattias Fischer-Stabauer
    21. Oktober, 2019

    Wie so häufig kann ich nur sagen: Vielen Dank für Ihre Mühen.
    Ich hatte mich tatsächlich bei der oberflächlichen Lektüre in unseren Hauptmedien (in meinem Fall die Augsburger Allgemeine) bereits gefragt, wo hier konkretere Ergebnisse sind. Mangels Zeit und auch Willen habe ich mich aber nicht auf die Suche danach begeben.
    Deswegen nochmals herzlichen Dank, dass ich wieder einmal hier Aufklärung finde, die eigentlich selbstverständlich auch in vermeintlichen Leitmedien zu finden sein sollte.
    Bitte weiter so!!!!

    • Marion Schrezenmaier
      22. Oktober, 2019

      Ich schließe mich Ihnen voll und ganz an und danke den recherchierenden Journalisten sehr für Ihre Mühe.

  • Libkon
    21. Oktober, 2019

    Wenn ich Ihren sehr gut recherchierten Bericht recht verstehe, so haben alle von Ihnen genannten (Massen-) Medien die in Rede stehenden Fakten manipuliert und nicht „bloß“ berichtet. So etwas wäre bei denen noch vor Jahr und Tag unbemerkt durchgegangen, weil es zu der Zeit keine alternative Medien gab. Es handelt sich also hier klar um Fake-News. Um was denn sonst, ist man geneigt zu sagen.

    Leser/Zuschauer/Hörermanipulation vom „Feinsten“ und das Schlimme: der sog. unbedarfte, bzw. träge Medienkonsument merkt es noch nicht einmal, weil er nur vorsätzlich manipulierte Corporate News liest, sieht und hört. Darauf bauen diese Medien. Zynismus pur.

  • Peter Groepper
    21. Oktober, 2019

    lieber Herr Wendt, meinen herzlichen Dank für Ihren ausgezeichneten Journalismus möchte ich auf zweierlei Art zum Ausdruck bringen. Einmal hier mit Worten und einmal dort mit €

  • Berger
    21. Oktober, 2019

    Das passt schon. Was sollen wir in einem deindustrialisierten Deutschland mit Leuten, die die Basics der Mathematik beherrschen und damit ein MINT-Fach studieren wollen?
    Klimaneutrale Gender-Studies sind die Zukunft!

  • Georg B. Mrozek
    21. Oktober, 2019

    Ich schließe mich Dr. Mattias Fischer-Stabauer an und bedanke mich ebenfalls dafür, dass Sie die Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Medien erledigen und uns über den Zusammenhang bzw. im Detail informieren. Falls ich irgendwann in meinem Dasein jemals selber bestimmen darf, wen ich mit meinen abgepressten Gebühren unterstütze, dann erhalten Sie einen großen Anteil – gerne und verdienterweise.

  • Gerhard Sauer
    22. Oktober, 2019

    Ich schließe mich den Danksagungen der werten Mitkommentatoren für Ihre Arbeit an. Zugleich will ich als Außenstehender den hessischen Kultusminister bei seiner Recherche nach den Ursachen für das miserable Abschneiden der Schüler aus rot-grün regierten Bundesländer unterstützen. Ich schlage vor, einmal den Organisationsgrad der Lehrer in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) für die Bundesländer zu ermitteln. Diese Gewerkschaft lehnt m. W. ab, von Schülern ein Mindestmaß an Anstrengung und Leistung zu fordern. Sie wird deshalb auch gern als Gewerkschaft Erziehung zum Warmduschen bezeichnet. Ich stelle nun die Hypothese auf, daß die Höhe des Organisationsgrades negativ korreliert mit den Fähigkeiten der Schüler: Je mehr Lehrer der GEW angehören, desto schlechter sind die Leistungen der Schüler in dem betreffenden Land. Also, lieber hessischer Kultusminister, untersuchen sie bitte auch diese Hypothese, bevor sie sich in Spekulationen über die Vorteile von Gesamtschulen z. B. verlieren.

  • Hein Tiede
    22. Oktober, 2019

    Ich habe über 30 Jahre an zwei bayerischen Hauptschulen unterrichtet, zuletzt an einer Kooperation zwischen Berufs- und Hauptschule. Letztere hat inzwischen den hochtrabenden Titel “Mittelschule” erhalten. Immer wieder hat mich geärgert, dass sich bayerische Bildungspolitiker auf ihre relativ gute Platzierung im Ranking der Schulen behaupten konnten. Auch in Bayern sind Schulräte, die doch auch die Bildungspolitik beraten sollten, nicht an den wirklichen Zuständen an ihren Schule interessiert. Erfolgsmeldungen sind erwünscht, sonst droht stärkere Kontrolle. Das setzt sich dann in die Schulleitungen fort. “Die Klassenarbeiten sind schlecht ausgefallen? Wie schlecht haben Sie denn gearbeitet, Kollege!” Sitzenbleiben? Oh, die Schülereltern kennen einen Anwalt! Auch die Schulempfehlungen sind für die Katz. Ich bin selbst angegangen worden, weil mein schlechtester Schüler, der die “Mittlere Reife” so gerade bekommen hat, gerne auf eine Fachoberschule wollte, zu der nur die besten kommen. Die FOS war auch zu feige, die eindeutige Aussage des Zeugnisses zu akzeptieren und gab dem Schüler ein Schreiben mit, das mich fragte, ob ich nicht doch die Eignung des Schülers bestätigen könnte. Da ich dies nicht tat, warf mir seine Mutter vor, dass ich dafür verantwortlich sei, dass ihr Sohn auf der Straße landen würde.
    Bayern folgt den Sünden (Inklusion, Elternwille, Schreiben nach Gehör….) der anderen Bundesländer verlässlich mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung.

  • Steffen Lindner
    22. Oktober, 2019

    So, so, Thüringen ist also in den letzten Jahren etwas abgerutscht. Sollte es etwa an der rot-rot-grünen Regierung liegen…?

  • Lisa_S
    22. Oktober, 2019

    Lieber Herr Wendt, auch von mir vielen Dank dafür, dass Sie diese Studie so genau, nüchtern und sachlich aufschlüsseln. Ohne Wertungen, Drehungen und Wendungen und sonstige Verschleierungen, wie man sie leider in vielen anderen Medien lesen musste. Gut, dass es Ihren Blog gibt!

  • Andreas Dumm
    22. Oktober, 2019

    Klasse! Und: Danke!!!

  • pantau
    22. Oktober, 2019

    Vielen Dank Herr Wendt für die Aufklärung. Ich habe den Fehler gemacht und bin Ihrem Link auf den Bericht vom Deutschlandfunk gefolgt; mit dem Ergebnis, daß ich mich jetzt erheblich ärgere. Denn dort wird ausgerechnet der Spitzenreiter Sachsen als Problemfall dargestellt, wo man tüchtig umstrukturieren müsse. Und nach wessen Expertise? Nach der eines gewissen Herrn Melzer. Es sind immer dieselben Gestalten…

    Wenn nur Sachsen Nr.1 wäre, wäre das schon eine Schlappe, aber daß gleichzeitig ausgerechnet Berlin u. Bremen Schlusslicht sind, erfüllt wohl den Tatbestand überwertigster Signifikanz…

    Wie patzig muss der Qualitätsmedienbetrieb drauf sein, diese Signifikanz so vollständig und fast durch die Bank zu leugnen….

  • Katharina Pehle
    23. Oktober, 2019

    Ich schließe mich den Danksagungen der Vorredner vorbehaltlos an.
    Mir würde zudem eine sehr probate Methode für einen langfristigen Leistungsvergleich einfallen: einfach mal die Abituraufgaben aus den 1960er Jahren von den Kandidaten lösen lassen.
    Nach Auskunft einer mittlerweile im Ruhestand befindlichen bayerischen Gymnasiallehrerin würden “alle, aber ausnahmslos alle, einen Knall-Sechser schreiben ..”

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