Manchmal gibt es ikonische Fotos, in denen sich ein politischer Moment verdichtet. Das Foto sollte allerdings zu diesem Moment passen.
Manchmal ist die Versuchung des Journalisten groß, eine Geschichte passend zum Foto zu erzählen. So wie eine WELT-Autorin in ihrem Text über die kommende US-Wahl, Donald Trump und die Unterschiede zwischen der Politik des Präsidenten und Angela Merkel. Das Blatt baut seine Geschichte rund um ein Foto auf, das die Staatschefs der G 7 am 9. Juni 2018 in La Malbaie, Quebec bei der Debatte um das Abschlussdokument zeigt.Das Foto zeigt Merkel, die sich auf den Besprechungstisch stützt und mit Donald Trump zu reden scheint. In der Bildunterschrift der WELT heißt es:
„Momentaufnahme mit Symbolcharakter: Angela Merkel redet Donald Trump auf dem G-7-Gipfel in Quebec ins Gewissen – ohne Erfolg“.
In dem Text selbst heißt es:
„Ein Moment der transatlantischen Entzweiung, eingefangen mit der Kamera: Kanzlerin Angela Merkel stützt die Hände auf den Tisch und lehnt sich energisch nach vorn. Auf der anderen Seite sitzt Donald Trump, die Arme verschränkt, das Kinn trotzig in die Höhe gereckt. Es war der G-7-Gipfel vor drei Jahren – das erste Treffen führender Industrienationen, bei dem ein Dissens in die gemeinsame Abschlusserklärung aufgenommen wurde. Obwohl die anderen sechs Staats- und Regierungschefs argumentierten, lockten, drohten: Der US-Präsident weigerte sich, sich zum Pariser Klimaschutzabkommen zu bekennen.“
An dieser Geschichtserzählung stimmt außer dem Datum und den Namen der Beteiligten praktisch nichts. Um mit dem Foto zu beginnen: Es gibt nicht die eine Aufnahme von der Besprechung, sondern mehrere. Allerdings eben das eine, das damals Merkels Presseteam weiterreichte, und das fast alle deutschen Zeitungen druckten: Merkel, wie sie vermeintlich Trump „ins Gewissen redet“.
Der deutsche US-Korrespondent Fabian Reinbold twitterte damals ein Quartett von Aufnahmen, die das Geschehen jeweils aus einer anderen Perspektive zeigen und von den PR-Mitarbeitern der jeweiligen Staatschefs verbreitet wurden:
Wer das Foto der vermeintlichen Merkel-Trump-Konfrontation genau anschaut, dem fällt auf, dass nicht Merkel spricht – sondern Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der neben ihr steht. Und er redet, wie die Aufnahmen unten zeigen, in Richtung des kanadischen Premiers Justin Trudeau auf der anderen Seite des Tischs.
Merkel ist nur Zuhörerin – wie Trump.
Von der Besprechung existieren also zahlreiche Aufnahmen aus allen möglichen Winkeln. Deutsche Medien hätten auch dieses Foto verbreiten können:
Völlig absurd wird allerdings die WELT-Erzählung, wenn die Autorin behauptet, bei dem Treffen (beziehungsweise auf der fotografierten Besprechung am 9. Juni) hätten die Regierungschefs versucht, den störrischen Trump zum Klimaschutz zu bekehren:
„Obwohl die anderen sechs Staats- und Regierungschefs argumentierten, lockten, drohten: Der US-Präsident weigerte sich, sich zum Pariser Klimaschutzabkommen zu bekennen.“
Denn um die Pariser Vereinbarung ging es in La Malbaie nur ganz am Rand, verhandelt wurde dazu gar nichts. Den Rückzug aus dem Abkommen hatte Trump schon am 1. Juni 2017 verkündet, also fast genau ein Jahr vor dem Treffen in Quebec. Kein Teilnehmer erwartete ernsthaft, dass der US-Präsident dort eine seiner wesentlichen politischen Festlegungen ändern würde. Schon gar nicht unter Druck. Die Vorstellung von einer Angela Merkel, die dem amerikanischen Staatschef „ins Gewissen redet“, offenbart eine bemerkenswert kindliche Vorstellung vom Ablauf eines Gipfeltreffens.
Bei dem G 7-Treffen von 2018 und dem heftigen Streit über das Abschlussdokument ging es um ein ganz anderes Thema: den Handelsstreit sowohl zwischen den USA und der EU als auch zwischen den USA und Kanada. Kurz vor dem Gipfel hatte die US-Regierung einen Strafzoll von 25 Prozent auf Stahl und 10 Prozent auf Aluminium für Importe aus der EU und Kanada verhängt. Die EU antwortete mit der Androhung von Sonderzöllen auf mehrere US-Güter, etwa Motorräder von Harley-Davidson und auf Bourbon. Auch Kanada und Mexiko kündigten entsprechende Einfuhrzölle auf amerikanische Waren an.
Statt zu einer Entspannung kam es auf dem Treffen in Quebec noch zu einer Streitverschärfung zwischen Trump und Trudeau, die neben dem Handelskonflikt auf eine tiefe Abneigung zwischen beiden beruhte. Während der Konferenz, wütete Trump per Twitter, sei Trudeau in der Handelsfrage noch „mild und sanftmütig“ („mild and meek“) gewesen, um dann die US-Zölle auf einer eigenen Pressekonferenz als „beleidigend“ zu bezeichnen. Trump antwortete umgehend mit neuen Strafzöllen auf kanadische Milchprodukte.
Am 9. Juni schien es noch so, als könnten sich die anderen Staatschefs mit Trump auf einen formelhaften Konsens als Abschlusserklärung einigen. Einen Tag später erklärte Trump, er werde dem Abschlussdokument nicht beitreten.
Im Juli 2018 besuchte der damalige EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker Trump in Washington, beide handelten einen Kompromiss aus, mit dem sowohl die angekündigten Stahl- und Aluminiumzölle der USA als auch die Antwort der EU vermieden wurde.
Fazit: Weder fing das Foto von La Malbaie, das laut WELT die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA sinnbildlich zeigen soll, eine wirkliche „transatlantische Entzweiung“ ein, noch redet Merkel darauf Trump „ins Gewissen“. Um das Pariser Klimaabkommen ging es auf der Konferenz nicht. Und Merkel spielte auf dem Treffen in Quebec 2018 wie auch bei der späteren Verhinderung des Zollkriegs nur eine Nebenrolle.
„Fast alles, wofür Berlin außenpolitisch steht, lehnt das Weiße Haus derzeit ab“, kommentiert die WELT-Redakteurin weiter – so, als ob Berlin der Taktgeber der Weltpolitik wäre, und die USA (und andere) entweder zustimmen oder ablehnen müssten. Die „Wiederwahl Trumps“, weiß die Journalistin, „käme aus deutscher Sicht einer Katastrophe gleich“. Was genau wäre dann katastrophal? Und wer bestimmt „die deutsche Sicht“? Journalisten, die in den vergangenen vier Jahren im Monatsrhythmus das Ende Trumps voraussagten? Die ihn wie der Spiegel 2016 als zerstörerischen Kometen aufs Titelblatt hoben, der auf die Erde zurast („Das Ende der Welt, wie wir sie kennen“)?
Oder eine Redakteurin, deren Text zu Trump wie ein Schulaufsatz wirkt: ‘Denk dir eine Geschichte zu dem Foto aus’?
Der WELT-Text steht exemplarisch für die US-Berichterstattung vieler deutscher Medien: An Fakten erfährt der Leser wenig bis nichts. Dafür aber alles über die Haltung des Journalisten. Die kennt er allerdings schon mehr als ausreichend.
Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.
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Kommentare anzeigen (12)
"An dieser Geschichtserzählung stimmt 'außer dem Datum' und den Namen der Beteiligten praktisch nichts. "
Öööhh . . ., - nein, nein, - von der rein sachlichen Desorientiertheit geht auch die zeitliche - (respektive, falls wir die 'drei Jahre' gelten lassen wollen, die räumliche -, zwischen Taormina und Quebec sind's gut sechseinhalbtausend km - Luftlinie -) offenbar deutlich tiefer: . . .
" Angela Merkel redet Donald Trump auf dem G-7-Gipfel 'in Quebec' ins Gewissen . . .
und : . . .
"Kanzlerin Angela Merkel stützt die Hände auf den Tisch und lehnt sich energisch nach vorn. Auf der anderen Seite sitzt Donald Trump, die Arme verschränkt, das Kinn trotzig in die Höhe gereckt. Es war der G-7-Gipfel vor drei Jahren – das erste Treffen führender Industrienationen, . . . "
"Im Juli 2018 besuchte der damalige EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker Trump in Washington, beide handelten einen Kompromiss aus, mit dem sowohl die angekündigten Stahl- und Aluminiumzölle der USA als auch die Antwort der EU vermieden wurde."
Ja, doch, da war der Schan-Klood stark engagiert. Die ...
"Androhung von Sonderzöllen auf [. . .] Bourbon."
... hat ihn möglicherweise etwas alarmiert. >;D
(Hmm, ... laufen Mitbringsel von Staats(oder so ähnlich)-besuchen eigentlich unter 'Diplomatengepäck'? )
War nach dem nächtlichen TV-Duell Trump/Biden so um den Schlaf gebracht, dass ich mir noch die ersten Bewertungen von CNN und BBC ansah. CNN begann umgehend, das schon vor der Übertragung entfachte "Trump-Bashing" fortzusetzen. Die BBC-Kommentatoren blieben wohltuend distanziert, hatten Stärken und Schwächen beider Kandidaten im Blick und bemühten sich um differenzierte Betrachtungsweisen.
Deutsche Sender habe ich mir erspart. Für die meisten Journalisten hierzulande - Ihre WELT-Kritik belegt es glasklar - scheint es völlig ausgeschlossen zu sein, dass Trump als Präsident möglicherweise auch die ein oder andere richtige Entscheidung getroffen haben könnte.
Der alte deutsche Größenwahn, nur anders lackiert. D ist schon wegen seiner extremen Exportabhängigkeit immer am kürzesten Hebel. Schlechtes politisches Personal und Problemimport kommen dazu.
Zu Ihrem Artikel über das Merkel-Bild (im blauen Blazer) u. den WELT-Artikel dazu: Ich finde das Auftreten Merkels auf diesem Bild unangenehm! Aber es passt zur deutschen Weltsicht. Nachdem die New York Times
die Kanzlerin zur "Führerin der freien Welt" und der "westlichen Werte" hochstilisiert hatte (nach dem Abgang Obamas), fühlen sich die Deutschen sehr geschmeichelt!! Das ist die Rolle, die sie gerne einnehmen wollen! Und die meisten Medien u. Schreiber bei uns sehen das auch so. Früher, unter Hitler, waren die Deutschen die Schurken u. Bösen, jetzt wollen sie die Besten der Besten sein!! Und die mächtige, moralisch so hochstehende Kanzlerin bietet diesem Schurken und Gauner Trump Paroli! Das ist die Botschaft, die sie verbreiten wollen!
Schulaufsatz trifft es genau. Meist erkennt man dummes und falsches Zeug schon an der Ausdrucksweise.
Meine generelle Erfahrung: Dummheit beim Schreiber korreliert auffallend häufig mit Erziehungs- und Belehrungsversuchen. Ab einem gewissen Grad von Dummheit gleitet das dann ab in Beschimpfungen.
Dem deutschen Qualitätsjournalismus ist Haltung oberstes Gebot. Da sind sekundäre Tugenden wie Wahrheit und Fakten halt Kollateralschäden, falls sie denn je entlarvt werden. Wie viele solcher Propagandageschichten mag es noch geben, bei denen niemand die Zeit findet, eine solch sorgfältige Analyse und Aufarbeitung zu machen. Vielen Dank, Herr Wendt, dass Sie sich die Zeit genommen haben!
Der Welt-Artikel mag als Lesestoff Zeitverschwendung sein. Lesenswert ist dagegen immer noch Mark Twains Rede 'License of the Press' vom 31.3.1873. Neben hellsichtigen Prognosen späterer Entwicklungen bezeichnete er die Zeitungen seiner Zeit als "lying vehicles". Man muss das nicht wörtlich nehmen. Man muss nicht DIREKT lügen, um die beabsichtigte Unwahrheit zu kommunizieren. Dementsprechend sollte man auch nicht von "Lügenpresse" reden, sondern vielleicht von "Täuschen, Tricksen, Tarnen-Presse" - allerdings auch mit gelegentlichen direkten Lügen dazwischen.
Es ist Jahrzehnte her, als ich einen Bericht der dt. Arbeitsverwaltung vor mir hatte - und erstaunt feststellen musste, dass die Alpenprawda dessen Kernaussage ins genaue Gegenteil verkehrte. Auf meine entsprechende Anfrage kam von der SZ eine höhnisch klingende Antwort "Das ist journalistische Freiheit".
Relotius hat zahllose Vorläufer, die hier weniger bekannt sind. Der rasende Reporter Egon Erwin Kisch fälschte bereits seine erste Reportage. Janet Cooke von der 'Washington Post' bekam für ihre Reportage über ein heroinabhängiges Kind den Pulitzerpreis, musste ihn aber zurückgeben, als bekannt wurde, dass sie alles frei erfunden hatte.
Hans Leyendecker vom 'Speigel' behauptete, er habe eine zuverlässige Quelle, nach der der RAF-Terrorist Wolfgang Grams von der Polizei "hingerichtet" worden sei. L. hat m.W. bis heute seine angebliche Quelle nicht offengelegt, obwohl sich die ganze Räubergeschichte als krasse Lüge entpuppte. Mittlerweile mimt Leyendecker selbst das Opfer der Fehlinformation.
Solche Geschichten liessen sich fast ad infinitum auflisten. Deshalb empfinde ich die wütenden Reaktionen von Journalisten auf "Lügenpresse"-Vorwürfe (trotz der oben gemachten Einschränkung - es wird häufiger indirekt getäuscht als gelogen) schon als Beispiel von einer recht unverschämten Chuzpah. Noch frecher finde ich die Abwälzung des 'fake news'-Problems auf die sozialen Medien.
Die Situation mancher Journalisten begünstigt vielleicht Lügen und Täuschen. Man muss Quellen nicht unbedingt offenlegen, man steht unter Zeit- und anderem Druck, man muss verkaufbare Produkte basteln, sich in der Konkurrenz behaupten sowie die ideologische Linie der Redaktion bedienen. Gründliche Recherche, wie sie Herr Wendt betreibt, ist mühsam und zeitaufwändig. Und wo der Mensch kann, geht er oft eben den Weg des geringsten Widerstandes - Erfinden von Stories ist weniger intellektuell anspruchsvoll als das gründliche Eruieren von Fakten und Zusammenhängen.
Und - man muss es leider so sagen - viele Journalisten sind von ihrer Aufgabe schlicht überfordert. Wenn in einem grossen Blatt steht, die Währung eines Landes verfalle, und deshalb gerate die Exportindustrie in Probleme, dann ist das schon ein Anlass zum Schenkelklopfen. Oder auch jene typischen Beispiele, bei denen die Sensation verkündet wird, dass Partei x in der neuesten Umfrage ganze 2 % dazugewonnen habe!
Diesen Helden der Halbbildung scheint niemand erzählt zu haben, was ein Statistikfehler ist. (Solche Dinge findet man durchaus in "Qualitätsblättern" !).
Erbitternd für Leser ist, dass ausgerechnet solche Leute uns erzählen wollen, was wir als moralisch zu empfinden und zu glauben haben. Die meisten Menschen sind gewillt, wenigstens zuzuhören, wenn anerkannte Autoritäten ihnen Ratschläge geben oder ihnen eine bestimmte Sicht eines Problems nahebringen. Wenn ein Sebastian Haffner, ein Raymond Aron, ein Scholl-Latour, ein Ruge.... irgend etwas gesagt oder geschrieben hat, dann habe ich darüber ernsthaft nachgedacht.
Aber das GROS der Journalisten ist wirklich die letzte, allerletzte Gruppe von Menschen, die uns die Milch der frommen Haltungsart einbläuen dürfen.
Jedes Foto aus einer für Merkel günstigen Perspektive ist doch heutzutage ein Geschenk für die Medien. Viele solcher Fotos gibt es ja nicht ... Da wird dann passenderweise eine Story drumherum gestrickt. Hervorragend entlarvt ...
Irgendwo las ich einmal in den Freien Medien die Bezeichnung: Linksrotgrüne "Journaille-Kanaillen", das trifft vermutlich auch bei den jetzt mit über 200 Mio. Steuergeld gekauften Print-Medien vollkommen zu.