von Jürgen Schmid
Oft ist die Rede davon, dass Soziologie und Politologie eine linke Deutungshoheit vorgeben. Das ist sicherlich richtig, wenn man bedenkt, dass elf von 39 grünen MdB-Frauen Politikwissenschaften studiert haben (was mit knapp 30 Prozent exakt dem Anteil von Politikwissenschaftlern in der Gesamtbevölkerung entspricht), während bei unter 40-jährigen grünen MdBs zwei von drei dieses Fach absolviert haben – als einzige Berufsausbildung. MINT-Fächer sucht man in jenem Milieu vergebens, sieht man von der Orchideen-Promotion eines Anton Hofreiter ab.
Niemand aber spricht von Ethnologen als Wachheits-Gurus. Dabei inszenieren sich diese Wissenschaftsvertreter als Speerspitze der Avantgarde bei mediengängigen metapolitischen Themen wie Urbanisierung, Gender, Migration oder Antirassismus. Ein Volkskundler alter Schule wie Leopold Kretzenbacher definierte sein Fach als „die Begegnung mit dem Volk“, als Beschäftigung mit dem „Denken und Fühlen“ breiter Kreise der Bevölkerung, wozu Bräuche im Lebenslauf, das Wohnen, Kleiden und Essen, der (Aber)Glaube und nicht zuletzt das Erzählen über das Leben erforscht wurden.Wie die moderne Deutungs-Avantgarde aus den Universitäten in die Gesellschaft diffundiert – und wie wenig die Gesellschaft jenen Sozialingenieuren entgegenzusetzen hat – verdeutlicht ein gescheitertes Interview des Verfassers:
S.: Grüß Gott, Herr F. vom „Eine Welt Netzwerk“. Ich habe eine Frage zum Rassismusdiskurs.
F.: Ich bin dafür kein kompetenter Ansprechpartner.
S.: Im Vorgespräch haben Sie erzählt, wie sehr Sie sich wundern (und auch ärgern), dass alle Gesellschaftswissenschaftler, die von der Universität in die NGO-Arbeit einsteigen, nur noch ein Thema kennen – Rassismus. Und damit nahezu jede Veranstaltung, bei der dieses Thema nicht ganz zu oberst auf der Agenda steht, sprengen …
F.: Ja, wir wundern uns schon über die Lieblingsthemen engagierter Unter-30-Jähriger.
S.: Aber Sie wollen mir nichts Näheres darüber berichten?
F.: Es ist so, da mach’ ich keinen Hehl draus: Was aus dieser Debatte für Probleme erwachsen können …
S.: Sie sprechen davon, Probleme zu bekommen, wenn Sie an einer Debatte teilnehmen? Stimmt es denn aus Ihrer Sicht, was immer mehr Menschen immer heftiger beklagen: Dass man in Deutschland nicht mehr offen seine Meinung sagen kann?
F.: Das kann schon sein. In Hamburg ist ein Verein [das Eine Welt Netzwerk Hamburg] daran kaputtgegangen [2018]. Da entsteht eine Diskussion, die irgendwann nicht mehr zu stoppen ist.
S.: Von welcher Art Diskussion sprechen Sie da konkret?
F.: Manche versuchen, jede Diskussion auf Schwarz und Weiß zurückzuführen.
S.: Aber mehr wollen Sie über den Rassismusdiskurs aus Ihrer Sicht nicht erzählen?
F.: Nein. Ich bin da nur ein Lauschender.
Agendawissenschaftler wollen die Welt verbessern
Machen Sie sich den Spaß, und öffnen Sie die Internet-Seite des Instituts für Europäische Ethnologie (ehemals: Volkskunde) der Humboldt Universität Berlin: Dort werden Sie mit dem Hashtag „#BlackLivesMatter“ begrüßt und dem Aufruf. „Kein Rassismus vor unserer Haustür! Mohrenstraße umbenennen und als Ort postkolonialen Zusammenlebens neu denken“. Das Institut, muss man wissen, residiert in der Mohrenstraße 40/41, was man im Kontaktformular umgeschrieben hat zu „Møhrenstraße 40/41“. Korrekter Humor eben.
Wussten Sie, dass Sabine Hess für die Organisation Seebrücke („Wir haben Platz“) spricht? Als Professorin in Göttingen widmet sie sich der Migrations- und Grenzregimeforschung und produziert Sätze wie diesen: „Im Gegensatz zu Matteo Salvini steht Carola Rackete auf der Seite des Rechts. (Was wirklich geschah: Italien sperrt seine Häfen. Kapitänin erzwingt Einfahrt durch Rammung der Küstenwacht.) Dieses Recht zu verteidigen, ist die Aufgabe aller, die in einem Europa leben wollen, in dem Menschenrechte mehr sind als Worthülsen“, erklärt die Erstunterzeichnerin des Aufrufs „Freiheit für Carola Rackete“. (Dazu muss angemerkt werden: Rackete saß keinen einzigen Tag im Gefängnis, weder in Untersuchungs- noch gar in Strafhaft).
Anfang Februar 2020 kritisierte Hess namens der Seebrücke Göttingen („Schafft sichere Häfen!“) die Zustände in griechischen Flüchtlingslagern. Der NDR berichtete: „Jetzt hat das Bündnis die Stadt und den Landkreis Göttingen in einem offenen Brief aufgefordert, Druck zu machen. Stadt und Landkreis sollten erklären, wie viele freie Plätze sie in ihren Aufnahmeeinrichtungen haben, so die Forderung.“
Der Rosa-Luxemburg-Stiftung antwortet die Migrationsforscherin („Es gibt auch in Deutschland eine Kontinuität städtischen Ungehorsams“) auf die Frage „Was macht eigentlich eine Solidarity City aus?“: „Eine Stadt, in der keiner Angst vor Abschiebung haben muss, […] eine Stadt also, die die Politiken des Grenzregimes unterläuft, sich widersetzt. Voraussetzung dafür sind Bürger*innen, die die Aktivitäten der Ausländerbehörde beobachten, die sich Abschiebungen entgegenstellen […].“
Hess’ Meisterschüler Bernd Kasparek, ebenfalls „Migrationswissenschaftler“, glänzt im taz–Dissens-Podcast mit „Fuck you Festung Europa, Entgrenzung jetzt!“ und versteigt sich zur These, Grenzen seien historisch betrachtet eine junge Erscheinung. Jung? Wer in deutschen Landen vor 1870 eine Reise von 300 Kilometern zurücklegen wollte – wie viele Grenzen standen ihm dabei im Weg? Wann wurde eigentlich der Limes errichtet? Wann die Chinesische Mauer? Das wären Fragen eines lesenden Textarbeiters.
Diese neue Art Wissenschaftler hat sich von jeder wissenschaftlichen Tätigkeit im weitesten Sinne entkoppelt. Sandra Kostner spricht von „Agendawissenschaftlern“, deren selbstdefinierte Aufgabe es ist, bestimmte politische Forderungen zu stellen: „Der Professor als Aktivist ist ein Vorbild, das sich durchgesetzt hat.“ Besser als an der verbeamteten Polit-Aktivistin Hess kann man nicht illustrieren, was Niall Ferguson kürzlich in der Neuen Zürcher Zeitung beklagt hat.
Ein Wesenskern ethnologischer Aktivismuswissenschaft ist die Verdrängung nahezu jeder historischen Dimension aus dem Fach. Schon 1993 stand im Spiegel zu lesen, wie vollumfänglich „die Totalherrschaft der Gegenwart […] dem Individuum jede Anwesenheit von unaufgeklärter Vergangenheit, von geschichtlichem Gewordensein, von mythischer Zeit rauben und ausmerzen will“, und zwar in Botho Strauß’ Zeitdiagnose „Anschwellender Bocksgesang“. Solange vergangene Wirklichkeit zu analysieren ist, setzt die Überlieferung Leitplanken zu ihrer Interpretation: Reinhart Koselleck sprach von dem „Vetorecht der Quellen“. Entledigt man sich der Korrekturinstanzen des Gewesenen, lassen sich viel leichter Forderungen für die Gestaltung der Zukunft aufstellen. Fast könnte man meinen, moderne Gesellschaftswissenschaftler verstünden sich als Sozialingenieure getreu der berühmten Feuerbach-These von Karl Marx: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern.“ Warum aber soll eine Zukunftswerkstatt weiterhin Wissenschaft genannt werden?
Amerikanische linksintellektuelle Anthropologen, die ungefähr das machen, was in Deutschland Ethnologen betreiben, versuchten seit den 1970er Jahren Machtstrukturen zu entlarven, wobei sie mittels “Research up“ Eliten kritisch hinterfragten: “Finding and analyzing the networks of power”, dieser Ansatz bringe eine „humane” Wissenschaft erst hervor, “a science of man for man”. So können wir es in ”Reinventing Anthropology“ von 1972 bei der großen, heute 90-jährigen Laura Nader lesen.
Deutsche Ethnologen der Jetztzeit lehnen solche Eliten-Kritik ab und glauben vielmehr, jede Eliten-Kritik skandalisieren und Elite-Kritiker kritisieren zu müssen, jetzt, da die akademischen und zunehmend auch die gesellschaftlichen Eliten selbst links stehen. Auf den Punkt brachte es 2018 die Göttinger Tagung „Gegen die Eliten!“: Die im Titel zitierte Haltung sei „ein Schlachtruf des Populismus“, wobei „der Auseinandersetzung mit der rechtspopulistischen Variante der Elitenkritik und ihren Widersprüchen bei der Konferenz eine zentrale Rolle“ zukomme.
So faul spielt auch die Politikwissenschaft. Für Karsten Fischer, Lehrstuhl für Politische Theorie des Geschwister-Scholl-Instituts der Münchner LMU steht fest: „Trumps Flüchtlingspolitik, Erdogans osmanischer Traum, Putins starke Staatsrhetorik, der Aufstieg der Rechtsextremen in Europa sind nur einige aktuelle Beispiele von Populismus.“
Heißt: Populismus, das sind entweder die anderen. Oder er kommt von rechts. Zu besichtigen im Forschungsprojekt von Fischer-Mitarbeiterin Astrid Séville, wo unter der falschen Flagge “varieties of populism“ die „Phänomenologie eines Antipopulismus“ erarbeitet wird, also Populismus nicht ergebnisoffen untersucht, sondern aktivistisch „Gegenmaßnahmen“ zum rechten Populismus vorgeschlagen werden sollen.
Mit „Kulturen der Weltlosen“ in die Zukunft
Werfen wir einen Blick auf die Museumslandschaft. Stets am Rande des Irrsinns: Das „Wiener Volkskundemuseum“. Als „zukünftiges Haus der Kulturen der Weltlosigkeit” entwirft man (und viel frau) „eine Sammlung ohne Ort, eine Geschichte ohne Subjekte, ein Volk ohne Folgen. Der Fülle der Welthaftigkeit setzt es das Poröse der Kulturen der Weltlosen entgegen.” (Eine Anfrage bei Monty Pythons zu deren Anteil am Wiener Geschehen blieb bisher leider unbeantwortet.) In der Corona-Krise kündigte das „Museum der Weltlosen“ an: „Am 24.4.2020 findet der 5. weltweite Klimastreik statt, und wir sind mit #MuseumsForFuture beim Online Streik mit dabei.“ Im Universitätsinstitut der österreichischen Hauptstadt beklagt man das „EUropäische Abschieberegime“, und präsentiert die Medienanthropologin Işıl Karataş auf Arte, die während des Corona-Lockdown „alltägliche Geräusche“ aufnahm. Das Wiener „Museum für Völkerkunde“ wollte sich 2013 nicht lumpen lassen, es firmiert seither unter „Weltmuseum Wien“, getreu der Habermas’schen Theorie: „Eine politische Verfassung für die pluralistische Weltgesellschaft“. In München heißt es nicht mehr: „Gehen wir ins Völkerkundemuseum?“ sondern: „Treffen wir uns im ‚Museum Fünf Kontinente – Weltoffen seit 1862’.“
Ein Schildbürgerstreich besonderer Art gelang der „Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde“, den Vertretern einer außereuropäischen Ethnologie: 2017 warf man den fast 90 Jahre alten Namen über Bord, und gebar ein Wortungeheuer namens „Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie (DGSKA)“. Die Diskussionen um die Neu-Benennung sind ein verstörendes Dokument der Auflösung.
Gegen den Begriff „Völkerkunde“ wurde ins Feld geführt: „Verknüpfungen zwischen völkerkundlicher Theoriebildung & Forschung mit rassenideologischem und völkisch-nationalistischem Gedankengut des 19. und frühen 20. Jahrhunderts“. Völlig nachvollziehbar wird darauf verwiesen, dass „Völkerkunde“ „heute keine Entsprechung mehr an universitären Instituten“ habe, und deshalb eine Dachgesellschaft dieses Namens keinen Sinn ergebe, wenn es kein Haus zu beschirmen gelte. Nach dieser Logik hätte die Wahl auf ‘Gesellschaft für Ethnologie’ fallen müssen, den aktuellen Namen fast aller deutschsprachigen Institute. „Ethnologie“ aber wurde abgelehnt, da der „Begriff der Ethnie im kolonialen Kontext (analog zu Volk) problematisch besetzt“ sei. Mit der Entscheidung für „Sozial- und Kulturanthropologie“ tritt nun die paradoxe Situation ein, dass eine Gesellschaft, die sich sprachlich wieder an die akademische Wirklichkeit anbinden wollte, nun erst recht keinen Bezug mehr erkennen lässt zu den akademischen Fachinstituten landauf, landab. Dazu kommt der missliche Umstand, auf den Kritiker vor der Entscheidung hingewiesen haben: dass „Sozialanthropologie als Teilgebiet physischer Anthropologie [ihre] Blütezeit in der Nazizeit mit Rasseforschung“ hatte und „’Anthropology’ beispielsweise an afrikanischen Universitäten stark mit Kolonialzeit assoziiert“ würde (womit der Begriff eigentlich tabu ist). Eine neue Runde im Umbenennungswettrennen jenes akademischen Faches, das wir lange Zeit als „Völkerkunde“ kannten, wetterleuchtet also am Horizont.
Von „globalen Dynamiken“ und „interdependenten Logiken“
Auch die altehrwürdige Deutsche Gesellschaft für Volkskunde (DGV) hat angekündigt, sich 2021 umzubenennen und des lästigen Volks zu entledigen. „Welt. Wissen. Gestalten“ – so bescheiden lud man letztes Jahr zum Kongress. Wer den goldenen Herbst mit „globalen Dynamiken“, „Transformationsprozessen“, „Dynamisierungen“ und „interdependenten Logiken“ anreichern wollte, begab sich im Oktober 2019 nach Hamburg. Eine Auswahl von Highlights (ohne Gewähr für Vollständigkeit): „Workshops“ zu „Forschungsdatenmanagement“ und „Digital Humanities“. Fakultativ: „Ethnografische Theorie kollaborativ fügen“, „Wissen skalieren“, „Nachhaltigkeit perspektivieren“.
Was bewegt Deutschland aus Sicht der DGV? „Transnationale Genealogien von Gesellschaftsskizzen“ (München). „Subjektivierungspotenzial von Gegendiskursen“ (Kiel). „Heterodoxe Welt(en)interpretation“ (Ingolstadt). „Kulturerbe als Wissenspraktik“ (Berlin). „Verknüpfungen von Teilhabe und Konsum, Kommodifizierung und Agency im Kontext von [eigentlich egal, aber es sei:] Massen Gaming Events“ (Bonn). „Datenökonomie: Subjektivierung als Objektivierung“ (Kassel). „Methodologische Reflexionen zur audiovisuellen Repräsentation identitärer Spannungen“ (Chemnitz). „Konfigurationen und soziomaterielle Praxen“, „Resilienz als urbanes Regime“, „Digitale Materialität“ (alle Hamburg). Mein persönlicher Favorit: Sabine Hess mit ihren Beiträgen „’Femonationalistische’ Ambivalenzen: Eine genealogische Betrachtung genderpolitischer Verstrickungen [besser: Involvationen] in Migrationspolitiken“ und „Rekonfigurationen des Politischen: Machtformationen und Wissensordnungen im Kontext europäischer Grenzpolitiken“.
Wie sagte ein berühmter Emeritus so zweisilbig auf die Frage, was er davon halte: „Unfug“.
Der Marburger Lehrstuhlvertreter Manfred Seifert offenbart in seiner Biographie den kurzen Weg von der Volkskunde zur Europäischen Ethnologie: Er begann seine akademische Karriere mit Studien über „Kachelofen und Wohnraumheizung“, heute ist er befähigt, dem „arbeitenden Menschen“ einen „Status als stabile substanzielle Entität“ zuzuweisen, dessen „Arbeitsleistung“ er „als Teil der anthropologisch fundierten Aktivität bzw. als eine Form der Teilsublimierung“ versteht. Nur wer solch ein Kauderwelsch spricht und schreibt, besitzt überhaupt noch eine Chance auf eine akademische Karriere in den Gesellschaftswissenschaften, wo ein Frankfurter Institutskolloquium sich beschäftigt mit: „ER,SIE,ES – Re-Lektüre des cyberpunk-feministischen Romans von Marge Piercy unter Bedingungen aktueller technischer Machbarkeit“.
Niemand geringeres als die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert seit 2013 das Mainzer Projekt „Wie entstehen Väter und Mütter?“. Stefan Hirschauer und sein Team der „Gender Studies“ haben die „geschlechtliche (Ent)differenzierung pränataler Elternschaft“ entdeckt, einer Elternschaft, die neben Singles und lesbischen Paaren auch „schwangere (schwule bzw. transsexuelle) Männer“ ereilen kann – jedenfalls in der modernsten Forschung.
Im kommenden Corona-Winter wabert im Tübinger Vorlesungsverzeichnis 2020/21 der Lehrplan gewordene Zeitgeist: „’Queer durch Tübingen’. Seminar zu lokalen Erinnerungsorten der LSBTTIQ+-Community“, „Kulturforschung Diversität: Vielfalt des Alltags“, „Unternehmensethnographie im regionalen Innovationssystem“ (ein wenig Anbiederung an den bösen Kapitalismus darf sein, man will ja später Geld verdienen), „Umkämpfte Erinnerung: Denkmalstürze, Rückgaben und Straßenumbenennungen“. Letzteres analysiert, dass „in Berlin Straßen neu benannt werden, weil ihre Namensgeber nicht länger tragbar erscheinen“.
Das ist der geschlossene Kreis: Akademiker der Ethnologie fordern als Aktivisten eine Straßenumbenennung (siehe oben), was von Ethnologen untersucht wird, um, Tusch: von weiteren Ethnologen als Beleg dafür zitiert zu werden, dass es einen Diskurs um Straßenumbenennungen gibt, damit die nächste Generation von Ethnologen neue Benennungen fordern kann.
Abschied vom Volk – Abschied vom Minderwertigkeitskomplex
Der Volkskundler traditioneller Prägung beschäftigte sich – sein Name sagt es – nicht mit Königen und Rittern, nicht mit Fugger und Faust, modern gesprochen: nicht mit Ministern und Managern, mithin: Eliten, sondern: mit dem Volk. Mit Krethi und Plethi.
Daraus resultierte ein latenter Minderwertigkeitskomplex derer, die akademische Volkskunde betrieben. Sie waren nolens volens die Resteverwerter dessen, was von der festlich gedeckten Tafel ihrer akademischen Adelsverwandtschaft abfiel: Hat der Kunsthistoriker in den erlauchtesten Galerien von Paris bis St. Petersburg unter erlesensten Porträts von Königsgeschlechtern und ersten Bürgern in ihren feinen Garderoben seine Wahl getroffen, bleibt dem Volkskundler: Der elende Wichs des Bauern auf der Votivtafel von Maria Hilf in Schneizlreuth. Wo der Literaturwissenschaftler Parzival, Faust und Buddenbrooks genießt, liest der Volkskundler: Das Märchen von Aschenputtel. Musikologen schwelgen in Mozarts Symphonien, Volkskundler sammeln: Schlager wie „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“. Und als Höhepunkt der Demütigung – das Museale: Während das Bayerische Nationalmuseum den Silber beschlagenen Salontisch auf Eichenfüßen mit ebonisiertem Ahorn und Marmorplatte aus dem Appartement der Königin Karoline in der Münchner Residenz präsentiert, zeigt das Freilichtmuseum an der Glentleiten: Das wurmstichige Aborthäusl vom Hinteregger Xare neben seinem Misthaufen.
Der Volkskundler neuer Prägung will das „Volk“ nicht nur wegen dessen völkisch-national(sozialistisch)-rassistischer Kontaminationen im Dunkel der Geschichte zurücklassen. Mindestens ebenso groß ist seine Erleichterung, dass er mit entvolkten modernen Fachbezeichnungen wie ‚Empirische Kulturwissenschaft’ und ‚Europäische Ethnologie’ endlich den Geruch des Misthaufens abstreifen kann.
Selbst im betulichen Augsburg widmet sich nun die universitäre Ethnologie einem Hauptthema der kosmopolitischen Avantgarde: dem „Kampf gegen Rassismus“. Ein Seminar „Drei Möhren für die Fuggerstadt? Koloniale Vergangenheit und postkolonialer Alltag in Deutschland“ klärt mutig darüber auf, „wie wenig Bewusstsein für die zahlreichen (K)Erben der deutschen Kolonialgeschichte bis in die Gegenwart herrscht“ und „wie salonfähig Rassismus hier in Deutschland ist“ – auch wenn der „umstrittene“ Hotel-Name und deutsche Kolonialgeschichte so viel miteinander zu tun haben wie Möhren und Butterkekse. Die Augsburger „Mohren“ gehen ins Mittelalter zurück, als der Legende nach ein Gastwirt drei halb erfrorene abessinische Mönche in seinem Haus überwintern ließ. Also das Gegenteil von Rassismus, sondern ein frühes Beispiel für Willkommenskultur.
Das sind Zustand und Innenleben einer akademischen Disziplin, die gerade zu Grabe getragen wird – im Namen eines Gottes namens Political Correctness. Ein Trauerspiel erster Güte. Die Ethnologen selbst nennen es wahrscheinlich „woke“, neudeutsch für: „erwacht sein“.
Gute Nacht, Universität.
* Ein Problem der modernen Universität ist, dass viele Disziplinen nicht nur die Inhalte ihres Fachs bis zur Unkenntlichkeit verändern, sondern auch ihre Namen. Deshalb muss betont werden, dass dieser Beitrag schwerpunktmäßig eine universitäre Disziplin betrachtet, die lange Zeit als Volkskunde bekannt war und sich jetzt zusehends als Europäische Ethnologie versteht, was zu Verwechslungen mit jener Disziplin führen kann, die traditionell als Völkerkunde geführt wurde – und nun Ethnologie heißt.
Jürgen Schmid ist Historiker und freier Autor.
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Eigentlich hat Dietrich Schwanitz in seinem Roman "Der Campus" schon vor einem Vierteljahrhundert den Niedergang deutscher Hochschulen prophezeit. Er konnte nur das Ausmaß des ganzen Elends nicht vorhersehen. Wahrscheinlich ein Glück für ihn, dass er's nicht mehr erleben musste. Mich deucht, dass die Indoktrination mit "Wokeness" inzwischen die des marxistisch-leninistischen unseligen DDR-Angedenkens in den Schatten stellt.
Aber ich sehe es trotzdem mit einer gewissen Erheiterung. Solche "Wellen" – mögen sie auch zu "Kaventsmännern" der Verblödung heranwachsen – brechen gesetzmäßig. Schaden anrichten können sie allerdings.
Rackete ist auf den Schlepperbooten kein Kapitän. Allenthalben eine Bootsführerin. Die Boote laufen registriert z.B. als Vergnügungsboote, auch unter holländischer Flagge. Seegehende Fahrzeuge werden nicht aufgrund ihrer Größe oder der Nutzung, sondern nur! durch den Eintrag ins Schiffsregister des Flagstaates zu Schiffen. Der Zweck zum Eintrag ist die Kauffahrtei. Niemand wird ein Fahrzeug mit dem Geschäftsziel "Menschenhandel" ins Register eintragen lassen. Und nur auf einem Schiff (siehe oben) gibt es einen Kapitän und diese Position wird durch den Reeder, die Reederei oder den Eigner benannt. Rackete ist auf den Schlepperbooten kein Kapitän, auch wenn sie ein Patent haben mag. Wohlan...
Volkskunde und Völkerkunde kennt ihren Gegenstand, was daraus gemacht wurde von untüchtigen Fachidioten wird hinweggefegt werden und schon bald niemanden interessieren. Es widerspricht dem Gesetz der Einfachheit, das allein zum Herzen des intelligenten Hörers oder Lesers dringt und in diesem etwas Nennenswertes bewirkt.
Also: Bullshit.
Im Grunde sind die Argumente, die Haltung und Umbenennungsorgie der neudeutschen Helden des woke ein weiterer Beweis für die Infantilisierung der pseudowissenschaftlichen Randfächer. Während der Jurist, der Architekt oder Mediziner irgendwann Verantwortung für sein Handeln übernehmen müssen und große Summen für seine Haftpflichversicherung zahlen, kann man den Denkern über „Methodologische Reflexionen zur audiovisuellen Repräsentation identitärer Spannungen“ noch nicht mal unterstellen, dass sie in ihrem Minderwertigkeitskomplex die Verantwortung für sich selbst übernehmen können. Natürlich gibt es auch keine Museumsleiter die dem widerstehen könnten. Warum auch? Wenn sich jemandem die Welt nicht erschließt, dann neigt er dazu sich der Interpretation hinzugeben, die die meiste soziale Akzeptanz des vorhandenen Milieus hergibt. Dass es dafür noch nicht einmal ein Bewusstsein braucht, spielt den Agitatoren und Agenten der Tansformation ins Amorphe nur in die Hände.
Völlig einverstanden. Frage aber: Wer beruft solche Personen? Wer gibt denen in Fachzeitschriften und anderen Blättern sowie diversen Medien eine Bühne? Wer weicht vor denen zurück? Kann man da nur als Emeritus und/oder Rentner öffentlich die Stimme versuchen zu erheben?
Herr Schröter, es sind die Entscheidungsträger, die zurückweichen, weil sie für eine sachbezogene Entscheidung in der veröffentlichten Meinung keinen Rückhalt erfahren. Es wäre Aufgabe der Medien, dem Leser aufzuzeigen, welcher nutzlose Unfug an den Universitäten produziert wird. Der Steuerzahler, der sein Geld damit verdient, Monat für Monat einen verwertbaren Nutzen zu bieten, würde der Politik genügend Druck machen. Die universitäre Blase würde so rasch platzen.
Ich habe den Bericht mit Würgen und Unmut gelesen, nicht etwa, weil der Autor etwas falsch machte, ganz im Gegenteil. Nein, es würgt mich, dass unser ehem. DLand (wo ist nur unser Deutschland geblieben?) vor unseren Augen verrotten soll. Allerdings liegt die Hauptschuld bei der linken Politik, die nicht aus Versehen all diese sog. Professorenstellen erst installierte, um die Unis quasi von innen zu zerstören, nämlich unsere NORMALE Welt, damit die Ideologen walten sollen. Das ist keine Evolution, sondern eine Revolution, wie es sie seit den Menschenfeinden Lenin/Stalin und Mao mit Millionen Toten nicht mehr gegeben hat. Und diese Revolutionen sind allesamt dennoch GUT ausgegangen, oder?
Die Hauptschuld liegt bei denen, die aufgehört haben selbstständig (politisch) zu denken und entsprechend (nicht) wählten.
Drei Möhren für die Fuggerstadt – da hätte Tucholsky gesagt – das tertium comparationis ist: Sozialismus, Beethoven und Stachelbeerkompott – also Schwachsinn.
Aber früher sagte man: Die Psychologie ist die Wissenschaft, die dir sagt, was Du weißt, aber in Worten, die Du nicht verstehst. Wenn sich jetzt die Gender-Ideologie der Ethnologie bemächtigt (siehe Hess), geht es ja nicht mehr nur um das banale Nicht-Verstehen, sondern um die vollkommene Veralberung.
Getarnt als Ministry of Silly Walks - Monty Python waren schon immer seherisch begabt.
Denn das betroffene „Volk“ reagiert nach der Methode der „asymmetrischen Demobilisierung“ – das heißt aktives Ignorieren – weil offensichtlich strunz-dumm. Das wäre aber ein elementarer Fehler. Und das ist UNSER Problem.
Man könnte auch einen Blick auf die Frankfurter Museumslandschaft werfen: auf das Museum der Weltkulturen (früher Völkerkundemuseum), wo drei Monate lang „in Kooperation mit der Sea-Watch e.V.“ Propaganda für Rackete & Co. gemacht wurde: „SW5Y – Fünf Jahre zivile Seenotrettung“ hieß die Ausstellung, und hier waren ausschließlich Weibsen am Werk: Jelka Kretzschmar, selbst „Vollzeit-Aktivistin“ auf dem Schleuserschiff, kuratierte die Schau zusammen mit Kustodin Leonie Neumann, beaufsichtigt von Frau Dr. Eva Raabe, der neuen Leiterin des Museums. Und da wir keine funktionierende Presse mehr haben, fragt auch keiner, ob derlei Propaganda auf Kosten der Steuerzahler überhaupt statthaft ist. Die kleinen Bildchen sahen übrigens ziemlich dilettantisch aus:
https://www.facebook.com/events/283139252745296/
Schmids Text kann ich leider nicht lesen, weil mir schwindlig vor Augen wird. Wäre es möglich, mit der Kursivierung plus Anführung sparsamer umzugehen?
Anlässlich der Namensdebatte bin ich gerade dabei, einen Aufruf zur Vernetzung der "alten Volkskundler" zu formulieren. Dabei geht es mir nicht nur um die Sicherung der erarbeiteten Wissensbestände, sondern auch um die Frage einer (wenigstens stark eingeschränkten) Fortsetzung abgebrochener Forschungszweige, vor allem aber auch die Aufrechterhaltung einer gewissen methodischen Strenge - und vor allem die (Rückkehr zu der) Einsicht, dass jede Wissenschaft eine solche methodische Strenge erfordert. Im Augenblick überwiegt bei den neueren "Kulturanthropologen" das kindliche Vergnügen, dass man jetzt "alles machen kann", ohne sich an Regeln sei es der Philologie, sei es der Psychologie (Experiment) oder der Soziologie (Quantifizierung) halten zu müssen. Dazu kommt dann die Bezauberung durch einen Jargon, von dem man eher beherrscht wird als dass man ihn beherrscht.
Dahinter verbirgt sich freilich - das sollten wir nicht vergessen - das Elend einer Studentengeneration, die außerhalb der Hochschulen und einer (für die Volkskundler) abnehmenden Zahl von Museen bloß in der Politikberatung unterkommen kann! Der Unterschied zwischen einer Politisierung aus Begeisterung und einer Politisierung aus Verzweiflung ist vielleicht gar nicht so groß.
Gute Idee! Danke!
Einen lachsen Umgang mit Methode und Richtung kann ich als Volkskundeabsolvent bestätigen. Als Student kann man sehen was man sehen will. Eine Validierung der genutzten Methoden existiert ebenso wenig wie eine Ethik der Werturteilsfreiheit oder kritischen Distanz. Im akademischen Betrieb kommen dann die weiter, die gut durchhalten, nicht immer die klügsten.
Warum sollte der Niedergang dieses Landes die Universitäten (einst Vorbild für die ganze Welt) aussparen? Dieses Land mit einer der höchsten Steuer- und Abgabenquoten der Welt leistet sich eine teure Armee, die das Land nicht verteidigen könnte, statt dessen im Brunnenbohren in der Wüste brilliert, eine Polizei, die mit Wasserwerfern auf Rentnerinnen losgeht, aber vor der Silvester- und Partyszene kneift, eine "Mannschaft", deren Trainer dem Vernehmen nach 4 Millionen im Jahr kostet, die 0:6 verliert, und - nach Amtsantritt einer gewissen Dauerkanzlerin - Minister, die reihenweise getürkter Doktorarbeiten überführt werden. Ich habe eigentlich keine Fragen mehr, außer der, wem es nützt.
Wessis sind schon eine launische Erfindung Gottes zu seiner eigenen Belustigung.