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Das Spielzeug muss unter die Decke

Wie gehen andere Länder mit Covid-19 um? Belgien ist nach wie vor das Land mit der weltweit höchsten Todesrate pro Einwohner. Die Regierung verordnet dem Land eine verwirrende Teilstillegung – bisher ohne durchschlagenden Erfolg. Archi W. Bechlenberg beschreibt, wer was (nicht) darf. Und warum Supermärkte einen Teil ihrer Waren verstecken

von Archi W. Bechlenberg

 

„Das ist ja hier wie bei uns zur Pessach-Zeit“ sagt Freund Joshi und verdreht die Augen.

„Wieso? Gibt es bei Colruyt jetzt auch Gefilte Fisch?“ frage ich zurück, und Joshi verdreht die Augen um weitere 180 Grad.

„Ahnungsloser! Pessach, das ist eins der wichtigsten jüdischen Feste! In der Woche zuvor darf nichts Gesäuertes im Hause sein, nicht einmal Staub und Krümel von Brot, und überhaupt nichts, das aus bestimmten Getreiden hergestellt wird.“

„Kein Bier? Kein Whisky? Grundgütiger! Und was hat das jetzt mit dem belgischen Edelsupermarkt bei mir im Dorf zu tun?“

„Na, als ich heute den Colruyt besuchte, waren ganze Abteilungen mit Planen verhängt oder abgedeckt. Das macht man in Israel genau so mit den zur Pessach-Zeit verbotenen Speisen!“

„Und was machen die Israelis, denen religiöse Vorschriften am Derrière vorbei gehen?“

„Die kaufen ihr Brot so lange beim Araber.“

In der Tat – wer zur Zeit des zweiten Lockdowns in Belgien einkaufen geht, erlebt Ähnliches allenthalben. Da ganze Branchen zwangsstillgelegt wurden, dürfen aus staatlich verordneter Solidarität Geschäfte, deren hauptsächliches Angebot – Lebensmittel – zur unverzichtbaren Lebensführung gehört, die aber auch manches Nichtessbare verkaufen, nun nicht mehr mit Verzichtbarem handeln. Bei Aldi, Lidl oder Colruyt gibt es daher vorerst kein Spielzeug mehr, keine Hausschuhe, keine Weihnachts-CDs, keine Federkissen. Nur Kerzen sind erlaubt. Um nicht alles wegräumen zu müssen, hat man die Ware daher auf unabsehbare Zeit abgedeckt. So wie in Israel das Saure.

Wer behauptet, es seien überwiegend (wenn nicht ausschließlich) wurstige Beamte in Verwaltungen und Ministerien zugange, hat keine Ahnung davon, mit welcher Akribie an Maßnahmenkatalogen für den Kampf gegen das tödliche Virus gearbeitet wird. Ich möchte jedenfalls nicht in nächtelangen Sitzungen mit Experten darüber beraten müssen, ob ein Architekt weiterhin eine Hausbegehung durchführen darf (er darf), ob Babyausstattungsgeschäfte offen sein dürfen (sie dürfen, sofern sie nur Hygiene- und Pflegeprodukte verkaufen, aber keine Kleidung, Spielzeug, Kinderwagen, Möbel), ob Ausstellungsräume von Großhandelsgeschäften betreten werden dürfen (nur von Gewerbetreibenden) und ob Optiker und Hörgeräteakustiker geöffnet haben können (ja, da sie medizinische Hilfsmittel anbieten).

Gastronomische Betriebe? Zu, alles zu. Dürfen Heimwerkermärkte offen bleiben? (Ja, sofern sie keine Gartenmöbel zum Verkauf anbieten). Dürfen Fotografen noch ihre Dienste anbieten? (Nein, außer, sie knipsen Bilder, die für Ausweispapiere und andere erforderliche Unterlagen notwendig sind). Dürfen Friseure noch Menschen und Pudel scheren? (Nein. La Petite Fiffi kann auch mal ein paar Monate wie eine Wollmaus aussehen). Was ist mit Nightshops? („Unter Nightshop versteht man eine Niederlassungseinheit, deren Nettohandelsfläche 150 m² nicht überschreitet, die keine anderen Tätigkeiten als den Verkauf von Lebensmitteln und Haushaltswaren ausübt und die ständig und sichtbar die Aufschrift “Nightshop” trägt.“) Die dürfen bis 22 Uhr offen sein. Und Tankstellen? „Tankstellen und angrenzende Geschäfte werden nicht als Nightshops betrachtet und müssen daher nicht um 22 Uhr schließen.“

Aber wie verträgt sich das mit der ohnehin gültigen Ausgangssperre ab 22 Uhr? Die gilt nämlich nicht nur für Ausgänge, sondern auch für Ausfahrten. Auf wen wartet der Tankwart dann nach 22 Uhr? Darauf, dass er ab 6 Uhr am nächsten Morgen nach Hause darf?

Für Gerichtsvollzieher gibt es zum Glück kein Berufsverbot. Und auch Zentren zur Selbstmordprävention (vermutlich bald noch überlaufener als Intensivstationen) können weiterhin Gutes tun, die Mitarbeiter müssen nur die Maßnahmen des Social Distancing einhalten. Jemanden durch ein persönliches Gespräch vor Ort im letzten Moment vom Dach oder der Brücke holen – das geht vorerst nur aus sicherer Entfernung.

Wer seinen Kummer lieber ertränken möchte, muss vorplanen: Der Verkauf alkoholischer Getränke ist zwischen 20 Uhr und 5 Uhr verboten. Was aber sowieso kaum anders möglich wäre, da ja die allgemeine nächtliche Ausgangssperre herrscht. Die wird landesweit streng überwacht, außer in gewissen Stadtteilen von Brüssel, zum Schutz der Polizei vor den Anwohnern. Es gab bereits etliche Verletzte (Polizisten, nicht Anwohner).

Man sieht: Es haben Experten in endlosen, Tag und Nacht währenden Sitzungen daran gearbeitet, einen Maßnahmenkatalog zu erstellen, der allen Eventualitäten gerecht wird. Ich habe nur einen ganz kleinen Teil der Ge- und Verbote aufgeführt. Das ganze Regelwerk kann hier studiert werden.
Bin ich froh, dass ich damit nichts zu tun hatte als anerkannter Nichtexperte.

Die auch in Belgien erfolgreich tätige Firma Aldi musste in den letzten Tagen einen besonderen Shitstorm über sich ergehen lassen. Da man die 32 Seiten des wöchentlich landesweit erscheinenden Prospektes ohne die nichtkoscheren Produkte nicht mehr voll bekam, hatte man die verhängnisvolle Idee, ihn einfach halbe-halbe mit der flämischen und der französischen Version zu drucken. Aus beiden Landesteilen gab es empörte Proteste. Das ginge ja nun gar nicht, eine Postwurfsendung, in der die Sprache dieser anderen Typen zu lesen sei! Wo käme man denn da hin? Aldi versuchte sich auf einen Fehler in der Druckerei rauszureden. Da konnten sie aber was erleben.

Ich bin gespannt, wie der nächste Prospekt aussehen wird. Er liegt Dienstag im Briefkasten. Der Briefträger darf nämlich noch kommen. Sofern er die Maßnahmen des Social Distancing einhält.

 

 


Vor kurzem erschien sein Buch “Streifzüge durch Ostbelgien” in einer erweiterten Neuauflage.

 

 

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Redaktion:

Kommentare anzeigen (8)

  • Archi Bechlenberg klärt über die Seelenverwandtschaft der Politbürokraten auf: So sieht die EUdSSR aus, wenn man sie lässt. Nein: Nicht mehr der Klassenfeind - also der böse kapitalistische Westen, das von Imperialisten in Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, Großbri-... - nein, die fallen in eine Extra-Kategorie besonders hartgesottener Menschheitsverderber - nicht mehr das höchste, letzte, parasitäre und faulende Stadium des Kapitalismus (Lenin) muss vom siegreichen Proletariat in die lichte Zukunft des Kommunismus gewendet werden, es bedarf zunächst einer Transformation der durch hemmungslose Konsumorientierung korrumpierten Bevölkerung in eine gehorsame, für umfassende staatliche Kontrolle gegen Viren, Klimakrise, Nazis, Rassisten, Covidioten, Verbrenner,... dankbare kollektive Heilsgemeinschaft. Das gelingt nur, wenn durch bis ins Privateste detailliert ausformulierte Regelwerke die Verführten auf den rechten Weg gebracht werden. Es geht voran! Den Sozialismus in seinem Lauf...

    • Stimmt, Herr Sennewald, die Seelenverwandtschaft der Infektionsschutzgesetze in der Dikatur EU ist verblüffend. Großbritannien dürfen Sie aber gerne in die Aufzählung integrieren. Da geht's mindestens so streng zu wie im Rest der Welt. Immerhin, vom 25. bis 27. Dezember dürfen sich im UK bis zu zwei Haushalte, wenn sie nicht aus mehr als 10 Personen bestehen, den obligatorischen Truthahn munden lassen. Bei Tesco haben sie jetzt eine Verkehrsampel: nur bei Grün dürfen (selbstverständlich maskierte) Kunden den Laden betreten. Morgens um 6:30 ist meistens grüne Welle. Bill Gates muss gestoppt werden, sonst bricht noch der Krawattenzwang aus.

  • Ich war früher oft - sehr lange her - in Belgien. Damals gab es noch kein Covid-19. Das Land ist so wunderbar beschrieben, die Mentalität, daß ich es erkannt hätte, auch ohne seinen Namen im Titel. Ich mochte damals Belgien, aber ich mußte auch oft lachen.
    Denn irgendwie ist es ein komisches Land. Vielen Dank für die Beschreibung! Dadurch habe ich mich an viele Sachen von neuem erinnert.
    lg
    caruso

  • Wohl wahr, Herr Sennewald. Belgiens oberster Coronalobbyist ist übrigens ein bekennender Extremlinker, von seinen Gegnern auch "Dr. Hass" oder "Pitbull" genannt. Aus Protest gegen die seiner Ansicht nach zu freizügigen Verbote und Gängelungen ist er im Sommer sogar für einige Zeit in "Beratungsstreik" getreten.

  • Erschreckend, wie sich große Teile der westeuropäischen Bürger nahezu freiwillig verdummen und drangsalieren lassen. Da scheint einiges an der Fähigkeit zum selbstständigen Denken in den letzten Jahrzehnten des geerbten Wohlstandes verloren gegangen zu sein. Ein fataler Hang zur gut gemeinten Diktatur! Die allgegenwärtigen 68er und die Netzwerker des ganz großen Geldes haben in den Medien und Institutionen ganze Arbeit geleistet. Wie wird man später einmal dieses folgende Zeitalter bezeichnen? Poststalinistischer klerikaler Neofeudalismus?

  • Jetzt haben Sie es geschafft! Die Parasiten übernehmen das Wirtstier, und wollen es endlich töten!
    Westeuropa ist in der Hand der 68er und deren geistigen Nachfolger in den staatlichen Institutionen, Kirchen, Parteien, Medien und Großkonzerne. Das gesamte System haben sie sich zum Untertan gemacht. Geführt von der "unsichtbaren Hand" der globalen Netzwerker basteln sich jetzt die Neo-Stalinisten gemeinsam mit den globalen Feudalherren der IT Branche und den marxistischen grünen Pfaffen ihre neue Religion im Gewand des angeblichen Klimaschutzes, der politischen Korrektheit, des Gender-Unsinns und was denen noch so alles einfällt. Wir gehen interessanten Zeiten entgegen.

  • 1. Wissen Sie, wie die DDR den Sozialismus ins Land brachte und sich so das Eigentum der Bürger unter den staatlichen Nagel riss?
    Hygienevorschriften u.a., die von den Besitzern der Gaststätten und Hotels nicht finanziert werden konnten. So blieb den meisten nur ein Verkauf zu Preisen, die der Staat festlegte und das Geld landete auf einer Art Sperrkonto. So geschehen von 1949-1960er.
    2. Wieviel Sozialismus wurde uns in Europa untergeschoben?
    3. Gibt es einen Weg nach draußen?

  • So schön kann die EUdSSR sein, wenn man die Bürokraten und Wohlmeinenden nur lässt. Aldi in
    Coronazeiten als Ausblick in eine Zukunft Europas, die uns vom mainstream als erstrebenswertes ökosozialistisches, "klimaneutrales" und bunt-diverses Utopia verkauft wird.

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