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Dialogzentrum Weiße Rose

Nach Trump, so Wohlmeinende, muss eine Ära der Versöhnung kommen. Allmählich schält sich heraus, was gemeint ist: Ein Exorzismus gegen die Falschwähler in den USA und anderswo. So lange, bis endlich die große Heilung eintritt

Darüber, dass vier Jahre lang der Clown im Weißen Haus regierte, herrscht in praktisch allen Qualitätsmedien Einigkeit. Auch darüber, dass mit dem Clown die Tränen gehen, spätestens im Januar 2021, wenn unter Joe Biden, sobald die letzten Stimmen ausgezählt und nachgezählt sind, eine Ära der Versöhnung und des Heilens anbricht.

„Er wird nicht die eine Bevölkerungsgruppe gegen die andere aufhetzen“, findet ein Autor der FAZ stellvertretend für viele Kommentatoren, „nicht einer Hälfte der Bürger per se gute Absichten absprechen.“

Das muss Joseph Robinette Biden Jr. auch nicht unbedingt persönlich tun. Es gibt genügend junge und frische Kräfte in seiner Demokratischen Partei und ihrem Anhang, die zum Zweck der Heilung schon einmal einen neuen Begriff schöpften, der die Richtung vorgibt: den des Trump enabler, des Trump-Ermöglichers. Das beantwortet auch gleich die Frage, wie ein Präsident Donald Trump überhaupt möglich war: Weil ihn 2016 so viele Amerikaner mit falschem Bewusstsein wählten und ihn auch danach unterstützten. Diesen Leuten muss nach Ansicht der demokratischen Kongressabgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez künftig eine erhöhte Aufmerksamkeit gelten.

Auf Twitter fragte sie:

„Archiviert jemand diese Trump-Anhänger, da sie ihre Komplizenschaft in Zukunft herunterspielen oder leugnen? Ich sehe für die Zukunft eine ziemliche Wahrscheinlichkeit für viele gelöschte Tweets, Schriften, Fotos.“
(“Is anyone archiving these Trump syncophants for when they try to downplay or deny therir complicity in the future? I forsee decent probability of many deleted Tweets, writings, photos in the future.“)

Worauf ihr jemand antwortete (und auch gleich die Adresse für sachdienliche Hinweise einfügte):
„Ja, das tun wir. Das Trump-Verantwortlichkeitsprojekt (@trumpaccproject).
Jeder Mitarbeiter der (Trump)-Administration, Wahlhelfer, Bündler, Anwalt, der sie vertrat – alle.“

Ein Antifa Leader namens Adam Rahuba geht noch etwas weiter: Er kündigte ein interaktives Kartenprojekt an, in dem jeder sehen kann, ob sein Nachbar für die Trump-Kampagne etwas spendete:

 

 

Darin ermuntert er jeden Nutzer der Karte, Spender „aggressiv, aber gewaltlos zu konfrontieren“, fügt allerdings einschränkend hinzu: “No safety for fascist enablers.“

Bei Rahuba handelt es sich um einen 38-Jährigen aus Pittsburg, der sich nach Recherchen der Washington Post selbst als ‚Antifa’ und ‚demokratischen Sozialisten’ bezeichnet. Seine Spezialität besteht darin, mit Falschnachrichten im Netz (etwa über eine Flaggenverbrennung in Gettysburg) Trump-Anhänger zu triggern, sie zu möglichst spektakulären Gegenaktionen zu provozieren und ganz generell die politischen Auseinandersetzungen im Land noch ein wenig anzustacheln.

In Straßenpartyszenen nach der Wahl wie hier in Philadelphia zeigt sich schon etwas von einem Milieu, dem Trumps Abwahl ganz offensichtlich nicht ausreicht.

Ganz nebenbei beschwören diese Bilder auch die Vorstellung herauf, welche Straßenszenen sich nach einem knappen Sieg von Trump abgespielt hätten.

Der Begriff Trump enablers erspart vielen im Lager der Liberals praktischerweise die Frage, ob nicht vor allem ihre ziemlich offene Verachtung für das Häuflein der Bedauernswerten, “the basket of deplorables” (Hillary Clinton) Trumps Sieg 2016 erst möglich gemacht hatte.

Rahuba mag ein Troll sein. Bemerkenswerterweise klingt trotzdem er nicht sehr viel anders als Ocasio-Cortez und andere Profipolitiker der Demokraten. Die demokratische Kongressabgeordnete Ilhan Omar bezeichnete Trump in einem Tweet als den „korruptesten, gefährlichsten Präsidenten in der modernen Geschichte”, und skizzierte gleichzeitig, worin sie jetzt die Aufgabe ihrer Partei sieht: „Wir haben die Gelegenheit, die fortschrittlichste Agenda umzusetzen, die unser Land je gesehen hat.” Omars Aufforderung, in das neue Kabinett nur Leute zu berufen, „die kein Blut an den Händfen haben”, wirkt so, als wäre in den USA gerade ein Diktator gestürzt worden, und höchstwahrscheinlich sieht sie das auch so:

 

Gewiss, Biden wird, falls nicht noch Gerichtsurteile zum Wahlablauf dazwischenkommen, im Januar als Präsident vereidigt, Omar, Ocasio-Cortez und andere Parteimitglieder sitzen mit deutlich weniger Macht im Kongress. Allerdings braucht Biden auch den Kongress, da er sich weder auf den Senat noch auf das Oberste Gericht stützen kann. Wobei: Ocasio-Cortez schlug schon vor, die Mitgliederzahl im Obersten Gericht einfach zu erhöhen, um die Wahl der ihr nicht genehmen Amy Coney Barrett zu neutralisieren:

Der Heils- und Versöhnungsplan des wohlmeinenden Lagers umfasst also viele Punkte, von der Einrichtung des Trump-Unterstützerregisters bis zur Neujustierung des Verfassungsgefüges. Wer sich daran stört, für den dürfte es demnächst analog zum Trump enabler das Etikett des Fortschrittverhinderers geben, oder noch einfacher: des Spalters.

In seiner Rede zur Nominierung am 21. August 2020 griff Biden selbst zu dem Bild des Retters aus der Finsternis: „Wenn Sie mich mit der Präsidentschaft betrauen, werde ich auf das Beste von uns zurückgreifen, nicht auf das Schlechteste. Ich werde ein Verbündeter des Lichts, nicht der Dunkelheit sein.“
Vermutlich ergibt sich künftig eine gewisse Aufgabenteilung: Versöhnungsaufrufe von Biden, Trump enabler-Bekämpfungspläne von den Progressisten, die jetzt auf ihre politische Dividende pochen.

Nun verfügen die Vereinigten Staaten über robuste Institutionen, die in den letzten 150 Jahren alles in allem deutlich besser funktionierten als in einem Land, in dem Trump medial wahlweise als weltverschlingender Komet oder als Nationalsozialist mit erhobenem Grußarm dargestellt wurde (letzteres in einem Magazin, das nach dem Krieg von dem Mitglied einer SS-Propagandaeinheit wiedergegründet worden war).

DER SPIEGEL Titel 46/2016

 

Bisher zeigte sich ein sehr großer Teil der Amerikaner sowohl resistent gegen große Gesellschaftsumbaupläne aller Art als auch gegen mögliche Versuche, Verfassungsinstitutionen wie den Obersten Gerichtshof auszuhebeln, oder die exekutive Macht vom Präsidenten- zum Vizepräsidentenamt zu verschieben. Deshalb kann es passieren, dass diejenigen, die jetzt eine noch nie dagewesene progressive Agenda durchsetzen wollen, Millionen Landsleute für genau dieses Beharrungsvermögen anklagen.
Ihre Vorstellung von Heilung läuft darauf hinaus, dass die Trump enabler umkehren sollen und alle Konsequenzen verantworten, falls sie es nicht tun. Diese Doktrin gilt in der gesamten westlichen Linken, nicht nur in den USA. „Trump war kein Zufall“, schreibt Michael Goldfarb im Guardian. „Und das Amerika, das ihn erschaffen hat, ist immer noch lebendig.“ Immer noch – da schwingt die Hoffnung mit, das könnte sich noch ändern.

In Deutschland notierte der Spiegel gerade in seiner Hausmitteilung, in den vergangenen Wochen sei es „um den Fortbestand der amerikanischen Demokratie gegangen” (gut, vor vier Jahren ging es noch um den Fortbestand der Welt, wie wir sie kennen , siehe Trumpkomet). Der frühere Spiegel-Mitarbeiter und Twitterjournalist Hasnain Kazim entwickelt schon einmal eigene Heilungs- und Versöhnungspläne, falls es die Fachkräfte in den USA nicht allein schaffen sollten:

Von Napoleon Bonaparte ist der Satz überliefert, er scheiße auf das Leben von einer Million Männer. Aber 70 Millionen Feindpersonen, das oszilliert irgendwo in dem weiten Feld zwischen Stalin und Dschinghis Khan. Zum großen Glück für die USA und die Menschheit erreicht Kazim nicht ganz das Format der beiden und auch nicht das von Hägar dem Schrecklichen. Aber trotzdem oder gerade darum: Einen besseren Dialogführer und Rückgewinnler als Kazim findet man vermutlich nirgends. Das demonstrierte er schon 2017, in diesem Fall, weil eine Wahl – die Bundestagswahl – nicht ganz nach seinen Vorstellungen verlaufen war, wofür er die Schuld vor allem bei einer Bevölkerungsgruppe ausmachte. Zwar keine 70 Millionen deplorables, aber immerhin:

Über politische Unterschiede lässt sich verhandeln und ein Ausgleich finden, auch eine Versöhnung, falls die Unterschiede schroff waren. Eine kulturelle Verachtung lässt sich nicht per Dialog mit den Verachteten heilen. Höchstens durch eine Verhaltenstherapie für die Verächter, was dort allerdings eine Problemeinsicht voraussetzen würde.

An Kazims Tweet über die Ostdeutschen zeigt sich idealtypisch, dass die Linken von der Ostküste bis zu den deutschen Metropolen vor allem eine kulturelle Verachtung für alle kultivieren, die nicht zu ihrem Milieu zählen. Das Politische kommt erst danach und leitet sich daraus ab, nicht umgekehrt.
Aus der Verachtung der einen ergibt sich zwanglos auch die eigene Selbstwertschätzung. So, wie sich Alexandria Ocasio-Cortez für eine brillante Politikerin hält und nicht etwa für einen Wählerschreck, glaubt Hasnain Kazim vermutlich an seine Strahlkraft weit über sein Milieu hinaus. Jedenfalls ist er sich sicher, auf der hellen Seite der Macht zu stehen.

Sollte er irgendwann zum Kommandeur eines Umerziehungslagers für Falschmeiner werden, bestünde seine erste Amtshandlung wahrscheinlich darin, über dem Eingang das Schild anzubringen:
„Dialogzentrum Weiße Rose.“

 

 


Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.

 


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Kommentare anzeigen (21)

  • Das bringt es auf den Punkt! Mir ist kürzlich auch aufgefallen, dass sich International-Linke (zumindest die heutigen; frühere kann ich nicht so gut einschätzen; künftige nur wenig besser) vor allem dadurch auszeichnen, dass sie den Pöbel zutiefst verachten, dem sie doch aber vordergründig helfen wollen, den Weg ins irdische Paradies zu finden. Vielleicht auch, weil sie diesen Pöbel als undankbar empfinden, verweigert er doch zu großen Teilen die Gefolgschaft. Er scheint sogar dem Gedanken einer nationalen Zugehörigkeit anzuhängen. Und hier entsteht dann die erbitterte Feindschaft zwischen Internationalen und Nationalen Linken. Mein Eindruck ist wirklich, dass da eine sehr große Verachtung herrscht. Aktuell kann man das bei dem Urteil International-Linker über Corona-Demonstranten oder Maskenverweigerer beobachten.

  • Ja, hüben wie drüben gibt es diejenigen, die von Versöhnung schwafeln, die aber gleichzeitig ihre Kampfhunde von der Leine nehmen, damit sie das dreckige Geschäft der Diffamierung, der gesellschaftlichen Ausgrenzung, der Aggression bis hin zur offenen Gewalt erledigen. Drüben verfügen beide Seiten über Waffen, d.h. was da gerade herbeigeredet und -geschrieben wird, ist nichts anderes als Bürgerkrieg mit Ansage. Es wird keine Versöhnung geben, kein Zurück mehr. Hier in Deutschland sind Bürger kaum bewaffnet, d.h. Abweichler und Kritiker sind ihren Verfolgern der mobilisierten AntiFa in ihren Wohnungen und Häusern hilflos ausgesetzt. Und die Presse tut das ihre dazu, wie wir bereits in der Vergangenheit beobachten konnten. Das Gespür, die Überzeugung von Rechtsstaatlichkeit ist uns längst abhanden gekommen. In den USA wird aufgerüstet. In Deutschland wird jeder gehen, der anderswo unterkommen kann. Für diejenigen, die das nicht können, droht eine schwelende Zweifronten-Dystopie, mit fortlaufenden Übergriffen einmal von Links und einmal von den neuen muslimischen Herrenmenschen im Land. Auf Dauer spielen alle Bälle den Letzteren zu. Sobald sie über regionale Mehrheiten verfügen, wird das grausame Spiel kippen und Ruhe wird wieder einkehren - die Friedhofsruhe der Scharia und der bedingungslosen Unterwerfung.

  • Wenn jemand schreibt: „korruptesten, gefährlichsten Präsidenten in der modernen Geschichte”, und dann im nächsten Abschnitt: „Wir haben die Gelegenheit, die fortschrittlichste Agenda umzusetzen, die unser Land je gesehen hat.”, dann leidet er entweder an einer Persönlichkeitsspaltung, oder an Tourette. Möglicherweise an beidem gleichzeitig.

    • Ja, das ist "Demokratie" = Auch jeder Idiot darf seine unmaßgebliche Meinung äußern. Das war früher der Dorftrottel, heute gibt's Facebook, Twitter, dazu hat (fast) jeder so'n Taschentelefon ...und ab geht die Dorftrottelmeinung. Die Obrigkeit freut sich: Alle so schön doof und ahnungsbefreit. Dazu die tägliche, permanente Gießkanne mit der "richtigen" Meinung, ausgegeben von ARD & ZDF & Radio.

      • Die Dorftrottel. Ich bin noch in einem Dorf aufgewachsen - einem vollständigen und weitgehend abgeschlossenen Mikrokosmos. Dort gab es auch "Dorftrottel", also oft auch erwachsenen Menschen, denen zB permanent eine grüne Rotzsträhne unter der Nase hing und wo wir Kinder durchaus merkten, dass diese Erwachsene nicht ganz richtig tickten. Aber sie lebten mit uns im Dorf und unsere Eltern machten uns klar, dass man sie zu respektieren hatte. Und das war's dann auch schon. Kein Aufreger. Keine Panik. Ganz normales, entspanntes dörfliches Zusammenleben. So könnte es auch im großen Dorf sein - wären da nicht die Scharfmacher, die Diffamierer und Hetzer. Sie halten uns ebenfalls für beschränkt, weswegen sie sich dazu ermächtigen, uns permanent zu belehren, zu ermahnen und Panik zu erzeugen. Aber wir sind das Volk. Wir sind der Souverän. Und wir sind souverän! Wir sollten die Panikmacher zum Teufel jagen!

  • Es bleibt wirklich nur noch Sarkasmus - und das ist mir so vertraut wie die Folgen ideologischer Grabenkämpfe. Wenn Dogmatiker und Politbürokraten die Macht haben, kommen interessante Zeiten. Allerdings wird das teuer. "Nach dem Krieg um halb sechs im 'Kelch'", ruft der brave Soldat Schwejk seinen Saufkumpanen zu, als das große Schlachten ausbricht. Er schafft das. Wir schaffen das. Prost!

  • In seinem neuen Werk „Die Avantgarde der Angst“ beschreibt der Kenner Norbert Bolz die linksgrünen Macher und ihre Anhänger als eine politische Theologie, die rationalen Argumenten nicht zugänglich ist.

    Sie verweigern das „Erwachsensein“ (Echte Verantwortung für sich und andere zu übernehmen) und sie verweigern sich weitgehend der Realität. Sie wollen letztendlich möglichst die Menschheit abschaffen, da diese „die Wurzel allen Übels auf Erden sei“.

    Das ist so sehr infantil, da bleibt nur noch eines zu fragen: Wer, außer den Mitgliedern der politischen Theologie, wählt sowas als normaler Wähler aus Überzeugung?

  • Großartiger Text, bin eigentl. immer ganz Ihrer Meinung, wäre aber nicht in der Lage, es so wunderbar auf den Punkt zu bringen, erst recht nicht in so blendender Sprache.
    Wenn ich als einfrige Publico-Leserin eine Sache äußerden dürfte: Manchmal wünsche ich mir immer wieder einen Wendt-Text, an dem wir, "die Konservativen", uns einmal intellektuell noch mehr reiben könnten. Mich würde etwa ihre Position zur Drogenpolitik interessieren - hier denke ich (glaube ich) anders als Sie, wäre aber auf Ihre Argumente gespannt (ich gebe zu, ich habe "Kristall" noch nicht gekauft). Oder eine ausgiebige Rezension zum Magazin Persuasion. Ich meine natürlich nicht, dass Sie uns nur aus Jux provozieren sollten, sondern vielmehr, dass Sie sich trauen, uns öfter mit jenen Ihrer Ansichten zu konfrontieren, die vielleicht von vielen von uns nicht geteilt werden. Vor Urzeiten war es in der FAZ so: liberalkonservative Linie mit Ausbrüchen, denen ich oft nicht zutimmte, die aber das Blatt (noch) interessanter machten. Schon wenn jeder zehnte Publico-Text so wäre, fände ich das persönlich wunderbar. Klar kann ich intelligente Texte auch mal woanders finden. Ich möchte Sie aber bei meinem Lieblingsautor lesen. ;-)

    Wie dem auch sei. Toller Artikel! Mich würde interessieren, ob andere Leser ähnliche Sehnsüchte haben.

    • "Manchmal wünsche ich mir immer wieder einen Wendt-Text, an dem wir, “die Konservativen”, uns einmal intellektuell noch mehr reiben könnten."
      Ihr Wunsch, Frau Schneider, in allen Ehren. Ich glaube, was A.Wendt schreibt, erfordert Recherche, Selbstorganisation und Formulierungsarbeit in einem Ausmaß, zu dem wir beide wohl nicht in der Lage wären. Zumindest ich bestimmt nicht. Ich wünsche mir, dass er weiterhin schreibt, was er für wichtig und richtig hält. Das bisherige ist für mich Journalismus der Extraklasse.

    • Ja! Ich! Es gibt jede Menge "blinde Flecken", die es lohnt, aus der Sicht eines so brillianten Denkers zu betrachten. Beispielsweise, das Aussterben "westlich-freiheitlicher" Gesellschaften und "westlich-freiheitlich geprägter" Gesellschaften. Ist das eigentlich ein Tabuthema, oder hat das nur noch niemand bemerkt?

      • "das Aussterben “westlich-freiheitlicher” Gesellschaften und “westlich-freiheitlich geprägter” Gesellschaften."
        Nach meiner Wahrnehmung steht genau dieses Phänomen im Zentrum von A. Wendts Beiträgen.
        Es ist erkennbar, dass einige wenige (blitzgescheite jedoch skrupelschwache) Versteher der sogenannten "westlich-freiheitlichen" wohlgesättigten Gesellschaften die Funktionsweise derselben viel besser als "die große Masse" verstanden haben und deshalb genau diese Freiheiten mit altruistischer Vortäuschung (besseres Leben für alle, Klimarettung, CO2-Reduktion, Impfung für alle, EIN (bargeldloses) Geld für alle, böse Bösewichter Putin, Trump, Assad, etc etc) seit einiger Zeit sehr erfolgreich missbrauchen.

  • Man darf gespannt sein, wie die Enabler-Jäger demnächst als Staatsgäste im Bundeskanzleramt empfangen werden. Die Welt-Antifa dürfte bald ein Wörtchen mitreden. Das Feindbild steht: Es heißt freiheitlich rechtliche Grundordnung und Demokratie. Und die Leitideologie - so lernen wir es von den Genossen aus Übersee - wird die linke Weltrevolution sein, die von den vereinten Nationen eingefädelt wurde. Einziger Unterschied zu Marx: Die Diktatur der Weltoligarchen. Und sie funktioniert schon, wie Corona zeigt.

    • "Die Diktatur der Weltoligarchen"
      Womit es ja keine linke sonder eine anti-linke Diktatur wäre. Es ist eher ein Oligo-Giga-Kapitalismus. Nur die sogenannten Linken haben es nicht begriffen: Das von ihnen vertretene heutige "Links" hat ja mit dem alten "Links", dessen Gegenteil es ist, nichts zu tun. Die heutigen Linken spielen den Weltoligarchen, ohne es zu bemerken, als beseelte und nützliche Idioten in die Hände.

  • Ihre Recherchen (Vielen Dank dafür!) legen nahe, dass diese Thematik, wenn man sie noch irgendwie lösungsorientiert betrachten möchte, im Prinzip überhaupt nicht mehr in einer politischen oder ökonomischen Kategorie gedacht werden kann, sonder ausschließlich in einer psychologischen.

  • Wenn Hasnain Kazim Kommandeur eines Umerziehungslagers für Falschmeiner würde, stünde über dem Eingang (einen Ausgang bräuchte man wahrscheinlich nicht) wohl nicht "Dialogzentrum Weiße Rose", sondern "Dialog macht frei". -
    Trump ist wohl nicht abgewählt worden, weil man grundsätzlich mit der seiner Politik insgesamt unzufrieden war, sondern wegen seiner Fehler in der Reaktion auf Corona und vielleicht auch wegen seines gelegentlich skurrilen, wenig staatsmännischen Verhaltens; das könnte gerade Wähler der Mitte abgeschreckt haben.
    Deshalb halte ich es für durchaus möglich, dass er in vier Jahren wieder antritt - oder aber ein "neuer" Trump, der sich einer stromlinienförmigeren Kommunikationsart bedient.
    Die durchschnittliche Lebenserwartung in den USA liegt bei 78,6 Jahren. Biden ist 77 Jahre alt, und das Präsidentenamt kann sehr stressig sein - wenn man nicht radikal Aufgaben delegiert, wie z.B. Reagan. Es ist also durchaus zu erwarten, dass Kamala Harris irgendwann übernimmt, und diese Dame ist um ein gutes Stück linker als Biden. Während Biden sich z.B. ablehnend gegenüber dem "packing" des Supreme Court (Aufstockung der Richter zwecks Herstellung einer der Führung genehmen Mehrheit) zeigt, ist Harris gegenüber der Idee nicht abgeneigt.
    F.D. Roosevelts entsprechender Versuch (Judicial Procedures Reform Bill) scheiterte in den 30iger Jahren, weil auch viele in der Demokratischen Partei dies als nicht im Sinne der Verfassung ansahen. Ich bezweifle, dass ein heutiger Versuch durch den Senat käme, selbst wenn der eine leichte demokratische Mehrheit hätte (bei einem Stimmenpatt gibt die Stimme des Vizepräsidenten den Ausschlag). Es gibt in der Democratic Party nicht NUR die 'loony left'.
    Die soziale Situation der USA ist sehr verschieden von der Europas. Es gibt nicht nur jene Fraktion des 'Deep State', die, was Wirtschaft und Finanzen angeht, konservativ ist, was Fragen wie Gender und Abtreibung angeht, hingegen eher progressiv bzw. gleichgültig ist. Es gibt, in sehr viel stärkerem Maß als bei uns, auch die religiösen Bevölkerungsgruppen. Die USA sind zu fast drei Vierteln christlich, und sehr viele am. Christen sind, anders als bei uns, tiefgläubig-traditional orientiert, bis hin zum Fundamentalismus. (Siehe dazu z.B. das Interview mit Prof. Peter Berger, einem der Autoren von "The Social Construction of Reality", auf Youtube: "On the failure of the secuarization hypothesis").
    Diese Leute haben nichts gegen Rassengleichheit, aber Ideen wie Genderismus, Political Correctness, und anderen linken Psychosen stehen sie ablehnend gegenüber.
    Europa zeigt sich auch deshalb anfällig gegenüber linken Spinnereien, weil der christliche Grundpfeiler unserer Kultur (ein anderer ist die Aufklärung) erodiert ist. Unsere Kirchen sind ja nur noch salbadernde Außenstellen der Grünen.
    Dieser Grundpfeiler steht hingegen in den USA noch sehr fest. Deshalb werden Versuche, linke Spinnereien über den Bereich der Elite hinaus auszudehnen, auf starken Widerstand treffen.
    Eine weitere Sollbruchstelle sind die gegensätzlichen Interessen von Rassengruppen. Es ist schwer, Politik für die Schwarzen zu machen, ohne den Latinos und vor allem den Asiaten auf die Füße zu treten. Es gibt jetzt ca. 20 Millionen Amerikaner asiatischer Herkunft; sie sind die bei weitem am schnellsten wachsende Gruppe in den USA (zwischen 2000 und 2015 Wachstum um 72%!). Sie sind an den amerikanischen Universitäten weit, weit überrepräsentiert, weil sie fleißig und bildungsorientiert sind.
    Das Parlament von Kalifornien hat in den letzten Wochen mit der Volksabstimmung "Proposition 16" vergeblich versucht, den asiatischen Studienbewerbern deshalb einen Malus im Berwerbungsprozess zugunsten der Schwarzen zu verpassen. Das wurde abgeschmettert. Zunehmend beklagen sich Asiaten über Diskriminierungsversuche ihrer Gruppe gegenüber, zugunsten der Schwarzen.
    Die Minderheiten in den USA sind keine einheitliche Front, sondern bilden Gruppen, deren Interessen mitunter schwer auszutarieren sind.
    Das wird den Demokraten noch auf die Füße fallen.

  • "An Kazims Tweet über die Ostdeutschen zeigt sich idealtypisch, dass die Linken von der Ostküste bis zu den deutschen Metropolen vor allem eine kulturelle Verachtung für alle kultivieren, die nicht zu ihrem Milieu zählen."

    Das trifft es nicht, denn es gibt ja reichlich Milieus, die nicht zu dem der Selbstgerechten zählen, die sie trotzdem nicht verachten, jedenfalls nicht in vorgetragener Weise (vermutlich unbewusst umso mehr).

    Ferner setzt "kulturelle Verachtung" ein Mindestmaß an Obsessionsfreiheit vom Verachtungssubjekt voraus. Ich zum Beispiel verachte die Antifa kulturell, aber nur weil ich sie hochgradig kriminell und dämlich finde, ich definiere mein "Überlegenheitsgefühl" aber nicht über einen Gegenbezug zu ihr, wie es umgekehrt die Antivölkischen mit mir tun.

    Meine Vermutung geht eher dahin, dass es sich um simple Meutengier im Zuge sich demographisch verändernder Machtverhältnisse handelt. Das im Artikel eingebettete Video des Trump-Bashings bringt den großen, gesellschaftlichen Vorgang auf den Punkt: Die alte Machtelite (der weiße Mann) wird herausgefordert von neuen Kräften, weil diese neuen Kräfte es sich zutrauen. Jetzt wird auf die Symbole des Alten eingeschlagen. Die Meute bildet einen Kreis, traut sich noch nicht ganz, aber einige wagen es dann schon, dem Sterbenden, vor dem sie vor kurzem noch Respekt haben mussten, auf den Schädel zu springen. Aber schnell wieder zurück, unheimlich ist ihnen das schon noch. Vielleicht beißt die Papprolle doch nochmal.
    Sie reinigen sich kollektiv von ihrem Unterlegenheitsgefühl, dass sie bisher peinigte.

    Und wer will nicht beim Neuen sein, wenn das Alte gevierteilt wird? Nichts anderes als dieses Dabeiseinwollen treibt die westlichen (und wie man an den vielen Namen der Twitterhelden sieht: Gar nicht so westlichen) Anywheres dazu an, sich in ihrem Antiweiss-Sein so explizit gerade auf die "schwächsten" der weißen Völker, den Somewheres, zu beziehen. Da dreht sich gar nix um "kulturelle Verachtung", das ist das Abstreifen der Opfer-Markierung im Moment des Machtwechsels, um der Plünderung und den Pogromen zu entgehen bzw. mitzumischen.