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Framing-Nuss spezial:Wie Medien die Mär von der AfD als Pandemietreiber treiben

Sind rechte Wähler in Sachsen tatsächlich Schuld an den Infektionszahlen? Politiker und Journalisten suggerieren das – und verbreiten damit eine Verschwörungstheorie

Mit gewohnt sorgenvollem Gesicht trat Monitor-Moderator Georg Restle in der ersten Dezemberwoche vor die Kamera, um eine Diagnose zu stellen:
„Ausgerechnet Bautzen im Bundesland Sachsen, wo die Infektionszahlen zuletzt in die Höhe geschnellt sind wie nirgendwo sonst in Deutschland. Ein Corona-Hotspot, aber eben auch ein Hotspot der Corona-Leugner, der Verschwörungsideologen und Rechtsextremisten. Über 30 Prozent erzielt die AfD hier bei Landtags- und Bundestagswahlen. Eine gefährliche Mischung ist das, in Zeiten der Pandemie erst recht.“

Der folgende Beitrag behauptet als Kausalität, was Restle schon vorher zusammenfasste: Die AfD-Wähler sind schuld oder zumindest sehr stark mitschuldig an dem hohen Covid-Inzidenzwert im Kreis Bautzen im östlichen Sachsen. Ein passendes Stichwort zu dieser Gleichung lieferte auch der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz im Gespräch mit der Zeit:

„Die Corona-Zahlen sind dort besonders hoch, wo eine bestimmte Partei auch sehr erfolgreich ist, nämlich die AfD. Im oberen Erzgebirge etwa oder in Ostsachsen haben wir ein Problem mit Corona-Leugnern, die sich an keine Regel halten, die Quarantänen zu früh abbrechen und, und, und.“

Am 12. Dezember versuchte Spiegel Online, von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer in einem Interview eine entsprechende Bestätigung zu bekommen:

„In den Landkreisen Bautzen, Görlitz, dem Erzgebirgskreis und dem Landkreis Meißen war die AfD bei den vergangenen Wahlen besonders stark – dort sind nun auch die Inzidenzen sehr hoch. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Ihr sächsischer Parteifreund Marco Wanderwitz, sieht da einen Zusammenhang. Sie auch?“

Worauf sich Kretschmer ein wenig wand: Eine direkte Kausalität gebe es vielleicht nicht.

„Andererseits: Schauen Sie sich die Wortmeldungen von AfD-Politikern an, die keine Gelegenheit auslassen, das Virus, seine Wirkung und die Schutzmaßnahmen infrage zu stellen. Diese Partei stellt Bundestagsabgeordnete, die ohne Maske demonstrieren. Diese Partei irrlichtert – nachdem sie uns im Frühjahr noch aufgefordert hat, den Katastrophenfall auszurufen. Das ist unglaublich.“

Am 15. Dezember fragte die FAZ: „AfD-Wähler als Treiber der Pandemie?“

Etliche Medien haben also ein neues Sing-Along-Thema entdeckt. „Sachsen“ – man erinnert sich an die Geschichte über das tote Kind in Sebnitz und die „Hetzjagden“ in Chemnitz – funktioniert schon seit einigen Jahren in Hamburger, Berliner und Frankfurter Redaktionsbüros als Triggerwort: Wenn der Ländername fällt, spielen Fakten, Kausalität und Sorgfalt nur noch eine untergeordnete oder gar keine Rolle mehr. Mit anderen Worten: Schon die Nennung des Bundeslandes bewirkt bei vielen Journalisten, dass die letzten Sicherungen aus der Fassung knallen.

Tatsächlich: In den Landkreisen Bautzen, Görlitz und Sächsische Schweiz liegt die Sieben-Tages-Inzidenz von positiv auf Corona getesteten pro 100 000 Einwohner sehr hoch. Es handelt sich auch um Kreise, in denen die AfD bei der Landtagswahl 2019 und der Bundestagswahl 2017 hohe Ergebnisse holte. Sachsenweit bekam die AfD bei den Landtagswahlen 2019 27,5 Prozent der Stimmen. Nur: Gibt es tatsächlich einen kausalen Zusammenhang zwischen Wahl- und Corona-Testergebnissen in Sachsen und irgendwo sonst?

Im Frühjahr 2020, als die erste Covid-Infektionswelle durch Deutschland rollte, posteten die einen oder anderen Durchblicker und Truther Karten, die Infektionszahlen zeigten, kombiniert mit Übersichten über G-5-Funkmasten. Tatsächlich zeigte sich eine grobe Übereinstimmung beider Datensätze, nicht überall, aber besonders in Nordrhein-Westfalen.

Verwunderlich war das nicht. Die neuen Mobilfunkmasten werden vor allem in dichtbesiedelten Gebieten errichtet, die Infektionen der ersten Welle verbreiteten sich im Frühjahr ebenfalls in dicht besiedelten Gebieten. Dort, wo Karnevalsfeiern als Katalysator wirkten, spielte wiederum die Bevölkerungsdichte rund um die Feiern eine große Rolle. Es handelte sich also um einen klassischen Fall von Korrelation: Zwei Phänomene, die untereinander nichts miteinander zu tun haben, hängen jeweils mit dem gleichen dritten Faktor zusammen, in diesem Fall mit der Frage, wie dicht Menschen beieinander wohnen.
Meist lassen sich Koinzidenz (A und B treten auf, es gibt keine Verbindung, etwa zwischen Geburtenrate und Anzahl von Störchen); Korrelation (A und B hängen beide mit C zusammen, siehe oben) und Kausalität (A bedingt B) gut voneinander unterscheiden.

Der FAZ-Autor und Sachsens Regierungschef scheinen auch zu wissen, dass es keine kausale Beziehung zwischen AfD-Wahlergebnissen und Corona-Inzidenz gibt. Aber die Suggestion gefällt ihnen offenbar so gut, dass sie die Geschichte ein wenig umwälzen und weitertreiben, genau so wie die Monitor-Leute. Als die Infektionszahlen im Frühjahr in Heinsberg und anderen NRW-Kreisen weit über denen im Rest der Republik (einschließlich Sachsen) lagen, deckte Monitor-Mann Georg Restle keine Verbindung zum Wahlverhalten in Gangelt und anderswo auf, obwohl die Reisespesen von Köln aus vergleichsweise günstig gewesen wären. In Gangelt gibt es übrigens überdurchschnittlich viele CDU-Wähler, zur Kommunalwahl bekam der Bewerber 87,8 Prozent der Stimmen. Ein passendes Narrativ wollte bisher keiner aus den Zahlen basteln. Wenn es um Ausgerechnetsachsen geht, schon.

Warum liegt die Inzidenz in den östlichen und südlichen sächsischen Kreisen seit Ende November und in Dezember an der Spitze der bundesweiten Corona-Statistik? Am 17. Dezember betrug die 7-Tages-Inzidenz für den Kreis Görlitz 622, für Bautzen 640, die Sächsische Schweiz 610, den Kreis Zittau 572 – bei einem bundesweiten Durchschnittswert von 185. (Kleine Anmerkung: die PCR-Tests, auf denen diese Zahlen beruhen, sind nicht standardisiert, es gibt keinen einheitlichen CT-Wert, daher ist bis jetzt offen, wie viele der positiv getesteten tatsächlich infektiös sind. Auf die fehlende Vereinheitlichung hatte kürzlich auch Christian Drosten in seinem NDR-Podcast hingewiesen. Vergleichbar sind die Zahlen also nur bedingt.)

Aber zurück zum Hauptthema: Der wesentliche Grund für die hohen Werte lässt sich schnell finden. Und es handelt sich um eine echte Kausalität. Im Oktober verhängte die tschechische Regierung einen harten Lockdown über das Land, weil die Infektionszahlen des in der ersten Welle nur gering betroffenen Landes im Herbst extrem nach oben gegangen waren. Die Sieben-Tages-Inzidenz lag nach einem sehr ruhigen Sommer am 1. Oktober bei 142, am 1. November bei 841 – dem in dieser Zeit europäischen Spitzenwert. Am 15. November lag sie immer noch bei 438 (in Tschechien ist ein 14-tägiger Inzidenzwert üblich, die zitierten Zahlen sind schon auf 7 Tage umgerechnet). In dieser Zeit europaweiter Rekordwerte und einer Schließung von Restaurants und allen nicht unmittelbar nötigen Läden auf tschechischer Seite blieb die Grenze zu Sachsen allerdings auf.

Folglich begaben sich viele Tschechen in die sächsischen Grenzregionen, um einzukaufen und Gaststätten zu besuchen – bis zum 16. November. Erst ab 17. November schränkte Sachsens Regierung den kleinen Grenzverkehr ein, obwohl umgekehrt schon ab 22. Oktober keine deutschen Touristen mehr nach Tschechien einreisen durften. Dass also leicht zeitversetzt in den sächsischen Kreisen, die an Tschechien grenzen, bald ähnliche Inzidenzen herrschten wie auf tschechischer Seite – das konnte niemanden ernsthaft überraschen. Überraschend wäre es höchstens gewesen, wenn die Zahlen in Bautzen und im Erzgebirge niedrig geblieben wären.

Das Überschwappen von Tschechien auf die deutsche Seite gab es nicht nur in Sachsen, sondern auch in Ostbayern, besonders deutlich im Landkreis Regen. Am 17. Dezember lag dort die 7-Tages-Inzidenz bei 651, also sogar noch über dem ost- und südsächsischen Niveau. Im Gegensatz zu den AfD-Wahlergebnissen: die fielen zur Landtagswahl im Wahlkreis Straubing, zu dem Regen gehört, nur etwa halb so hoch aus wie in den sächsischen Grenzkreisen.
Zu den Einkaufstouristen, die während des tschechischen Lockdowns und vor dem deutschen Lockdown die Grenze passieren durften, kommen noch zahlreiche Arbeitspendler von der tschechischen Seite. In dem Interview mit Spiegel Online meint Ministerpräsident Kretschmer:

„Ohne die tschechischen und polnischen Ärzte und Krankenschwestern, ohne die osteuropäischen Mitarbeiter von DHL würden hier die medizinische Versorgung, die Versorgung im Pflegeheim und in anderen wirtschaftlichen Bereichen zusammenbrechen.“

Bei den Angehörigen von Berufsgruppen, die Kretschmer nennt, handelt es sich durchweg um Menschen, die, wenn sie infiziert sind, die Infektion an viele andere weitergeben können, Mitarbeiter von Pflegeheimen und Krankenhäusern auch noch an besonders Anfällige für eine Viruserkrankung. Auf die Spiegel-Frage, ob es nicht ein Fehler gewesen sei, die Grenze zu dem stark betroffenen Tschechien bis zum 16. November offen zu lassen, geht Kretschmer kaum ein, nur mit einem „die Einschränkungen jetzt hätten schneller kommen müssen“, als wäre er Oppositionsführer und nicht Regierungschef.
Die Frage, warum seine Regierung nicht wenigstens dafür gesorgt hatte, dass nur Mitarbeiter mit negativem Schnelltest Kliniken und Krankenhäuser betreten dürfen, stellen die Journalisten gar nicht erst. In dem Gespräch sagt er mit Blick auf die nächste Konferenz von Merkel und den Ministerpräsidenten:

„Ich werde dafür plädieren, dass man Pflegeheime nur noch mit negativem Schnelltest besuchen darf.“

Genau das fordert etwa der Mediziner und frühere Vize-Vorsitzende des Sachverständigenrates Gesundheit Matthias Schrappe seit Monaten. Dass überdurchschnittlich viele Menschen an beziehungsweise mit Covid-19 in schlecht bis gar nicht geschützten Alten- und Pflegeheimen sterben, trifft nicht nur auf Sachsen zu. Was ist seit der ersten Welle im Frühjahr geschehen? Ähnlich wie Söder ist Kretschmer ein Politiker, bei dem Kraftrhetorik („autoritäre Maßnahmen des Staates“) ganz offensichtlich dazu dient, eigene Versäumnisse zu verdecken. Da kommt die Erzählung von den schuldigen AfD-Wählern gerade recht. Zur Bestärkung von Politikern und Journalisten, die dieser Behauptung folgen, trägt auch eine Umfrage der Deutschen Bank bei, die zu dem Ergebnis kommt, dass die meisten „Corona-Leugner“ in Sachsen leben.

Die Boulevardzeitung Tag24 interviewte unter der Überschrift „Wie fangen wir die Corona-Leugner wieder ein?“ den Soziologen Benjamin Winkler von der Amadeu-Antonio Stiftung, der den passenden Frame setzt, wobei aus der Umfrage flugs eine „Studie“ wird:

„Eine Studie der Deutschen Bank sieht Coronaleugner-Regionen am häufigsten in Sachsen. Auch der Südwesten scheint bedeutsam zu sein. Es gibt Vermutungen, dass eine Art deutscher ‚Bibel-Gürtel’ mit fundamentalen Kräften entstanden ist.“ 

Die alberne Formulierung vom „deutschen Bibel-Gürtel“ der „Corona-Leugner“, abgeleitet von dem amerikanischen Bible Belt, nahm auch Spiegel Online-Redakteur Marc Röhlig auf, ein bewährter Ex-Bento-Haltungstexter.

Hier lohnt sich ebenfalls ein genauerer Blick: Von den Deutschbankern wurde in der Umfrageauswertung jeder als „Leugner“ gezählt, der dem Satz zustimmte: „Eine Krise gibt es doch aktuell nicht. Da wird viel dramatisiert, und das dauernde Sprechen über die Krise ist überzogen.“ Die Frage lautete also gar nicht: Halten Sie das Corona-Virus für eine Erfindung?
Durchgeführt wurde die Umfrage im September, als die Fallzahlen gerade in Sachsen sehr niedrig waren. Wer damals also die Situation in seiner Umgebung entsprechend wahrnahm (‘es gibt keine Krise’), der landete für etliche Journalisten schon im Leugner-Lager. Die Deutsche Bank selbst überschrieb ihre Untersuchung mit: „Robuste Deutsche? – Wie die Bundesbürger die Corona-Krise meistern“.

Zu Sachsen stellte sie fest:

„Die Befragten in Sachsen sehen häufiger als in anderen Bundesländern keine Krise im Zusammenhang mit Corona.“

Der Anteil derjenigen, die im September ‘keine Krise’ sahen – von den Autoren der Untersuchung „Leugner“ in Anführungszeichen genannt, lag in Sachsen zwar höher als in anderen Bundesländern – aber mit 14 Prozent auch deutlich unter den AfD-Wahlergebnissen. Wer die Untersuchung und die daraus fabrizierte oben zitierte Schlagzeile vergleicht, erhält eine ganz plausible Antwort darauf, warum immer mehr Menschen bestimmte Presseerzeugnisse nicht mehr kaufen.

Es gibt außer der Nähe zu Tschechien und dem Grenzverkehr noch einige andere Gründe, die zur starken Ausbreitung in ländlichen sächsischen Gebieten beitragen. Zum einen leben vor allem im Erzgebirge häufiger als in Städten mehrere Generationen unter einem Dach – Infektionen können also viel eher auf Ältere überspringen. Und generell fällt auf, dass die Regionen, die in der ersten Covid-Welle im Frühjahr kaum betroffen waren, in der zweiten im Herbst oft hohe Fallzahlen aufweisen und umgekehrt. Das entspricht auch ziemlich exakt den Prognosen der Epidemologen: In stark befallenen Gebieten immunisieren sich eben auch sehr viele.

In Heinsberg etwa, der Corona-Hochburg des Frühjahrs, lag die 7-Tages-Inzidenz am 17. Dezember gerade bei 135,4, sie beträgt also nur ein Bruchteil der Werte von Bautzen, dem Erzgebirge oder dem bayerischen Regen. Ganz am Beginn von Corona wiesen übrigens fast alle Virologen und Seuchenmediziner darauf hin, dass die Eindämmungsmaßnahmen Infektionen nur in die Zukunft verschieben. Das galt unter dem Stichwort „flatten the curve“ ja auch als ausdrückliches Ziel. Dass diese verschobenen Infektionen jetzt kommen, kann niemanden ernsthaft überraschen. Sondern nur der Umstand, dass Politiker im Sommer die Zeit offenbar so schlecht nutzten und kaum etwas zum Schutz der besonders gefährdeten Gruppen unternahmen.

Übrigens zeigt auch der Blick auf das Geschehen außerhalb Deutschlands, wie abstrus die kausale Engführung zwischen Regierungsfarbe, Wahlverhalten und Infektionsraten ist. Das sozialistisch regierte Spanien verzeichnet trotz eines langen harten Lockdowns eine der höchsten Todesraten weltweit. Und die von Infektionen und Covid-Todesfällen in den USA weit überdurchschnittlich betroffenen Staaten New York und Kalifornien: Sollen ausgerechnet Demokraten-Hochburgen die Hotspots rechter Virenleugner sein? Oder sind dort eben die linken Wähler schuld an den Infektionen? All das hätten die Monitor-Leute sich eigentlich auch selbst fragen können. Beziehungsweise: Vertreter der schwarz-rot-grünen sächsischen Regierung löchern, warum sie so lange Maßnahmen unterlassen hatten, die eigentlich auf der Hand lagen. Wer Georg Restles ganz persönliche Sachsen-Obsession kennt,
der ahnt allerdings, dass es qualitätsjournalistisch anders kommen musste.


 

Das Monitor-Team befragte beispielsweise den Bautzner Oberbürgermeister Alexander Ahrens, einen SPD-Mann, und versuchte von ihm eine Bestätigung ihres Urteils zu bekommen, die AfD-Wähler und „Verschwörungstheoretiker“ seien die Schuldigen an den Infektionen. Ahrens lieferte die gewünschten Textbausteine nicht. Also kam das Interview mit ihm in dem Monitor-Beitrag nicht vor. Den Vorgang der WDR-Bestätigungssuche beschreibt Ahrens auf Facebook so:

„Bedauerlicherweise kamen die Herrschaften von Monitor hier schon mit einer fertigen Idee an, wie der Bericht wohl aussehen soll: Die hohen Fallzahlen sollen mit der Menge an Verschwörungsmystikern zusammenhängen. Vor Ausstrahlung der Sendung habe ich im Ältestenrat der Stadt bereits darauf hingewiesen, dass wohl ein Bericht mit dieser Tonlage zu erwarten sei.
Zu dieser Überzeugung kam ich wie folgt: Das Team hat mich mehr als 20 Minuten lang interviewt, die Fragen waren durchweg nicht offen, sondern alle mit derselben, oben genannten Grundtendenz versehen. Offenkundig haben meine Antworten dann auch nicht ins Bild gepasst, denn ich kam in dem Beitrag nicht vor. Wenn eine Stimme, die einer differenzierten Betrachtung das Wort redet, bewusst weggelassen wird, ist das vielleicht sogar noch Journalismus, allerdings kein besonders guter.
Für mich persönlich, der mit einer hohen Medienaffinität versehen ist (mein Vater z.B. war lange Chefredakteur) stellt dieser Bericht einen weiteren Tiefpunkt journalistischer ‚Arbeit’ dar. Ich bin ein unermüdlicher und engagierter Verfechter der Pressefreiheit. Allerdings bedeutet Pressefreiheit auf der einen Seite auch, dass der Presse in ihrer Arbeit andererseits auch eine entsprechend hohe Verantwortung obliegt. Berichte wie der gestrige Monitor-Beitrag erfüllen diese Verpflichtung gewiss nicht. Ich halte es nach wie vor für unverantwortlich, in reißerischer Manier die Menschen einer ganzen Region zu diffamieren.“

Auch der FAZ-Autor Stefan Locke hätte Kretschmer die naheliegenden Fragen nach Unterlassungen stellen und Ahrens nach seiner Sicht als Kommunalpolitiker fragen können. Stattdessen setzt er mit der Suggestivfrage „AfD-Wähler als Treiber der Pandemie“ den Rahmen, um dann zu schreiben:

„Eine auf den ersten Blick schlüssige Vermutung lautet, dass die Zahl der Neuinfektionen in den Regionen besonders hoch ist, in denen viele AfD-Wähler leben.“

Es handelt sich, siehe oben, ja gar nicht um eine „Vermutung“, sondern um jeweils einfach zu eruierende Daten. Nur eben um keine Kausalität.

„Viele AfD-Politiker äußern sich immer wieder verharmlosend über die Pandemie oder leugnen, dass es eine solche überhaupt gibt“, führt die FAZ weiter aus: „Jens Kestner, AfD-Chef in Niedersachsen, startete Ende Oktober eine Kampagne gegen die Maskenpflicht und forderte dazu auf, die ‚Corona-Diktatur’ zu beenden.“
Niedersachsen – da steckt also auch ein Stück Sachsen drin. Spätestens hier hätte er sich selbst fragen müssen: AfD-Politiker, die gegen die Corona-Maßnahmen polemisieren, gibt es auch außerhalb Sachsens, genau so wie Wahlkreise, in denen die AfD überdurchschnittlich abschneidet – während die Covid-Inzidenz allerdings ganz anders aussieht als in Bautzen oder Görlitz.

Statt, wie gesagt, journalistisch notendige Fragen an Regierungsmitglieder in Sachsen zu stellen und den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität zu erklären, klingelt der FAZ-Redakteur bei Matthias Quent vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena an. Denn Quent „ist gerade dabei, das Phänomen zu untersuchen. Eine erste Analyse der Wahlergebnisse der AfD bei der Bundestagswahl 2017 in 400 Landkreisen und kreisfreien Städten sowie den Corona-Infektionszahlen zeige ’einen starken und höchstsignifikanten Zusammenhang’, teilte Quent via Twitter mit.“ Weiter zitiert in die FAZ: „Wir waren von der Stärke des Effektes überrascht, mit so einem deutlichen Ergebnis hätten wir nicht gerechnet.“

Der rhetorische Trick zur Bedeutungsaufwertung ’damit hätten wir nicht gerechnet’ stammt eigentlich aus dem Boulevardjournalismus, dort bekannt in der Formulierung: SCHLIMMER ALS GEDACHT. Das funktioniert immer, vorausgesetzt, der Schlagzeilenmacher behält für sich, was er angeblich gedacht hat. So auch hier: Quent verrät nicht, womit er denn gerechnet hatte, und warum. Locke fragt nicht nach. Und will auch nicht wissen, worin denn nun die „Analyse“ von Quent und seinem Institut besteht.

Die Zahlen zur Covid-Inzidenz stehen auf den Webseiten der Landkreise, die Wahlergebnisse auf Seiten zur Wahlstatistik. Beides kann auch ein Realschüler innerhalb von Minuten zusammenklicken. Wenn das unter Analyse und Forschung fällt, dann wird Quent wahrscheinlich auch zum Meteorologen, wenn er morgens das Thermometer abliest. In dem FAZ-Text heißt es dann, immer noch in Bezug auf Quent:

„Allerdings lasse sich dessen Ursache mit der Berechnung allein nicht erklären. ’Korrelationen sind keine Kausalität’, so Quent. Ob und wie sehr rechter Populismus die Bekämpfung der Pandemie tatsächlich behindere, darüber sagten die Daten nichts aus.“

Und das Einsammeln allgemein bekannter Daten ist keine Berechnung. Wenn sich, wie er korrekt anmerkt, aus den Zahlen keine Kausalität ergibt – was meint er dann aber mit der „Stärke des Effekts“, mit der er angeblich nicht gerechnet hat?

Die Feststellung: „Korrelationen sind keine Kausalitäten“ gehört zu den wenigen sinnvollen Sätzen in dem Text des Frankfurter Blattes. Aber wozu dann der ganze Schwurbelartikel? „Quent will nun weitere Variablen prüfen“, erklärt die FAZ ihren Lesern, ohne mitzuteilen, welche Variablen er denn bisher geprüft haben will:

„Er vermutet, dass es Regionen mit einer ‚demokratiefernen lokalen Raumkultur’ gibt, in denen sich mehr Leute im Widerstand fühlten und eher zu illiberalem und unkonformem Verhalten tendierten.“

Von jemandem, der mit Begriffen wie „lokale Raumkultur“ operiert, darf man ruhig vermuten, dass er zu einer überörtlichen und mittlerweile verbreiteten Scharlatankultur gehört, die auch vor der Hellerhofstraße nicht halt macht. Sehr weit hinten, also fast zuletzt in dem FAZ-Beitrag heißt es dann:

„Nicht zuletzt könnte auch die Nähe zu Polen und zur Tschechischen Republik eine nicht unwichtige Rolle spielen.“

Aha.

Weder zuletzt noch überhaupt erfährt der FAZ-Leser, was es mit Quents „Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft“ auf sich hat, wo man das Zusammenklicken von Daten für Analyse hält. Das Institut gehört zu der Amadeu-Antonio-Stiftung der früheren MfS-Zuträgerin Anetta Kahane, und erfüllt hauptsächlich die Aufgabe, die Mitteleilungen der Stiftung über die AfD, Rechte und Rassisten in einen wissenschaftlich klingenden Jargon zu verpacken. Zuletzt fiel das Institut mit einer manipulativen Befragung („Studie“) auf, die belegen sollte, dass Nutzer wegen „Hass und Hetze“ angeblich massenhaft aus sozialen Netzwerken fliehen.

Das Papier der Stiftung nutzte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht wiederum zur Begründung ihres Gesetzes gegen „Hass und Hetze im Netz“, das kürzlich wegen schwerwiegender verfassungsrechtlicher Bedenken vom Bundespräsidenten nicht unterzeichnet wurde. Matthias Quent zählt mittlerweile nicht nur für die Politik, sondern auch für zahlreiche Medien zu den beliebten Stichwortgebern. Anders als der sperrige Lokalpolitiker Ahrens aus Bautzen liefert er Versatzstücke, die sich fugenlos in Texten verbauen lassen, deren Rahmen schon feststeht. So, wie sich seit Jahren Redakteure zum Thema erneuerbare Energie von Claudia Kemfert vom DIW, zum Thema Jugendkriminalität von Christian Pfeiffer und zum Gebiet Das-hat-nichts-mit-dem-Islam-zu-tun von Lamya Kaddor beliefern lassen, hält Quent ein breites Sortiment an Meinungen zum Osten und zu Rechts bereit. Ein bisschen soziologisches Abrakadabra à la „lokale Raumkultur“ gibt es als Schaumschlag obenauf – man nennt sich ja schließlich Institut.

Wer sich fragt, wer die Erzählung von den AfD-Wählern als Pandemietreiber vorantreibt, landet also gleich mehrfach bei der regierungsfinanzierten Amadeu-Antonio-Stiftung, die offenbar für etliche Journalisten als zuverlässige Quelle gilt, trotz nachweisbarer Falschbehauptungen. Mal machten die mit Regierungsgeldern gespeisten Meinungsfabrikanten alle 890 000 Migranten, die 2015 kamen, zu Syrern, dann behaupteten sie, was zu Silvester auf der Kölner Domplatte passierte, sei bis heute nicht geklärt.

Die Praxis, eine bestimmte Bevölkerungsgruppe für eine epidemische Erkrankung verantwortlich oder mitverantwortlich zu machen, existiert seit vielen Jahrhunderten. Sie gehört zum klassischen Feld der Verschwörungstheorien: Andeuten, Raunen, Korrelation und Kausalität durcheinanderwerfen, Feindbilder bedienen. Dass die FAZ sich daran beteiligt, markiert einen neuen Tiefpunkt des Blattes.

Möglicherweise sagen sich die Verantwortlichen in Frankfurt, dass sie im Osten nicht mehr allzu viele Leser verlieren können. Monitor muss sich sowieso keine Sorgen um zahlende Kunden machen.
Das reicht zwar noch nicht für eine Kausalität. Eine Korrelation ist es allemal.

 

 


Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.

 


 

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Alexander Wendt: Weitere Profile:

Kommentare anzeigen (31)

  • Diese Schurnalisten! Gibt es noch in Dt. (und in A) irgendwo echte Journalisten??? ist meine bescheidene Frage.
    lg
    caruso

  • Früher dachte ich immer, dass die Presse/TV die "vierte Macht im Staate" sei, die die Starken bedrängen und die Bedrängten stärken soll. Wie nicht nur ich seit längerer Zeit weiß, sind die Medien in Wahrheit jedoch NUR direkte Interessenvertreter derer, die sie bezahlen, bzw., derer, die über die TV Zwangsgebührenhöhe verfügen. Daher auch das Verhalten der Medien. Sie tun das, was die Geldgeber (Regierung/Milliardäre) von ihnen erwarten. Somit kann niemand mehr ernsthaft erwarten, dass wir durch Presse, Funk und TV wirklich informiert werden, da diese eben nicht die Starken/Mächtigen bedrängen, sondern ganz im Gegenteil, sie stärken, schützen und ggf. die Leser/Zuschauer angreifen. Daran wird sich in absehbarer Zeit auch nichts ändern. Apropos:

    Die EU strebt aktuell, notfalls unter Zwang, eine Einheitsregierung in der EU an (Tichys Einblick), nix dann mehr mit Demokratie. Das wäre ja auch noch schöner...(Satire aus).

    • "... kommt von irgendwo ein Restle her. " Und trifft in den dunklen Fluren des Propagandafunks auf Frau Reschke. "Hey Restle, mein Lieber", flötet die Reschke erfreut, "bald ist Weihnachten und ich dachte mir so, auch dir schenke ich ein dickes Buch."
      "Ein dickes Buch?" fragt Restle verblüfft. "Ja, mein Lieber, ein dickes fettes Buch", antwortet Reschke, und grinst ihn breit an, wie Frau Reschke nun mal so grinst, wenn sie mal grinst. "Das ist ja total lieb", stottert Restle zu Reschke, "schrecklich lieb, aber total unnötig." Wie, total unnötig?", fragt Reschke verwirrt zurück, während sich ihr Grinsen in eine Grimasse verwandelt. "Ja", sagt Restle, "denn ich habe bereits ein dickes Buch." „Ach Restle, mein Lieber, du meinst doch nicht etwa das dicke Buch von Marx?" "Marx? Nein, ich meine das dicke Buch mit den Kontoauszügen.“

  • Sehr geehrter Herr Wendt- ein rundum gelungener und gutrecherchierter Artikel meine alte Heimat betreffend. Es erfüllt mich mit einiger Sorge , das so ein Schandmaul wie der Restle mit seiner "Restle-Rampe" die Bürger dieses Landes qua Demokratieabgabe mit so einer gequirlten Sch. verleumden darf.
    Und bezüglich dieses Quent als Blinddarm der AAS und seinem Verweis auf die Nähe zur Tschechien und Polen sei noch zu vermerken, daß er mit einiger Recherche auch hätte darauf kommen können, daß selbst der böse Ungar in Form von Orban als Vertreter Österreich-Ungarns bis an die Reichsgrenzen Böhmens und Mährens hätte reiten können und möglicherweise vom Jeschken (Ještěd) herab seine tiefste Ehrerbietung und gleichzeitiges Bedauern für die im Tale zu seinen Füßen dahinsiechenden Coronageplagten AfD-Sprengel leisten könnte.
    Habe gerade erfreulich zur Kenntnis nehmen dürfen, daß die Eltern von Karl Valentin aus eben dieser Gegend stammten – mein Gott hoffentlich wird der jetzt nicht auch noch vom Spielplan abgesetzt !!!

  • Wenn überhaupt, dann handelt es sich um eine Korrelation - wie bei sehr vielem, was heute als Kausalität erfolgreich(!) verkauft wird. Es hat Vorteile, die öffentlichen Schulen zu entmathematisieren: man kann den Leuten Sophismen andrehen, die früher jeder Quartaner durchschaut hätte. Aber wie sähe es mit einer Behauptung wie dieser aus: In Stadtteilen mit hohem Migrantenanteil ist die Verbrechensrate höher.

  • Ich hatte kürzlich einen " Kommentar zum Kommentar" an den Chefredakteur des "Wiesbadener Kurier" Stefan Schröder ( vrm-Gruppe, dazu gehören eine Reihe von Zeitungen, wie auch das "Darmstädter Echo" u.a. ) geschrieben, der am 28.11.2020 seinen Kommentar zu hohen Neuinfektionen in Hildburghausen (Neue Bundesländer) ebenfalls mit den dortigen Wahlergebnissen der AfD ( Direktmandat errungen) in Verbindung brachte und am Schlusssatz seines Kommentars das Fazit zog. "Aus Braun wird Pink" ( Pink deshalb, da nach Rot in der farblichen Unterscheidung nach Coronafällen in den Landkreisen, Pink die höchste Stufe darstellt).
    Mein Schlusssatz im " Kommentar zm Kommentar": " Was Hessen anbelangt, sollten Sie als verantwortungsbewußter Redakteur aus der Landeshauptstadt, es nicht versäumen, eine Corona-Warnung an die Gemeindevertreter von Neuhof ( Bei Fulda) oder Hirzenhain (Wetterauu) auszusprechen. Bei einem Stimmenanteil der AfD bei der LTW von 24,4 % und 23,3 % droht dort nach dem "Schröderfaktor" demnächst ein Rutsch in pinke Zahlen"

    • Ist mir z.B. auch für den Landkreis Regen in Bayern aufgefallen. Vergleichen Sie dazu die höchsten Ergebnisse für die AfD bei der letzten Bayernwahl und schauen Sie alsdann auf das winzige Fetzchen Pink in Bayern.
      Man könnte allerdings auch umgekehrt argumentieren - wenn demnächst irgendwo in diesem unserem Land die Inzidenzwerte durch die Decke schießen werden, müssen schleunigst auch die Gelder aus dem 1,1 Mrd-Topf zum Kampf gegen den Rechtsextremismus dahingehend umgeleitet werden - ansonsten legt sich dort vielleicht noch ein Schwefelduft über das Land.

  • Georg Restle haben Sie ja schon vor zwei Jahren verdienstvoll entlarvt. Im Magazin "Monitor" zeigte er eine Abbildung der Entwicklung der Asyl-Anträge, die irreführend und manipuliert war. Ich wette, es hat ihm nicht das Geringste ausgemacht, damit aufzufliegen. Wie heißt es doch: Linkssein ersetzt das Gewissen. Es ist ihm und Tausenden anderen Ideologen / Opportunisten im ÖR egal. Nun wissen sie wieder, wie die Geschichte der Menschheit weitergeht. Weil sie wissen, dass sie es muss. Und dass alle mit müssen, egal ob sie etwas anderes wollen.

  • Großartiger Artikel!
    Als typisch starrköpfiger Sachse habe ich mich vom Rest dieses Landes zumindest politisch schon sehr lange abgewandt und kann auf FAZ-Hetzartikel, G. Restle und Co. fast schon milde lächelnd wie auf eine freidrehende fremdländische Propaganda herabblicken, mit der innenpolitische Probleme dieses fremden Landes übertönt werden sollen. Leider ist man damit aber auch in Sachsen eine kleine Minderheit, weshalb Figuren wie M. Kretschmer mit Rot und Grün in Regierungspositionen kommen konnten. Insofern beleidigen S. Locke und die anderen Expertendarsteller eher die gutwillig um Anerkennung bemühten Sachsen, von denen das eventuell auch immer mehr bemerken dürften. Klare Spaltungsstrategie, die Herr Wendt hier ja schon vor einiger Zeit treffend beschrieben hat.

  • Wieder einmal absolute Spitzenklasse, Herr Wendt! Nur ein kleiner Hinweis zu dem Gefasel des Hirngiganten Restle: Dass dieser sicher hoch dotierte Schwafler sicher noch nie etwas von dem elementaren Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität gehört haben dürfte, überrascht absolut nicht! Erschreckend ist ansonsten, dass auch die klugen Köpfe der FAZ mittlerweile ebenfalls in das Tal der Ahnungslosen abgedriftet sind! Es ist nicht zu fassen! Mit freundlichem Gruß.

  • Eigentlich müßte man jeden der sowas verbreitet nach §130 Punkt 2 des StGB anzeigen, da heißt es :
    Volksverhetzung
    Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
    die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,
    wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

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