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Wenn Hohepriester Elitenkritik für eine ganz schlechte Sache halten

Die Debatte um Caroline Emckes ’Juden’ beißt sich an einer Nebenfrage fest. Auch ohne diesen Begriff wäre ihre Rede autoritär und antiaufklärerisch gewesen. Damit passt sie allerdings gut in die Zeit

Debatten führt das wohlmeinende Milieu in Deutschland hauptsächlich zu dem Zweck, die Hausordnung dort wieder herzustellen, wo sie nie ernsthaft gefährdet war, nämlich in der eigenen Oberstube. Als wichtigstes Mittel dazu dient die Begriffsexegese.

Denn die lässt sich so durchführen, dass im eigenen intellektuellen Haushalt garantiert kein Zierteller von der Wand fällt. Wenn fast zur gleichen Zeit ein Mob vor einer Synagoge steht und Scheißjuden brüllt, und ein CDU-Politiker von Globalisten spricht, dann weiß der Kenner schon, welcher Frage sich die meisten Wohlmeinenden in Deutschland mit Nachdruck zuwenden: Nämlich der Frage, ob es sich bei dem Politiker um einen strukturellen und verdeckt operierenden Antisemiten handelt. Ein Redakteur des Spiegel gab zu bedenken, dass der Betreffende seine Signale so strukturell und klandestin aussendet, dass er selbst nichts davon merkt.

Unmittelbar nach dem Grünen-Parteitag lief dieser Diskursprozess rückwärts ab. Es gab eine Passage in der Rede der als Gast zugeschalteten Publizistin Caroline Emcke, in der es – anders als bei Maaßen – auch um den Begriff Juden ging, eingebettet in einen sogenannten Kontext. Und dieses Mal muss durch die Auslegungsexperten nachgewiesen werden, dass es sich nicht um ein Code- und Signalwort handelt, nicht um einen doppelten Bedeutungsboden, sondern im Gegenteil um einen böswillig aus dem Zusammenhang gerissenen Begriff. Die Passage, um die es geht, lautet:
„Die radikale Wissenschaftsfeindlichkeit, die zynische Ausbeutung sozialer Unsicherheit, die populistische Mobilisierung und die Bereitschaft zu Ressentiment und Gewalt werden bleiben. Es wird sicher wieder von ‚Elite’ gesprochen werden und vermutlich werden es dann nicht die ‚Juden’ und ‚Kosmopoliten’, nicht die ‚Feministinnen’ und ‚Virolog*Innen’ sein, vor denen gewarnt wird, sondern die Klimaforscher*Innen.“

Der Kontext , in dem bekanntlich alles zu sehen ist, gibt leider nicht her, wer radikaler Wissenschaftsfeind ist, zynisch ausbeutet, mobilisiert, von Elite in Anführungszeichen spricht und vor weiteren teils gegenderten, teils ungegenderten Personengruppen warnt. Ressentiment, Gewalt, Sprechen und Warnen – alles sehr verschiedene Dinge – fließen in dieser Passivkonstruktion zu einem einzigen Sulz ineinander. Die Kritik an Emcke und dem zuhörenden Spitzenpaar Annalena Baerbock und Robert Habeck entzündete sich bekanntlich daran, dass ein ungenannter Feind Elitenkritik üben wird, dann aber nicht wie früher vor Juden und Kosmopoliten warnen will, sondern vor Klimaforschern.
Der Satz fädelt also Juden, Kosmopoliten und Klimaforscher auf die gleiche Schnur. Er vergleicht nicht, er sagt nicht, Klimaforscher würden heute so verfolgt wie Juden früher, suggeriert aber, diejenigen, die heute etwas gegen Klimaforscher vorbringen würden, ähnelten den früheren Judenfeinden. Was Emcke sagt, suggeriert also, rührt zusammen, reiht Signalwörter auf. Eine deutlich die Judenverfolgung bagatellisierende Aussage gibt es trotzdem nicht, und zwar aus einem Grund: Dem Satz fehlt von vorn herein jede deutliche Aussage. Seine Satzglieder hängen schief aneinander wie die Waggons eines entgleisten Zuges. Das macht es den wohlmeinenden Exegeten leicht, Carolin Emcke gegen den Vorwurf des rhetorischen Spieltricks zu verteidigen. Jedenfalls kostet es weniger Mühe, als in Maaßens ’Globalisten’ Spurenelemente von Antisemitismus nachzuweisen. Diejenigen aus Medien- und Politikbetrieb, die sich gerade darum bemühten, den CDU-Politiker zum Kryptoantisemiten zu machen, und sich jetzt darüber beklagen, Emckes Wort würde aus dem Kontext gerissen, erinnern ein bisschen an Capitain Renault in „Casablanca“, der in seinem Stammcasino ausruft, als die Razzia beginnt: „Ich stelle fest, hier wird Glücksspiel betrieben. Ich bin entsetzt, schockiert“, während er sich schnell seine Jetons in die Tasche stopft.

Auch ohne Verwendung des Wortes ’Juden’ wäre Emckes Satz ein intellektueller Unfall. Seit einiger Zeit gehört es zu den festen Bestandteilen in linksmoralischen Reden, Kritik an Eliten als etwas Ungehöriges und Gefährliches zu brandmarken. Schon 2018 warnte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer auch sonst bizarren Rede vor „selbsternannten Kämpfern gegen die sogenannten ’Eliten’“, wobei er nicht mitteilte, wer in seiner Welt Antielitekämpfern die Ernennungsurkunden ausstellt. Bei einer anderen Rede meinte er: „Neue Nationalisten verbreiten die Theorie, dass sich die sogenannten Eliten und die Medien gegen das Volk verschwören.“

Der Soziologe und Eliteforscher Michael Hartmann, um das kurz einzufügen, ist tatsächlich der Ansicht, die westlichen Eliten hätten sich heute stark von der Gesamtgesellschaft entfernt. Hartmann steht politisch links; nach Steinmeier wäre er ein „neuer Nationalist“. Die „Bundeszentrale für Politische Bildung“, die sich immer mehr zu einer ideologischen Agitprop-Plattform wandelt, zählt Elitekritik zu den Wesensmerkmalen des Populismus; sie spricht von einer „Aversion gegen die ‚Bevormundung’ des Volkes durch Funktionseliten“ und lässt keinen Zweifel daran, dass sie die Aversion für das Problem hält. Nach genau diesem Muster warnt also auch Emcke, Kritik an Eliten sei eine hochbedenkliche Sache.

Nun handelt es sich bei Elitenkritik um den Streitmodus von Gesellschaften schlechthin. Überall gibt es ein soziales und politisches Oben und Unten. Zu allen Zeiten neigten diejenigen, die oben sitzen, dazu, ihren Anspruch entweder von Gott abzuleiten, von der eigenen edlen Abstammung, heute eher von der Wissenschaft beziehungsweise einem globalen Auftrag wie dem Klimakampf, aber jedenfalls immer von einer absoluten und unhintergehbaren Institution. Und zu allen Zeiten gab es Leute, die an dieser Ableitung etwas auszusetzen hatten. Wie groß die Aversion ausfällt, hing ebenfalls zu allen Zeiten nicht zuletzt vom Verhalten dieser Eliten ab. Das Mitglied eines Hamburger Millionärsclans, das schon die ganze Welt per Langstrecke bereist hatte, um dann der Welt zu erklären, dass Kurzstreckenflüge abgeschafft und der Autoverkehr halbiert gehören, eine solche Person hätte in allen Epochen einen gewissen Widerwillen beim Pöbel erregt.

Kritik der Eliten nach Unten gab es ebenfalls zu allen Zeiten, nämlich in Gestalt der Aufforderung, Eliten nicht zu kritisieren und sich unbedingt an die moralischen Gebote zu halten, die weiter oben zu allen Zeiten, wie man heute sagt, situativ gehandhabt wurden.
Elitenkritik war früher das selbstverständliche Metier der Linken, wobei die Betreffenden wenig zimperlich vorgingen, beispielsweise Frank-Walter Steinmeier, als er noch in Beiträgen für eine aus Honeckers Kasse finanzierte Zeitschrift Klassenkampf betrieb. Dass er jetzt als Politiker an der Staatsspitze Elitekritik für eine sehr ungute Sache hält, ist noch ein bisschen unorigineller als jede Bundespräsidentenrede.

 

Die Ansicht, dass Eliten Kritik an sich ertragen müssen, ist gerade eine Frucht der Aufklärung

Wie Steinmeier und viele andere gehört Emcke selbst zur Funktionselite dieser Gesellschaft, tut aber so, als befände sie sich in einer gefährdeten Position am Rand und sei durch Kritik bedroht. In ihren Sätzen auf dem Grünen-Parteitag begeht sie auf den ersten Blick einen klassischen Kategorienfehler. Auf den zweiten Blick handelt es sich aber um keinen Fehler, sondern um Absicht, wenn sie „Feministinnen, Virolog*Innen und Klimaforscher*Innen“ als Kollektive behandelt, die sie nicht sind. In der Corona-Pandemie gab es bekanntlich heftigen Streit zwischen Virologen und anderen Wissenschaftlern über den Sinn und Unsinn staatlicher Maßnahmen. Die Auseinandersetzung zwischen klassischen Feministinnen wie Alice Schwarzer und „intersektionellen Feministinnen“ , die Schwarzer als „Rechtsfeministin“ schmähen, übertrifft in ihrer Erbitterung und Bösartigkeit (von Seiten der intersektionellen) bei weitem alle pauschalen Attacken auf Feministinnen allgemein. Mag sein, dass irgendjemand Klimaforscher in toto angreift. Spielt das eine gesellschaftliche Rolle?

Interessant sind die sehr grundlegenden Meinungsunterschiede zwischen einem Apokalyptiker wie Hans Joachim Schellnhuber und einer Forscherin wie Judith Curry, die skeptisch auf die Erklärungskraft von Klimamodellen schaut. Wer so tut, als würde es sich jeweils nur um etwas wie wie Glaubensgemeinschaften handeln, die Nichtgenannte mit „Ressentiment und Gewalt“ (Emcke) unterschiedslos bedrohen, der will vor allem nicht über die tatsächlichen Debatten beispielsweise zwischen Wissenschaftlern reden. Er will nicht nur selbst nicht darüber reden, sondern auch, dass möglichst überhaupt niemand darüber spricht. Die Benutzung des Signalworts ’Juden’ ist da nur noch eine Extrazutat. Wer konstruierte Gebilde wie die Wissenschaft oder den Feminismus kritisiert, aber auch und vor allem, wer einzelne Vertreter der linksmoralischen Kaste nicht ohne weiteres als Priester anerkennt, soll mit diesem rhetorischen Trick auf eine moralische Stufe mit Antisemiten gedrückt werden. Das verkündet Emcke wie gesagt nicht explizit, weil explizites Reden nicht ihre Sache ist.

Aber sie weiß wie eine Hütchenspielerin genau, welchen Subtext sie hin und her bewegt. Sie benutzt die gleiche Methode wie kürzlich die Vorsitzende der Amadeo Antonio-Stiftung Anetta Kahane, die vor der Bundespressekonferenz verkündete, Kritik beispielsweise an Bill Gates sei „Verschwörungstheorie“ und „strukturell antisemitisch“; ihr Zirkelschluss lautete: Kritik an Gates ist verschwörungstheoretisch, Antisemitismus ist im Kern eine Verschwörungstheorie (was tatsächlich zutrifft), also ist jeder, der etwas gegen den Microsoft-Gründer vorbringt, ein abgeleiteter Antisemit.

Es hilft der Klarheit des Denkens enorm, sich das Kategorienverhältnis bewusst zu machen, am besten mit dem Lehrsatz: Alle Dackel sind Hunde, aber nicht alle Hunde sind Dackel. Es gibt Verschwörungstheorien über und zu Bill Gates – aber längst nicht jede Kritik an ihm ist eine Verschwörungstheorie. Es gibt eine Menge antisemitischer Aussagen über George Soros. Aber nicht jede Kritik an Soros ist antisemitisch. Es finden sich auch allgemein verschwörungstheoretische und antisemitische Töne in Äußerungen gegen Eliten. Das macht aber noch lange nicht jede Elitenkritik zu etwas Verschwörerischem und Antisemitischem. Es kommt auf die Kritik an. Die Ansicht, dass Eliten Kritik an sich ertragen müssen, ist gerade eine Frucht der Aufklärung. Das gilt auch, wenn Elitenpositionen heute im Westen überwiegend linksmoralisch besetzt sind. Gates und Soros sind ohne Zweifel Personen, die nicht nur viel Geld in ihren Händen konzentrieren, sondern auch ungewöhnlich viel Macht. Dazu kommt, dass sie kein durch Wahlen gewonnenes Mandat besitzen. Kritik an Mächtigen ist das Kennzeichen offener Gesellschaften. Macht ohne Mandat eher nicht.

In ihrer eingespielten Rede zum Grünen-Parteitag behauptet Emcke, Aufklärung und Rationalität zu verteidigen. Tatsächlich betreibt sie das exakte Gegenteil: Sie versucht, eine Funktionselite von Wissenschaftlern zu sakralisieren und die Kritik an ihr zu verketzern.
Ihr selbst fällt das möglicherweise nicht auf. Denn das, was die immer noch als „Habermas-Schülerin“ apostrophierte 54-jährige Autorin von sich gibt, passt zwar mit ihren Klingelwörtern wunderbar in die linksautoritäre Zeitströmung, ist aber – das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden – über sehr weite Strecken allererbärmlichster unkonziser antiintellektueller Schrott. Und das nicht erst seit gestern. Kurz vor ihrem Auftritt bei den Grünen gehörte Emcke zu den Diskutanten einer SPD-Veranstaltung zu dem gut angedorrten Thema, wie sich die berühmten linken Mehrheiten finden lassen. In ihrem Schlusswort sagte sie folgendes, wörtlich transkribiert:

„Wir müssen über die Frage nachdenken, was der Zusammenhang von Demokratie und Wahrheit ist. Wenn ich mir diese Fragen – wir können die Wohnungsfrage auch noch nehmen. Ich fang’ jetzt mal mit den Fragen an, dann würde ich sagen: Das sind Fragen, die eigentlich gemacht sind dafür, dass es linke Antworten darauf gibt. Denn alle diese Fragen sind Infrastrukturfragen, alle diese Fragen sind Fragen der Gemeinwohl-Orientierung, alle diese Fragen sind Fragen der – ja der Gerechtigkeit. Und insofern, wenn ich von der Problemstellungen ausgehe, würde ich sagen, die Probleme sind wie gemacht für progressive Mehrheiten und linke Antworten darauf. Ob die SPD das jetzt auch so sieht, kann ich nicht sagen, aber das wäre jetzt mal zumindest mein strategischer Shot.“

„Der Zusammenhang von Demokratie und Wahrheit“, was immer das ansonsten für eine Frage sein soll, ist also eine „Infrastrukturfrage“? Und von welcher Problemstellung geht sie nun nach diesem Begriffssoufflé aus Demokratie, Wahrheit, Wohnungsfrage, Infrastruktur und Gerechtigkeit aus? Was wären die linken Antworten respektive der strategische Shot darauf, wenn noch nicht einmal die Fragen als intakte Sätze daherkommen? Das ist jedenfalls exakt der gleiche Stil wie in ihrer Grünen-Parteitagsrede, nur noch ein bisschen konfuser. Es sieht so aus, als hätte sich die Autorin nie wieder davon erholt, dass sie 2016 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für ihr Werk „Gegen den Hass“ bekommen hatte. Darin walzt sie auf 240 Seiten die Gedanken aus, dass es erstens eine gute Seite gibt, zu der sie selbst fraglos gehört, zweitens die anderen, die den Hass verbreiten, den sie überraschenderweise ablehnt, und drittens, dass fast alle Übel durch die Unterscheidung von wir und die zustande kommen. Dass es so etwas wie Hass auch in ihrem politischen Spektrum geben könnte, erwägt sie gar nicht erst.

Ein berühmter Satz von Oscar Wilde lautet: „So etwas wie ein moralisches oder unmoralisches Buch gibt es nicht. Bücher sind gut oder schlecht geschrieben. Das ist alles.“

Dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels gefiel es damals, den Satz von Wilde ins Gegenteil umzukehren. Allerdings: Verglichen mit „Gegen den Hass“ markieren Emckes Bemühungen, intellektuellen Glanz in die Hütten von SPD und Grünen zu zaubern, noch einmal einen erheblichen geistigen Abstieg, ja sogar die vorläufige Talsohle ihrer Laufbahn. Ihre Ansprache vor den Grünen lobte Katrin Göring-Eckardt als „eine große Rede für Aufklärung, für Wahrheit, die zumutbar ist, für die Wirklichkeit“. Was nur zeigt, dass die Frau, die sich als Bundespräsidentin für zumutbar hält, ebenfalls schon perfekt einen sinnlosen Wortauflauf zubereiten kann.

Auf diesen Boden wächst gerade eine neue autoritäre Gesellschaft heran

Über das Klima im Land sagt es sehr viel, dass sich das Kommentariat an der Nebenfrage festbeißt, ob die Aufreihung von ’Juden’ in Emckes Rede vertretbar, antisemitsmusverharmlosend oder sogar antisemitisch war, und dabei die zentrale Frage übersieht, willentlich oder aus Unvermögen, dass ihre Botschaften antiaufklärerisch und autoritär sind. Und dass sie es auch ohne das Wort ’Juden’ wären. Mit ihrer Antiaufklärung steht sie nicht allein. Wer ein ganz ähnliches postdemokratisches Geklapper lesen will, muss nur in den Werbetext zum Buch von Charlotte Annalena Alma Baerbock „Jetzt“ schauen:

„Jede gute Politik beginnt damit, sich der Wirklichkeit zu stellen. Die Dinge, die sind, anzuerkennen, um sie zu verändern. Aber sie darf damit nicht enden. Statt wie bisher als allererstes die ängstliche Frage zu stellen: ‚Oh je, geht das überhaupt?’, sollten wir uns fragen: Was muss getan werden, damit das Nötige möglich wird? Darüber habe ich ein Buch geschrieben.“

Doch, „geht das überhaupt?“ gehört zu den ersten und wichtigsten politischen Fragen, jedenfalls in westlichen Gesellschaften, die noch nicht in der Postdemokratie angekommen sind. Wer diese Grundfrage als ängstlich beiseiteschieben und gar nicht debattieren will, sondern stattdessen das Nötige beschwört, bei dem alle mitmachen müssen, der harmoniert natürlich bestens mit Leuten, die Elitenkritik schlimm finden, seit sie selbst zur Funktionselite gehören, und als Verschwörungstheorie beschreien, was ihnen nicht passt. Vor allem ist der- oder diejenige ein lupenreiner Postdemokrat. Die Frage nach der Praktikabilität von Politik für falsch und schlecht zu erklären, das ist Okkultismus, Voluntartismus, Dummheit – und das Gegenteil von Rationalität.

In diese dieser Riege fügt sich auch die von der Kanzlerin gelobte und preisgekrönte Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim ein, die kürzlich in einem Interview mit RND meinte: „Streiten können wir natürlich immer. Aber es wäre toll, wenn wir weniger über das diskutieren, was bereits als sichere wissenschaftliche Erkenntnis gilt.“
Vor der Relativitätstheorie galt die Ausschließlichkeit der Newton’schen Physik als sichere wissenschaftliche Erkenntnis, vor der modernen Medizin die Körpersäftelehre. Auch zur Notwendigkeit der Euthanasie gab es einmal einen breiten wissenschaftlichen Konsens, von dem Schweizer Sozialisten Auguste Forel bis zu amerikanischen Ärzten. Fast jede neue wissenschaftliche Erkenntnis entstand bei der Zertrümmerung einer alten, die einmal galt. Bis vor kurzem galt es übrigens auch als praktisch unerschütterbare Meinung, das SARS-Cov-2-Virus könnte unmöglich aus einem Labor stammen, und die Ansicht, es wäre doch möglich, als irre Verschwörungstheorie.
In genau dieses Horn, bestimmte Aussagen von Wissenschaftlern für undiskutierbar zu erklären, tutete kürzlich auch ein Zeit-Autor.

Das Diskutieren einschränken – natürlich nur bei den gerade nützlichen wissenschaftlichen Ansichten – , Wissenschaftler zu Priestern befördern, wenn sie das eigene Milieu stützen, Eliten nicht mehr befragen , wenn es die richtigen sind: Auf diesen Boden wächst gerade eine neue autoritäre Gesellschaft von Leuten heran, die frei nach Gerhard Polt sagen: „Ich brauch keine Opposition, weil ich bin schon so reflektiert.“

Allerdings meinen sie das nicht als Witz.

Auch alle wirklichen Fortschritte wurden natürlich gegen frühere Eliten und Mehrheitsmeinungen durchgesetzt. Als William Wilberforce begann, sich gegen die Sklaverei einzusetzen, gehörte er zu den Außenseitern. Er trat unter etwas anderen Bedingungen an als die Wohlmeinenden, die mehr als 200 Jahre nach ihm die Sklaverei moralisch verdammen, allerdings nur die längst abgeschaffte Sklaverei des Westens, nicht die in muslimischen Ländern, die immer noch existiert.

Das – die selbstgefällige Abwicklung von Aufklärung und Kritik durch eitle Vorbeter – müsste heute ein großes öffentliches Thema sein. Stattdessen gibt es dort im angestammten intellektuellen Milieu eine riesige Leerstelle. Die Debatte findet allenfalls an den Rändern statt. Anders ginge es aber auch schlecht in einem Land, in dem Leute wie Emcke, Precht, Hirschhausen, Nguyen-Kim und eine Menge von publizistischen Putzerfischen die öffentlichen Gedankengänge verstopfen.

Dieses Milieu würde vermutlich auch Kants Aufsatz „Was ist Aufklärung“ als krude und gefährlich geißeln, wenn er jetzt noch einmal erschiene. Sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen – unerhört. So spricht der Verschwörungstheoretiker, der behauptet, es gebe überhaupt Leute, die den Verstand von anderen leiten wollen. Die gibt es natürlich nicht. Diesen Merksatz, an dem nicht zu zweifeln ist, wiederholen wir jetzt alle.
Eine Professur könnte sich der Mann heute abschminken.

 

 

 

 


Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.

 


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Alexander Wendt: Weitere Profile:

Kommentare anzeigen (58)

  • Emcke sucks! Linksdrehender, -gewendeter Pseudointellektueller Müll, eine Kakophonie aus zusammengezimmerten Thesen mit dem immer gleichen Ziel der Beweislastumkehrung. Die eigene Instrumentalisierung innerhalb dieser sogenannten 'Funktionselite' nicht erkennend. Eine Steigbügelhalterin und Wasserträgerinnen des Machterhalts dieser Unterdrücker und Spalter, die alphabetisierte Haushälterin auf dem grünen Gutshof. Wortungetüme und Satzkonstrukte vergleichbar mit den optischen Täuschungen eines Escher. In der inszenierten Theatralik schon doch irgendwie surreal komisch, Helge Schneider auf Dada oder so.
    Diese 'intellektuellen' Ausscheidungen nur im 'Sitzen' und danach bitte Spülung betätigen!!

  • Sezierung wieder vom Feinsten, Herr Wendt! Für mich wertvoller als Gold! Über Emcke und ihre Brüder und Schwestern im Geiste ließe sich auch Ihre treffende Beschreibung von Merkels Redekünsten heranziehen, von der "rhetorischen Vertiefung zum schwarzen Loch". In Ihrer aktuellen Studie erkenne ich teilweise eine Fortsetzung: Über die Problematik des Ereignishorizonts, wo der eigentlich schon "verschluckte Sinn" - obwohl bereits lange spaghettifiziert - trotzdem noch am Rande kleben bleibt und sich in empfängliche Köpfe fortpflanzt, als ein Phänomen im Raum/Zeit-Vakuum. Interessant ist in Zusammenhang mit Frau Emcke auch Folge 135 von "indubio" auf Achgut - dort plaudert Markus Vahlefeld, der sie noch aus jüngeren Jahren persönlich kennt, ein wenig aus dem Nähkästchen. Das Unwohl, das ebenso aus Ihrem Text heraus klingt, kann ich verstehen - denke ich an Aussagen aus Politik und Medien, dass der fliegende Greanpeace-Mann im Fußballstadion nur deshalb heil davonkam, weil er als solcher erkenntlich war (und die Aktion wohl auch sogar vorher bei der Polizei angekündigt), kommt mir auch das Gruseln. In der Logik der selbsternannten Weltverbesserer stünde mir dann womöglich zu, ein paar von mir ausgesuchte Ziele einfach über den Haufen zu schießen, wenn ich sie als Feinde ansehe. Zu fürchten hätte ich nichts - ich müsste mir nur ein T-shirt von Greenpeace überziehen...

  • Das war einer der schlechtesten Beiträge, die ich bisher bei Ihnen gelesen habe. Mit einem Haufen mir unverständlicher Fremdwörter machen Sie Frau Emcke nieder. Warum und weshalb, ist für mich nicht erkennbar. Ich fand ihren (Emckes) Beitrag gut. Dass ihn sofort die Bildzeitung als antisemitisch verrissen hat, erklärt sich für mich auch nur dadurch, dass man ihn verreißen wollte, und keinen anderen Aufhänger fand. Für mich hatte er nichts antisemitisches. Was Sie eigentlich wollten, und warum, hat sich mir nicht erschlossen.

    • Das ist schade. Nur scheint mir Herr Wendt der falsche Ansprechpartner für Sie zu sein.

    • Nein, es ist einer der allerbesten Beiträge. Genau auf den Punkt. Und unverständlich ist an dem Artikel gar nichts. Er ist nur vielleicht etwas zu kurz, viele Dinge, die gesagt werden sollten, bleiben unerwähnt. Wie zum Beispiel die Erklärung, wie unsere modernen "Schrott-Eliten" entstanden sind und wie sie an die Macht kamen. Aber das wäre vielleicht Thema für einen sehr viel längeren Aufsatz oder ein Buch.
      Ich würde da, um Themen anzureissen, die systematische Verhunzung unseres Bildungssystems seit den 80iger, 90iger Jahren anführen. Zur "Demokratisierung" der Bildung wurde von linken Theoretikern immer wieder versucht, Fachwissen als "Fachidiotie" darzustellen und "sozialen Kompetenzen" einen höheren Stellenwert an Schulen und Unis zuzubilligen. Mit dem vorgeblichen Ziel, breiteren Kreisen eine Uni-Ausbildung zu ermöglichen, wurden praktisch die Anforderungen herabgesetzt - ich habe das selbst erlebt - mein Chef an der Uni., eine international bekannte Kapazität, meinte "Das (Studenten-) Material wird von Jahr zu Jahr schlechter"; er hatte Recht, das war mit Händen zu greifen.
      Und da man Studienanforderungen in naturwissenschaftlichen Fächern nur schwer herabsetzen kann, wurden eben die Sozialwissenschaften immens aufgebläht - hier konnte man bei gutem Willen jedes bemühte Geschwätz positiv bewerten.
      Kurz: Kompetenz wurde durch Geschwätz - moralisierendes Geschwätz - ersetzt.
      Moral, auch vorgebliche, hat gegenüber Fachkompetenz den Vorteil, dass man mit ihr auch inkompetente oder uninteressierte Menschen beeindrucken kann, die nicht in der Lage oder willens sind, sich mit komplizierten Fakten auseinanderzusetzen. Moral schlägt Fakt.
      Politiker und Sektierer haben das seit jeher genutzt. Aber früher hatten wir Korrektive für dafür - eine sachlich fundierte öffentliche Debatte. Die ist weggefallen. Moralisieren ist einfacher und verspricht mehr Erfolg. Kein Wunder, dass deshalb rationale Erwägungen zunehmend ins Hintertreffen geraten.
      Motto, nach A. Baerbock: " Ich habe keine Lust, mir sagen zu lassen, dass das... nicht funktioniert".

    • Ich finde es löblich, dass Sie hier Ihre abweichende Meinung äußern. Vermutlich gehört dazu ein gewisses Maß an Mut. Allerdings würde ich Sie gerne auch höflich bitten, Argumente vorzutragen. Wenn ich es richtig verstehe, ist Ihr Argument gegen den Artikel, dass SIE nicht verstehen, was der Autor wollte. Es gibt nun mindestens zwei Argumentationslinien. Die eine besagt, dass der Autor ein irrationales Pamphlet produziert hat und die zweite ist, dass der Leser der Logik der Ausführungen nicht folgen konnte. Ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie - um die zweite Argumentationslinie zu widerlegen - ganz einfach darstellen würden, weshalb sich der Autor in zumindest eine der beiden Todsünden wissenschaftlichen Argumentierens verstrickt hat: i Widerspruch zur Wirklichkeit und ii logischer Fehlschluss.

    • Frau Emcke erweist sich in ihrem Text als moralisch verkommen, verkauft sich aber trickreich als Moralistin. Sie sind offenbar drauf reingefallen. Was Herrn Wendts Text so schwerverständlich macht, ist der Trickbetrügeraufwand, den er an Emckes Text gründlich entlarvt.

  • „linksautoritär“? Nein, autoritär! Noch nie war so viel Oben und Unten. Ein Deutschland, das ich bisher nur von sepiafarbenen Fotos kannte. Und es ist leider ein nur allzu menschlicher Zug, dass man zu denen da Oben gehören möchte.

  • Wiederum eine sehr kluge Analyse - vielen Dank! Hinter der Rede steht m.E. zusätzlich noch der Aspekt "Angriff ist die beste Verteidigung". Grüne und ihre Wählerinnen haben in Sachen "Wissenschaftsfeindlichkeit" ja selbst eine sehr unrühmliche Vergangenheit (Gentechnik, Homöopathie und andere Obskurantismen, hysterische Schadstoffgrenzwerte usw.). Wird dann noch das "Impfangebot" angenommen, ist die Glaubwürdigkeit im Kern berührt.

  • „… Aber sie weiß wie eine Hütchenspielerin genau, welchen Subtext sie hin und her bewegt …"
    „… Sie benutzt die gleiche Methode wie …“

    Das bin ich mit dem Autor über Kreuz.

    Sie weiß gar nichts und nutzt keine Methoden.
    Jedenfalls nicht bewußt.

    Sie schwurbelt ihr Zeug eben genau so heraus, wie es geistig unreif und nicht durchdacht aus ihr heraussprudelt.
    Weil sie es schon immer so macht und es bei ihrer Zielgruppe ankommt.
    Weder diese Zielgruppe noch sie wären in der Lage, auch nur ansatzweise eine solch analytische Tiefenkritik zu bewerkstelligen, wie sie Wendt vorträgt.

    Exakt deshalb sind ihre Texte, wie ihre Gedanken: „… allererbärmlichster unkonziser antiintellektueller Schrott …“.
    Da wird nicht gedacht, da wird wohlig irgendwas gefühlt, was sich in der eigenen Blase verstärkt.

    Daß das keiner logischen Prüfung standhält, ist bei Eliten, die sich gar nicht als solche verstehen, weil sie den Begriff als Kritik auffassen, und die sich wohl im Gegenteil ganz nahe am Volke und diesem postiv zugewandt wähnen, dann nur folgerichtig.

    Genau deshalb gibt es ja den Elitenbegriff, der das Wolkenkuckucksheim vom Rest scheidet.

    Das würde mich alles nicht stören, wenn diese „Leute wie Emcke, Precht, Hirschhausen, Nguyen-Kim und eine Menge von publizistischen Putzerfischen die öffentlichen Gedankengänge [nur] verstopfen würden“, was ich zum Teil auch noch bezahlen muß. Schlimmer ist es, daß diese Elite-Blase damit tatsächlich und mehr als real auch der Wegbereiter der aktuellen Politik ist: „Macht ohne Mandat“, „das Gegenteil von Rationalität“, „eine neue autoritäre Gesellschaft“.

    Und es macht ohnmächtig, daß das vom „Kommentariat“ goutiert wird!
    Hoffnung darf man schöpfen, weil dieses zwar wirkmächtige Kommentariat dennoch eine Minderheit ist, eben abgeschlossen in seiner elitären Blase.

    Im September werden wir sehen, daß nicht nur die Sachsen-Anhaltiner mehrheitlich konservativ-bürgerlich-liberal sind.

    • Gut möglich, daß ich mich irre und Sie Recht haben und man da mit ideologikritischen Kanonen auf tagesopportune Spatzen schießt. Grundsätzlich neige ich aber dazu, linke Ideologen nicht als Naivlinge abzutun.

  • Wieder eine sehr gute und relevante Analyse aus ihrer Feder. All das ist einem halbwegs geisteswissenschaftlich gebildeten Menschen klar, aber erstens ist es schön, daß es mal jemand am konkreten Beispiel so prägnant darlegt, und zweitens - und das ist im Grunde höchst merkwürdig - ist dieses linke, lose, löchrige, mißglückt assoziative, von "kritischer Theorie" tumb gewordene Denken linker Autoren so die Regel geworden, daß kein Hahn mehr danach kräht. Nicht einmal der einfache Mensch von der Straße zuckt mehr zusammen bei so unsinnigem Gesülze - sonst würden diese Leute ja nicht von knapp 40-50% der Bürger gewählt werden.

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