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Die große Transformation in die schlechtere Zukunft

Warum stürzen bestimmte Politiker trotz Affären und Lügen nicht? Weil sich die meisten Medien nicht mehr als Gegenspieler der Politik verstehen – und zwar freiwillig. Wohin das führt, lässt sich in dem neuen brillanten Roman von Dave Eggers studieren

Angela Dorothea Merkel nippt an ihrem Weißwein im Wintergarten ihrer Ruhestandswohnung. Das geht schon seit 2018 so; ein bisschen leer fühlt sich das Leben nach dem Amt an, vor allem wegen der unkommoden Umstände ihres Abgangs.

In der erstbesten Welt säße sie immer noch abwechselnd im Kanzleramt oder Am Kupfergraben in Berlin. In der zweitbesten könnte sie Ruprecht Polenz sagen: „Wenn du mich das nächste Mal besuchst, sind deine Urenkel hoffentlich alle mit dem Studium durch.“ In der drittbesten Variante, in der sie sich und ihm im Wintergarten gerade einen Schluck Warnig Auslese nachschenkt, darf sie in ihren Sozialkontakten nicht zu wählerisch sein.

Bei Ursula von der Leyen, Privatfrau und Pferdezüchterin bei Hannover, gibt es immerhin nach dem Abgang aus dem Bundesverteidigungsministerium ein Tier- und Familienleben. Franziska Giffey hätte sich nach ihrem Rücktritt als Ministerin aus mehreren Posten bei Organisationen des Landes Berlin etwas Passendes aussuchen können, zog es dann aber doch vor, in den Aufsichtsrat der Gute Erdgas-Agentur mit Doppelsitz in Moskau und Rostock zu wechseln.

Olaf Scholz joggt im Hamburger Stadtpark; er sagt sich in seiner vernünftigen Art, dass es zum Postpolitik-Syndrom gehört, wenn es ihm so vorkommt, als würden seine Laufschuhe bei jedem Schritt in den Matsch Kumm-Ex und War-Burg quietschen. Und dass sich so ein Syndrom irgendwann auch wieder legt.

Die Frage, warum Angela Merkel nicht schon längst solo oder in angemessener Gesellschaft im Wintergarten ihres Missvergnügens sitzt, Olaf Scholz nicht exklusiv an seinem Laufstil arbeitet, UvdL nicht an einem Pferdefell und Jens Spahn nicht an seinem Silberbesteck in Dahlem, diese Frage führt zu dem Zustand der Medien in Deutschland.

 

„Sie können uns nicht viel nutzen, wir Ihnen aber sehr schaden“ – Dialog aus der goldenen Medien-Ära

In den siebziger Jahren fand in Bonn ein legendäres Gespräch zwischen einem hochrangigen Politiker und einem Journalisten über das Machtgefälle zwischen Politik und Medien statt. Es gebe doch fast keines, meinte der Politiker, man sei doch fast auf Augenhöhe. Worauf der Pressemann antwortete: „Nein, sind wir nicht. Sie können uns nicht viel nützen. Aber wir können Ihnen viel schaden.“

Was seitdem auch immer geschehen ist zwischen Politikern und Medienschaffenden, es herrschen heute rundum andere Verhältnisse. Die nachdrücklichsten Rücktrittsforderungen seit langem sowohl in Zahl als auch Tonlage stellten Journalisten jetzt gerade an die Adresse eines anderen Journalisten, den Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner, der ihrer Meinung nach zumindest als Präsident des Verlegerverbandes gehen sollte, weil er sich despektierlich über die mangelnde Bereitschaft der meisten Pressevertreter zur Regierungskritik geäußert hatte. Erst dann, wenn die wohlmeinenden Medienleute über die Maskengeschäfte von Jens Spahn ähnlich schreiben würden wie über einen durchgesickerten Satz Döpfners aus einer privaten Korrespondenz, müsste der Unionspolitiker sich Sorgen um sein weiteres Fortkommen machen. Vorher eher nicht.

In der Geschichte der deutschen Medien von diesem Gespräch bis heute gibt es einen makronanalytischen Teil: Das Netz, in das viele Leser abwandern, die angebliche Unlust des Publikums, für Journalismus zu bezahlen, die zurückgehenden Werbeeinnahmen und den sich aus allen drei Faktoren ergebenden Zwang, wenig und im Vergleich zu goldenen Zeiten schlecht bezahltes Schreibpersonal zu beschäftigen, oder gleich Schreibprogramme, die übrigens dank KI schon besser arbeiten als das Autorenkollektiv des Annalena-Baerbock-Buchs.

Dazu kommt noch die Existenz von Medienberatern, ein Phänomen, über das Sie in den allermeisten Medien nie etwas lesen werden. Irgendjemand sollte einmal erforschen, ob es eigentlich die gleichen Berater oder mehrere Generationen waren, die erst den Pressehäusern geraten hatten, ihre Inhalte im Netz zu verschenken, dann die geschrumpften Redaktionen hinundher zu strukturieren und den Verlegern wiederum ein paar Jahre später zu erklären, auf nichts wäre die angeblich allesentscheidende Gruppe der jungen Leser so scharf wie auf einen gut durchgequirlten Mix aus marxistischem Oberseminar, Tipps für Nahrungsneurotiker und hochwertigen Schultoilettenwandtexten. Jedenfalls kamen genau diese Mischungen unter Namen wie bento, ze.tt und noizz tatsächlich für kurze Zeit auf den Markt, um dort so schnell wieder zu verschwinden, dass der eine oder andere von Ihnen vielleicht die vorbeizischenden Kondensstreifen verpasst hatte.

Das alles gehört wie gesagt zur Makrogeschichte der Medien. In diesem Text soll es vor allem um die Mikrobetrachtung gehen, für die der Autor eine ganz brauchbare Voraussetzung mitbringt: Ich war fast 30 Jahre lang Mitglied in Redaktionen, die alle noch aus der goldenen Medienära stammten, und von dort aus durch das silberne und eiserne Zeitalter und noch ein bisschen weiter rutschten. Dabei veränderten sie sich zwangsläufig. Die oben schon erwähnten Berater würden jederzeit bestätigen, dass die Pressehäuser in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten ziemlich viel Ballast loswerden konnten. Allerdings auch die Fähigkeit, einem Politiker so zu antworten wie der oben erwähnte Journalist.

Wer schon einmal einen Blick nach vorn werfen will, weiter, kühner und schärfer als jeder Berater, der tut das am besten, indem er den frisch ins Deutsche übersetzten Roman „Every“ von Dave Eggers liest. In dessen nicht genau definierten, aber jedenfalls nahen Zukunft („nach der zweiten Pandemie“) kommt es zu einer Fusion von Facebook und Amazon; der auf diese Weise entstandene Universalkonzern mit dem titelgebenden Namen „Every“ übernimmt praktisch auch die Rolle der Regierung, gleichzeitig prägt er die Gesellschaft so tief wie früher nur die kommunistischen Parteien des Ostblocks.

Der Roman des Amerikaners ist das wichtigste politische Buch seit langem, in seinem Gewicht am ehesten vergleichbar mit Michel Houellebecqs „Unterwerfung“ (eine ausführliche Besprechung von „Every“ folgt auf dieser Plattform in Kürze). Eggers dystopische Welt lässt nur noch schmale und übel beleumdete Bereiche übrig, in denen Everys Produkte nicht alles vernetzen, überwachen und durchstrukturieren. Selbstverständlich tun sie das mit dem Anspruch, das Leben der Menschheit gesünder, sicherer und planbarer zu gestalten.

Die Firmenzentrale, der so genannte Campus, befindet sich auf einer Insel in der San Francisco Bay. Die Besonderheit dieser Schatzinsel besteht darin, dass dort ein striktes Reinheitsgebot herrscht. Keine nach Every-Maßstäben moralisch fragwürdige Person darf den Campus betreten, kein Gegenstand kommt durch die Sicherheitskontrollen, falls es Zweifel an dessen ethischer Qualität gibt. In der neuen Ordnung formuliert jeder, der dazugehören möchte, seine gesprochenen und getippten Sätze in einer zertifizierten Sprache, in der es nichts Anstößiges und erst recht kein Wort mehr gibt, das irgendjemand als diskriminierend empfinden könnte. Bei den „Everyones“ – den Mitarbeitern des Universalregierungsunternehmens – handelt es sich weder um schlechte noch um besonders machtgierige oder charakterlose Personen. Die meisten arbeiten in der Überzeugung, dass ihre Produkte das Leben der Menschen verbessern. Ach ja: Journalismus im traditionellen Sinn gibt es in der „Every“-Gesellschaft nicht mehr. Die Überreste der früheren Medien leben in einer der vielen Nischen in der äußeren Schicht des Everyversums weiter.

Eggers Roman bietet wie gesagt einen Blick in eine möglicherweise nicht allzu weit entfernte Zukunft. Aus der Geschichte ergibt sich auch eine nützliche Anwendung für die Gegenwart: Für die meisten schlechten Entwicklungen sind keine individuell schlechten Menschen verantwortlich. Auch in den Medien nicht. Im Gegenteil, viele wirken im Umgang nicht unangenehm, einige sogar sympathisch. Bösartige persönliche Absichten verfolgt so gut wie niemand.

 

Journalisten mit illiberaler Agenda verfolgen keine bösen Ziele. Im Gegenteil – sie sprechen von Wertegemeinschaft

In der Transformation des Journalismus von der goldenen Ära bis in die Jetztzeit spielen drei große Gruppen die Hauptrollen: die Vertreter der neuen Innerlichkeit, die Ahnungslosen und die Medienmitarbeiter mit einer Agenda. Es gibt noch andere Gruppen, Untergruppen und Überschneidungen. Aber von dem oben genannten Trio bezieht der Kulturwandel, der change process seinen hauptsächlichen Schwung. (Kleiner Hinweis, ehe es mir ein Leser vorhält: Die allermeisten Namen stehen in diesem Text als Chiffren für gesellschaftliche Vorgänge, nicht wegen des Eigengewichts der Personen).

Die neue Innerlichkeit gehört zu den Richtungen, die Chefredakteure und Medienberater vor ungefähr zehn Jahren als Mittel zur Anwerbung der ominösen neuen Leser und überhaupt zur Auflockerung entdeckten. Oft, aber nicht immer waren und sind es jüngere Frauen, die radikal subjektiv über ihre Vorlieben und Abneigungen schreiben, ohne sich die Frage zu stellen, was sich daraus für die Gesellschaft jenseits der Bürotür ableiten lässt. Medienkonsumenten konnten dann beispielsweise ein Pamphlet gegen den Muttertag lesen, den die Autorin für patriarchalisch hält, und mit dem sie nicht rundum positive Kindheitserinnerungen verbindet, und der deshalb für alle abgeschafft gehört (Julia Schaaf in der FAZ); ein Pamphlet gegen Altbauwohnungen, die der Autorin nicht gefallen, das Klima schädigen und sowieso „die Geister der Vergangenheit“ beherbergen (Claudia Schumacher in der Zeit), weiterhin eine Aufforderung, Männeranzüge zu verbannen („Männer, schafft eure Anzüge ab“, Magdalena Pulz in jetzt), weil: steht für „Mann in Machtposition“; außerdem bringt die Autorin das überhaupt letztgültige Argument aller Innerlichen an: „Ich finde es so daneben“. Zu jeder Spargelsaison gibt es bei Spiegel Online einen Text von Margarete Stokowski beziehungsweise dem Bot gleichen Namens mit dem Appell, Spargel abzuschaffen (phallisch, toxisch männlich).

Praktisch immer geht es den Innerlichen darum, irgendetwas Traditionelles und Reaktionäres auszujäten, von dem Frau oder gelegentlich auch Mann sich persönlich ennuyiert fühlt. In dem Magazin, für das ich lange arbeitete, kam diese Praxis wie alles Journalismusinnovative spät an. Aber irgendwann war es so weit, dass eine junge Kollegin darüber schrieb, was sie beim Anblick eines Fotos von Donald Trump und Greta Thunberg („so mutig“) auf irgendeiner Konferenz empfand.
Die Besonderheit der Innerlichkeitstexte liegt darin, dass sie medienübergreifend völlig identisch wie von ein und demselben KI-Programm zusammengestoppelt klingen, das dem strikten Befehl folgt, selbst Mikrospuren von Humor und Eleganz zu vermeiden.

Der Bereich der Ahnungslosen nimmt vermutlich mehr Raum in den schrumpfenden Redaktionen ein. Im Gegensatz zu den Innerlichen geht es hier unterhaltsam zu. Ich hatte erlebt, dass jemand in der Redaktion – das Geschlecht lasse ich aus Anonymisierungsgründen weg – meinte, die Autoindustrie sei für die deutsche Wirtschaft eigentlich verzichtbar (komischerweise die Medienindustrie nicht), und genügend grundlastfähiger Strom für das Land ließe sich nach der Abschaffung von Kern- und Kohlemeilern auch prima mit kleinen Blockkraftwerken auf Pelletbasis erzeugen. Ein Mitglied der Chefredaktion meinte, der Gebrauch von Executive Orders durch Donald Trump zeige, dass in den USA eigentlich schon Ausnahmezustand und keine Demokratie mehr herrschen würde. In einer Redaktionssitzung stellte sich heraus, dass eine Person, die viel über Politik schrieb, praktisch nichts über die innere Verfasstheit des Islam wusste. Den Islam hielt sie für eine Art EKD mit Halbmond statt Kreuz, und er/sie – ich lasse es wieder mal offen – machte auch keinen Hehl daraus, sich für das ganze Schiiten-Sunniten-Imam-Hadithenzeugs, das neuerdings auch in Deutschland eine Rolle spielt, nicht die Bohne zu interessieren.

Unter „Osteuropa“ verstanden die meisten Redaktionsmitglieder einen amorphen Landklumpen jenseits der Oder, in dem dumpfe Bauernreaktionäre alles Regenbogenfarbene knechten. Wobei die wenigsten Kollegen auch nur die Hälfte dieser komischen Länder auf einer Karte ohne eindeutige Beschriftung gefunden hätten.
Bei der Zeit gab es ein Journalistinnenduo, das einen langen begeisterten Text über den Klimaforscher und Erfinder der Hockeystickkurve Michael Mann ablieferte, und das hartnäckig schrieb, Mann hätte Temperaturdaten aus Baumrinden gelesen (statt aus Baumringen), woraus folgt, dass sie noch nicht einmal einen flüchtigen Blick in dessen Texte geworfen haben können. Im Archiv des öffentlich-rechtlichen Funks finden sich mittlerweile Preziosen wie die Erklärung beim ARD/ZDF-Jugendangebot funk, warum Inflation gut ist („wenn du weißt, dass Döner mit der Zeit immer teurer werden, wartest du nicht so lange, dir einen zu kaufen“).

Das alles erinnert ein bisschen an den Kreuzfahrtbericht von David Foster Wallace „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“, in dem es heißt: „Ich habe erwachsene Bürger aus dem gehobenen Mittelstand gehört, die am Infocounter wissen wollten, ob man beim Schnorcheln nass wird, ob Skeetschießen im Freien stattfindet, ob die Crew ebenfalls an Bord schläft oder um welche Uhrzeit das Midnight-Buffet eröffnet wird.“

Wer mit Journalistenausbildern spricht, der bekommt ein Gefühl dafür, dass diese ohnehin schon überproportionale Medienschaffendengruppe in Zukunft fast automatisch weiter wächst.

Dieser Blick auf die inneren Verhältnisse macht es ganz nebenbei auch plausibel, warum viele in den Medien darüber hinwegsehen, wenn eine Kanzlerkandidatin die Grundlast durch Tiefkühlhühnchen stabilisieren will, Tonnen mit Gigatonnen verwechselt, und sich Gedanken über den CO2-Verbrauch je nach Einkommensklasse macht.

Die dritte Gruppe – diejenigen mit einer illiberalen Agenda – bildet die kleinste und wirkungsvollste Kohorte im Journalismus. Zu ihr gehört beispielsweise der Journalist der Süddeutschen, der 2015 alle, die sich nicht restlos über die Massenmigration begeistert zeigten, „wunderliche Nichtneger“ und „heimatliebende Zustandsbewahrer“ nannte: „Es ist 2015. Und ihr kommt aus euren Löchern ans Licht gekrochen“. Es gehört Walter Wüllenweber vom Stern dazu, der empfiehlt, zur Klimarettung, wie er sie sich vorstellt, die Demokratie zu suspendieren („aber wir müssen solche zivilisatorischen Rückschritte in Kauf nehmen, um die Zivilisation zu retten“). Ein Peter von Becker, der im Tagesspiegel einen militärischen Angriff Deutschlands und anderer wohlmeinender Staaten auf Brasilien durchspielt, wenn dort unter Bolsonaro weiter Urwald gerodet würde (nicht mehr übrigens als unter dessen linkem Vorgänger Lula): „Dann beginnen mit Blick auf Interventionen auch andere Gedankenspiele. Nicht nur für Alarmisten und Bellizisten. Zukunftsmusik? Mancher hört schon das Stimmen der Instrumente.“

Es zählt die Truppe des Tagesspiegel dazu, die mit Hilfe von anonymen Informanten, von Gerüchten, Gerauntem und Gelogenem die Initiatoren der Video-Aktion #allesdichtmachen, die widersprüchliche staatliche Coronamaßnahmen verspottete und persiflierte, in die Nähe von Rechtsradikalen rückten. Dem Unternehmer und Sprecher der Grundrechtsinitiative „1bis19“ Paul Brandenburg unterstellte das Blatt, ein „Demokratiefeind“ zu sein (ohne jeden Beleg), und hinter der Aktion #allesdichtmachen zu stehen (frei erfunden). Dem denunziatorischen Bericht folgte die Drohaktion einer SPD-Bundestagsabgeordneten, die dazu führte, dass der Vermieter dem angeblichen Antidemokraten Brandenburg die Geschäftsräume kündigte. In solchen medial-politischen Kollusionen geht es längst nicht mehr um Meinungen. Sondern darum, Gegner zu markieren und, wenn es sich irgendwie machen lässt, sie sozial zu vernichten.

Noch eine andere Stufe erreichen die Agendavertreter, die in den öffentlich-rechtlichen Sendern Vertreterinnen des politischen Islam inklusive antisemitischer Überzeugungen anheuern. Beide Seiten – Leute wie Nemi El-Hassan wie diejenigen, die sie in die Anstalten holen und dort gegen jede Einwände halten – wissen genau, was sie tun. Da gilt nicht ‘nie wieder‘, sondern das Prinzip: immer mehr. Wenn die WDR-Programmdirektorin Valerie Weber in einer internen Mail zum Fall El-Hassan schreibt: „Hinter den Kulissen sind wir mit der Kollegin weiter im direkten Austausch“, davon, dass der Sender erst einmal die „Pausetaste“ gedrückt hätte, bis die Kritik sich legt, und weiter schreibt: „Wer Quereinsteiger:innen eine Chance geben will und Diversität fördert, hat dann als potenzieller Arbeitgeber eine gewisse Fürsorgepflicht, kulturelle Konflikte auch gemeinsam zu durchlaufen“, dann klingt das schon wie die plastifizierte Konzernsprache in Eggers „Every“. Eine Kulturkämpferin, die zu anderen Kulturkämpfern im Sender stößt, ist eine Garantin für „Diversität“, Antisemitismus ein „kultureller Konflikt“, und der Versuch, die Kaderpolitik hinter den Kulissen durchzusetzen, „Fürsorgepflicht“.

Wenn man die Ansichten der Journalisten mit illiberaler Agenda aneinanderlegt, entsteht ziemlich schnell ein größeres Bild. Dort geht es um große Gesellschaftstransformationen hin zu einem identitätspolitischen Ständestaat, zu einer zentralen technokratischen Lenkung im Namen des Klimas und generell zu einem großen Bündnis aus Staat, Unternehmen und Organisationen, das alle anderen auf den richtigen Pfad bringt. Da es sich um ein alternativlos gutes Ziel handelt, ist zu dessen Durchsetzung prinzipiell auch jedes Mittel recht. Die Idealgesellschaft dieses Milieus ähnelt eher nicht einem DDR-Abziehbild, um Mathias Döpfners geleakten Satz einmal aufzunehmen, sondern dem Zustand in Eggers Roman, in dem Konzern, Politik, universitäre Stichwortgeber und rudimentäre Journalisten zu einer großen Einheit fusionieren, die alles bekämpft, was sich ihrem wohlmeinenden ordnenden Zugriff entzieht.
Illiberalität gilt den Vertretern dieser Richtung nicht mehr als wirkliches negatives Wort, auch wenn sie es nicht gern hören.

Als Modellfigur dieser neuen Welt bietet sich beispielsweise Melanie Brinkmann an, als Virologin Wissenschaftlerin, als führendes Mitglied in Angela Merkels Corona-Beraterstab, Politikerin, als hochfrequenter Talkshow- und Interviewgast auch Medienfigur. In einem Videogespräch kriegte sie sich kürzlich gar nicht mehr ein über den ungeordneten Zustand der Öffentlichkeit. Es sei doch „völlig ungefiltert“, was Menschen (also diese chaotischen, schwer zu kontrollierenden Gesellschaftseinheiten) in den Medien und im Internet sähen. Dass „jeder ins Netz stellt, was er will“, sei ein „Riesenproblem“, und dieses Problem müsste jetzt endlich mal final gelöst werden, zum Vorteil der besseren Krankheitsbekämpfung – aber grundsätzlich lassen sich an dieser Stelle auch die Chiffren Klima oder Antirassismus problemlos einsetzen.


Am schönsten fasste bisher Malte Lehming vom Tagesspiegel das Journalismus-Selbstverständnis neuen Typs in einem Text zusammen, mit dem er sich gegen den Vorwurf wehrt, Medien stünden der Regierung zu nah: „Medienschelte solcher Art düngt den Boden, der auch Verschwörungsmythen sprießen lässt […] In der Flüchtlingskrise ging es um Verfolgung, Not und Elend. In der Coronakrise geht es um Leben und Tod. Wenn in derart existenziellen gesellschaftlichen Situationen das Gros der deutschen Journalisten moralisch ähnlich empfindet wie das Gros der Parlamentarier, dann hat das nichts mit freiwillig vollzogener Gleichschaltung zu tun, sondern ist Ausdruck einer Wertegemeinschaft.“

Auch in der Klimadebatte steht bekanntlich alles zwischen Leben und Tod, genau so beim Gegen-Rechts- , Rassismus- und Kolonialismus-Thema, wo immer wieder rituell „Hanau“ gerufen wird, ob es nun um einen rechten Kleinstverlag auf der Buchmesse geht oder um Kritik an Identitätsideologen. Gemeinsam mit der Mehrheit der Parlamentarier moralisch empfinden und alle wichtigen Themen zu einer Sache auf Leben und Tod erklären – das ist jedenfalls Seppuku des kritischen Denkens.

Die Agenda-Vertreter besitzen als einzige Gruppe im Medienbetrieb überhaupt das Handwerkszeug, um Politiker zu stürzen. Dass sie sich beispielsweise gegen Angela Merkel wenden, hätte theoretisch passieren können, und zwar dann, wenn sie sich irgendwann auf einen Konfrontationskurs zu den wesentlichen Zielen dieses Kreises begeben hätte. Diese Gefahr bestand natürlich nie. Kein europäischer Politiker der letzten Jahrzehnte stimmte Rhetorik und Handeln so perfekt auf dieses Konglomerat ab, niemand nutzte es so kundig für die eigene Machtsicherung, so dass sich zwischen beiden wie im Ying-Yang-Kreis eine Art Rotationssymmetrie mit fließenden Grenzen herausbildete. Merkel machte in ihrer praktischen Art auch gleich Nägel mit Köpfen, indem sie mit Millionen aus ihrer Regierungskasse die „Neuen Deutschen Medienmacher“ bezahlte, eine Truppe von Identitätspolitikkadern, die sich gleichzeitig als journalistische Prätorianergarde für die Kanzlerin betätigte. Weswegen musste Sebastian Kurz eigentlich gerade zurücktreten? Große Medien mit entsprechendem Eigengewicht hätten diese Praxis der institutionalisierten Bestechung mit Staatsgeld längst zum Thema gemacht. Bei Merkel hätte es auch genügend andere Punkte gegeben, die sie bei einer funktionierenden Medienöffentlichkeit entweder nie hätte so durchsetzen können, oder die zu ihrem Sturz geführt hätten. Ihre Behauptung von 2015, der Staat könne die Grenzen nicht kontrollieren, war sicherlich die dreistete und folgenreichste Lüge eines deutschen Regierungschefs nach 1945. Eine Lüge übrigens, die sie dann selbst in der Coronazeit dementierte, als plötzlich sogar eine Kontrolle wiedereinreisender Urlauber möglich war.

Bei den Affären von Olaf Scholz, von der Leyen oder Jens Spahn gilt grundsätzlich das gleiche Prinzip: Jede einzelne Verstrickung dieser Sorte hätte noch vor 30 Jahren zum Rücktritt des Politikers geführt, oder zumindest jede Ambitionen auf einen höheren Posten zerstört. Jetzt nicht mehr. Nachwuchsjournalisten, die selbst kaum noch Medien konsumieren und sich vorwiegend auf Instagram informieren, Innerlichkeitskolumnisten, die sich mit dem toxischen weißen Mann und ihren eigenen Affekten befassen, werden sich nicht im Traum und erst recht nie im Leben durch Cum-Ex-Akten und Untersuchungsausschussprotokolle oder durch Unterlagen von Spahns Maskengeschäften wühlen. Genauso wenig wie diejenigen in der Branche, die noch nicht einmal ein Innerlichkeitsthema beackern, sondern nur irgendwie die nächste Sparrunde des Verlags überstehen oder schnell auf einen anderen Posten abspringen möchten.
Dieses Motiv sollte übrigens nicht unterschätzt werden. Allein aus dem Medium, für das ich lange gearbeitet hatte, gingen zwei stellvertretende Regierungssprecherinnen hervor, mehrere Ministeriumssprecher, und auf jeden, der es schafft, kommen ungefähr fünf, die darauf hoffen. Die Regression ins Innerliche oder demonstrativ Ahnungslose dient bei vielen einfach dazu, sich die einzige in Frage kommende Berufsalternative nicht zu verbauen.

Und dort, wo die Agenda den Journalismus beherrscht, genügt ein dringender Verdacht auf Interessenskonflikt und Korruption eben nicht mehr für eine Titelgeschichte. Sondern es stellt sich immer die Frage, ob eine Kampagne gegen eine bestimmte Person auch wirklich zu übergeordneten Zielen passt. Politiker stürzen heute nicht mehr durch eine Titelgeschichte allein, sondern nur noch durch große konzertierte Aktionen, in denen synchrones mediales Dauerfeuer, politisches Echo, Twitterempörung und am besten noch Aktivismus auf der Straße für längere Zeit zusammenfinden.

In Jens Spahns Fall ist es gar nicht so, dass noch besonders tief gegraben werden müsste. Es liegen längst Dokumente vor, aus denen hervorgeht, dass er der eng mit der CDU vernetzten Logistikfirma FIEGE im Sauerland Vorzugskonditionen verschaffte, dass die Tochter eines früheren CSU-Politikers das Maskengeschäft des Bundesgesundheitsministeriums mit dem Schweizer Unternehmen EMIX einfädelte, dass Spahn von EMIX selbst noch zu einem Zeitpunkt teure Masken kaufte, als er und seine Leute längst wussten, dass sie zu viel bestellt hatten und die Ware gar nicht mehr brauchten. Journalistenfragen, ob jemand bei der Finanzierung seiner Villa behilflich war, beantwortet Spahn nicht. Das alles lässt sich beispielsweise hier, und hier und hier nachlesen.
Und auch an anderen Stellen. Aber reicht eben nicht zu seinem Sturz, solange das übergeordnete moralische Empörungselement fehlt. Was allerdings nicht bedeutet, dass er endgültig aus dem Schneider wäre.

Angenommen, er würde sich gegen eines der großen Agendaziele wenden – also beispielsweise eine grundlegende Änderung in der Migrationspolitik fordern oder verlangen, den „Neuen Deutschen Medienmachern“ und ähnlichen Vereinen das Staatsgeld abzudrehen – dann könnten sich viele Journalisten, NGO-Aktivisten und Twitterer die Akte Spahn noch einmal ganz grundsätzlich vornehmen. Und spätestens dann fände sich auch eine Staatsanwaltschaft, die Akten, Handys und Festplatten beschlagnahmen lässt.

Die meisten Journalisten könnten das ganz oben zitierte Gespräch mit einem Politiker über Schaden und Nutzen schon deshalb nicht mehr führen, weil ein Pressevertreter dazu auf einem wirtschaftlich soliden Boden stehen muss. Die ökonomischen Grundlagen des Selbstbewusstseins haben die Medienlenker in den oben ebenfalls beschriebenen Schritten eigenhändig abgewrackt. Zweitens könnten und wollen die meisten von ihnen auch gar nicht mehr zwischen ihnen selbst und der Politik unterscheiden. Sie prägen damit den Zustand beider Bereiche mit.

Das Ausscheiden von Politikern aus dem Betrieb durch Rücktritt oder Sturz entspricht der Unternehmensinsolvenz in der Wirtschaft. Dadurch, dass diejenigen, die ihr Vertrauenskapital verbrannt haben, aus dem Wettbewerb austreten, bleibt das Gefüge insgesamt halbwegs intakt. Stattdessen geschieht längst etwas Ähnliches wie in der Staats- und Firmenfinanzierung: Medien versorgen Politiker mit praktisch unbegrenzten Vertrauenskrediten, solange nichts wirklich Entscheidendes dagegenspricht. Mit dem Kreditvolumen fällt allerdings auch der Währungskurs immer weiter, und damit die eigenständige Macht der Kreditgeber. Selbst dann, wenn einige merken, dass die Entwicklung auch ihnen selbst schadet, finden sie nicht so schnell Wege, um diesen Prozess zu stoppen, geschweige denn umzukehren.

Es gibt Medienfiguren, die alles in sich vereinen, was dieser Text beschreibt. Beispielsweise Florian Gless, Chefredakteur des Stern, eine pausbäckige Figur, die ein bisschen so aussieht wie ein von Bernd Zeller gezeichneter Journalist beziehungsweise wie irgendein merkelscher Kanzleramtsminister. Gless war, wenn mich nicht alles täuscht, der erste führende Medienmanager, der in der vergangenen Woche mutig den Rücktritt Mathias Döpfners als Präsident des Verlegerverbandes als Strafe für dessen Satz gefordert hatte, sehr viele Journalisten seien heute Propagandaassistenten. Im vergangenen Jahr verkündete der Stern-Chef, heute sei nicht mehr die Zeit für „reine Berichterstattung und Kommentierung angesichts der Vielzahl der Probleme in unserer Gesellschaft“, weshalb er eine ganze Ausgabe seiner Illustrierten von „Fridays for Future“ gestalten ließ. Kürzlich löste er zusammen mit seiner Co-Chefredakteurin das Wirtschafts- und Politikressort des Stern auf, der gerade mit den restlichen Trümmern des Gruner + Jahr-Zeitschriftenbereichs an RTL Deutschland verklappt wird.
Diese Transformationen findet er, wie die restlichen Beschäftigten seinen Mitteilungen regelmäßig entnehmen können, herausfordernd, spannend, aber auch alternativlos.

Gless gehört zu den Journalisten, die in Deutschland vor Begeisterung aus dem Häuschen gerate, wie taff und mutig Kollegen in den USA Donald Trump in die Zange nehmen, und wie Armin Wolf im ORF Sebastian Kurz verhört, der selbst am besten weiß, dass er Angela Merkel oder Olaf Scholz nie auch nur annähernd so befragen würde, und zwar schon deshalb, weil ihm das Vokabular dazu fehlt. Obwohl Gless über 50 ist, findet sich im Archiv kein einziger Text und noch nicht einmal ein Satz von ihm, der irgendjemandem in Erinnerung geblieben wäre. Seine Kolumnen verfasst er in einer Art vereinfachten Sprache, einem optimistisch beschwingten und gleichzeitig humorfreien Deutsch, das ein bisschen an Motivationsseminare erinnert und möglicherweise auch genau daher stammt.

Es gibt an Florian Gless trotzdem etwas dezent Unheimliches. In Eggers „Every“ begegnet der Leser genau diesen merkwürdig konturlosen Personen zu Dutzenden, die nicht nur keine bösen, sondern überhaupt keine Eigenschaften besitzen.
„Every“ handelt davon, wie dieser Typus nicht einzeln, aber im Kollektiv eine Diktatur ohne Diktator schafft, für die es vorerst noch keine Bezeichnung gibt.

 

 

 


Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.


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Kommentare anzeigen (26)

  • Was für ein brillanter Artikel! Ich hoffe, dass alle Ihre gefühligen, ahnungslosen und mit der Politik eng verbandelten Ex-Kollegen (Haltungsjournalisten) diesen Beitrag lesen und ob des Wiedererkennungseffektes vor Scham im Boden versinken mögen.

    Zum Einschlafen höre ich mir immer Audiobücher an, um nicht meinen eigenen Gedanken ausgeliefert zu sein. Letzte Nacht habe ich mit einem Hörbuch begonnen, das auch von Dave Eggers (den ich bisher nicht kannte) stammt: Der Circle. Und heute erscheint dieser Artikel. Zufälle gibt's...
    Natürlich lege ich mir das neue Buch zu, sobald ich Circle durchgehört habe.

    P.S.
    Zwei neue Begriffe habe ich hier auch kennengelernt:
    -ennoyieren (Duden: veraltet für anöden, langweilen, ärgern, lästig werden; Herkunft: lat/franz hassen)
    - Seppuko (Wikipedia: eine ritualisierte Art des männlichen Suizids, die etwa ab der Mitte des 12. Jahrhunderts in Japan innerhalb der Schicht der Samurai verbreitet war und 1868 offiziell verboten wurde)

  • Warum so umständlich ?
    Die können doch offen erklären, daß sie die Zuhörer belügen und werden trotzdem noch beklatscht.
    Ich war damals doch etwas schockiert, als der Sachsensumpf-Minister ganz offen erklärte: manchmal muß man lügen, damit das Volk nicht unruhig wird !"
    Der erklärt ganz offen, dass das Volk für ihn nur Schafe sind, die er mit Lügen dorthin treibt, wo er sie hinhaben will. Und niemand stört sich daran - oder niemand mit Öffentlichkeitswirkung merkt es - was ja noch schlimmer ist !
    Es spielt keine Rolle mehr - die zehnte, die hundertste oder die tausendste Lüge - egal.
    Sie kennen das Schafswissen ?
    Das Schaf weiß: hier gibt es gutes Futter, bei Regen ein Dach über dem Kopf und der Hund beschützt mich vor dem bösen Wolf!
    Der Schäfer weiß: die werden geschoren, verkauft und geschlachtet !
    Daß ist der Unterschied - und sie wollen es so - denn sie weigern sich selbst zu denken !

    Wie hat es Bertrand Russell einmal formuliert :
    “Viele Menschen würden lieber sterben als denken. Und in der Tat: sie tun es.“
    Dem ist nichts hinzuzufügen !

  • Danke für den Hinweis auf den Roman von Eggers! Ich glaube aber, ganz so neu ist dieser neue Konsens unter denen, die sich gegenseitig die Bälle der Macht zuspielen und sich permanent gegenseitig belobhudeln denn doch nicht. Die marode und folglich untergegangene DDR hatte doch alle die Merkmale dieser neuen Gesellschaftsordnung zum Wohle aller doch bereits bis zum Exzess durchexerziert. Und beide konnten und können weder auf die Ausgrenzung und Diffamierung von Kritikern, und seien es bloß liberale Individualisten (siehe Fußballer Kimmich), verzichten, noch auf den Einsatz physischer Gewalt und Retribution durch die neue Polizei- und Richtergarden. Der Unterschied, in der DDR hat sich die Partei, die immer Recht hat, die Medien und "Kulturschaffenden" so zurechtgestutzt, damit sie ins unterkomplexe Schema des Sozialismus passten, während sich die Politik unter Merkel permanent - zum alleinigen Ziel des Machterhalts - an den sich herausbildenden woken, diskursscheuen und demokratiefeindlichen gesellschaftsprägenden Zeitgeist auf opportunistische Weise anschmiegte. Aber wichtig unterm Strich ist das, was diese schönen, neuen Gesellschaften sonst noch hervorbringen: 1. Die stetig wachsende Zahl der Bürger, die die perfiden Machenschaften des neuen politisch-medialen-NGO-getriebenen Kartells durchschauen sowie 2. die exponentiell wachsende Anzahl der eigentlich wohlgesinnten, verantwortungsvollen und auf eigenen Beinen stehenden Bürger, die infolge der Realitätsverweigerung und der daraus folgenden Misswirtschaft der Obrigkeiten in den Ruin getrieben werden. Sie werden den inhaltlichen Worthülsen der Politschauspieler kein Wort mehr glauben, sie werden für die Hochglanzprodukte der medialen Hofschranzen keine Mark mehr ausgeben und sie werden den Herrschenden zunehmend die Unterstützung und ihr Engagement entziehen bzw. republikflüchtig werden - oder bleiben und in Zynismus und Resignation versacken, wie wir das aus der DDR kennen. Alles das wird den Ruin nur beschleunigen, ... bis der Funke überspringt ...

  • Es reicht, sich diese Topographie der deutschen Medienlandschaft von Alexander Wendt anzusehen, eigene Erfahrungen mit den Untiefen, Wüstungen und personellen Abgründen in derselben zu ergänzen und Impressionen vom Propaganda-Alltag etwa der Anstalten nicht dauerhaft zu meiden - was der seelischen Gesundheit diente: Dem Roman des amerikanischen Autors ist eine hellsichtige Prognose für kommende Freuden der "großen Transformation" zuzutrauen. Ich werde ihn wohl trotzdem nicht lesen. Alltäglich zu beobachten, wie die Dinge "ihren sozialistischen Gang" gehen und sich so gut es geht dagegen zu wehren, ist spannend genug.

  • Die gute Diktatur, an der linke Weltaktivisten arbeiten, könnte "New World Order" heißen. Die Geldströme, mit denen große außerparlamentarische Transformatoren, auch "NGOs" genannt, mafiös finanziert werden, sind hochbedenklich und geradezu unappetitlich. Noch bedenklicher ist, wie sich die letzten demokratisch gewählten Parlamente diesen Kampagnen anschließen. Das Selbstverständnis dieses Kampagnenjournalismus beschleunigt die Selbstzerstörung, indem es erziehen will, anstatt zu informieren, zu kritisieren, zu bilden und kultiviert zu unterhalten. Die digitalen Medien sind weder sozial noch haben sie das Potential zur tiefen Durchdringung von wirklichen Problemen der Zeit. Im Taumel von der "lichten Zukunft" haben sie wie Kommunisten die Gegenwart und die Realität(en) systematisch aus den Augen verloren. Sie sind die Plattformen einer zerstörerischen Kulturrevolution, deren oligarchische Anführer aus der Ferne völlig ungehindert mit Propaganda, Drohung und Korruption vorgehen. Wie die Propagandasoldaten des Staatsfunks sind sie nicht abwählbar. Dafür nehmen sie uns unter dem Jubel linker Medienschaffender die Freiheit, die Demokratie und unsere Identität. Von Kulturvernichtung nicht zu reden!

  • Ihre umfassende Schilderung des derzeitigen deutschen "Journalismus", oder was davon übriggeblieben ist, habe ich mir gespeichert. Der Einblick in diesen Berufskreis, der früher zumindest zeitweise ehrenwert genannt wurde, ist erschütternd. Es erklärt zugleich, warum ich von Spiegel, Zeit und FAZ Abstand genommen habe. Der ÖRR, ARD und ZDF insbesondere, sind vom oben geschilderten Sachverhalt kaum auszuschließen. Dort hat "Links" das Sagen. Und das trotz verpflichtendem Staatsvertrag auf ausgewogene, neutrale Berichterstattung. Die Lage ist Ernst UND hoffnungslos, zumindest im Pressewesen.

    • @Libkon

      Da stimme ich Ihnen zu. Jahrzehntelange habe ich die FAZ nicht nur ausgiebige gelesen, sondern geradezu gründlich studiert. Auch habe ich mit viel Freude jahrelang ein selbst erfundenes Projekt "Zeitung in der Schule" im Gymnasium meiner Kinder durchgeführt (ich bekam dafür eine Stellwand zur Verfügung gestellt und konnte mit bunten Heftzwecken von mir ausgewählte FAZ-Artikel, -Rezensionen, -Karikaturen und -Leserbriefe anpinnen, die ich für interessant für die Kinder und Jugendlichen erachtete und wöchentlich aktualisierte. Die FAZ hat mir dafür sogar ein kostenloses zweites Exemplar zur Verfügung gestellt, da sie einsahen, daß ich mit Artikeln, die auf der Rückseite weitergingen, sowie mit meinem Mann, der abends keine zerschnittene Zeitung vorfinden wollte, Probleme bekam. Daß nach Berichten meiner Kinder in den Pausen oder Freistunden praktisch immer mindestens einer vor der Zeitungswand stand und las, daß ab und zu sogar Kommentare/Leserbriefe neben Artikel gekritzelt oder auf Blättern angeheftet wurden, machte mich stolz und glücklich).

      So stapelten sich - bis zur Kündigung - die Ausgaben der FAZ dann immer länger ungelesen oder mit Verspätung überflogen, um irgendwann zum Kompost-Einwickeln benutzt zu werden. Doch - sicher, natürlich fand man in praktisch jeder Ausgabe auch den einen oder anderen guten Artikel oder Kommentar. Aber man mußte viele Kröten schlucken, bis man sie fand, und das lockte nicht gerade zur Lektüre ...

      Früher hatte ich dagegen mit sorgfältig ausgeschnittenen und datierten Artikeln ganze Aktenordner zu verschiedenen Themen angelegt (u.a. Historikerstreit, Balkan-Krieg, Diskussion um die Neue Deutsche Schlechtschreibung, DDR/Stasi, Krippen- und Kita-Politik und -Problematik, Kernkraft Für und Wider, Kindesmißbrauch in Kirche und Odenwaldschule, Euro/Euro"rettung", Energiewende, Sarrazin, Islam, AfD.
      Beim letzten Thema war die Entwicklung der FAZ besonders gut zu beobachten. Es fiel zeitlich ungefähr mit dem Aufkauf der FR zusammen und der Verwandlung der FAZ in ein für linksradikalen Aktivismus offenes Blatt. Die Artikel über die AfD waren in den ersten Wochen zwar wenig zahlreich für eine so interessante neue Partei, aber immerhin kam relativ normale Berichterstattung "die neutral sachlich berichtenden wirken auf den heutigen Leser geradezu, als wären sie "positiv/wohlwollend" geschrieben!). Schon damals waren sie aber merkwürdigerweise (z.B. ein Artikel über Frauke Petry als Mensch mit Familie und Mitglied im Chor der Thomaskirche) im Wirtschaftsteil untergebracht statt im politischen, und dann kam schon sehr bald die bis heute laufende Kampagnen-Berichterstattung auf. Lucke geht sonntags mit Frau und 5 Kindern in die Kirche und beteiligt sich auch noch an der Kinder-Katechese, indem er den Kleinen Bibelgeschichten vorliest? Beatrix von Storch engagiert sich - wie vom Bundesverfassungsgericht seit der Reform des §218 vorgeschrieben - für den Schutz ungeborenen Lebens? Alles klar! Dann kann man ja so "berichten", als kämen mit der AfD "christliche Taliban" über uns! Die AfD fordert eine klare Unterscheidung zwischen Asyl und Zuwanderung von Fachkräften? Diese nationalistischen Fremdenfeinde! Usw. usf.)

      Um von der FAZ wegzukommen (aber die hat mich nach so großer Liebe und Bewunderung besonders enttäuscht, von anderen Medien hab ich ja kaum was erwartet): Daß ich schon vor mehreren Jahren das Fernsehgerät verschenkt und das keine Minute bereut habe, wollte ich noch dazugesagt haben.

      Sehr ungerecht und bitter finde ich, daß ich dennoch die Zwangsgebühren bezahlen muß und Merkel es auch noch so eingerichtet hat, daß zusätzliche Steuermillionen in diese institutionalisierte Bestechung von Medien fließen. Während Altenpflege-, Krankenhaus- und Kindergartenpersonal nicht anständig bezahlt werden kann, "weil kein Geld da ist".

      • @Leonore
        Ich habe großen Respekt und Verständnis für Ihren Schritt, der FAZ den Rücken zu kehren, obwohl die Zeitung Ihnen viel Freude bereitete. Meine Skepsis erwachte, als Sarrazin sein erstes Buch schrieb und dann für mich unverständlicherweise von der Corporate Presse (gekauft?) angegriffen und niedergemacht wurde. Seitdem bin ich bei den „Alternativen“ Seiten und bereue es nicht. Was die linke FAZ betrifft, kann ich Ihnen eine andere Zeitung empfehlen, die NZZ, Neue Zürcher Zeitung ist online günstig. Wenn man den politischen Teil überfliegt (weil sehr unternehmerfreundlich), dann ist das Feuilleton und die Meinungsseite u.a. sehr lesenswert. Nicht wenige Artikel sind kritisch und skeptisch dem Sozialismus gegenüber. Dort wird man sogar „noch“ als Leser gesiezt. Donnerwetter.

      • Leonore, wenn Sie bez. FAZ noch ein paar Illusionen loswerden wollen, lesen Sie das Buch "Gekaufte Journalisten" von Ulfkotte. Korruption war jedenfalls zu Ulfkottes Zeiten bei der FAZ gang und gäbe, und Abgesandte des CIA als Vertreter unseres Lehnsherren gingen in der Redaktion ein und aus.

        Die von Ihnen beklagten Zwangsgebühren sind zwar eine Erfindung der Politik und als solche nicht unverständlich. Wirklich erschreckend ist aber m. M. n. der Umstand, dass diese unsägliche Regelung von unserem doch nicht so unabhängigen BVerfG abgesegnet wurde.
        Davon abgesehen kann ich jeden verstehen, der sich das ÖR-TV-Programm nicht mehr antun möchte. Der Nachteil dieses Verzichts ist jedoch, dass man nicht mehr mitbekommt, wie das Publikum indoktriniert und manipuliert wird. Ich persönlich möchte auch diesbezüglich auf dem Laufenden bleiben, um die gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungen besser verstehen zu können.

  • Das schönste, lange Warten ist jenes auf einen neuen Text von Ihnen, Herr Wendt – und wie sehr es sich wieder gelohnt hat!
    Das Zusammenspiel der Schilderungen von Eggers‘ Dystopie in Verbindung mit dem Begriff „Innerlichkeitskolumnisten“ erinnert mich stark an den Film „Zardoz“, wo es einen 'Vortex von Unsterblichen' gibt und außerhalb davon eine Zone von 'Barbaren und Minderwertigen', wobei eine maskierte Armee auf Pferden vom schwebenden Zardoz-Kopf mit Waffen versorgt wird, um die Sklaven der Unsterblichen zu überwachen oder zu töten. Wehe, wenn innerhalb des Vortex einer aus der höheren Runde sich weigert, in gemeinsamer Meditation sich mit dem Gehirn eines anderen Adepten zu verbinden, weil er sich davor ekelt – er wird ausgestoßen und, in Rekordzeit gealtert, in ein schrilles Seniorensanatorium eingesperrt. Am Ende schließlich können die maskierten Reiter in Lendenschürze in den Vortex vordringen und die in Wirklichkeit vom Unsterblichsein Gelangweilten ergeben sich beinahe lustvoll dem eigenen Tod. Vielleicht auch ein Sport der Zukunft für die Enthobenen – wenn die Anderen zerstört sind, zerstören sie sich irgendwann selbst, aus lauter Überdruss.
    Wenn bei Eggers Amazon erwähnt wird, fällt mir wieder ein, dass Bezos angeblich von „Star Trek“ zu seiner Laufbahn inspiriert wurde. Bei Merkel in Bezug zur CDU dürfte es wohl Kaiser Nero gewesen sein. Was Leute wie Frau Brinkmann angeht, stehe ich vor einem Rätsel – warum wollen sie noch zensieren lassen, wo doch eh schon so viel ans Licht kam? Glaubt sie, dass wenn besagte Leser vom ‚anderen‘ Wissen abgeschnitten werden, sie dann umgehend den Eingebungen ihresgleichen folgen? Oder sind die Sauereien am Ende von solch großem Ausmaß, dass Brinkmann und Co. die schiere Panik vor der Entdeckung der wahren Dimension befällt?

  • "Dort geht es um große Gesellschaftstransformationen hin zu einem identitätspolitischen Ständestaat, zu einer zentralen technokratischen Lenkung im Namen des Klimas und generell zu einem großen Bündnis aus Staat, Unternehmen und Organisationen, das alle anderen auf den richtigen Pfad bringt."
    Das dürfte ziemlich genau die Interessenlage (einiger?) westlicher Funktionseliten (plus Mitläufer) auf den Punkt bringen.
    Eine partikularisierte Gesellschaft aus Einzelgruppen, die sich untereinander fremd (oder feindlich) sind im hysterischen Daueralarm, die sich dazu umstandslos "formieren" lässt.
    Frage: wird die "Bevölkerung" hier und anderswo die absehbare (geplante?) Verschlechterung der eigenen Lebensumstände und den permanenten gesellschaftlichen Krisenmodus klaglos hinnehmen?
    Und: sticht der "Joker" "Islam" längerfristig die erzeugte oder gar erwünschte Klimapanik oder wird es taktische Zweckbündnisse geben?
    Sowie: wie wird sich Osteuropa dazu verhalten?

  • "Die Idealgesellschaft dieses Milieus ähnelt eher nicht einem DDR-Abziehbild, um Mathias Döpfners geleakten Satz einmal aufzunehmen, sondern dem Zustand in Eggers Roman, in dem Konzern, Politik, universitäre Stichwortgeber und rudimentäre Journalisten zu einer großen Einheit fusionieren, die alles bekämpft, was sich ihrem wohlmeinenden ordnenden Zugriff entzieht."

    Diese Einheit von Politik, Konzern, universitäre Stichwortgeber und rudimentäre Journalisten ist für mich die perfekte Beschreibung von Faschismus.

  • Frage: Oben im Artikel findet sich die Wendung: "als wirkliches negatives Wort" - liegt hier ein Tippfehler vor? Bezieht sich "wirkliches" auf "Wort" oder soll es sich vielmehr auf "negatives" beziehen? Im letzten Fall würde ich eigentlich die Wendung "als wirklich negatives Wort" erwarten. Im ersteren Fall könnte man stattdessen etwas ausführlicher schreiben: "als wirkliches und negatives Wort".

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