X

Die neuen Mandarine und ihr Klassenkampf gegen die Verfettung der niederen Kreise

Wer den Schaden durch hohe Steuern, Energiekosten und bescheidene Löhne hat, bekommt den Spott von oben gratis dazu. Ärmeren mindere Moral vorzuhalten – das gehört inzwischen zu den Lieblingsbeschäftigungen der Wohlmeinenden auf dem Sonnendeck

Es gibt drei wesentliche Theorien und Denksätze zum Oben und Unten in einer Gesellschaft, die insbesondere jeder beachten sollte, der sich gerade oben befindet.

Zum einen die Gerechtigkeitstheorie des Philosophen John Rawls, der vorschlägt, wenn jemand über die ideale Gesellschaft nachdenkt, sollte er gleichzeitig die Frage offenlassen – oder, wie Rawls sagte, den veil of ignorance darüber ausbreiten – ob er dort zu den Privilegierten oder den Pechvögeln gehören würde. Beziehungsweise – und darauf läuft die Idee ja hinaus – er sollte sich probehalber vorstellen, wie es ihm in seiner selbst entworfenen Welt ginge, wenn er dort zum gesellschaftlichen Unterbau gehören würde. Das existiert nämlich überall. Manche Gesellschaftsexperimente wären vermutlich unterblieben, wenn sich genügend Teilnehmer schon vorher Rawls Frage beantwortet hätten.

Zweitens gilt die immergrüne Feststellung Bertolt Brechts, dass die Oberen im Licht auch aufmerksamkeitsökonomisch besser dastehen als diejenigen, die sich ein paar Etagen tiefer abmühen.

Und drittens mahnt der berühmte, Marie Antoinette untergeschobene Satz von dem Volk, dem Brot und dem Kuchen alle Oberen, dass diejenigen, die durch Glück und Fügung neben vielen materiellen Gütern auch noch die gesellschaftliche Bühne beherrschen, die Unteren von dort aus nicht übermäßig mit Hohn und Spott überkübeln sollten. Jedenfalls halten Herrschaftsformen und Köpfe auf den Schultern länger, wenn die Privilegierten sich in dieser Hinsicht ein bisschen am Riemen reißen.

Angehörige alter Eliten wissen das meist. Diejenigen, die zu den historisch ganz frisch nach oben gespülten Mandarinen gehören, kennen Regel Nummer eins sehr oft nicht, sie fragen sich also nicht, wie es ihnen gehen würde, wenn sie sich in der von ihnen als ideal empfundenen Gesellschaft mit nichtidealen persönlichen Verhältnissen zufriedengeben müssten. Sie freuen sich über den zweiten Punkt, den Platz an der Sonne der Aufmerksamkeit, und ignorieren die dritte und wichtigste Empfehlung, nämlich die, vom Sonnendeck tunlichst nicht nach unten zu spucken. Um diese neuen übermütigen Mandarine soll es in dem folgenden kleinen Traktat gehen. Nicht zu ihrer Beratung, denn nützliche Texte liest man in diesem Milieu sowieso selten bis nie.

Beginnen wir mit einem idealtypischen Exemplar dieser neuen Kaste, nämlich Annika Joeres, nach eigenen Angaben Klimareporterin für die Plattform Correctiv und Frankreich-Korrespondentin für die Zeit. Joeres lebt in Südfrankreich, und wie es scheint, kommt sie beruflich viel herum: „Grenzüberschreitende, investigative Recherchen“, heißt es auf ihrer Autorinnenwebseite, „sind meine Spezialität.“ Eine weitere Spezialität der Klimareporterin besteht darin, anderen gute Ratschläge zu erteilen, beispielsweise über die Methode der Fortbewegung. Kürzlich twittere sie:
„5000 Euro kostet ein Autofahrer die Gesellschaft pro Jahr. Eine Bahncard 100 kostet 4100 Euro.
Deal?“

Nun ist Annika Joeres nicht der brillanteste Kopf, der sich je in Südfrankreich ernährt hat. Aber ihre Ausfassungsgabe reicht vermutlich aus, um zu wissen, dass es sich bei den 5000 Euro gesellschaftlichem Schaden pro Autofahrer um eine Rechnung des Typs handelt, wonach die deutsche Energiewende eine Familie pro Monat nur so viel kostet wie eine Kugel Eis (Jürgen Trittin), jeder Deutsche 9 Gigatonnen CO2 ausstößt (A. Baerbock), und nach der 70 Liter Erdöl in jedem Steak stecken (der Vize-Chef des Potsdam-Instituts Johan Rockström). Außerdem dürfte Joeres klar sein, dass jemand, der tatsächlich sein Auto gegen eine Bahncard 100 wechseln würde, diese Bahncard nicht von der Gesellschaft bezahlt bekäme. Und sie weiß höchstwahrscheinlich, dass Waren weder in Südfrankreich noch im Verbreitungsgebiet der Zeit per ICE oder Regionalzug in den Supermarkt reisen, und dass Berufspendler meist nicht mit der Bahn zum Werkstor kommen; ihr ist vermutlich auch bewusst, dass, sollte sich in ihrem Heim ein Wasserrohrproblem ergeben, der Klempner samt Material nicht per Bahn und Rabattkarte zu ihr eilt, und dass auch der Notarzt sie im Fall der Fälle nicht per Schiene erreicht, egal, ob sie sich gerade in Südfrankreich oder in der Nähe des Correctiv-Hauptquartiers aufhält.

Auf Deutschenglisch nennt man das, was die Klimareporterin in ihrem Tweet tut, bullshitten. Sie weiß, dass sie mehrfach gequirlten Blödsinn in die Twittershäre bläst, und ganz nebenbei, dass Sie damit niemanden davon überzeugen wird, das Auto abzuschaffen.
Sie tut es trotzdem.

Den Kern ihrer Botschaft bildet ein Statussymbol, das sie ihrem Publikum nachhaltig unter die Nase reibt: Die Bahncard 100, den 4100 Euro teuren diskreten Mitgliedsausweis der besseren Kreise, in denen man entspannt per Schnellzug von Stadtzentrum zu Stadtzentrum reist. Die Empfehlung eines Mitglieds der Laptop-Klasse an Berufspendler, den hohen Spritpreisen mit der Anschaffung einer Bahncard 100 auszuweichen, kommt dem klassischen Vorschlag schon sehr nah, von Brot auf Kuchen umzusteigen. Der Autor dieses Textes benutzt übrigens oft den ICE, kann aber von sich abstrahieren. Das was Joeres betreibt – aber nicht nur sie – ist Klassenkampf von oben. Und ihr Tweet selbst dient ihr als Statusausweis.

Zur sozialen Realität Deutschlands gehört die Lohnstatistik, nach der 2,545 Millionen Menschen bei Vollzeitarbeit weniger als 2000 Euro brutto verdienen. Das sind 10 Prozent aller Arbeitnehmer in West- und 18 Prozent der Beschäftigten in Ostdeutschland. Unterhalb oder bis zur so genannten Geringverdiener-Grenze von 2284 Euro brutto – zwei Drittel des Medianlohns – arbeiten 16,3 Prozent der Beschäftigten im Westen und 30,6 Prozent im Osten, wobei ihr Anteil in manchen Regionen deutlich höher ausfällt. Im sächsischen Erzgebirgskreis beispielsweise gehören 43 Prozent aller Beschäftigten zu dieser Gruppe, denen nach Steuern, Sozialversicherungsbeiträgen und unvermeidlichen Ausgaben in der Regel am Monatsende nichts übrigbleibt. Da es gerade in diesen Geringverdienergegenden meist nicht genügend Arbeitsplätze am Ort gibt, steigen dort viele an jedem Werktag in meist sehr alte Autos, um zu ihrem Arbeitsplatz oder zu ihren Kunden zu kommen. Anders geht es auch kaum, denn gerade in diesen Regionen abseits des Sonnendecks wurde in den vergangenen 20 Jahren auch der Bahnverkehr systematisch ausgedünnt.

Und trotzdem gehen von dem bescheidenen Gehalt dieser Pechvögel noch Steuern in erheblicher Höhe ab. Wenn der Mindestlohn demnächst von 9,82 auf 12 Euro steigt, also um 22 Prozent, beteiligt sich der Finanzminister an der Wohltat, was für einen in Vollzeit zum neuen Mindestlohn arbeitenden Single nach Berechnungen des Steuerzahlerbundes zu einer Steuererhöhung um 85 Prozent führt, weil in Deutschland die Progression schon ganz zu Beginn der Steuerkurve steiler ansteigt als der Befriedigungspegel von Annika Joeres beim Absetzen ihres Statustweets.

Mit den Steuern, die auch im gesellschaftlichen Souterrain schon anfallen, bezahlt der Staat dies und das. Beispielsweise Anschaffungsprämien für Lastenräder und Teslas, aber auch Zuwendungen für Correctiv, einen der Arbeitgeber von Frau Joeres. Im Jahr 2021 flossen an Correctiv 225735,84 Euro von der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalens und 35800 Euro von der Bundeszentrale für politische Bildung. Auch diese Peanuts müssen erst einmal von den Bürgern in die Staatsschatulle wandern, bevor sie von dort aus wieder an verdiente Faktenprüfer ausgeschüttet werden können. Und sollten die Verlage in Deutschland ihre Subventionen aus der Steuerkasse von gut 200 Millionen Euro jährlich durchsetzen, wovon auch Joeres’ anderer Arbeitgeber profitieren würde, die Zeit, dann würden auch schlechtverdienende Pendler aus dem Erzgebirge ihr Scherflein dazu beitragen. Vermutlich lesen sie gar keine Twitternachrichten, sie erfahren deshalb auch gar nicht, dass ihnen eine moralisch Besserverdienende aus Südfrankreich heraus vorhält, wie sie mit ihrem Lebensstil jährlich einen Schaden von 5000 Euro anrichten. Möglicherweise gab es ja am Vorabend der französischen Revolution auch ganz ähnliche Berechnungen von Schadsummen durch Brot- und Hafergrützenverzehr, wer weiß.

Ausführungen über Niedriglöhne, Steuerprogression und Wohltaten für Wohlgesinnte gelten in besseren Kreisen bekanntlich als sog. Populismus, wobei in diesem Milieu Populismus und sozialer Realismus mehr oder weniger auf das gleiche hinauslaufen.
Würden die Pechvögel der Gesellschaft mehr Zeit auf Twitter verbringen, dann könnten sie von Klassengenossen Annika Joeres’ lernen, dass es ihnen – also den Unteren, nicht den Klassengenossen – eigentlich noch gold geht, um einmal Walter Kempowskis schönes Wort zu bemühen.

Professor Stefan Rahmstorf gehört zu den führenden Forschern des Potsdam Instituts für Klimaforschungsfolgen Klimafolgenforschung, der schon oben erwähnten Einrichtung, an der auch der Erfinder des 70-Liter-Steaks Johan Rockström wirkt. Das Potsdam Institut mit seinen gut 400 Mitarbeitern erhält nach eigenen Angaben 12,4 Millionen Euro im Jahr aus der Staatskasse (neben Drittmitteln von 14,4 Millionen), seine Mitarbeiter sind also gut versorgt. Rahmstorf findet neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit auch viel Zeit, um auf Twitter zu publizieren. Beispielsweise den Hinweis, Benzin sei in Deutschland noch viel zu billig.

Der Steuer- und Abgabenanteil am Benzin beträgt bisher ja auch nur 54 Prozent. Da ließe sich die Schraube noch etwas drehen. Neben dem Hinweis auf den Billigsprit verbreitet Rahmstorf auch das in besseren Kreisen beliebte Narrativ, Autofahren würde subventioniert. Das gilt für die Anschaffung von Elektrofahrzeugen tatsächlich. Pendler, die einen alten Verbrenner-VW benutzen, fragen sich schon länger, wann und wo die Subvention dafür endlich auf ihrem Konto eingeht. Auch dafür gibt es entsprechende Rechnungen nach dem Muster des 5000-Euro-Schadens durch Autofahrer oder der Energiewende-Eiskugel.
Beispielsweise von dem Politikwissenschaftler Andreas Knie, Soziologe an der TU Berlin, den vor allem öffentlich-rechtliche Medien genauso oft als Mobilitätsexperte buchen wie Claudia Kemfert als Energiesachverständige. Knie rechnet die etwas geringere Energiesteuer auf Diesel („Diesel-Subventionierung“), die in Wirklichkeit verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale (die außerdem nur die Steuerlast mindert), das hier und da noch kostenlose Parken und merkwürdigerweise sogar den Verzicht auf das Tempolimit zusammen, und kommt so auf jährliche Kosten des Autofahrens von 50 Milliarden Euro. Fünfzig Milliarden hie, eine Eiskugel dort – politisches Rechnen will gelernt sein. Die hier zitierte Kalkulation Knies stammt übrigens aus einem Beitrag der Deutschen Welle, Jahresetat aus der Staatskasse 2021: 390 Millionen Euro.

 

Würde die Pendlerpauschale für Autofahrer tatsächlich gestrichen, wie es Professor Knie offenbar vorschwebt, dazu Diesel genauso hoch besteuert wie Benzin, das öffentliche Parken überall mit hohen Gebühren bestraft, und käme Rahmstorf mit seinem Wunsch zum Zuge, endlich Benzin ein bisschen preisintensiver zu machen, dann würde es sich für einige Arbeitnehmer auf der unsonnigen Seite der Gesellschaft überhaupt nicht mehr lohnen, zu einer bescheiden entlohnten und üppig besteuerten Arbeit zu fahren.

Andere müssten vielleicht, da ihnen die Professur oder eine andere gut dotierte öffentliche Stelle als Alternative fehlt, entsprechend teurer zur Arbeit pendeln, und es bliebe ihnen noch etwas weniger Geld am Monatsende, dafür aber mehr Spott von oben. Wozu gibt es denn Dispo? Warum schaffen sich die Leute keine Bahncard 100 an? Warum leben sie nicht in zentralen Stadtvierteln mit dem Arbeitsplatz gleich um die Ecke? Warum kutschen sie im Erzgebirgskreis, in der Altmark oder anderen abgehängten Provinzen durch die Gegend, statt den Beruf des Mobilitätsforschers in Berlin ergriffen zu haben? Und wäre eine Gesellschaft aus in Südfrankreich residierenden Correctiv-Zuarbeiterinnen, Klimaprofessoren, Mobilitätsforschern und öffentlich-rechtlichen Rundfunkmitarbeitern nicht sowieso eine schönere und bessere? Das sind zwar keine Fragen eines bei Twitter nicht mitlesenden Arbeiters, aber Probleme, an deren Lösung Bessergestellte wirken und weben.

Knie findet übrigens, dass Autos auch auf dem Land eigentlich nicht nötig wären:

Während Rahmstorf einstweilen nur gern den Autoverkehr in den Innenstädten beseitigt sehen möchte.

Nicht nur der Treibstoff für die Autos kostet in Deutschland entschieden zu wenig. Sondern auch der Strom. Das rechnete kürzlich der unter anderem beim ZDF tätige Harald Lesch bei Frank Plasberg im WDR vor: Ein nicht definiertes Wir hätte „Energie zu einer reinen Ware gemacht, die eben einen Preis hat, aber keinen Wert”. Viele, die ihre Gas- und Stromrechnung studieren und weder über eine Professur noch über Fernsehhonorare wie Lesch verfügen, mögen das mit dem Wert anders sehen. Diesen Zuschauern erklärt Lesch, dass Energiefasten ihnen guttun würde: “Wir sind energetisch verfettet.“

Im Jahr 2020 wurde gut 230.000 Menschen in Deutschland wegen unbezahlter Rechnungen der Strom abgedreht; 2022 treten vielleicht angesichts der gestiegenen Preise noch ein paar mehr Kandidaten aus den materiell und moralisch niederen Schichten die Leschkur an.

Wie diese Entschlackung bei Kerzenlicht den deutschen Klimabeitrag stärkt, kann Professor Rahmstorf wiederum zwischen zwei Tweets ausrechnen.

Vor allem Angehörige der deutschen Mandarinklasse in den öffentlich-rechtlichen Medien kümmern sich intensiv um ihre Landsleute mit geringem Begriffsvermögen. Kürzlich veröffentlichte die Redaktion des Bescheidwissenschaftsmagazins „quarks“ vom WDR eine Grafik über die Klimaschädlichkeit von Einkommen. Und hier stehen die Pechvögel ausnahmsweise mal auf der richtigen Seite.

Eigentlich lebt nach Maßgaben des WDR, wo das jährliche Durchschnittsgehalt eines Redakteurs nach Senderangaben bei 77881 Euro liegt, nur jemand mit weniger als 12000 Euro pro anno wirklich klimagottgefällig. Schon zu Zeiten Marie Antoinettes galt bekanntlich in Versailles der schöne und auch in der österreichischen Heimat von M.A. geläufige Spruch: Trocken Brot macht Wangen rot. Torte muss also genau betrachtet nicht unbedingt sein. Falls aber doch, dann sollte ihr Äquivalent anderswo weggespart werden.

Die wichtigste Aussage der WDR-Parawissenschaftler lautet jedenfalls: Wer durch die gestiegenen, aber immer noch zu niedrigen Sprit-, Gas- und Strompreise, durch Steuern und Zehnten inklusive Demokratieabgabe und Pech bei der Berufswahl nur wenig zum Ausgeben hat und den Urlaub am besten in Balkonien verbringt, kann immerhin seinen gertenschlanken CO2-Fußabdruck herzeigen. Es heißt ja schon bei Rilke nicht umsonst: „Denn Armut ist ein großer Glanz aus Innen.“

Klimaungefällig leben demnach WDR-Redakteure, Mobilitätsforscher und PIK-Professoren, der WDR-Intendant käme mit seinen 400 000 jährlich eigentlich sogar in einen Höllenkreis, der wahrscheinlich noch mehr peinigt als eine Folge von „hart aber fair“. Allerdings können diese Mitglieder wohlgesinnter Kreise ihre Schuld per Stundengebet in den sozialen Medien, durch aufklärerische Sendungen und überhaupt durch Verschönerungsarbeiten auf dem Sonnendeck wieder ausgleichen.
Dort oben kann jedermann gleich welchen Geschlechts jedenfalls seine Zugehörigkeit, das Licht der Öffentlichkeit und die Lust am Abwärtsspucken genießen. Zumindest dann, wenn er oder sie sich nach John Rawls nie vorstellt, irgendwann von dort vertrieben zu werden.

Die CO2-Einsparung wäre zwar beträchtlich, würden die öffentlich-rechtlichen Sender wie demnächst die BBC auf freiwillige Bezahlung umgestellt. Das ergibt sich ja aus der „quarks“-Grafik von selbst, und für die gute Sache kann der ehemalige Redakteur auch aus einer deutlichen kleineren Kölner Wohnung twittern.

Aber solche populistischen Vorschläge bekämpfen die Sonnendeckbewohner selbstredend genau so energisch wie den Klimawandel und die soziale Ungerechtigkeit. Vielleicht noch ein bisschen energischer. Außerdem heißt es bei Brecht, als ob er schon unsere Qualitätsmedien gekannt hätte: „Die im Dunkeln sieht man nicht.“ Bei Twitter nicht und auch nicht bei „Anne Will“. Und selbst, wenn es ab und zu eine Reportage über die Minderprivilegierten in die Zeit schafft, dient sie vor allem dazu, höhere Steuern zu begründen, und nicht etwa, Steuern für Bezieher niedriger Einkommen und speziell die Steuer auf Benzin und Strom zu senken. Das würde nämlich nur falsche Anreize setzen. Dafür gibt es die entsprechende wissenschaftliche Absicherung durch den Chef des DIW Marcel Fratzscher via Tageschau:

Man weiß ja: Besonders die Armen können einfach schlecht mit Geld und Reizen umgehen. Weshalb es gesellschaftlich besser ist, wenn sie von beidem nur sehr bekömmliche Portionen erhalten.

 

 

 

 


Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.


Liebe Leser von Publico: Die Krise vieler Medien ist keine Krise der Nachfrage, sondern des Angebots. Während sich das Angebot auf der einen Seite verengt, entstehen gleichzeitig neue Medien, die zur Debattenkultur eines Landes beitragen. Denn es gibt viele Themen, über die gestritten werden muss. Für einen zivilisierten Streit braucht es Informationen, gut begründete Argumente und Meinungen.
Publico hat sein Angebot in den vergangenen Monaten erweitert; das Medium bietet mehr Beiträge, auch häufiger von Gastautoren. Dieses Wachstum ermöglichen die Leser mit ihren Beiträgen. Denn es gibt keine anderen Finanzierungsquellen, die Publico tragen.
Für andere Anbieter auf dem Medien- und Meinungsmarkt gilt das nicht. Verlage erhalten beispielsweise reichliche Zuwendungen – aus dem Bundesetat demnächst 220 Millionen Euro an sogenannten Förderungen. Außerdem 43,5 Millionen Euro in Form von Anzeigen der Bundesregierung im Jahr 2019 – wobei es 2020 mehr sein dürfte. Der Organisation „Neue Deutsche Medienmacher“ zahlte das Bundeskanzleramt 2019 für deren Projekte mehr als eine Million Euro. 
Dazu kommen noch großzügige Hilfen von Stiftungen diverser Milliardäre für etliche Medien. 

Publico erhält nichts davon, und würde auch weder Staats- noch Stiftungsgeld annehmen. Unser Unternehmen finanziert die staatlichen Subventionen durch seine Steuern vielmehr mit. Publico erhält nur von einer informellen Organisation Zuwendungen: seinen Lesern. Mit Ihren Beiträgen ermöglichen Sie die Beiträge auf Publico – auch umfangreichere Recherchen und Dossiers, die Honorare für Gastautoren und die Chance auf weiteres publizistisches Wachstum.
Jeder Beitrag hilft. Auch wenn Sie weder Regierungsbeamter noch Milliardär sind, können Sie mit Ihrer freiwilligen Zahlung erstaunlich viel bewirken.
Sie können einen Betrag Ihrer Wahl via PayPal überweisen – oder auf das Konto
Wendt/Publico
DE04 7004 0048 0722 0155 00
BIC: COBADEFF700

Herzlichen Dank.

Alexander Wendt: Weitere Profile:

Kommentare anzeigen (31)

  • Was mich irritiert ist die flächendeckend unterstellte Wahrheit, dass Klimawandel/Erwärmung schädlich ist und den Untergang der menschlichen Zivilisation bedeutet.
    Woher kommt diese scheinbare Gewissheit?
    Blickt man in der Geschichte zurück, dann waren es stets die warmen Perioden in denen sich Wohlstand und Kultur entwickeln konnten, aber die kalten Perioden die Hunger und Krieg brachten.
    Warum hinterfragt niemand mehr die Wahrheit hinter dem Narrativ der kommenden Katastrophe? Warum werden apokalyptische Szenarien einfach als wahr angenommen, obwohl wir doch täglich erleben, dass Berechnungen und Modelle, die Zukunft vorhersagen, regelmäßig scheitern?

    • Ich habe schon gelegentlich an verschiedenen Stellen - auch Prof. Vahrenholt gegenüber - die chinesische Klimaforschung erwähnt und an Beispielen und Zusammenfassungen dargestellt.
      Hat niemanden interessiert.
      Die Chinesen kommen zwar zu unterschiedlichen Ergebnissen (was eigentlich gegen eine regierungsgesteuerte Wissenschaft in diesem Feld spricht), das GROS der chinesischen Klimaforscher kommt aber genau zu IHREM Ergebnis: zumindest in China war es immer so, wie Sie sagen: wärmeres Klima war gut für das Land und seine Bauern. Deshalb gibt es in China keine Klimapanik wie bei uns. Und den Untergang des Planeten können die ja auch nicht wollen - die haben ja auch keine Ersatz-Erde.
      Dann wäre noch das breite Feld Sahelzone. Wieso hören wir nichts mehr von der entsetzlich gebeutelten Sahelzone, das war, wenn Sie etwas älter sind, vor 20 oder 30 Jahren Pflicht-Thema in jeder Zeitung, die moralisch etwas auf sich hielt. Es ist einfach so, dass sich die Regenfälle dort, wenn auch mit Ost-West-Differenz, signifikant verbessert haben. Nachzulesen in den entsprechenden Fachzeitschriften.
      Aber auch das interessiert niemanden.

    • Lieber Herr Schulz,
      ich hatte vor einiger Zeit eine hitzige Diskussion mit einem Klima-Zeloten, dem ich vorgehalten hatte, CO2 sei keineswegs ein Giftgas, sondern die Grundlage menschlichen Lebens auf der Erde und dass wir eher zuwenig CO2 hätten als zuviel. Daraufhin konterte er mit einem Bericht über Sibirien, wo gerade das Perma-Eis schmelze und noch mehr CO2 und Methangas freigesetzt würde. Ich las mir seinen klimabesorgten Bericht über einen sibirischen Klima-Ranger durch und entgegnete, ja, das CO2 und das Methan seien in der urzeitlichen Biomasse von üppigen Wäldern gespeichert und es bestehe die Hoffnung, dass durch die Erwärmung und die Freisetzung der Gase in Sibirien, aber auch in dem gesamten Gürtel über Skandinavien, Grönland, Kanada bis nach Alaska wieder Wälder neu entstehen könnten mit einer ähnlich hohen Biodiversität, wie wir sie als Fossilien im geschmolzenen sibirischen Permafrost finden würden. Klar, dass der Ranger aus dem Bericht den Klimawandel beklagte, aber im letzten Satz ließ er eine unzensierte Hoffnung aufscheinen, ja, das sei ja alles sehr schlimm mit dem tauenden Permafrost, aber die Leute in Sibirien seien doch eigentlich ganz froh über jedes Grad, um das es endlich etwas wärmer würde!

  • Madame Plapperlenchen ließ die Welt wissen: "Wir" sind bereit einen hohen Preis zu zahlen. "Wir" müssen Zurückhaltung üben. Frage: Wer ist wir? Ich bin mir ziemlich sicher: Bei Zurückhaltung und beim Zahlen irgendwelcher Preise werden "wir" ohne die Hausfrau aus Pattensen mit dem Jodeldiplom auskommen müssen... .

  • Einziger Makel an diesem neuen Goldstück - dass man beim Potsdamer Institut die "Klimaforschungsfolgen" durchgestrichen lässt. Vielleicht aber auch den Tücken der Rechtschreibfunktion im PC geschuldet - bei mir am Gerät wird aus "Rahmstorf" "Milchschorf". Am Gesamteindruck ändert das jedoch nichts - wieder mal meisterhaft, Herr Wendt! Die "Bescheidwissenschaft" gehört eigentlich in jedes gute Warn-Lexikon. Herr Lesch hat sich seit "Alpha Centauri" beim Bayerischen Rundfunk geistig eigentlich kaum von den fernen Welten im All hinwegbewegt. Seine Aussagen kommen also quasi von tausend Meilen hinter dem Mond, zeigen eine Rotverschiebung im Diagramm, während seine irdische Präsenz das blaue Spektrum nutzt, in der Verkündigung der Lescher Weisheiten, übersetzt mithilfe von ordentlich Strohhirn-Rum des ÖRR. Wie die ganzen "VIPs" dem "Prekariat" derartige Zahlen, die nach monetärer Busse schreien, unterschieben können, lässt sich wohl nur dadurch erklären, dass hier wahrscheinlich noch die Spesen von Joeres, Rahmstorf, Lesch und Co. miteingerechnet werden...

  • Sehr guter Artikel, Herr Wendt.

    Die Abscheu gegenüber Menschen, die nicht politisch, medial oder sonstwie öffentlich in Erscheinung treten, ist bemerkenswert. Ebenso bemerkenswert ist es, dass diese Abscheu ohne Skrupel geäußert wird.

    Meiner Meinung nach, hat Nadine Dubois mit Ihrem Video für #allesdichtmachen, diese Verachtung für normale Leute perfekt auf den Punkt gebracht:
    https://www.youtube.com/watch?v=OzlLDuf0bj8

    • Lieber Herr Joseph,

      Ihrer Meinung bezüglich dem Video von Nadine Dubois schließe ich mich zu 100% an, wobei das Video durch den äußerst gelungenen aktuellen Beitrag von Hrn. Wendt noch eine besondere Würze bekommt.

  • Hier wird einer hsitorischen Figur grob unrecht getan. Bei all den Verfehlungen, die Marie Antoinette vorzuwerfen sind, hat sie es nicht verdient, mit der zynischen Ziege Annika Joeres gleichgesetzt zu werden.

    Wer genaueres zum Hintergrund des bekannten Zitats von Marie Antoinette - dem mit dem Brot und dem Kuchen - wissen will, kann in Erich Kästners auch sonst sehr lesenswerten Kriegstagebuch "Notabene '45" fündig werden.

    Erich Kästner, der die Wochen vor und nach Kriegsende in Mayrhofen/Tirol zubrachte schrieb am 30. Juni 1945:

    "Mittags saßen wir auf dem sonnigen Giebelbalkon. Lotte hatte Streuselkuchen gebacken. Er duftete, weil er noch warm war, und schmeckte nach Kindheit. Wir gedachten Marie Antoinettes und ihres aus den Lesebüchern bekannten Ausspruches, als die Pariser Bevölkerung in Versailles um Brot schrie. "Wozu die Aufregung?" hatte sie gefragt. "Wenn die Leute kein Brot haben, sollen sie Kuchen essen." Länger als hundertfünfzig Jahre schüttelte die Welt über eine derart majetätische Lebensfremdheit den Kopf. Seit wir in Tirol hausen, verstehen wir den Ausspruch besser. Das Brot unter der Butter hat uns hier droben viel häufiger gefehlt als die Butter auf dem Brot. Und weil Mehl leichter zu beschaffen war, haben wir unseren Hunger öfter als einmal mit Kuchen besänftigt. Marie Antoinettes Vorschlag fußte auf heimatlichen Erfahrungen. Die Franzosen hätten bedenken sollen, daß ihre Königin nicht etwa leichtfertig, sondern Österreicherin war! (Es wäre für künftige Historiker eine reizvolle Aufgabe, das folgenschwere Mißverständnis auszuräumen, ungefähr unter dem Titel >Das unterschiedliche Vorkommen von Brot und anderen Mehlspeisen in ernsten Zeiten, unter besonderer Berücksichtigung der habsburgischen Länder<)"

    Der Vergleich zwischen dem widerlichen Zynismus der Frau Joeres und der Ahnungslosigkeit Marie Antoinettes hinkt nicht, sondern er sitzt im Rollstuhl.

    • Alexander Wendt hat klar gesagt, dass der Satz vom Kuchen statt Brot der armen M.A. untergeschoben wurde. Trotzdem sind Ihre Anmerkungen interessant. "On s'arrange comme on peut." - Das funktioniert freilich nur, solange Lebensbedürfnisse nicht vollends unterdrückt werden. Das Bedürfnis nach frei zugänglichen Informationen und freier Meinungsäußerung ist nicht von ungefähr im Grundgesetz als solches gewürdigt. Aber in Zeiten, wo sich mit NetzDG und in wuchernden, staatlich finanzierten Korporationen viel Geld verdienen lässt, indem Grundrechte paralysiert und schließlich abgeschafft werden, sind Figuren wie die hier zu unverdienter Bekanntheit gelangte woke Dame Legion. Und der Mainstream ist auf ihrer Seite. Der Kampf um die informelle Macht - um Deutungshoheiten - entscheidet heute über Existenzen. Bis zum letzten, mit Impfzwang und "gegen rechts" bewehrten Arbeitsplatz. Man kann natürlich den zuckersüßen Kuchen der Unterhaltungsindustrie fressen und sich für eine Bratwurst piksen lassen. Vielleicht landet man dann in chinesischen Verhältnissen. Oder wie die Chinesen sagen "in interessanten Zeiten".

    • Schauen Sie sich Schloß Versailles an: Dort wurde ein Bauerndorf errichtet, angeblich zur Belustigung von Frau Königin Antoinette, von einem englischem Landschaftsarchitekt entworfen, mit absichtlich windschiefer Mühle krummen Bauernkaten, bewohnt von Menschen, die wohl bäuerlichen Tätigkeiten nachgekommen sind, zur Belustigung Ihrer königlichen Hoheit. Wie Herr Wendt hervorragend beschreibt: vom Sonnendeck herunterspucken auf die Ruderknechte.

  • "...kann immerhin seinen gertenschlanken CO2-Fußabdruck herzeigen. Es heißt ja schon bei Rilke nicht umsonst: „Denn Armut ist ein großer Glanz aus Innen.“

    Das Lachen blieb mir beim Lesen im Halse stecken. So ein "schöner" Sarkasmus tut gut, jedenfalls mir. Zu Recht beklagen Sie, Herr Wendt, die unverschämte Arroganz derer, die aus "höherer Sicht" sich über tiefergelegte Bürger, denen die Portion Glück fehlte, auch noch lustig zu machen. Woher nehmen diese Leute Ihre erschreckende Überheblichkeit? Für mich ist der Fall klar: Fehlende Empathie. Im deutschen Wesen war und ist Sympathie oder gar Empathie, also Herzensbildung, nur selten angelegt. Das macht sich überall bemerkbar, insbesondere: siehe oben.

  • Gut recherchiert, nett geschrieben.
    Ich bin immer wieder erstaunt, welche Perlen es im Twitterversum zu finden gibt, und umso schöner, dass der Autor sie hier präsentiert.

    Als Landbewohner mit selbständigen Einkommen kann ich berichten, dass die Situation für viele meiner Nachbarn und Bekannten prekär ist. Noch nicht so prekär, dass die Not da ist, aber sie ist schon in Sichtweite.
    Der Durchschnittsmensch hier arbeitet in Berufen, die es auch vor der Jahrtausendwende schon gab und die keine goldenen, sondern reale Böden haben.

    Wenn die beschriebenen und in Aussicht gestellten Segnungen hier eintreffen, wird bei vielen das Licht ausgehen, und zwar ganz wörtlich. Wer immer so gerade noch hinkommt, der hat nicht mehr viel Luft nach unten.

    Mich stört eigentlich noch nicht mal die Steuerlast. Es gibt Schlimmeres. Aber mich stört, dass so wenig dafür zurückkommt: Infrastruktur, Sicherheit, Zukunftsvorsorge, Zusammenhalt, Schuldenabbau, das sind alles Themen, die in anderen entwickelten Staaten entweder viel billiger zu haben sind oder besser gemacht werden. Kein Land bietet so wenig für so viel Geld.

  • Danke, lieber Herr Wendt, dass Sie die Folterwerkzeuge der Rest-Bürger im basket of deplorables umfassend beschrieben haben. Für die da unten ändert sich mit RotGelbGrün nicht nur die Nomenklatura der Obertanen, die Gegensätze verschärfen sich auch, ja, sie werden willentlich und mit voller Absicht verschärft - zur Zucht, zur Knechtung, zur Zähmung der Widerspenstigen, gleichermaßen wie der Resignierten - aber diese werden immer mehr! Die Drift des Mittelstands nach unten ist längst kein Rinnsal mehr, sie ist ein steter Fluss und es ist absehbar, dass sie zum reißenden Strom werden wird. Nur gut, dass sich mit dieser Drift nach unten gleichzeitig auch der Druck auf dem Kessel erhöht - der Pegel der Angst und des Schisses der Herrschenden.
    Dennoch etwas comic relief am Schluss: Beim ersten Lesen glaubte ich, Sie hätten das Sternchen vor dem Innen vergessen:
    "Es heißt ja schon bei Rilke nicht umsonst: „Denn Armut ist ein großer Glanz aus *Innen.“"

  • Kästner war überhaupt ein Guter.
    1945 notierte er in seinem Tagebuch:
    "Die Schuld würde ich ablehnen. Aber die Schulden würde ich anerkennen."
    .
    "Sie dürfen ihm nichts übelnehmen, er ist seit zwanzig Jahren Journalist und glaubt bereits, was er lügt."
    (Ein Redakteur in Kästners "Fabian")

    • Drum gibt es heftige Bemühungen, die Erich-Kästner-Straße in München umzubenennen. Wer wohl sieht das als eine dringliche Aufgabe?

  • Ich tue mich mit dem Begriff "Elite" in diesem Zusammenhang schwer - und ich argwöhne mal, dass ich dabei nicht allein bin.
    Robert Michels hat in seinem "ehernen Gesetz der Oligarchie" zwar schön herausgearbeitet (übrigens am Beispiel der Sozialdemokratie - er hätte aber auch andere Bewegungen wählen können), wie der Machtgewinn und -Erhalt den Verlust von Idealismus mit sich bringt. Vielleicht erklärt das das erbärmlich illiberale, anti-demokratische Denken unserer modernen politischen Klasse.
    Denn je moralisch verkommener man ist, desto intensiver muss man seine eigene Moral betonen - das gehört zum Kleinen Einmaleins jedes Melville'schen "Con-Man".

    Gaetano Mosca trug zur Elitentheorie (unter anderem) bei, dass die politische Klasse die Kultur eines Volkes massgeblich mitbestimmt. Die De-Kulturierung Deutschlands wäre so zu erklären.
    C. W. Mills kaprizierte sich bei seiner Elitentheorie zwar auf die "üblichen Verdächtigen" aus Wirtschaft und Militär - seine Sicht ist von daher zum grossen Teil überholt - aber immerhin ist sein Postulat, eine "kritische Öffentlichkeit" könne gesellschaftsverändernd sein, heute aktueller denn je.
    Der Urvater aller Elitenideen, Ibn Chaldun ('Muqaddimah') stellte schon im 14. Jhdt. schön dar, wie Eliten im Lauf der Zeit degenerieren und sich Herrscher zunehmend auf Fremde, statt auf das eigene Volk, verlassen - ein Vorgriff auf unseren Globalismus?.

    Der Papst der Elitenforschung, mein verehrter Pareto, hat m.E. den breitesten und durchdachtesten Begriff der Eliten präsentiert. Er lässt Raum für beliebige Eliten: je nach modischen Kriterien ("welches Prinzip ist gerade en vogue?") können die verschiedensten sozialen Gruppen Eliten bilden.
    Bei uns sind es nun mal jetzt eben die Hobby-Moralisten und Planetenretter.
    Aber ich vermute mal, dass auch Pareto nicht im entferntesten daran dachte, dass es einmal eine Elite der Dummschwätzer, Naseweisen, Moral-Poseure, Prediger, Bauernfänger und Heuchler geben könnte.

    Da ist Marx schon als Analytiker mehr zu gebrauchen, denn seine Ausführungen über das Lumpenproletariat (Menschen, die keiner normale Lohnarbeit nachgehen - zu denen er die typischen Pseudo-Intellektuellen rechnete) sind wie gemacht für unsere gegenwärtige Lage.

    Bei uns ist die Elitenfunktion gekapert von einer Gruppe Menschen, der man eigentlich höchstens unter kabarettistischen Aspekten den Ausdruck "Elite" zubilligen kann.
    Helfen kann da nur der Gedanke an die Sängerin Lale Andersen (kennt die noch einer?), die das hochphilosophische Lied gesungen hat, "Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei..."
    Und: Auswandern ist immer eine Lösung.

    • Danke, Herr Bläser, für Ihre Hinweise auf die Theoretiker des Elitenbegriffes. Dem, was Sie über die heutigen Eliten oder solche, die sich dafür halten, sagen, kann man uneingeschränkt zustimmen. Besonders die immer weiter zunehmende Tendenz zur Verunglimpfung und Bevormundung seitens der politisch-medialen Eliten kennt man eigentlich nur aus vordemokratischen Zeiten. Die Corona-Pandemie hat diese Tendenz noch beschleunigt.

DAS KÖNNTE SIE AUCH INTERESSIEREN