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Linksliberal, ein Klingelwort

Vor vier Jahren legte Robert Habeck einen programmatischen Text vor, in dem er Linkssein, Liberalität und grünes Denken miteinander verbinden wollte. Es lohnt sich, die Gedanken des heutigen Vizekanzlers jetzt wieder zu lesen

von Jürgen Schmid

 

„Zu Beginn des Jahres 2018 haben Annalena Baerbock und Robert Habeck als neu gewählte Parteispitze von Bündnis 90/Die Grünen das Ziel formuliert, die Grünen mit einem Bekenntnis zur ‚integrativen Gesellschaft’ als linksliberale Partei im deutschen Parteienspektrum positionieren zu wollen.“

Wie immer bei Wikipedia-Einträgen besitzen die dort aufgestellten Behauptungen mal mehr, mal weniger Realitätsanbindung. Tatsächlich nannte das Handelsblatt die neue Grünen-Spitze in einem Kommentar „Links und liberal“.

Auch das wohl versehentlich ins Online-Lexikon geschlüpfte Eingeständnis, die Grünen seien eine quasireligiöse „Bekenntnis“-Sekte, besitzt einen harten Wahrheitskern.

Allerdings hatten nicht Annalena Baerbock und Robert Habeck gemeinsam anlässlich ihrer Wahl zur grünen Doppelspitze im Jahr 2018 etwas Programmatisches formuliert. Nur der männliche Spitzen-Teil darf sich diesen Text ans Revers heften. Dafür hat es der Habeck’sche Blogeintrag „Die integrative Gesellschaft“ mit dem Untertitel „Grüne, Demokratie, Links, Liberal, Ökologie, Grundeinkomen“ vom 27. Januar 2018 umso mehr in sich. Es lohnt sich, ihn heute wieder zu lesen, gut ein Jahr nach dem Einstieg der Grünen ins Regierungsgeschäft auf Bundesebene und Habecks Aufstieg zum Wirtschaftsminister und Vizekanzler.

Wer gründlich liest, findet in diesem kurzen Text 21 Tipp- beziehungsweise Orthographiefehler. Darauf beschränken sich die Probleme des Textes nicht. Die fahrige Sprache passt zur schlingernden Argumentation. Dazu gleich mehr. Schon in der Überschrift deutet sich das Problem an: Sie lautet nämlich nicht wie auf Wikipedia suggeriert und oben entsprechend zitiert, sondern besitzt im Habeck’schen Original zwei eigentümliche Eigenheiten: Sie kennt das Wort „Lliberal“. Und sie buchstabiert den grünen Wunschtraum „Grundeinkomen“. Bis heute schaffte es der grüne Politiker nicht, die Grundlagen seiner Politik, die er als Superminister täglich exekutiert, auf seiner Homepage sprachlich einwandfrei zu präsentieren. So darf sich weiterhin ein „Geist wieder wiederbeleben“, es leuchtet das „Prinzip unsere Grundgesetztes“, es wird „aus allem das letzte Quentchen Glück“ gepresst (kein Scherz), es tauchen Kommata auf, wo keine hingehören, während sie fehlen, wo sie nötig wären. Dazu gesellen sich wiederholt Probleme mit Plural und Singular („Was ich politisch bin, bin ich durch die Grüne geworden“ (falls es sich hier nicht um einen freud’schen Lapsus handelt). Wer eine Partei geistig führen will, „um die Welt zu verändern“ (so im Habeck-Text das Ziel der Grünen), kann sich offenbar um die passgenaue Formulierung seines Veränderungsprogramms nicht auch noch kümmern.

Ist das Herumreiten auf diesen Fehlern kleinlich? Wohl kaum, wenn man bedenkt, dass der Verfasser sich mit seinem Text damals um den Vorsitz einer im Bundestag vertretenen Partei bewarb. Und wie gesagt: Die Schreibfehler stellen noch das kleinere Problem dar. Hier gilt der Satz: Der Stil ist der Mann.

 

Das Gründungsmanifest der grünen Ideologie nach viereinhalb Jahren wieder gelesen

Der Stil wirkt schräg und vielfach falsch. Habecks Kampfschrift ist ein bemerkenswertes Manifest, das viel zu wenig Bekanntheit genießt, und jetzt zum Abgleich von Selbstanspruch und Wirklichkeit einen genaueren Blick auf den Inhalt verdient.

Der Eröffnungssatz verbrämt die Enttäuschung über das Scheitern des Jamaika-Projekts nur notdürftig, selbstredend ohne jede Andeutung des grünen Mitverschuldens: „Die Schwierigkeit der Regierungsbildung ist nicht zufällig.“ Statt über die eigene Rolle im missratenen Schwarz-Gelb-Grün-Poker zu reflektieren setzt es eine allgemeine Zeitdiagnose: „Die Jahre der Lethargie und Alternativlosigkeit, des Absorbierens und Gleichmachens von Positionen sind vorbei.“ Angesichts dieser Analyse sollte noch einmal daran erinnert werden, dass die Koalition, wäre es zu ihr gekommen, damals von Angela Merkel geführt worden wäre, der Meisterin der Positionseinebnung und der Alternativlosigkeit. Höchstens das Diktum, jede Lethargie sei endlich, könnte sich im Aufbegehren der Bevölkerung im Herbst 2022 bewahrheiten, allerdings diametral anders, als vom Programmschreiber gewollt.

Nun folgen Definitionen dessen, was die Grünen unter Habeck anstreben sollen – nämlich links sein und liberal.

 

„Was heißt im 21. Jahrhundert eigentlich, links zu sein?“

Der Autor poltert gegen „eine geradezu obszöne Vermehrung von Reichtum bei wenigen und eine immer grassierendere Armut bei vielen.“ Weder falsch noch neu, möchte man da rufen. Weiter im Sinne der Anklage: „Wild wird spekuliert mit Devisen und Nahrungsmitteln, Saatgut und Wasser, Boden und Daten. Google, Amazon und Co zahlen keine Steuern. Wachsende Ungleichheit führt zu wachsender Unzufriedenheit. Das kann nicht lange gut gehen. Und insofern brauchen wir höhere Steuern auf Kapital und Vermögen und geringere auf Arbeit.“ Eine kanonisch linke Position, in der Tat. (Fehlt nur noch das „Grundeinkommen“ mit einem M aus der Überschrift.)

Nun ist Devisenspekulation etwas anderes als „Spekulation mit Daten“. Technologieplattformen zahlen sehr wohl Steuern, sie nutzen nur geschickt Steuervermeidungsmöglichkeiten in vielen Ländern, in denen sie operieren. Abgesehen davon gibt es in Habecks Manifest klassisch linke Positionen, auf die er sich auch mit Altlinken wie Sahra Wagenknecht einigen könnte, wenn er denn wollte: „Das Verhältnis zwischen Teilen und Verteilen stimmt nicht mehr. Wenn wir nicht wollen, dass sich Menschen an den Rändern von der Gesellschaft verabschieden, dann können wir auch nicht zulassen, dass die Superreichen, die, die gar nicht merken, wenn sich etwas ändert, das nach oben tun.“ Aber kann er als Vertreter der „Selbstgerechten“ (Wagenknecht) erkennen, dass sich etwas am eigenen Leitbild geändert hat, seit die Grünen als Stars der Bundesregierung oben angekommen sind? Oder gilt für Habecks aktuelles Verständnis von “Links” seine auf die angeblich Ewiggestrigen von damals zugeschnittene Diagnose von 2018: „Und dennoch ist Links heute ein leerer Ort“?

Es gibt durchaus Lichtblicke im Habeck’schen Programm, die zeitlos gültig sind: „Ein postmoderner Kapitalismus dringt in unsere privatesten Beziehung [falscher Singular im Original] ein: Die Zeit, die wir haben, die Arbeit, die wir leisten, unsere Freundschaften, Pflege, Liebe, Intimität, Erbgut, Menschsein, Glück – alles wird in Wert gesetzt und dann ausgewrungen.“ Da haben wir tatsächlich eine kurze, aber konzise Beschreibung der Verwertungs- und Vernutzungslogik des Neoliberalismus, die uns Menschen, da hat Habeck recht, von „Handelnden zur Handelsware“ degradieren will, „von [richtig: vom] Subjekt zum Objekt“. „Facebooks Algorithmen“ werden ebenso beklagt wie „Monopole“, die „uns in Abhängigkeit drängen“. Es entstehe eine spürbare „Leere“: „Wir stehen da, ohne Halt.“

Nur, was tun, Herr Habeck, gegen die Haltlosigkeit und neoliberale soziale Kälte? „Fördern und Fordern – ja, schön und gut. Aber es wirft als Prinzip eben auch alles in einen Topf. Wer sein Leben lang gearbeitet hat und krank wird, wird behandelt, als wäre er ein Leben lang faul gewesen.“ Da erscheint alles richtig analysiert, auch im Sinne eines linken Solidarprinzips. Aber kann man dann gleichzeitig die Sozialsysteme mit immer mehr Zuwanderern belasten, von denen viele niemals in die Sozialsysteme eingezahlt haben? „Wir haben Platz“ verträgt sich wohl eher nicht mit wohlfeilen sozialen Sonntagsreden wie zitiert. Und mit welcher Begründung kann man dem, der „sein Leben lang gearbeitet hat“, zumuten, dass er sich in der Energiekrise keine warme Wohnung mehr leisten kann? Oder einem Kleinunternehmer, für den sich die Arbeit nicht mehr lohnt, sodass er in Altersarmut fällt und zum Sozialhilfefall wird? Dazu findet sich in dem Habeck-Text von 2018 schon ein Fingerzeig: Vieles lässt sich einfach mit Geld lösen. Wenn auch nicht solidarisch und nachhaltig, sondern zulasten der nächsten Generationen.

Wenn die Politik versagt hat, kann der Staat per Schuldenwirtschaft und mit Unterstützung der Zentralbank die entsprechenden Mittel anbieten für „neue Garantiesysteme“, damit die Regierung, der man selber angehört (damals angehören wollte), denen, die einen wählen sollen, „Respekt und Anerkennung“ in pekuniärer Form zollen kann – in allen Lebenslagen, als staatlich alimentierte „Bildungszeit, Familienzeit, Rentenzeit“.

„Im Gegenzug [so setzt der Text fort, ohne dass dem Leser der Kontext klar würde] müssen wir den Verbrauch von natürlichen Ressourcen, [Komma wegdenken] – Plastik, Klimagase, Pestizide [na, was folgt nun für ein Verb als Handlungsanleitung? „verringern“? nein:] – verteuern. Denn: „Zukunft und Gerechtigkeit müssen leichter zugänglich werden, und von Vergangenheit und Ungerechtigkeit müssen wir uns verabschieden.“ Diesen höchst verkomplizierten Gedankengang müssen wir entwirren. Wie soll mittels einer Verteuerung etwas „leichter zugänglich“ werden? Vor allem für die arme Klientel, der Habecks Sorge im Absatz zuvor gegolten hat? Wie will man sich von „Ungerechtigkeit verabschieden“, indem man ganz neue Ungerechtigkeiten schafft, wie wir sie gerade in der Energiekrise als Folge Habeck’scher Realpolitik beobachten? Vielleicht gilt dieser Merksatz: Der heutige „Linke“ (respektive derjenige, der diese Etikettierung für sich beansprucht) wird im Wesentlichen nur noch von seinen Widersprüchen zusammengehalten.

Den Münchner Soziologen und „Meisterdenker“ (ZEIT) Armin Nassehi lässt das nicht nur kalt. Er erklärt den permanenten Widerspruch grüner Politik kurzerhand zur Methode. All die inneren Gegensätze, die eine normale Partei zerreißen würden – „dass die Grünen sehr linke Positionen einnehmen können, dann wieder auch rechte, wirtschaftsliberale oder konservative … [dass sie] sowohl für Industriepolitik (Baden-Württemberg) als auch für Enteignungen (Berlin) einstehen, für ethnische Homogenität und Zuwanderungskritik (Tübingen) ebenso wie für möglichst offene Grenzen (überall sonst)“ – erklärt Nassehi „mithilfe seiner Systemtheorie zum Zukunftsmodell“, zu einem „schöne[n] neue[n] System der Widersprüche“ (was die ZEIT offenbar nicht ironisch meint).

Und, so erklärt der Meisterdenker dem Publikum, diese Art der Politik und ihre Kommunikation, die Robert Habeck wie kein Zweiter verkörpert, dieses „Zulassen von Ambivalenzen“, wie das Sich-selbst-Widersprechen dann auch genannt wird, sei „in unsicheren, krisenhaften, kaum zu begreifenden Situationen wie der heutigen durchaus eine sinnvolle Herangehensweise“. Denn (so weiter in der Zusammenfassung des Cicero) „nur so sei Authentizität zu generieren (nicht durch Faktenreiterei), nur so sei ein lernendes System zu skizzieren.“

Vielleicht übersieht der systemtheoretische Soziologe und Politikberater dabei, dass Entscheidungsträger in Regierungsverantwortung nicht nur „Systeme“ im luftleeren Raum zu „skizzieren“ haben, sondern konkrete Entscheidungen treffen müssen?

 

„Und liberal?“ fragt Robert Habeck

Bleibt Habeck bei der Beschreibung einer linken Position noch im Rahmen gängiger Deutungsmuster und in der Analyse (nicht im Handeln!) sogar erstaunlich wirklichkeitsnah, so ist seine Suche nach der Liberalität ein Stochern im Nebel, den er selbst durch Geschwurbel erzeugt. Auf die Frage, was „liberal“ für ihn nun sei, liefert er keine Antwort. Dem Autor dieses Textes jedenfalls ist es trotz intensiver Bemühungen nicht gelungen, die enigmatischen Wortkaskaden dieses Abschnitts Habeck’schen Denkens zu enträtseln, weshalb hier der komplette Wortlaut zum Selberlösen wiedergegeben sei. (Für sachdienliche Hinweise dankt die Redaktion.)

„Entfremdung, Desintegration, Abwendungen gefährden die Freiheit. Die Entfremdung von der Politik droht zur Mode zu werden. Ein Stolz darauf, nicht dazuzugehören, höhlt unsere Demokratie aus. In dem Sinn sind Pegida und religiöser Fundamentalismus zwei Seiten derselben Medaille. Und sie passen nicht zum Gleichheits- und Freiheits-Versprechen, [Komma im Original] dieser Republik. Aber wir können die Desorientierung und die Desintegration von Gruppen, Regionen und Milieus nicht den Gruppen, Regionen und Milieus in die Schuhe schieben. Das wäre Neoliberalismus als politische Methode. Stattdessen müssen wir die strukturellen Defizite der Gesellschaft sehen und beheben. Diesen Unterschied zu sehen, markiert [falsches Verb anstelle von „unterscheidet“ im Original] progressive von reaktionärer Politik. – Liberalität ist mehr als nur das Leben als Monade. Menschen sind mehr als nur beseelte Punkte, die vor allem auf ihr Fortkommen achten. Und es ist schäbig, die Benachteiligten der Gesellschaft – Arme versus Flüchtlinge – gegeneinander aus[zu]spielen [Fehler vom Editor verbessert]. Und umgekehrt betrifft Integration nicht nur die Geflüchteten, sondern auch die hier Geborenen, die sich trotzdem abwenden. Wir müssen eine integrative Gesellschaft werden.“

Hat nicht derselbe Habeck, der Liberalität für sich in Anspruch nimmt (das ist seinen Wortaneinanderreihungen immerhin klar zu entnehmen), im Januar 2019, ein Jahr nach seinen liberalen Papier-Anwandlungen, mit dem Autoritarismus zumindest geflirtet (ab Minute 9:56)?

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„Will man daran festhalten“, meint er dort, „dass ein demokratisches System, das im Grunde dem Kern von Selbstbestimmung und auch der Beteiligung von Menschen verpflichtet ist, noch eine Chance hat […] oder gibt man es auf und dann wird man zu zentralen bzw. zentralistischen Systemen hingehen, die natürlich schneller sind. […] In China gibt es eben keine Opposition und keine Mitbestimmung und wenn die Fehler machen, werden sie eben trotzdem nicht abgewählt. Vielleicht gibt es irgendwann eine Revolte in China, aber erst einmal ist das System effizienter. Wollen wir das oder wollen wir das nicht? Ich glaube, diese Entscheidung kann man nicht ökonomisch treffen, sondern nur wertegeleitet treffen und ich würde sagen: Ja, das wollen wir.“

Seine Formulierung „ja, das wollen wir“ kann sich auch auf „wertegeleitet“ beziehen. Trotzdem wirkt sein Lob von Schnelligkeit und Effizienz der Ein-Parteien-Autokratie befremdlich.

Verweilen wir noch ein wenig bei besagtem ZDF-Gespräch, denn es ist so aufschlussreich. Auf Prechts Frage, wie es weitergehen wird mit der deutschen Parteienlandschaft, entwirft Habeck eine Allmachtsphantasie im damaligen Umfrage-Siegesrausch (ab Minute 35:16):

„Ich glaube, dass sich der Charakter der Parteien verändert. Das ist jedenfalls meine Erklärung, warum die Grünen jetzt gerade die Nase über Wasser haben. Sie müssen, um dieser Radikalität der Herausforderung zu genügen, nicht vom Kompromiss aus denken, was die Volksparteien ausgemacht hat und stark gemacht hat. Also: Bevor wir das verabschieden – einmal ‚Danke’ für die Stabilität, die sie dem Land gegeben haben. [Spricht der Hohepriester in milder Großzügigkeit.] Aber das reicht jetzt eben nicht mehr. […] Sondern: Vom Ziel her denken. Ich glaube, das ist sozusagen das Modernste im Moment, wie lange das hält, weiß ich auch nicht. Das Ziel in seiner ganzen Herausforderung zulassen.“

Und das Ziel, das deutet Habeck in seinem 2018er Manifest schon an, ist eben nicht weniger als „die Welt zu verändern“, in einem „zentralistischen System“ mit der grünen Priesterkaste als Führungsriege, ohne lästige Opposition und Mitbestimmung, so dass die Regierung auch die schlimmsten Fehler im Amt überleben kann.

Die Vorlage, aus der Habeck seine Gedanken gesogen hat, liegt offen da – in Form der edition suhrkamp 2634 aus dem Jahr 2013: „Simulative Demokratie. Neue Politik nach der postdemokratischen Wende“ aus der Werkstatt von Ingolfur Blühdorn. Der Wiener Politologe ist ein weiterer grüner Ideologie-Vordenker, der im Gegensatz zum medienaffinen Nassehi eher im Verborgenen wirkt – ein bei der Heinrich-Böll-Stiftung (Eigenwerbung: „Die grüne politische Stiftung“) akkreditierter grüner Wahlkampfhelfer aus der sogenannten Wissenschaft, laut Stiftung Theoretiker einer „post-demokratischen Wende und der simulativen Demokratie“.

Um diese Theorien zu verstehen, muss man nur ins Theoriewerk schauen. „Klagegesänge über die mangelnde Zukunftsfähigkeit der Demokratie oder das ihr fehlende Vermögen, die eigenen normativen Grundwerte fortdauernd zu erzeugen“, seien dem Portal für Politikwissenschaft zufolge der Ausgangspunkt für Blühdorns Simulations-Träume.

Zunächst aber muss der Politikwissenschaftler, der ein Politikgestalter sein will, „Forderungen zurück[weisen], die Demokratie mit mehr politischer Beteiligung oder mehr direkter demokratischer Aktion zu retten. Solche Ideen beruhten“, so sein Urteil, „auf vormodernen Grundlagen, die […] nicht mehr gelten würden. Endgültig verloren seien das Kant‘sche Vernunftsubjekt, das soziale, politische Individuum nach Aristoteles oder Hannah Arendts im Sinn der Freiheit handelnder Mensch.“

Wenn Blühdorns Kollege Daniel Hausknost ergänzt, ihm missfalle die „Unbeweglichkeit der demokratischen Strukturen“ und der „Egoismus der Wähler“, rundet sich das Bild, das danach strebt, die Freiheit abzuschaffen, weil das Individuum sie nicht mehr richtig zu nutzen weiß, ab. (Was „richtig“ heißt, möge bei Robert Habeck erfragt werden.)

Blühdorns Ausweg aus der Wählerverschuldeten (Handlungs)Unfähigkeit der Regierenden: „Politische Teilhabe werde im steuernden Staat nun durch eine simulative Partizipation ersetzt. Diese sei ‚die Produktion und Reproduktion von Diskursen, Narrativen und gesellschaftlichen Selbstbeschreibungen’ alter Normen, sie ‚schafft Erlebnis und Handlungsräume’ für Ideen der Partizipation, ohne sie dem Individuum verpflichtend aufzubürden.“ Will auf gut Deutsch heißen: Man enthebt den Bürger von der Teilhabe am Staat. Im Jahr 2013 serviert Blühdorn diese kalte Dusche noch so, dass sie manches zu entrechtende Individuum gar nicht verstehen kann.

Neuerdings legte der Wiener Zukunftskonstrukteur im Gewand des Politologen nach, indem er „für die Simulation demokratischer Verfahren als Grundlage für die angestrebte Transformation plädiert“, wie Matthias Schrappe im CICERO analysiert: „Man solle die Demokratie nicht eliminieren, aber man muss sie derart umgestalten, dass es mehr um das simulierte Verfahren als um die harten Sachentscheidungen geht. Die Bürger sollen sich beteiligt fühlen und diese gefühlte Beteiligung auch ausüben, also Bürgerräte ohne Ende, aber die Sachentscheidungen hinter verschlossenen Türen.“ Klartext nun also. „Habecken“ nennt Schrappe diesen „Schritt zur geführten, illiberalen Demokratie“: „Diskurssimulation im Vordergrund, im Hintergrund eine Kombination von technologischem und neoliberalem Ansatz“.

Lange galt der Vorwurf von Regierungskritikern, in Deutschland herrsche nur noch eine Demokratie-Simulation, als Verschwörungstheorie. Nun ist aus der Theorie eine Verschwörung geworden.

Vielleicht ist die Unschärfe in Habecks 2018er Definition des Begriffs „liberal“ damit zu erklären, dass er erstens keine rechte Vorstellung davon hat, was das sein könnte. Und das zweitens auch gar nicht wissen muss, weil er gar nicht „liberal“ sein möchte, sondern zu wissen glaubt, in welche Richtung sich die Gesellschaft verändern sollte, diese Richtung auch vorgeben will, auf die positiv konnotierte Etikettierung als „liberal“ aber nicht verzichten mag.

 

„Eine integrative Gesellschaft“? Nein, eine grüne Gesellschaft ist das Ziel

„Eine integrative Gesellschaft – das klingt romantisch. Ist es aber nicht“, heißt es weiter in seinem Text von 2018: „Sie ist Streit und sie ist Toleranz. Sie ist Ringen und sie ist Ertragenkönnen. Sie ist wie ein Parteitag der Grünen. Sie ist, wie diese Partei. Individuell und solidarisch – jedenfalls, wenn wir gut drauf sind.“

Damit ist – in schrägen Wortbildern wiederum, denn eine Gesellschaft „ist“ nicht Streit, sie hält ihn aus oder nicht; sie „ist“ auch nicht „Toleranz“, sondern, hier wäre die Adjektivform des Wortstammes angebracht, tolerant („wenn sie gut drauf ist“). Da ist er ganz bei sich, der Sozialingenieur, der die Menschheit erziehen will nach seinem Bilde. Wo Gesellschaft war, soll ein grüner Parteitag werden. Evangelische Kirchentage und Gottesdienste sind es bereits, ebenso die Medienhäuser im Lande, das übrige möge folgen. Eine „integrative Gesellschaft“ ist also in diesem Weltbild eine, die in sich die grüne Parteilogik integriert.

Was „macht uns aus“? Auch diese Frage beantwortet der kommende Parteivorsitzende. „Eine Kultur des Miteinanders, die aus dem Ringen und dem Streit entsteht. Vertrauen in die Prozesse, dass nicht einer oder eine sagt, wo es lang geht, sondern Politik als Einladung, für seine eigene Meinung zu streiten, aber auch die Mehrheitsmeinung anderer zu akzeptieren.“ Mehrheitsmeinung ist es übrigens in Deutschland schon seit Monaten, die drei verbliebenen Kernkraftwerke nicht abzuschalten.

 

Im Pathos des guten Hirten

Welchen Ton schlägt Habeck in seiner Programmschrift an? Er kann natürlich das, was Karl Heinz Bohrer in seiner „politischen Typologie“ der „Unschuld“ den „guten Hirten“ bescheinigt: „Predigen können sie alle.“

Seine Predigt hat alles, was im Merkur schon 1985 als Habitus des Milieus entlarvt wurde: Diesen „Moralismus, diese Überzeugung, daß die Welt in Gut und Böse eingeteilt sei und daß man auf der richtigen Seite stehe“. In Habecks Manifest aus dem Jahr 2018 lesen sich Bohrers Ingredienzien, die er in der „Gesellschaftskomödie der guten Hirten“ verortet, als da sind „Pathos“ und „Gutmannston“, so: „Alte Werte wie Freiheit, Vernunft, Solidarität, Würde, Gerechtigkeit – wir müssen sie neu gründen und definieren.“ (Alles neu macht der Habeck. Gerne im Imperativ: „wir müssen“.)

Natürlich beherrscht Habeck auch den anrempelnden Kumpeljargon, mit dem er beim eigenen Milieu punktet: „Warum seid Ihr in die Grünen eingetreten?“ (Wobei das nicht nur kumpelig rüberkommt, sondern vor allem windschief: Tritt man in eine Partei ein wie in eine Kneipe?) „Was hat Euch zu uns gebracht?“ Während es bei jenen, die vom Völkerrecht kamen, „das Sehnen nach einer humanen Außenpolitik“ gewesen sei (einer „feministischen“, muss es nun heißen), sei es bei ihm, Habeck selbst, „ein Weg auf dem Rad“ gewesen. Welches Rad gemeint ist, verrät er uns nicht: das Hamsterrad des parteipolitischen Aufstiegs, das solargetriebene E-Bike oder gar das avantgardistische Lastenfahrrad?

Die Parodie auf den „Grünen Posterboy“ bei NDR extra 3 vom Februar 2020 (Habeck: „Ich steh’ für ne Politik, die Bock macht auf Politik. Die sozusagen versucht, einen Echoraum aufzumachen, der es allen progressiven Kräften ermöglicht, osmotisch fundamentalontologisch biodivers und metaphysisch die Membran unserer sozialen Kontexte zu durchdringen oder zu transzendieren … Was war noch mal die Frage?“ Journalist: „Weiß ich auch nicht mehr.“ Habeck: „Ist doch geil, dann kann ich ja noch ein bisschen weiter rumschwurbeln.“) wirkt vor dem Hintergrund des Textes von 2018 und seiner Politik heute gar nicht mehr besonders parodistisch.

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Denn im authentischen Original klingt er nicht viel anders: „Das ist die neue, große Aufgabe der Grünen: Im Zeitalter des Partikularismus, der Refeudalisierung, des Auseinanderfallens Gemeinsamkeit und Zusammenhalt herstellen. Und so ein anderes Zeitalter möglich machen.“ (Eine neue Ära – darunter geht es nicht.)

Der Ton der Habeck-Deklaration ist somit eine bizarre Mischung aus Allerlei, korrespondierend zum inhaltlichen Eintopf: Pseudo-akademisch (wie zitiert), möchtegern-intellektuell („Menschen sind mehr als nur beseelte Punkte“), küchenphilosophisch („Für einen Idealismus des Suchens!“), populistisch-aktivistisch („Es wird auch an uns liegen, … ob Europa [er meint: die EU] einen Gegenentwurf formulieren kann zu Nationalismus und Regress“). Dazu die unvermeidlichen rhetorischen Parteitagsmittel für sensible Delegiertenseelen („Wir sind eine pulsierende, atmende, vibrierende Kraft“). Parareligiös klingen schließlich Sentenzen wie der Lobpreis auf die Ur-Grünen, die eine Partei schufen, „das Verlangen zu stillen“. Wie gesagt – ein Gemischtwarenladen der wundersamen Buntheit und Vielfalt politischer Rhetorik.

Merkwürdig nur, dass ein Schlüsselwort grüner Machtergreifungsstrategen im Text nur ein einziges Mal aufflackert – und dies auch nur seltsam irrlichternd: „Diesen Unterschied zu sehen, markiert progressive von reaktionärer Politik.“ (Das deutsche Pendant zur „Progressivität“, die altmodische Fortschrittlichkeit, fehlt dagegen ganz.) Welcher „Unterschied“, den nur Habeck sieht, „markiert“ hier die Differenz zwischen Gut und Böse, denn genau diese Moralkategorien werden aufgerufen? Der Unterschied liege, so der grüne Rabulist, darin, dass die einen, die nicht an Habeck glauben (und die hier als Neoliberale adressiert werden, wahlweise aber auch „Rechte“), angeblich „die Desorientierung und die Desintegration von Gruppen, Regionen und Milieus“ eben diesen „Gruppen, Regionen und Milieus in die Schuhe schieben“ – während der „gute Hirte“ Habeck „stattdessen“ „die strukturellen Defizite der Gesellschaft sehen und beheben“ will. Man muss diese Sprache entziffern wie ein Ägyptologe die Hieroglyphen: „Gruppen“ und „Milieus“, das ist im Habeck’schen Grünen-Kosmos die Chiffre für das Klientel, das seine/ihre Moralpolitik bevorzugt bewirtschaftet: das migrantische Milieu, das Habeck (mindestens auch) meint, wenn er fordert: „Nicht Herkunft darf über die Zukunft entscheiden.“ Aber aktuelle Politik – Beispiel Hannover mit seinem grünen Oberbürgermeister Belit Onay – konterkariert diesen Anspruch wieder, wenn die Stadtverwaltung eine Migrantenquote „von 30 Prozent jedes Einstellungsjahrgangs“ vorschreibt und damit „Herkunft“ verfassungswidrig als Entscheidungskriterium über Eignung setzt.

 

Eine Idee für eine Gesellschaft jenseits der Freiheit

„Wir sind – gerade weil wir sind, wie wir sind – eine Partei auf Höhe der Gegenwart. Also formulieren wir eine Politik der Gegenwart! Eine Idee für eine Gesellschaft jenseits der Angst.“

Bereits weiter oben in seinem Text hat Habeck „ein zersetzendes Angstgefühl“ diagnostiziert. Dieser Zustand sei „parallel zu dem, aus dem wir Grünen gegründet wurden.“ Ja, die Formulierung der angenommenen Parallelität ist sprachlich verrutscht, wie vieles aus der Wortwerkstatt des Kinderbuchautors. Und ja, was er meint, wenn man es verstanden hat, beschreibt einen Kernbestand grüner Machtsteuerung bestens: die stete Apokalyptik, die zuverlässig Wählerstimmen generiert. Waren es zunächst Ängste vor Waldsterben und Atom-Gau, die geschürt und medial zum eigenen Vorteil bewirtschaftet wurden, so sind es nun (in rascher Folge): der Klima-Kollaps, das Killervirus, die „Delegitimierung des Staates“ (durch Demonstranten wohlgemerkt, die ihre Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit wahrnehmen wollen) und alles überwölbend: der Teufel von „rechts“. All das also versteht der Vordenker der grünen Bewegung offensichtlich unter „eine[r] Idee für eine Gesellschaft jenseits der Angst.“

Aber es wird noch skurriler, wenn Robert Habeck gegen Ende zum ganz großen Wurf ausholt: „Bringen wir die Politik wieder auf Augenhöhe mit der Welt.“ Als ob nicht gerade weltfremde Ideologen von seinem Schlag es geschafft hätten, die Wirklichkeit abzuschaffen

zugunsten eines rein diskursiven Verständnisses von Realitäten.

„Geben wir Menschen Halt, Orientierung und Sicherheit. Laden wir sie ein, mitzusuchen, mitzudiskutieren.“ An den Coronamaßnahmen fanden auch die Grünen nicht viel zu diskutieren und erst recht mitzudiskutieren, an der grünen Energiewende mitsamt sanktionsverstärkter Energiepreisexplosion auch nicht.

„Für eine Politik, die nicht jede Frage gleich mit Antworten zudröhnt.“ Wie müssen den Beamten des Habeck’schen Wirtschaftsministeriums heute die Ohren dröhnen von der Wucht, mit der ihr Chef ihre Fachgutachten zur Energiefrage mit ihrer Anschwärzung beim Verfassungsschutz beantwortet hat?

„Es wird auch an uns liegen, ob eine linksliberale Politik eine Chance hat. Hier. Und anderswo.

„Zurück zum Anfang. Denn sie [Tippfehler statt „die“ im Original] Gegenwart ist der Anfang.“ Im Anfang war der Habeck: Die Schöpfung der Welt beginnt mit der grünen Machtbeteiligung unter Robert H. (Trittin war gestern, ist anders links und zählt nicht.) Es ist das Weltbild, das Botho Strauß im „Anschwellenden Bocksgesang“ als „Totalherrschaft der Gegenwart“ bezeichnet. Im Habeck’schen Duktus: „von Vergangenheit und Ungerechtigkeit müssen wir uns verabschieden“, so als ob alles, was vergangen ist, per se ungerecht gewesen sein muss.

Robert Habeck beendet sein Bewerbungsschreiben für den Grünen-Vorsitz damals mit dem Satz: „Es ist unsere Zeit.“ Eine Drohung, die jetzt wahr wird. Liberalität kommt darin weder theoretisch noch praktisch vor.

 

 

 


Jürgen Schmid ist Historiker und freier Autor. Er lebt in München.

 


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Redaktion:

Kommentare anzeigen (13)

  • Links heißt, das zu leben, dessen man andere bezichtigt. Linksliberal ist, damit klarzukommen.

  • Eine ausgezeichnete Zusammenfassung, die aber auch jedem klar machen sollte, daß mit solchen Leuten als Entscheidungsträger, Deutschland absolut keine Zukunft mehr hat. Da ist's nichts anderes als gelebter Deppenkult.

  • „Sie ist Streit und sie ist Toleranz. Sie ist Ringen und sie ist Ertragenkönnen. Sie ist wie ein Parteitag der Grünen.“
    Ganz genau! Und darum bin ich auch gleich in den Gründungsjahren, ca. 1/2 Jahr nach meinem Eintritt, wieder ausgetreten.
    Das war nach einer schier ewig nervigen Diskussion auf einem solchen „Parteitag“, die erst endete, als die Hardliner ihren Willen durchgeboxt haben, indem die anderen völlig entgeistert zwischenzeitlich die Versammlung verlassen hatten, und man im kleinen Kreise abstimmen konnte.
    Soviel zum Ringen und zum Ertragenkönnen…

  • Abgesehen davon, daß man zwei Beine braucht um gehen zu können und zwei Augen um dreidimensional zu sehen, bedeutet links die Gesellschaft vom Kollektiv her zu denken. Genau deswegen kann man mit "linken" Ideen Massen mobilisieren. Mit einer Sichtweise, die den Menschen als individuelle Person wahrnimmt kann man dies nicht.

    Im Übrigen scheitern Demokratien bereits am Primat der Gleichberechtigung um jeden Preis. Daher sollten gerade Entscheidungsträger oder solche die es werden wollen etwas können. Es ist ein Treppenwitz, daß das Anforderungsprofil für Frittenverkäufer größer ist als fürs politische Personal.

  • Der Mann ist ja noch schlimmer, als ich bisher dachte. Ein Schwätzer und Schwurbler vor dem Herrn. Immerhin ist er großzügig bereit, auch mal Mehrheitsmeinungen „anzuerkennen“ (notgedrungen, wenn man selber in der Minderheit ist). Minderheitsmeinungen anzuerkennen (wenn man selber in der Mehrheit ist), dürfte einem in der Wolle gewaschenen grünen Ideologen wohl nicht einmal im Traum einfallen.

  • Alles an der Idee ist doch anstrengend – sowohl für die Köpfe, wo sie entfleuchte, und noch mehr für die Köpfe, wo man sie einpflanzen will. Für die Selbstbildhauer und damit die geneigte Knetmasse der „Ideengeber“ stelle ich es mir anstrengend vor, weil sie täglich dazu verdammt sind, krampfhaft etwas darzustellen und eine blühende Fantasie entsprießen lassen zu wollen, die jedoch niemals wirklich Wurzeln schlagen können wird und deshalb dazu verdammt ist, nicht nur in engen Hirnkammern zu verwelken, sondern regelrecht zu vermatschen. Das symptomatische Heulen namens „Ich werde diskriminiert“ fließt dann tränenreich als toxische Tinte in die Schreibfässchen z. B. eines Robert Habeck, der dann noch mehr Matsch produziert (leider allerorten), bis alle Köpfe irgendwann platzen. Die Unfreiwilligen erkennen die Symptome und versuchen sich vor der gefährlichen Strahlung dieses ‚Green Yield‘ zu schützen. Von daher könnte man den Slogan auf obigem Bild per Scrabble auch mit süddeutschem Slang umändern in: ‚Ha nix – Grün geht’s weiter‘. Das „vom Ziel her denken“ erinnert frappierend an Merkels „vom Ende her denken“ und hat, angesichts des Chaos, das bereits angerichtet ist, Menetekel-Charakter.

  • Zitat: „Man solle die Demokratie nicht eliminieren, aber man muss sie derart umgestalten, dass es mehr um das simulierte Verfahren als um die harten Sachentscheidungen geht. Die Bürger sollen sich beteiligt fühlen und diese gefühlte Beteiligung auch ausüben, also Bürgerräte ohne Ende, aber die Sachentscheidungen hinter verschlossenen Türen.“

    Wie sagte doch einst Walter Ulbricht? "Es muss wie Demokratie aussehen, aber wir müssen die Kontrolle haben!"

  • Nach dem Umbruch
    dann Gemeinsamkeit und Zusammenhalt herstellen

    Es spricht aus ihnen selbst. Alles kurz und klein hauen und dann Gemeinsamkeit und Zusammenhalt herstellen. Der feuchte Traum jeder Kulturrevolution.

    Nach meinem Dafürhalten handelt es sich im Grünfaschismus um eine Gemeinsamkeit und um einen Zusammenhalt jenseits des Grundgesetzes. Wobei sich die Grünfaschisten im Lande zu erkennen geben, indem sie im Taumel ihrer Fortschritte das Festhalten an bewährten Strukturen als „reaktionär“, „rückwärtsgewandt“ oder „Spaltung“ bezeichnen. Und wenn sie politische Gegner als „unbelehrbar“ oder krank diffamieren und aus dem parlamentarischen Spektrum ausgrenzen - gar 130-fach kriminalisieren. Wenn sie also als Bewegung ihre politischen Gegner ausgrenzen - und zwar deshalb, weil sie es können.

    *Ja, die Formulierung der angenommenen Parallelität ist sprachlich verrutscht, wie vieles aus der Wortwerkstatt des Kinderbuchautors.*

    Das stimmt. Was man bei der Geheimdienstmitarbeiterin Astrid Lindgren noch als Sehnsucht nach Kindheit durchgehen lassen kann, das gilt bei all den Habecks in den Reihen der Grünen heute als Ideologie und Fortschritt. Als Vorwärts. Und das in der Regierung! So etwas ist nicht nur für ein Industrieland brandgefährlich.

    Wer sich als Sozialist (Kosename des Kommunismus) im real existierenden Sozialismus "liberal" nennt, der lügt - oder er ist ein politischer Depp. „Linksliberalität“ ist ein politisches Kosewort, und eine Zeitung, die sich „linksliberal“ nennt, die halte ich für ein politisches Witzblatt.
    Angesichts wiederholter Störungen, Unterbrechungen und andere Regelverletzungen der Studenten nahm Adorno die Gefahr des Umschlags der Studentenbewegung in Faschismus wenigstens noch ernst.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_W._Adorno#Sp%C3%A4te_Frankfurter_Jahre_(1949%E2%80%931969)
    Aus diesem Unbehagen gegenüber jugendlich revolutionären Strömungen und deren Unduldsamkeiten haben die „Vorwärts“ in den Altparteien heute ein Kasperletheater „gegen rechts“ erschaffen. Bei dem sie auf den Zehen ihre politischen Gegnern herumtrampeln und bei jedem Aufschrei dann "rechter Hass" krakeelen. Wer in dieser Welt der Verachtung die Verachtung Deutschlands nicht mitträgt, der gilt Grünfaschisten als rechts, also praktisch als Nazi – es sei denn, er arbeitet als Buße mit der Bewegung zusammen (siehe CSU oder CDU in den Iden des Merz). So lange sie mitspielen, so lange dürfen diese Gestalten im Grünfaschismus noch als Pausenclown auf die Bühne: Das war schon in der DDR-Demokratie 1.0 so.

    Rot und grün soll heute und künftig gefälligst als "bunt" gelten, und mit Habeck sucht uns da eine ganz besondere Stilblüte heim.

    Widerstand!

  • Könnte das mit der "Verwertungs- und Vernutzungslogik des Neoliberalismus" etwas vertieft werden? Ich wüsste gerne, was die Position des Autors von den bekannten vulgärsozialistischen unterscheidet.

    • "Ich wüsste gerne, was die Position des Autors von den bekannten vulgärsozialistischen unterscheidet."

      Liberalität West.

  • Respekt - es gehören schon viel Geduld und gute Nerven dazu, sich durch den Habeckschen Sprachbluff durchzukämpfen. Respekt vor allem, dass Sie die hermeneutische Methode durchhalten, den Autor auch dann noch ernst zu nehmen, wenn das Geschriebene in ein von ihm nicht erkanntes Selbstparodistische abgleitet. Habeck steht nun mal unter dem Druck, den Hardcoreintellektuellen in der deutschen Politik spielen zu müssen – angesichts des bildungsmäßig sonst eher unterbelichteten Personals an seiner grünen Seite gelingt dies ja vortrefflich. Wenn dann noch das Lob eines professoralen Modesoziologen Zuspruch verheißt und die geneigten Medien das Spiel mitmachen, dann kann ja nichts mehr schief gehen. Leider vermag ich den klugen Robert nicht zur Gänze zu verstehen – meine akademische Sozialisation bewegte im Kontext von Naturwissenschaft und Philosophie „alter weißer Männer“. Wahrscheinlich besitzt dieser „Denker in dürftiger Zeit“ Erkenntnisquellen, die mir versagt bleiben werden. Oder verkörpert er doch nur den in Deutschland im akademischen Betrieb mittlerweile so häufig auftretenden Typus des postmodernen „Zeichenproduzenten ohne außersprachlichen Realitätsbezugs“ ? Auf alle Fälle sollte dieser sprachkritisch bravouröse Text archiviert werden – wenn man den Kindern und Enkelkindern einst erklären will, warum im Deutschland des Jahres 2022 eine relevante Anzahl von Wählern sich von einem schwadronierenden akademischen Halbintellektuellen hat beeindrucken lassen.

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