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Ein Tweet hat 280 Zeichen, und der nächste Hitler ist immer der schwerste

Musk gefährdet die Demokratie durch freie Rede, Kritik am woken Denken ist „strukturell antisemitisch“, echter Antisemitismus dagegen harmlos: Die Irrationalität der Wohlgesinnten erreicht eine neue Qualität. Sie zerstört die Kommunikation der Gesellschaft. Noch nie war es so wichtig, eins und eins zusammenzuzählen

Jemand in der Twitter-Firmenzentrale musste einen Plan gegen Jan Philipp A. geschmiedet haben. Denn obwohl in den USA und eigentlich auch in Deutschland praktisch niemand den deutschen Funktionär kennt, begab sich jemand in den Serverraum und koppelte ihn heimlich von einem anderen Grünen-Politiker ab, dem er bisher auf Twitter gefolgt war.

Die Geschichte stammt nicht von einem Nachfolger Kafkas, sondern von Jan Philipp Albrecht selbst, Vorsitzender der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung. Sie besitzt also umständehalber nicht ganz die Qualität einer Kafka-Erzählung, aber trotzdem ein gewisses Komikpotential.
Albrecht beklagte sich vor wenigen Tagen, sein Twitterkonto sei ohne seinen Willen von dem des stellvertretenden Vorsitzenden der Grünen-Fraktion Konstantin von Notz getrennt worden, dem er bisher, wie es auf Twitter heißt, gefolgt war, und Notz umgekehrt von ihm.
In seinem Fall, meinte Albrecht, könnte das unmöglich einfach so passiert sein. Dahinter müsste etwas Größeres stecken. Beziehungsweise: jemand.
„Eine mögliche Erklärung, warum (progressive?) Menschen hier reihenweise Follower verlieren. #Twitter versinkt unter #Musk in Willkür und Chaos.“

Bei Twitter handelt es sich nicht nur um eine finanziell, sondern auch technisch defizitäre Plattform. Der so genannte Unfollow-Bug gehört seit längerer Zeit zu den Problemen, die fast jeder Nutzer irgendwann erlebt. Dieser Fehler führt dazu, dass die Technik ab und zu jemanden ohne sein Zutun von einem anderen Nutzer trennt, dem er bisher gefolgt war. Er lässt sich ohne Aufwand korrigieren, indem der Nutzer auf den Follow-Button des anderen klickt. Soweit das technische Phänomen, für das sich Menschen jenseits von Twitter nur sehr mäßig interessieren.

Mit dem gesellschaftlichen Bug oder Systemfehler, der in dieser Geschichte aufscheint, muss sich allerdings jeder herumschlagen, egal, ob er oder sie Twitter oder eine Plattform benutzt oder nicht. Er besteht unter anderem darin, dass ein deutscher Regierungsparteifunktionär der dritten Reihe es tatsächlich für möglich hält, dass Elon Musk im Twitter-Hauptquartier San Francisco den Plan verfolgt, progressive Figuren wie ihn und den Mitgrünen in der Bundesrepublik und weltweit auf seiner Plattform voneinander zu trennen, zu welchem Zweck auch immer. Musk müsste die Albrecht-von-Notz-Geheimoperation mehr oder weniger selbst in die Hand genommen haben, denn in der guten Woche seit seiner Übernahme von Twitter konzentrierte er sich bekanntlich darauf, dort etwa die Hälfte der Belegschaft zu feuern. Besonders viele Techniker, die zwischen zwei Grünenpolitikern heimlich die elektronische Schere hätten ansetzen können, waren in San Francisco gerade nicht zur Hand.

Albrecht gehört zu den öffentlichen Figuren, die sehr viel Lebenszeit auf Twitter verbringen. Diese Plattform prägte ihn offenbar stärker als vieles andere. Wenn ein Politiker, von dem selbst neun von zehn Deutsche noch nie etwas gehört haben dürften, es ganz plausibel findet, dass der reichste Mann der Welt einen Willkürplan gegen ihn und andere Wohlgesinnte ausheckt, dann kann man das komisch finden. Dummerweise bestimmen Leute wie Albrecht auch das analoge Leben in Deutschland, im Gegensatz zu Musk übrigens, der selbst in den USA nur über einen begrenzten Einfluss verfügt.
Mag sein, dass etliche Beobachter Musk überschätzen. Das schadet allerdings keinem. Auf der anderen Seite unterschätzen viele den Einfluss von Leuten mit dem mentalen Zuschnitt eines Jan Philipp Albrecht auf den Rest der Gesellschaft. Das ist zumindest leichtsinnig.

Albrecht gehörte früher dem Europaparlament an, amtierte dann als Energiewendeminister in Schleswig-Holstein und sicherte sich, als er dort vor der letzten Landtagswahl nicht als Spitzenkandidat zum Zuge kam, weil die Partei eine weibliche Doppelspitze wollte, mit 40 Jahren den Versorgungsposten des Böll-Stiftungsvorsitzenden. Als Europaabgeordneter wirkte er federführend an der Datenschutzgrundverordnung mit, einem Gesetz, das in den Alltag von Millionen eingreift, woran jeder beim Webseitenbesuch erinnert wird, wenn er das Einverstanden-Häkchen anklicken muss. Von seiner Zeit in der Grünen Jugend bis heute findet sich in Albrechts Biografie keine Tätigkeit außerhalb des Staatsgeldbereichs. Trotzdem oder möglicherweise gerade deshalb gab er, als Musk Twitter übernahm, nicht nur seiner Besorgnis Ausdruck, eine zivilisatorische Errungenschaft (nämlich die Kurznachrichtenplattform) könnte durch den neuen Eigentümer zerstört werden. Er stellte auch noch fest, Musk, immerhin Gründer einiger Unternehmen und Eigentümer von gut 250 Milliarden Dollar, sei inkompetent.

Wer nun erwartet, dass Albrecht, bevor ihm dort schlimmeres als die Zwangstrennung von einem Mitgrünen widerfährt, schleunigst und aus Prinzip von einer Plattform flieht, die ab jetzt einem inkompetenten Narzissten gehört, kennt weder den Phänotyp dieses Politikers noch Twitter gut. Was stört Albrecht und viele andere überhaupt an der Twitter-Übernahme durch Musk? Die Plattform gehörte ja auch vorher schon wohlhabenden Personen, ein großer Teil davon beispielsweise einem Prinzen aus Katar. Der neue Eigentümer hatte angekündigt, künftig weniger in die freie Rede eingreifen zu wollen, solange sie sich im gesetzlichen Rahmen bewegt. Und deutete auch an, die einen oder anderen technischen Maßnahmen wie den so genannten shadow ban – die reduzierte Sichtbarkeit mancher eher nichtlinker Profile – würde es mit ihm als Besitzer nicht mehr geben. Wer sich wenig oder gar nicht auf Twitter aufhält, weiß es wahrscheinlich nicht: Aber in wohlgesinnten Kreisen gilt der positive Bezug auf freie Rede heute mindestens als trumpistisch, wenn nicht als Vorstufe zum so genannten „libertären Autoritarismus“, als ein mit aller Kraft zu bekämpfendes Übel.
Albrecht jedenfalls kündigte an, hier, auf der eigentlich fast schon ruinierten Plattform des inkompetenten Elon Musk die Frontline um jeden Preis zu halten:

Um kurz darauf anzukündigen, dass sein no pasarán vielleicht ein bisschen voreilig war.

Was passiert nun mit dem Landgewinn und der internationalen Solidarität wohlgesinnter Twitterer gegen den Twittereigentümer? Wo bleibt der Widerstand gegen die Orks aus den Löchern? Das bleibt im Dunkeln, Albrecht allerdings – bis jetzt jedenfalls – doch auf der Plattform.

Am Beispiel des Böllstiftungsoberhaupts lässt sich auch twitterfernen Personen gut erklären, welcher Persönlichkeitstypus auf dieser Plattform aufblüht. Zum einen gehören das pralle Vollgefühl eigener Wichtigkeit, Anklageeifer und die Bereitschaft, eigene Wesenszüge auf andere zu projizieren, unbedingt dazu. Das reicht für eine perfekte Twitterpersönlichkeit allerdings noch nicht ganz. Es muss noch der unbedingte Wille zur Inkonsistenz dazukommen. Jemand, der als Politiker praktisch durch Twitter sozialisiert wurde – 15 Jahre machen bei etwa zwanzig Jahren in der Berufspolitik ziemlich viel aus – kann sich nicht nur innerhalb weniger Tage als persönliches Verfolgungsopfer des inkompetenten Musk fühlen, die Plattform als Willkür- und Chaosladen abschreiben, zum letzten Gefecht für die Demokratie auf der eigentlich schon versunkenen Plattform aufrufen, um dann doch seinen Abschied anzukündigen, aber nicht wahrzumachen; er könnte dort morgen auch problemlos etwas ganz anderes schreiben, beispielsweise zur Massenflucht von Twitter aufrufen, um Twitter zu retten, und morgen wieder das Gegenteil. Nur verlassen wird er die Matrix vermutlich nicht.

Twitter ist das institutionalisierte Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Wer das zusammenhanglose Schreiben und Denken trainieren will, bringt es hier zur echten Meisterschaft. Das liegt zum einen an der Sequenzierung in die berühmten 260 Zeichen, aber auch daran, dass die einzelnen Tweets sehr schnell nach unten rücken, um in einer Art Riesenmüllschlucker zu verschwinden. Nichts kippt dem Intensivnutzer so schnell aus dem Gedächtnis wie seine eigenen vertwitterten Wortmeldungen von gestern. Der Kurznachrichtendienst mit Sitz in Kalifornien fördert bei denjenigen, die sich hier ihre öffentliche Existenz aufbauen, nicht nur das Doppel- , sondern sogar das Tri- und Multipeldenk nach dem Muster: Ich habe nie einen Topf geborgt, ich habe ihn längst zurückgegeben, außerdem hatte er sowieso ein Loch. Das fällt ihnen selbst nicht auf. Auch dann nicht, wenn jemand sie darauf hinweist. Wie es in der Technikwelt heißt: It’s not a bug, it’s a feature.

Der britische Neurologe Oliver Sacks beschrieb 2007 den interessanten Fall des Musikers Clive Wearing, der nach einer Hirninfektion in einer Art beweglichen Amnesie lebte: Sein Gedächtnis löschte automatisch alles, was länger als etwa eine Minute zurücklag. Ihm blieb nur ein winziges Bewusstseinsfenster der unmittelbaren Gegenwart. (Sacks erzählte Wearings Geschichte vor allem, weil der Patient es trotzdem schaffte, lange Klavierstücke von Bach aus dem Kopf zu spielen. An seinem Beispiel ließ sich zeigen, dass das Hirn gelernte Inhalte anders abspeichert als alltägliche Eindrücke). Wer sich ständig auf Twitter aufhält, läuft Gefahr, in einem ähnlichen Bewusstseinskästchen der ewigen Gegenwart zu landen wie Clive Wearing, nur ohne dessen kompensatorisches Talent. Bei den typischen Twitterern tritt ganz überwiegend keine echte Amnesie auf. Auch im Netz verschwindet ja nichts wirklich. Die tausenden Tweets etwa über Kartoffeln und anderes, die Ferda Ataman kurz vor ihrer Wahl zur Antidiskriminierungsbeauftragten über Nacht löschte, finden sich alle in diversen Webarchiven.
Ein echter Amnesiepatient erinnert sich tatsächlich nicht. Menschen mit twitterformatiertem Geist erkennen dagegen keine Zusammenhänge mehr zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen ihrem alten Twitterselbst und dem gerade aktuellen, selbst auf sehr kurze Distanz.

Unter den deutschen wohlgesinnten Twitterati gilt es beispielsweise als neuester Schrei, denjenigen, die darauf hinweisen, dass eine kleine Minderheit in Medien und Organisationen versucht, ihre identitätspolitische Agenda durchzusetzen, „Antisemitismus“ vorzuwerfen. Die Begründung lautet, das Bild des mächtigen Drahtziehers im Hintergrund sei schließlich Bestandteil des Antisemitismus, also sei die Kritik an den Identitätspolitikern irgendwie strukturell „antisemitisch“.

 

Nach dieser Logik wäre das dann aber so ziemlich jede Macht- und Ideologiekritik, völlig egal, gegen wen sie sich tatsächlich richtet. Denn fast immer liegt die Macht bei wenigen, nicht bei der Mehrheit. Die Behauptung des strukturellen „Antisemitismus“ stammt aus dem gleichen Milieu, das in einem Bild auf der documenta, das Judenkarikaturen mit Reißzähnen und Schweinemaske zeigte, wochenlang auch nach langem Grübeln überhaupt keinen Antisemitismus erkennen konnte, sondern nur den Schrei des globalen Südens nach Gerechtigkeit. Vermutlich war der staatlich finanzierte documenta-Antisemitismus einfach nicht strukturell genug, sondern nur konkret. Alexander Fahrenholtz, damals interimistischer Leiter der Ausstellung in Kassel, gab in dieser Angelegenheit zu Protokoll: „Ich fühle mich nicht berufen und kompetent, zu sagen, was Antisemitismus genau ist und was nicht. Erst recht nicht, wenn es um ganz konkrete Vorgänge geht.“

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete, hier einmal stellvertretend für viele andere herausgegriffen, die in der Kritik an der woken Bewegung strukturellen Antisemitismus erkennen will, beruft sich dabei übrigens auf Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung, die vor einiger Zeit vor der Bundespressekonferenz ganz ähnlich argumentiert hatte, Kritik an Bill Gates‘ Einfluss auf Medien und Organisationen sei „antisemitisch“. Gates sei zwar kein Jude, aber das Versatzstück des einflussreichen Reichen tauche schließlich auch im Antisemitismus auf.

Es versteht sich von selbst, dass dieser Befund in der twitterstrukturierten Öffentlichkeit nur für Kritik an dem Milliardär Gates gilt, aber nie und nimmer für Kritik an dem Milliardär Elon Musk. In seinem Fall gibt es für alle Wohlgesinnten geradezu eine Pflicht, ihn als einflussreichen reichen Strippenzieher zu geißeln, der Verschwörungen gegen progressive Menschen plant und Twitter nur übernimmt, um damit weitgespannte politische Ziele zu verfolgen.

Die Wohlgesinnten halten es, wie schon erwähnt, für ein großes Problem, dass Musk sich als „free speech absolutist“ bezeichnet und ankündigte, nur noch Meinungsäußerungen von der Plattform zu werfen, die gegen Gesetze verstoßen. Das sei nicht nur brandgefährlich und bringe Trump wieder zurück. Zuviel Meinungsfreiheit, heißt es von progressiver Seite sowohl in den USA als auch in Deutschland, gefährde ganz grundsätzlich die Demokratie.

Diese Ansicht, im Rahmen der Gesetze könnte ruhig alles gesagt werden, gilt in guten Kreisen vor allem auf Twitter als Ausweis einer rechten, autoritären, ja totalitären Gesinnung. Die Mitarbeiter der ZDF-heute-show bastelten dazu schon einmal ein einprägsames Schaubild.

(Ganz nebenbei, der Tag ist nicht weit, an dem die gleichen Heute-Showtalente irgendjemand auf Twitter der NS-Verharmlosung beschuldigen.)
Das Milieu, das Musk gerade vorwirft, es mit der Redefreiheit auf Twitter zu weit zu treiben und nicht mehr genügend Wortmeldungen wegzucanceln und zu shadowbannen, von denen sich Gutgesinnte gestört fühlen, erklärt gleichzeitig auch auf Twitter, so etwas wie Redeeinschränkungen und Cancel Culture gäbe es überhaupt nicht, das seien rechte Kampfbehauptungen und rechte Kampfbegriffe.

Und das, während ihnen schon die Finger zucken, die Absage irgendeiner Veranstaltung mit den falschen Themen und Teilnehmern zu fordern, den Rauswurf irgendeiner Person, die sich nicht an bestimmte Sprachregelungen hält, oder ein Medium öffentlich anzuprangern, das etwas erwähnt, was nicht erwähnt werden soll.

Zu den Grundsätzen des wohlgesinnten Twittermobs gehört es auch, immer nach einem zentralen Endgegner zu suchen, dem Bösen à jour. Wenn es für sie in ihrer Inkonsistenz überhaupt so etwas wie einen festen Punkt gibt, dann den jeweils neuesten Weltfeind. Der konnte gestern Trump heißen, heute Musk mit seiner obskuren Idee von Redefreiheit. Morgen ersetzt ihn ein ganz anderer Ersatzteufel. Ein Tweet hat 280 Zeichen, und der nächste Hitler ist immer der schwerste.

Nach diesem Muster von Amnesie und Hochmoral geht es quer durch die Themenfelder. Nirgendwo bestehen meist sehr erregte Leute so sehr darauf wie bei Twitter, ein drittes Geschlecht (und alle weiteren) wären eine biologische Realität und geschlechtsangleichende Therapien und Operationen ein echter Geschlechtswechsel.
Gleichzeitig belehrt ein Verband auf Twitter die Öffentlichkeit darüber, entscheidend sei, „wie eine Person sich fühlt“.

 

Dieses individuelle Gefühl soll dann aber wieder allgemeinverbindlich sein („Transfrauen sind Frauen“). Wer wie die Biologin Marie-Luise Vollbrecht dann trotzdem auf die Existenz von nur zwei biologischen Geschlechtern hinweist, den ordnen die Twitterguten im Handumdrehen dem Faschismus zu. Manchmal muss eben auch die kleine Unterteufelin als hochpotenter Feind herhalten. Die wichtigste Regel aller Behauptungssysteme, die im Twitterbiotop besonders gut gedeihen, lautet: Regeln gelten mal, dann wieder nicht. Ziemlich oft gelten auch Behauptung a und minus a gleichzeitig.

Ein Twitterer mit dem nome de plume Argo Nerd machte daraus auf Twitter eine Kunstform, die daraus besteht, zwei Tweets dieser Sorte meist kommentarlos nebeneinander zu stellen. Hier nur ein willkürlich herausgefischtes Exempel von sehr, sehr vielen:

Möglicherweise heißt es in den twittergeschulten benevolenten Kreisen demnächst, es sei gefährlich und quasinazistisch, überhaupt auf so etwas wie Konsistenz zu bestehen.

Der eine oder andere meint jetzt vielleicht, die weitgehende Auflösung der Folgerichtigkeit auf Twitter wäre zwar ein Phänomen innerhalb eines weitgehend geschlossenen Kreises, würde aber im analogen Leben keine Rolle spielen.
Das trifft leider nicht zu. Da sich auf Twitter überdurchschnittlich viele Politiker und Journalisten aufhalten, prägt dieses Medium mittlerweile sowohl Politik als auch Medien. Und zwar erheblich. Die aus der „New York Times“ wegen unzureichender ideologischer Ähnlichkeit mit der Redaktionsmehrheit herausgemobbte Journalistin Bari Weiss nannte Twitter in ihrem Abschiedsbrief den „ultimativen Redakteur“ der Zeitung. Das trifft nicht nur auf die NYT zu, sondern auf viele Blätter und Fernsehstationen. Und auf den politischen Betrieb. Es gibt mittlerweile eine ganze Generation twittersozialisierter Medienmitarbeiter und Mandatsträger. Es gibt Texte und Politikerreden, die sich anhören wie aneinandergereihte Kurznachrichten. Das Problem liegt, wie schon erwähnt, weniger in den einzelnen Sätzen als in der Auflösung von Zusammenhang und Zurechnungsfähigkeit.

Das gleiche politische Milieu, dessen Kampfruf in der Corona-Zeit „folge der Wissenschaft“ lautete, obwohl es wirklich dazu sehr unterschiedliche Ansichten von Wissenschaftlern gab, hält Wissenschaft für überflüssig, gefährlich und biologistisch, wenn Biologen erklären, dass nur zwei biologische Geschlechter existieren.
Die gleichen Politiker, die öffentlich erklärten, es gebe in Deutschland gar kein Stromproblem, erlassen Verordnungen, nachts keine öffentlichen Gebäude und Denkmale mehr anzustrahlen, um Strom zu sparen, und zahlen drittens aus Steuermitteln Kaufprämien für Elektroautos.

Der Wirtschaftsminister erklärt, es komme auf jede eingesparte Tonne CO2 an, und es gebe nichts Wichtigeres als die Klimarettung durch Deutschland, gleichzeitig bringt er schon stillgelegte Kohlekraftwerke ans Netz, weil er die Abschaltung der letzten Kernkraftwerke für offenbar für noch etwas dringender hält. Dass aufeinanderfolgt, was ganz offensichtlich nicht zusammenpasst, macht nur den einen Teil der öffentlichen Wahrnehmungsstörung aus. Teil zwei besteht darin, dass auch ein erheblicher Teil der Medien im gleichen Takt schreibt und sendet.

Bei der Bewegung „Letzte Generation“ handelt es sich um eine fast vollständig von Twitter geformte Erscheinung. In ihr kommt alles Twittertypische zusammen: die Hybris, sich zur letzten Generation zu erklären, die histrionische Persönlichkeit, die es braucht, um in Museen Kartoffelbrei über Gemälde zu kippen und Parolen in die Videokamera zu schreien, aber auch die totale Inkonsistenz in allen Handlungen und Erklärungen.

Ginge es ihnen um den CO2-Ausstoß, müssten sie sich vor dem Wirtschaftsministerium festkleben, um eine Rückkehr zur Kernkraft zu fordern, statt Berufspendler und Krankenwagen zu blockieren. Ginge es um die Dringlichkeit, müssten sie sich nach ihren eigenen Maßstäben wenigstens in Peking am Boden befestigen. Vor allem aber – da sie ihr ganzes Straßenkleben und Kartoffelsuppenschütten damit begründen, die Menschheitskatastrophe drohe im nächsten Augenblick, falls die Politik nicht alle ihre Forderungen subito erfüllt – müssten sie spätestens im kommenden Jahr alle Bemühungen einstellen. Denn dann führt sowieso nichts mehr am Untergang vorbei.

Natürlich werden sie sich weder vor dem Wirtschaftsministerium noch in Peking ankleben, sondern weiter als narzisstischer Stoßtrupp Normalbürger und Kunstwerke attackieren. „Die letzte Generation“ ist so etwas wie die Fortsetzung von Twitter im analogen Raum.
Selbst derjenige, der von dieser Plattform nichts wissen will, begegnet ihr, wenn er gerade im Stau vor der Straßenblockade steht. Auch in der deutschen Corona- und Energiepolitik erlebt ein Bürger das Inkonsistenz- und Amnesieprinzip von Twitter, ob er will oder nicht. Für ihn gilt der Satz aus Donald Barthelmes Erzählung „Der Goldregen“: „Vielleicht sind ja Sie nicht am Absurden interessiert. Aber das Absurde ist es an Ihnen.“

In der Geschichte gab es immer wieder Eifererorganisationen mit Endzeitvisionen wie Savonarolas Anhänger in Florenz. In der Politik gab es immer die Neigung, das eigene Geschwätz von gestern zu ignorieren. Opportunismus gehört zu den humanen Wesenszügen. Es gab auch schon immer Narzissten und Scharlatane, auch und in gerade in öffentlichen Ämtern. Aber Twitter, so, wie es bisher funktionierte, wirkt auf diesen Phänotyp ungefähr so wie Methamphetamin oder Fentanyl auf Leute mit Suchtneigung: Die Plattform macht aus Defekten ein Prinzip. Sie zerfrisst die Fähigkeit, in Zusammenhängen zu denken.

Zivilisierte Gesellschaften leben vom Ausgleich von Interessen, die manchmal sehr weit auseinanderliegen können. Interessen lassen sich aber nur ausgleichen auf der Grundlage gemeinsamer Begriffe und Regeln. Die Identitätspolitik, die eine tribalistische Ordnung anstrebt, und das Twitterprinzip der völligen Inkonsistenz ergänzen einander ideal. Sie bilden ein Zweikomponentengift für die Bürgergesellschaft. Wer die freie Rede zur Gefahr für die Demokratie erklärt, Musk zum neuen Diktator und Kritik an der woken Ideologie zum Antisemitismus, verbreitet nicht nur einfach das Abstruse und Verdrehte. Er verschüttet systematisch die Kommunikationswege einer Gesellschaft. Das erste Gegenmittel besteht darin, diese irrationalen Prozesse so rational wie möglich zu beschreiben. Das zweite, sich bloß nicht selbst in diese Inkonsistenz hineinzerren zu lassen.

Der Autor dieses Textes hält sich auch deshalb (ab und zu) bei Twitter auf, weil diese Plattform als Zauberspiegel funktioniert, in dem sich gesellschaftliche Entwicklungen gut erkennen lassen, weil sie dort in hoch konzentrierter Form stattfinden. Wer es gewohnt ist, längere Texte zu lesen und zu schreiben, dem kann die Kommunikationspraxis dort genau so wenig anhaben wie der twittergeboosterte Stil in Politik und Medien.

Was Musk mit Twitter plant, lässt sich schwer sagen. Bei dem Lieblingsreservat der Wohlgesinnten und Erwachten handelt es sich um ein hoch defizitäres Unternehmen. Im Jahr 2021 lag der Nettoverlust des Unternehmens bei 221 Millionen Dollar. Gleichzeitig leistete Twitter sich bis vor Kurzem eine hochbezahlte Angestelltenkaste. Mit Musks Worten: „Für jeden, der etwas programmiert, scheint es hier zehn Leute zu geben, die irgendetwas managen.“ Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Politik- und NGO-Betrieb scheint es also auch im Inneren gegeben zu haben. Vielleicht versucht der neue Eigentümer, aus Twitter etwas ähnliches wie den chinesischen Dienst WeChat zu bauen, eine Plattform für Kommunikation, aber auch für Finanzdienstleistungen, also eine Art Fusion aus Google Mail, Twitter und PayPal. Vielleicht scheitert er damit, womit er für seine Hasser seine Inkompetenz bewiesen hätte. Möglicherweise führt er die Plattform mit dem blauen Vogel zum Erfolg. In diesem Fall würden die gleichen Leute ihn als skrupellosen Kapitalisten geißeln und seine Enteignung fordern.

Aber sie verlassen diese Plattform höchstwahrscheinlich nicht. Im Gegenteil, sie klammern sich an ihren Wirt. Die allermeisten Erwachten attackieren zwar pausenlos den Kapitalismus und fordern in ihren Wortmeldungen, die sie vom neuesten iPhone abschicken, den system change. Aber von Twitter zu Mastodon – einer Art Dschungelcamp für progressive Z-Prominente – wechseln vermutlich genauso wenige wie von Kreuzberg und San Francisco nach Caracas und Havanna.

Der Umbau könnte Musk sogar gelingen. Während in den USA, Deutschland und anderswo sich einige wenige besonders sittenstrenge Nutzer tatsächlich abmeldeten, und für jeden, der sich abmeldete, zehn andere dreimal am Tag ankündigten, demnächst zu gehen, wuchs die Zahl der Twitternutzer seit der Übernahme durch Musk weltweit um 20 Prozent stärker als vorher. Zwar befinden sich fast alle Journalisten und die meisten Erwachten auf Twitter. Aber sie machen dort nur einen winzigen Teil der  237 Millionen täglichen Nutzer aus. Wirtschaftlich fallen sie nicht ins Gewicht.

Selbst wenn Twitter komplett untergehen sollte: Es steckt mittlerweile zu viel davon in der Gesellschaft, als dass es dort einfach verschwinden würde. Für die wichtigste Auseinandersetzung in den westlichen Ländern spielen die alten Begriffe rechts und links kaum noch eine Rolle. Auf einmal geht es wieder um die Aufklärung als Ganzes. Wer darauf besteht, eins und eins nach der traditionellen Methode zusammenzuzählen, steht schon mitten auf dem Schlachtfeld. Ob er will oder nicht.

 

 

 

 

 


Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.


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14 Kommentare
  • Justus Müller
    15. November, 2022

    Starker Text. “Vermutlich war der staatlich finanzierte documenta-Antisemitismus einfach nicht strukturell genug, sondern nur konkret.” Hier habe ich schallend gelacht.

    • W. Malzan
      17. November, 2022

      Ich auch😊
      Wieder ein sehr gescheiter und sorgfältig ausgearbeiteter Text von Alexander Wendt zu einem hochaktuellen, brisanten Thema (Twitter und Meinungsfreiheit). Dass Herr Wendt bei allen verrückten Entwicklungen in unserer an Irrsinn wahrlich nicht armen Zeit seinen feinen Humor noch nicht verloren hat, zeigt auch dieser Artikel.

  • Emmanuel Precht
    15. November, 2022

    Der Roman „Die Entfolgten“ von Jan Philipp Albrecht, verfilmt von Juliane-Marie Gutgesinnte-Nimmersatt, ist ein Politthriller der Extraklasse, zu sehen heute Abend auf „Das WOKE“. Der Mord in der „dritten Reihe“ führt zur „Neurechten Anti-Wokisten Szene“ im analogen Leben der späten 2022 Jahre Deutschlands. In der *Innen Matrix der „echten Demokraten“ ist der als Beischlafbettelnde Jonas-Malte Hasenbrecht, leicht als solcher im Profilbild mit einer Dut-Frisur zu erkennen, von zwei *Leugnern mit Nazihintergrund geliked worden. So beginnt die erschütternde, quantennazistische Geschichte, die sich durch gewagt knappe Dialoge, die sich im Mündungsfeuer der Hintergrundgeräusche verlieren und durch wackelnde Kameraführung vom Rest des Genres abhebt.
    Wohlan…

  • A. Iehsenhain
    15. November, 2022

    “Wir Demokratingsen…blubber-blubber usw…werden stärker sein” – sagt Jan Philipp Albrecht von der Heinrich-Böll-Stiftung (nicht zu verwechseln mit Albrecht Phallus Böller von der Jan-Böhmermann-Stiftung). Alles in allem der selbe pathetische Kitsch wie bei Adolf Hitler oder Joseph Goebbels, die letztendlich das Bunkerluftschnuppern bis in alle Ewigkeit ausdehnten. Albrechts grüne Freundin Schönberger empfiehlt die Amadeu-Antonio-Stiftung und liegt einerseits beim allgemeinen Kürzeltrend daneben sowie bei der politischen Bildung: A-A-S ist vielleicht ein Restaurantführer für Gänsegeier. Die Bremer Grünenkollegen haben die eigensinnige Definition von der körperlichen Selbstbestimmung in Sachen Corona-Impfpflicht mit Helge Lindh gemein, der die körperliche Unversehrtheit in diesem Fall für ein “vulgäres Verständnis” von Freiheit hält. Ähnlich vulgär wie der dünnhäutige, aber großmäulige SPDler hielten dies auch schon berühmte Persönlichkeiten wie Jack the Ripper oder Charles Manson, wenngleich man denen noch zugute halten kann, dass sie nie der SPD oder den Grünen beigetreten sind. Am Schluss kann ich Herrn Wendts Fazit nur teilen (und das zum Glück für mich exklusiv nur auf PUBLICO): “Wer darauf besteht, eins und eins nach der traditionellen Methode zusammenzuzählen, steht schon mitten auf dem Schlachtfeld. Ob er will oder nicht.”

  • Wolfgang Rösner
    16. November, 2022

    Ein toller Artikel. Ich bin wirklich neugierig, was Musk aus Twitter machen wird oder kann oder darf. Neugierig, obwohl ich es nicht nutze.

  • ToNo
    16. November, 2022

    Unter Ihren vielen brillanten Texten ragt dieser hier dennoch heraus – großartig! Ob die twitter-demie wohl überhaupt jemals wieder eingedämmt werden kann? Wirksame Impfungen scheints dagegen ja nicht zu geben.

  • Thomas
    16. November, 2022

    Das freie Wort gegen die Stasis und Neostasis der Bewegung einsetzen

    • *Zuviel Meinungsfreiheit, heißt es von progressiver Seite sowohl in den USA als auch in Deutschland, gefährde ganz grundsätzlich die Demokratie.*

    Das trifft dann zu, wenn eine repressive Demokratie vor Widerspruch geschützt werden soll. Selbstverständlich stören sich DDR-Demokraten (2.0) im Netz an den Gepflogenheiten der Demokratie West. Das liegt in der Natur der Sache.

    • *Das erste Gegenmittel besteht darin, diese irrationalen Prozesse so rational wie möglich zu beschreiben. Das zweite, sich bloß nicht selbst in diese Inkonsistenz hineinzerren zu lassen.*

    Schwierig.
    Eine gewisse Geißler- und Endzeitschickeria gab es im Laufe der Geschichte immer wieder mal. Natürlich auch die „Ketzer“ und „Ungläubigen“. Auch politische Lügen gab es immer. Übrigens erging hierzu kürzlich ein Gerichtsurteil, demzufolge ein gewisser Gesundheitsminister nicht die Wahrheit sagen muss. „An die Wahrheitspflicht dürfen im Fall der Vermengung von Tatsachenbehauptung und Werturteil im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen gestellt werden.“ (Landgericht Ellwangen).
    https://ef-magazin.de/2022/11/15/20322-polizeischikane-gegen-opposition-hausdurchsuchung-bei-der-bayerischen-afd-fraktion
    Die Einen haben also Meinungsfreiheit, die Anderen lügen. Und so verbreiten eben die Einen munter ihre so genannten „Nachrichten“, während bei den Anderen ein Rollkommando aus „knapp zwei Dutzend Polizisten“ sowie drei (!) Staatsanwälte die Räume stürmen. Das ist dann wohl auch so eine Art Zauberspiegel.

    Für die meisten Leute gibt es im normalen Leben immer das, was man will und das, was sein muss. Nur wer widerspricht, spürt seine Ketten. Sich dabei zu mäßigen, hat etwas mit Gesetzen zu tun, und eben nicht mit den Gefühlen einer Bewegung, einer Agenda oder irgendwelcher hysterischer Protagonisten.
    Twitter will heute also einen dieser Holzwege verlassen, das ist gut.

    • *Der Autor dieses Textes hält sich auch deshalb (ab und zu) bei Twitter auf, weil diese Plattform als Zauberspiegel funktioniert, in dem sich gesellschaftliche Entwicklungen gut erkennen lassen, weil sie dort in hoch konzentrierter Form stattfinden. Wer es gewohnt ist, längere Texte zu lesen und zu schreiben, dem kann die Kommunikationspraxis dort genau so wenig anhaben wie der twittergeboosterte Stil in Politik und Medien.*

    Der Autor dieses Kommentars hat 15 Jahre lang auf „Zeit Online“ kommentiert. Vor vier Jahren habe ich damit aufgehört, meine Zeit auf einer Plattform zu verschwenden, die in der Zeit von 2010 bis 2018 zu einem links- und grünradikalen Stammtisch verkommen ist;
    mit links- und grünradikalen Kommentar- und Zensurregeln, je nachdem. Ein Stammtisch, der die Kommentare der Einen ziseliert, indem er deren Worten eine tendenzielle Bedeutung zumisst und ihnen eine Erregung in der Debatte gönnt (weil da wer „gereizt“ wurde),
    während er die Kommentare der Anderen zensiert, indem er deren Worte eine „unerträgliche“ tendenziöse Bedeutung aufpfropft und ein Beleidigter (der richtigen Sorte) sich dann immer findet.
    Mit 200 Zeichen komme ich zurecht.

    • *Auf einmal geht es wieder um die Aufklärung als Ganzes. Wer darauf besteht, eins und eins nach der traditionellen Methode zusammenzuzählen, steht schon mitten auf dem Schlachtfeld. Ob er will oder nicht.*

    Ich will auf den rücksichtslosen Hass der Bewegung gegen rechts (gegen alles, was politisch nicht links oder grün ist) antworten, will den wildgewordenen DDR-Demokraten (2.0) widersprechen, und ich will dem abgrundtiefen Stolz und den gesellschaftspolitischen Cannabisräuschen der Bewegung widersprechen. Und ich habe schon geguckt, wie man sich anmeldet.
    Wohlan!

  • Werner Bläser
    18. November, 2022

    Diese woken Linken wissen erstaunlich gut zu differenzieren. Nehmen wir als profanes Beispiel die aktuelle Fussball-WM und die Flüchtlingskrise. Bei der Flüchtlingskrise wurden bekanntlich die Willkommenskultur, die totale Toleranz als sine qua non des Kulturrelativismus, und der Dauerstatus von Deutschland als Moralweltmeister geboren. Das heisst seit 2015 ist jeder ein Rassist, der fremde Kulturen in Deutschland kritisiert.
    Ganz anders verhält es sich aber, wenn diese fremden Kulturen ihre von den unsrigen abweichenden Werte und Vorstellungen in ihren eigenen Ländern, auf eigenem Boden, ausleben. Und da zeigt sich exemplarisch die wunderbare Differenzierungskompetenz der Linken.
    Kataris, oder Muslime im allgemeinen, bei uns in Deutschland: sie zählen uneingeschränkt zu den Guten.
    In Katar hingegen, wo die Verurteilung nicht nur von Salami und alkoholhaltigem Bier, sondern auch von so progressiven Eigenschaften wie Schwulsein zum Kern der kulturellen und religiösen Werte gehört, sind diese schlecht.
    Keine “Love”-Armbinden zur Unterstützung von Liebe und Sex in vielfältigster Form? Das Tor der Hölle hat sich geöffnet!
    Hier in Deutschland hingegen fallen Dinge wie Verschleierung und die spezfischen “altmodischen” Geschlechterrollen des Islam unter die absolute Toleranzpflicht.
    Wo ist die Logik bei dieser Sache? Ich suche noch nach einer Antwort.
    Aber vielleicht verhält es sich einfach so, dass man von woken Linken einfach keine Logik erwarten darf. Die linke Woke-Kultur ist eine Kultur, die kalte, rationale Logik mit einem Tabu belegt.
    Man könnte das nun für idiotisch halten. Aber bitte, liebe Freunde, in Deutschland ist es seit langem gute, gelebte Sitte, gegenüber Idioten Toleranz walten zu lassen.
    Wie könnten sie uns denn auch sonst beherrschen?

  • Dr. Klaus Backes
    18. November, 2022

    Sehr geehrter Herr Wendt,

    Ihre Meinung teile ich voll und ganz. Aber lohnt es sich, diesen Leuten so viel Beachtung
    zu schenken? Die Höchststrafe für diese Wichtigtuer ist doch nicht, sie zu widerlegen,
    sondern sie schlicht zu ignorieren.

    • pantau
      20. November, 2022

      Sehr geehrter Herr Backes,

      Herr Albrecht hat die DSVGO mitverzapft, der Geist von Twitter ist längst in den Medien und der Politik angekommen, und selbst Universitätsleitungen verhalten sich teils wie pubertierende Twitterjunkies, indem sie Professoren canceln, weil sie nicht die woken Inkonsistenzen geschmeidig berücksichtigen wollen. Oder nehmen wir die ZEIT oder die Süddeutsche, dort marodiert dieselbe ideologiegetriebene logische Inkontinenz wie auf twitter, nur halt durch Feuillitonstil aufgehübscht. Und wie konnte sich das Faktencheckerwesen etablieren? Durch ein gehirnzertwittertes Publikum, das nicht mehr in der Lage ist die logischen Brüche der Faktenchecks zu erkennen.

  • Majestyk
    19. November, 2022

    Digitale Medienkultur verstärkt die Dummheit der Masse und sorgt dafür, daß Stimmen der Vernunft in diesem Heuhaufen völlig verloren gehen. Wenn jeder eine Stimme hat, gleich was er weiß oder kann, gehen die Stimmen derjenigen, die wirklich etwas wissen, können oder leisten unter. Manche nennen das Schwarmintelligenz, ich nenne das Verhalten von Lemmingen. Und diese Lemminge in ihrer Angst, Empörung und Dummheit reißen auch die klügeren Exemplare der Herde mit in die Tiefe.

  • pantau
    20. November, 2022

    Die begriffliche und logische Sinnzertrümmerung findet sich allerorten, ich sehe da eine große Systematik, einen sehr sorgfältig durchgeführten universellen Angriff auf die Autonomie jedes Einzelnen. Offenbar will man mit jedem Individuum auf diesem Globus tabula rasa machen, ihm alles nehmen, sogar das konsistente Denkvermögen, also alle Besinnungs- und Orientierungsfähigkeit. Was ich am meisten daran fürchte, ist die pathologische Dummheit der Eliten, die das betreiben, also Klaus Schwab & Co, ihre Selbstüberschätzung, zu wissen, wie man dann den neuen Menschen “macht”. Am meisten Ähnlichkeit hat dieses Begehren ja mit der kommunistischen Ideologie, die auch erstmal alles Historische, Biologische, Gewachsene auslöschen wollte, um dann aus dem vollständig geleerten und paralysierten Menschen den strammen, gerechten, funktionalen Sowjetmenschen zu machen. Was dann dabei herauszukommen pflegt, ist der auf archaische Muster zurückgreifende erniedrigte Mensch, und davor graut mir. Diese Schwelle zur primitiven Gemeinheit haben viele der woken Neo-Kommunisten schon überschritten. Ich sehe in den Reaktionsformen vieler Zeitgenossen, auch in meinem privaten Umfeld, nur noch archaischstes Rudeldenken, lediglich überwuchert mit Rabulistik und Sophismen. Ich kann garnicht sagen, wie mir diese Mischung aus ordinärster Gemeinheit und spitzfindigem Faktencheckergehabe auf die Nerven geht.

  • Jochen Schmidt
    24. November, 2022

    Ich finde, dies ist eine treffende und weitreichende Analyse. Sie erklärt vieles von dem, was die kleinen Leute seit Jahren erleben und erleiden.

    Im Artikel oben heißt es:

    “Auch in der deutschen Corona- und Energiepolitik erlebt ein Bürger das Inkonsistenz- und Amnesieprinzip von Twitter, ob er will oder nicht.”

    Hierzu noch eine Ergänzung:

    – Im März 2020 gab es von der Regierung (vom Bundesinnenministerium?) eine Nachricht auf Facebook oder Twitter, in den sozialen Medien würde das Gerücht kursieren, die Regierung plane umfangreiche Einschränkungen der Freiheit ihrer Bürger, eine Art Lockdown – all dies seien aber nur Fake News, die unbedingt bekämpft werden müssten, denn niemand habe die Absicht, … Und ein oder zwei Tage später hat die Regierung tatsächlich den akuten Lockdown verhängt.

    – Im Spätsommer 2020 haben einige Politiker, z.B. Karl Lauterbach, gesagt (versichert?), einen weiteren Lockdown werde es nicht geben – doch später wurde eben doch ein weiterer Lockdown verordnet und erzwungen

    – Sowohl 2020 als auch 2021 haben etliche Politiker und auch Leute aus Verbänden versichert, eine Impfpflicht werden es nicht geben, dürfe es nicht geben, oder zumindest habe man nicht die Absicht, eine Impfpflicht einzuführen – doch seit Sommer 2021 versuchen dieselben Leute, eine allgemeine Impfpflicht durchzusetzen.

    – Und wie war das mit jenem FDP-Politiker, der uns im letzten Winter versichert hat, wirklich alle Corona-Maßnahmen würden Ende März 2022 auslaufen?

    Kurioserweise ist der folgende obige Satz durchaus twitter-verdächtig:

    “er könnte dort morgen auch problemlos etwas ganz anderes schreiben, beispielsweise zur Massenflucht von Twitter aufrufen, um Twitter zu retten, und morgen wieder das Gegenteil.”

    Vielleicht ein Tipp-Fehler, gemeint ist wohl: “… und übermorgen wieder das Gegenteil.” Oder: “… und morgen auch schon wieder das Gegenteil.”

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