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Die Erfindung des inneren Wächters

Unser Wertesystem wird auf den Kopf gestellt: Freiheitsliebe gilt als „vulgär“, Diktatur wird denkbar, Verbote zum Geschenk des Staates an seine Bürger. Wie kam die Freiheit so unter Beschuss? Wer sind die Heckenschützen? Eine vorläufige Schadensbilanz

von Jürgen Schmid

Vor Corona forderten klimabewegte Demonstranten der Fridays for Future-Szene: „Verbietet uns endlich etwas!“. Der freiheitseinschränkende Maßnahmenstaat erfand einen „vulgären“ Freiheitsbegriff, der allen unterstellt wurde, die auf grundgesetzlich verbriefte Rechte pochten; „Freiheit“ wurde zum Unwort des Jahres 2022 gewählt.

Jetzt, im ersten Nach-Corona-Frühling, bläst der Freiheit endgültig eisiger Sturmwind entgegen. Der MDR insinuiert, „’Freiheit’“ (in Anführungszeichen!) werde „zulasten des Klimaschutzes instrumentalisiert“ – von „Rechtsextremen und Rassisten“. Bei Suhrkamp heißt die Alternative: „Freiheit oder Leben?“, das Gebot der Stunde: „Verbot und Verzicht“. Zu Corona-Zeiten äußerte der Autor Thomas Brussig in der Süddeutschen Zeitung komplett ironiefrei, der Staat möge bitte „mehr Diktatur wagen“.

Im Klimakampf titelte die progressiv transformationsgesinnte Wochenzeitung Der Freitag schon 2019 „Öko-Diktatur? Ja, bitte!“.

In erstaunlich kurzer Zeit schafften es die heutigen „Sinn- und Heilsvermittler“ (Helmut Schelsky), das eindeutig negativ konnotierte Wort ‘Diktatur‘ und die Realität dahinter positiv, den bisher überwiegend positiv gefärbten Freiheitsbegriff dagegen negativ aufzuladen. Das Gefährliche an dieser Taktik, das eigentlich Unsägliche Schritt für Schritt akzeptabel zu machen, liegt in dem psychologischen Mechanismus der Gewöhnung. Wer beim ersten Mal noch zusammenzuckt ob der Ungeheuerlichkeit der Forderung, hat es beim zweiten Mal eben schon einmal gehört. Seine erste Aufregung über die Zumutung stumpft im Gewöhnungsmodus ab – und damit auch seine Widerstandskraft.
Zu erzählen ist in diesen grundstürzenden Zeiten die Geschichte einer aufhaltsamen Verächtlichmachung und Umcodierung des zentralen Wertes in einem Rechtsstaat zugunsten einer vor allem klimaideologisch begründeten Verbotsfreiheit.

 

Offene Verächter, wenige öffentliche Verteidiger

Die Einschläge kommen immer näher. Von „Bock auf Verbote“ (Fridays for Future) über „Covidioten“ (Saskia Esken) und „Freiheitsrauner“ reicht die Skala bis zu einem Tweet aus Berlin von Monika Herrmann – nach eigenen Angaben „Grüne Xhain * Vorsitzende KoPoFo“ –, der den vorläufig extremsten Punkt des illiberalen Vormarschs markiert: „Das Vokabular der @fdp beschränkt sich auf 2 Worte: Freiheit und Eigenverantwortlichkeit – beides Synonyme für eine unsolidarische egoistische Gesellschaft. Kein überlebensfähiges Konzept.“

Mäßigende Stimmen gegen den anschwellenden Freiheitsentzugsrausch nach dem Muster Monika Herrmanns und anderer gibt es nur noch selten. Einer dieser leiseren, abwägenden Töne wird von Kai Möller angeschlagen, Verfassungsrechtler an der London School of Economics. In einem Welt-Gastbeitrag mit dem thesensetzenden Titel: „Von Maske bis Klima – Warum es nötig ist, gegen Sicherheit zu argumentieren“ stellt er seine Ansicht über ein gesundes Verhältnis von Freiheit und Zwang zur Diskussion.

Möller konstatiert: „In Deutschland weiß anscheinend niemand mehr, wozu Freiheit eigentlich gut sein soll.“ Erfrischend an den Einlassungen des regelmäßigen Gastautors in der Welt ist sein Blick als Deutscher von außen auf seine alte Heimat, wo sich breite Massen der Bevölkerung völlig anders verhielten als in seiner Wahlheimat London, wo beispielsweise die deutsche „Maskenobsession“ (Möller) nicht nur nicht vorkam, sondern aus britischer Sicht als typische German Angst galt.

Das Grundgesetz, so argumentiert der Jurist, lege schon in Artikel 2 eigentlich ein „Bekenntnis zur Freiheit“ ab: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“. Bei einer Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit folge daraus: „Sicherheit ist wertvoll nur insofern, als sie eine Voraussetzung für die Persönlichkeitsentfaltung ist, ein Mittel zum Zweck“. Seinen Landsleuten, die nicht mehr wissen, wozu Freiheit gut sein soll, schreibt Möller ins Stammbuch: „Wir brauchen Freiheit, um unsere Persönlichkeit zu entfalten.“ Sein politisches Fazit: „Es spricht einiges dafür, die Balance von Freiheit und Sicherheit in Deutschland in Richtung Freiheit zu verschieben.“ Kai Möllers Wort in der Mentalitätsmachthaber Ohr. Denn nichts weniger als die Tendenzverschiebung in umgekehrte Richtung bahnt sich gerade den Weg.

Allerdings zeichnet Möller gleich im ersten Satz das Thema etwas zu grob: „Corona, Tempo, Klima: Die Deutschen sehen Freiheit zunehmend skeptisch.“ „Die Deutschen“ in ihrer Gesamtheit? Oder wenigstens Mehrheit? Nein. Eher überschaubare, aber gut organisierte Interessengruppen sehen das so. Womit wir zur Antwort auf die Frage kommen, wer die Freiheit schlechtredet, und über welche Stationen der lange Weg zu „verbietet uns endlich etwas“ und „nicht überlebensfähige Freiheit“ führte. Zunächst zum Wer: Es sind die üblichen Verdächtigen aus der grünen Partei und grünaffine Sonstige, die bevorzugt für den Staat arbeiten, bei regierungsnahen und -finanzierten Stiftungen (etwa der Amadeu-Antonio-Stiftung von Anetta Kahane, einer DDR-erprobten Freiheitsexpertin) oder Denkfabriken (etwa das steuergeldfinanzierte Zentrum LibMod, das unter „Gegneranalyse“ allerlei nichtgenehme Publikationen auflistet), dazu andere „zivilgesellschaftliche“ Institutionen aller Art, wozu man nahezu den gesamten Kulturbetrieb zu zählen hat; nicht zu vergessen die halbamtlichen Textkopier- und Regierungsverlautbarungsorgane (früher als Presse bekannt), die heute ebenfalls existentiell am Tropf der Staatsfinanzierung hängen, all die neuen Narrativschaffenden und Mentalitätsmachthaber, dazu noch die Wohlmeinenden, die offenbar den ganzen Tag auf Twitter verbringen und dort im Schwadronieren die große Freiheit zu finden hoffen, die sie meinen. Kurzum, es handelt sich um ein Milieu, dessen Angehörige wirklich nicht wissen, wozu die Freiheit gut sein soll, vor allem die Freiheit der anderen. Für diese Kaste prägte Michael Klonovsky einmal den Sammelbegriff der „Bolschewoken“.

Mit ihnen kehrt die alte Formel von Friedrich Engels zurück, wonach es sich bei der wahren, richtig verstandenen Freiheit um die „Einsicht in die Notwendigkeit“ handle. In dem bereits erwähnten Kommentar der ARD-Anstalt MDR hieß es kürzlich anklagend: „Von vielen Menschen werden Veränderungen oder politische Notwendigkeiten unter Verweis auf die eigene ’Freiheit’ abgelehnt.“

 

Der lange Marsch weg von echter Freiheit

Um eine solche Aussage oder die von Monika Herrmann aus dem Jahr 2023 überhaupt verstehen zu können, müssen wir eine längere Strecke in den Blick nehmen. Wann kamen auch in modernen Demokratien die Stimmen auf, die Freiheit unter die Vormundschaft einer Notwendigkeit stellten? Was trieb die Abwägung von Freiheit und Grundrechten gegen angebliche Notwendigkeiten voran? Es lässt sich ein Muster erkennen: Diese Abwägung erhielt mit jeder Krise, mit jedem behaupteten Ausnahmezustand einen neuen Schub. Deshalb hier eine kurze Skizze der Wegmarken der vergangenen zwei Jahrzehnte. Sie haben eine Gemeinsamkeit: jedes Mal lautet die Formel Krieg/Kampf gegen XY.

Im „Krieg gegen den Terror” nach dem Anschlag auf das World Trade Center 9/11 hieß es bekanntlich: „Our way of life, our very freedom came under attack”. Die Regierung George W. Bushs reagierte darauf mit dem Patriot Act (2001) und nachfolgend dem Domestic Security Enhancement Act (2003). Die innenpolitische Antwort auf die Freiheitsbedrohung, der sich das Imperium Americanum durch islamistischen Terrorismus ausgesetzt sah, bestand damals (auch) in einer Einschränkung von Freiheits- und Bürgerrechten im Namen von Freiheit und Sicherheit – damals noch heftig kritisiert durch Linke wie Noam Chomsky, hierzulande etwa von Juli Zeh und Ilija Trojanow. Beim europäischen Verbündeten der USA, in der Bundesrepublik Deutschland, zeigte sich seinerzeit ein zwar weniger martialisches, aber durchaus ähnliches Bild im „Krieg gegen den Terror“, der die Begründung für die Vorratsdatenerfassung lieferte. Im Vergleich zu späteren Einschränkungen fielen die Restriktionen damals allerdings noch moderat aus.

Krieg gegen das Virus (Emmanuel Macron): Fast drei Jahre lang, von März 2020 bis hinein ins Jahr 2023, ging der Staatsräson Sicherheit gegen Ansteckung über alles, auch über alle sonstigen Grundrechte (so lautete etwa die Habermas-Position vom Herbst 2021). Kritiker dieser Freiheits- und Grundrechtseinschränkungen, vom ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier bis zum Journalisten der Süddeutschen Heribert Prantl, mussten sich als „Corona-Leugner“ oder „Freiheitsrauner“ beschimpfen lassen, die einer egoistisch-unsolidarischen „Vulgärfreiheit“ huldigten. Wer meinte, gerade in Krisenzeiten müssten die Grundrechte verteidigt werden, dem wird von den Soziologen Caroline Amlinger und Oliver Nachtwey in ihrem durchaus programmatischen Suhrkamp-Band „Gekränkte Freiheit“ ein „libertärer Autoritarismus“ unterstellt, also ein angeblich autoritäres Erzwingen von Freiheit, der man aber misstrauen sollte. Die Autoren verwerfen darin jegliche Kritik an den Grundrechtseinschränkungen der Corona-Jahre „als völliges Phantasma, als reine Wahnvorstellung“. Diejenigen, die sich den Autoren zufolge an den vulgären Freiheitsbegriff klammern, „grollen“, „murren“, sind „trotzig“ und „regressiv“. Alles in allem: Sie verhalten sich kindisch, weil sie die Notwendigkeit nicht einsehen.

Krieg gegen Putin: Nach dessen Angriff auf die Ukraine und all den Sanktionen und Waffenlieferungen des Wertewestens unter Einschluss Deutschlands wurde von Politik und den meisten Medien auch innenpolitisch zur Verteidigung aufgerufen, wobei die Verteidigung wieder auf Einschränkung hinauslief. Das begann vergleichsweise harmlos und ein bisschen einfältig mit der Forderung nach einem „Freiheitstempo“ auf der Autobahn, dem Vorschlag von Ex-Bundespräsident Joachim Gauck, „für die Freiheit zu frieren“ und nur noch kurz zu duschen, führte aber auch zur klammheimlichen Verschärfung des Volksverhetzungstatbestandes. Nach der Neufassung von Paragraph 130 macht sich jetzt strafbar, wer Völkermorde sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen „öffentlich leugnet oder gröblich verharmlost“, wenn das „geeignet ist, zu Hass oder Gewalt aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören”. Damit wurden unbestimmte Rechtsbegriffe in ein Meinungsäußerungsgesetz aufgenommen. Was ein Kriegsverbrechen ist, entscheidet normalerweise ein internationales Gericht. Die Gesetzesverschärfung führte die Koalition ohne Ankündigung und parlamentarische Diskussion durch und spannte sie mit einer sachlich völlig verschiedenen Änderung des Bundeszentralregistergesetzes zusammen. Sie tat also alles – und zwar erfolgreich – um sie weitgehend unbemerkt durchzubekommen. Auch hier erhoben sich die kritischen Stimmen nicht nur von einer politischen Seite, sondern sowohl von linken wie auch liberalen Publizisten und Juristen.

(Um übrigens nicht falsch verstanden zu werden: Nicht der Autor dieser Zeilen meint, „wir“ befänden uns im „Krieg“ gegen Putin, sondern eine feministische Außenministerin. Ebenso verwendet der Autor den Namen des russischen Präsidenten Wladimir Putin als empirisches Zitat. Hinter dem Feindbild „Putin“ entmaterialisiert sich im medialen Dauergewitter langsam aber sicher der real existierende Mensch dieses Namens.)

Kampf gegen rechts: Dazu zählt der Vorstoß von Innenministerin Nancy Faeser, das Beamtenrecht durch eine Beweislastumkehr dahingehend ändern zu wollen, dass jeder verdächtig ist, solange er selbst nicht seine Unschuld nachgewiesen hat, aber auch das Meldeportal für „antifeministische Vorfälle“, angebunden bei der Amadeu-Antonio-Stiftung und finanziert aus dem Etat von Bundesfamilienministerin Lisa Paus. Denn „Antifeminismus“, ein fast unendlich dehnbarer Begriff, wird ebenfalls unter „rechts“ subsumiert. Unter dieser Kampfformel betreibt auch das Land Berlin etliche steuerfinanzierte „Register“, die alles Mögliche sammeln – selbst den Hinweis auf eine Biologin, die darauf besteht, dass nur zwei biologische Geschlechter existieren.

In dieses Feld gehört ein Passus in dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz, der in Zukunft selbst die „fahrlässige“ Ansprache einer Person mit dem falschen, also nicht von ihr gewählten Geschlecht bestrafen soll. Die Grünen erklären ganz offen, damit eine „Verweigerungshaltung“ sanktionieren zu wollen.

Kampf gegen den Klimawandel: Hier müssen mehr Freiheitsrechte für höhere Ziele abgetreten werden als auf allen anderen Gebieten. Für die „Letzte Generation vor den Kipppunkten“ – und nicht nur die – stellt der Klimakrieg einen Endkampf dar, in dem es um alles geht. Deshalb lautet deren Antwort darauf, welches Opfer die Freiheit in diesem gerechten Streit bringen muss: jedes denkbare. Es geht nur noch ums nackte Überleben der Menschheit – so erklären es die Klimakrieger. Nur ist im Klimakampf erstmals nicht mehr das Leben der bereits Lebenden das oberste Schutzziel, sondern das von künftigen Generationen. (Dass dieselben Ideologen gleichzeitig CO2-einsparende Kinderlosigkeit fordern, damit der Planet für unsere Kinder überleben kann – worauf dann, ginge es nach ihnen, gar niemand mehr da wäre, der von ihrer Klimarettung profitieren könnte – gehört zu den offensichtlichsten Widersprüchen dieser Bewegung.) Nur so ist die Eskalation des Twitter-Mob nach der wiederholten Berlin-Wahl zu verstehen mit Forderungen danach, dass nur noch die wählen dürfen sollten, die die Zukunft auch erlebten. Die „Totalherrschaft der Gegenwart“ (Botho Strauß) war gestern, heute sind wir schon einen Schritt weiter. Klimakämpfer leben und denken nur noch in der und für eine imaginierte Zukunft, die allerdings einer vor über dreißig Jahren vorübergehend untergegangenen Gesellschaftsordnung verblüffend ähnelt.

 

Aus positiv mach’ negativ

Eine gesellschaftliche Vereinbarung wird umcodiert. Jeder, der die Freiheit verteidigt, wie Liberale aller Schattierungen sie kennen, gilt also, siehe oben, als unsolidarisch, ja antidemokratisch. Alle, die sozialen Kredit erwerben wollen, arbeiten daran, Freiheit schlechtzureden – und an ihre Stelle etwas zu setzen, das mit der Freiheit, die das Grundgesetz meint, nichts mehr zu tun hat: eine Unmündigkeit, von der sie in Verdrehung aller Werte behaupten, sie wäre die einzig akzeptable Form von Mündigkeit.

Eine weitere Frage drängt sich auf angesichts der Umcodierung von Freiheit: Hätte man dem Bürger im März 2020 gesagt: „Wir entmündigen dich und nehmen dir deine Würde“ – hätte sich dann nicht eine kritische Masse diesem autoritären Ansinnen verweigert? Eine Mehrheit wohl schon. Man musste das Wasser, in dem der Bürger und seine Freiheitsrechte zu Mus verkocht werden, langsam erhitzen. Und den entscheidenden Stoß gegen die Freiheit an einem wunden Punkt der Menschen ansetzen, denen sie entzogen werden soll: mit der Angsterzählung, sie könnten ihr Leben nur retten, wenn sie bereit seien, für die Sicherheit, die nur der Staat ihnen bieten könne, ein wenig von ihren Freiheiten abzugeben. So und nur so konnte es gelingen, derart viele Menschen von der freiwilligen Annahme ihrer Freiheitseinschränkung zu überzeugen.
Hätten die einschlägigen Freiheitsverächter ohne die Corona-Angsterzählung zuvor und die damit einhergehende Konditionierung sofort damit begonnen, die gleichen Freiheitseinschränkungen auch „für das Klima“ zu fordern – niemals hätten so viele Menschen erwogen, sie zu akzeptieren, wie es jetzt tatsächlich der Fall ist.

Dem coronaren Angstregime ist es gelungen, viele Bürger davon zu überzeugen, dass mit der Abgabe gewisser Freiheiten an den sorgenden Staat ihre existentiellen Sicherheitswünsche befriedigt werden. Die Antwort auf die Frage, wie es gelungen ist, so viele Menschen von der freiwilligen Annahme ihrer Freiheitseinschränkung zu überzeugen, liegt – von Hannah Arendt großartig beschrieben – darin, dass es eben nicht nur den vertikalen Druck von oben auf die Bevölkerung gibt, sondern einen nicht kleinen Teil in der Bevölkerung, der sich in der Freiheitseinschränkung wohl fühlt und sie sogar für alle fordert nach dem Motto: Im Freiheitsentzug muss wenigstens Gleichheit herrschen. Mündigkeit bedeutet eben auch eine Last, die manche nur allzu gern an eine Autorität abtreten. Ja, es lässt sich gar eine Angst vor der Freiheit beobachten. Norbert Bolz attestierte in seinem Lagebericht „Die ungeliebte Freiheit“ (2010) eine „Krankheit des Verwaltet-werden-Wollens“.

Den Pferdefuß beschreibt die Soziologie: Individualisierung bedeutet Freisetzung. Freiheit aber gibt es nur als ambivalentes Gut, weil man nicht nur frei sein darf, sondern muss. Nicht mehr die Gemeinschaft gebietet in der Moderne durch ihre Regeln, was gut und was schlecht ist. Der freie Mensch hatte nun selbst in einem bestimmten Rahmen zu entscheiden. Freiheit gebiert paradoxerweise Zwang, sich zu entscheiden. An der Freiheit sind viele gescheitert. Tritt in einer Krise ein Führer auf, der sicheres Geleit durch die Fährnisse des Lebens verspricht, ist die Versuchung groß, sich ihm hinzugeben – jemandem, der den Wanderer an die Hand nimmt, der ihm einen Weg schlägt in den Dschungel alltäglicher Hyperkomplexität, jemand, der vorgibt, Schutz zu bieten gegen alle Risiken. Dieser Führer kann eine Einzelperson sein, aber auch der Staat und sogar die erwähnten Mentalitätsherrscher als Kollektiv.

 

Eine rote Linie gegen illiberale Zeitenwenden

Wenn es gelingt, den Menschen den neuen Begriff von Freiheit – Verbote sind das neue Frei – zu implantieren, wäre damit die Büchse der Pandora für Autoritarismen neuer Art geöffnet, ohne dass noch ein Haltegriff für das immer weitere Abgleiten vom Rechtsstaat ins Autoritäre zu erkennen wäre. Auf dem leergeräumten Feld kann an der Konstruktion des neuen Menschen gearbeitet werden: des neuen woken, also sich selbst gegenüber wachsamen klimagerechten Bürgers, der sich mündig fühlt, weil er glaubt, die Freiheitseinschränkung geschähe in seinem Interesse.
Die Lage auf orwellianisch: Unfreiheit ist Freiheit. Kontrolle schafft Mündigkeit. Richtig verstandene Unmündigkeit ist die hochwertigere Mündigkeit. Verbote sind Ausweis von Liberalität. Handeln unter Zwang ist Eigenverantwortung. Konformismus ist das neue widerständig.
Erst dann, wenn eine Mehrheit diese Umcodierung tatsächlich schlucken und damit buchstäblich verinnerlichen würde, wäre die Freiheit auch als Begriff besiegt.

 

 

 

 

 

 


Jürgen Schmid ist Historiker und freier Autor. Er lebt in München.


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Redaktion:

Kommentare anzeigen (13)

  • Es geht hier im Grunde gar nicht um Prinzipien oder Ideen wie Freiheit. Es geht einzig und allein um Macht. Diese Leute wollen herrschen - nicht mehr und nicht weniger, und dafür muss der politische Gegner untergebuttert werden. So einfach ist das.
    Sie möchten sich nicht der Mühe unterziehen, "dicke Bretter zu bohren", wie das in der traditionellen Politik nötig ist, sie möchten nicht überzeugen durch Argumente. Sie möchten eine "Basta-Politik" in ihrem Sinne durchsetzen. Die Mittel dazu werden ihnen zunehmend gleichgültiger.
    Sie sehen sich nicht als gleichberechtigte Akteure in einem demokratischen System. Sie sehen sich als so etwas wie eine überlegene Klasse, das was im Marxismus die "revolutionäre Avantgarde" war. Oder, um auf Schelsky zurückzukommen, als "Hohepriester", denen die anderen zu folgen haben.
    Warum dieser Verzicht auf den herkömmlichen Weg der Überzeugung? Einfach, weil sie im Grunde über Themen sprechen, von denen sie fachlich keine Ahnung haben, es sind pure Glaubenssätze. Diese Leute konstituieren, wie ich an anderer Stelle sagte, eine Art "Sozialwissenschaftlich-Kulturellen Komplex". Wenn sie über "bread-and-butter topics" wie Klimawandel oder Heizungen sprechen, dann kräuseln sich oft wirklichen Experten die berühmten Zehennägel.
    Wenn sie also im Meinungskampf obsiegen wollen, müssen sie zu autoritären Methoden greifen.
    Hinzu kommen psychologische Faktoren. Leute aus diesem Bereich - ich komme selbst daraus und kenne die massenweise - haben oft einen unterschwelligen, unbewussten Minderwertigkeitskomplex gegenüber Ingenieuren, Naturwissenschaftlern, selbst Handwerkern. Sie spüren, dass ihre Berufe auf Geschwätz beruhen. Sie versuchen, das durch besonders elitäres Auftreten zu kompensieren.
    Wie soll man denn punkten in der Politik, wenn Wissen und Überzeugungspotential fehlen? Es geht nur über autoritäres Gehabe. Das sind im Grunde kleine Mussolinis.
    Der unbedingte Drang, zu herrschen, ist bei ihnen eine gesellschaftliche Wohlstandskrankheit. Diese parasitäre Klasse, die von der Arbeit anderer lebt, wurde in den letzten Jahrzehnten so hofiert und gepampert, dass sie keine Grenzen mehr kennt. Sie verhalten sich wie verwöhnte Kinder, die ihren Willen unbedingt durchsetzen wollen.
    Wir haben diese Leute kollektiv herangezüchtet. Jetzt haben wir den verdorbenen Salat.

    • @Werner Bläser
      Der Experte mit - vermutlich - vergleichbarem Hintergrund wie sie erlebt es NIE, dass er als Leser eines längeren polit-analytischem Text mlt dessen Autor 100% übereinstimmen kann. Selbst die Zweitlesung mit didaktischem Fokus und Rotstift in der Hand hat zu keinem anderen Ergebnis geführt als: Bläser hat vollkommen recht. Alles ist umfassend gesagt, präzise und ohne einen einzigen Fakt, eine einzige These, ja ohne ein einziges Wort zu viel oder zu wenig. "Es gibt dazu schlicht und einfach nichts mehr hinzuzufügen"....
      ausser vlt., ganz verschämt, nur für SIE und ja nicht für die ÖFFENTLICHKEIT bestimmt, doch noch ein - privatimes (was sage ich: Intimes !) Geständnis hinterher zu schieben: Post Legere identifiziere ich in meiner rechten Hirnhälfte ein FAST nicht mehr zu unterdrückendes Gefühl von ... ähem... Neid und ja - Eifersucht. Jetzt ist es gottlob raus!

    • Quatsch

      *Unfreiheit ist Freiheit. Kontrolle schafft Mündigkeit. Richtig verstandene Unmündigkeit ist die hochwertigere Mündigkeit. Verbote sind Ausweis von Liberalität. Handeln unter Zwang ist Eigenverantwortung. Konformismus ist das neue widerständig.*

      Aber nein! Die monokausal gestrickte Habermasse hatte in Deutschland schon immer recht. Und dort, bei diesen Vollpfosten der gefühlten Wirklichkeit, bei diesen Heckenschützen der Menschheit, bei diesen sakrosankten Unschuldsengeln,
      also praktisch dort, hinter den riesengroßen Zeigefingern der Bewegung,
      genau dort liegt der Hase im Pfeffer.

      Goldhagen, ... ach du meine Güte.

  • Den Befund und die Besorgnis, dass die parlamentarischen Demokratien westlicher Prägung in einen neuen (grün lackierten) Autoritarismus treiben, teile ich.
    Allerdings sind es ja nicht nur Grüne und ihr Hofstaat, der "durchregieren" möchte, sondern nennenswerte Teile der Medien, des digitalen Kapitalismus und seiner Konzerne, die EU als Institution usw., die vom einst "mündigen Bürger" erschreckend wenig halten.
    Das "Corona-Virus" hat hier sicherlich beschleunigend gewirkt; in gewisser Weise fand Frau Merkel mit ihrem "Corona-Kabinett" zu sich selbst, aber Deutschland und seine "Eliten" waren eben nicht die einzigen, die so reagierten.
    Dramatisch finde ich auch den Verlust bürgerlicher Repräsentanz, denn das die "Ampel" und ihre Protagonisten nur geringes Interesse an den Bedürfnissen der Regierten erkennen lassen, dürfte wohl selbst von glühenden Anhängern (allerdings schwer vorstellbar, dass es solche gibt) von Herrn Scholz nicht überzeugend zu bestreiten sein. Frau Baerbock hat dies in ihrer erfrischenden (nassforschen) Art ja expressis verbis ausgesprochen zum Thema "Krieg in der Ukraine".
    Sollte Deutschland aber in einen "Öko-Autoritarismus" abgleiten, dürften ja nicht nur die Freiheitsrechte wie Butter in der Sonne schmelzen, sondern auch der Wohlstand des Landes.
    Wenn der größte Nettozahler der EU ausfällt, wer zahlt dann künftig in die Brüsseler Kassen?

    • Ja, die Konzentration auf das Grünen-Bashing gefällt mir auch nicht so.
      Ich glaube, dass VW und Greenpeace bei einigen spektakulären Aktionen gemeinsame Sache gemacht haben. Warum? VW hat(te) sich auf ein reine E-Auto Strategie geeinigt und immense Summen investiert. Nur ist natürlich die Investition in Stromversorgung für diese Autos nicht von VW allein zu meistern und daher baut man zusammen mit Umweltverbänden wie Greenpeace und der DUH eine investitionsfreundliche Umgebung, sprich: Für die zukünftigen (privaten) Gewinne von VW usw. muss erstmal der Steuerzahler ordentlich in die Tasche greifen.

      • Warum sind DIW und grosse Teile der Industrie scheinbar vergrünt? Weil sie meinen, das dies der überwiegende Trend in der Bevölkerung ist. Zeitgeist eben. Ob die voll überzeugt von den grünen Glaubenssätzen und grüner Politik sind? Das bezweifle ich eher. Die Vergrünung über die Grüne Partei hinaus in andere Institutionen und Gesellschaftsteile hinein begann schon vor der Merkel-Ära. Merkel, als Opportunistin par excellence, folgte dem Rat ihrer Spezialisten für Umfragen, und "umarmte" grüne Ideen, um der Grünen Partei so das Wasser abzugraben, wie sie es mit der SPD gemacht hatte. Wir erinnern uns: Die Energiewende fußt eigentlich auf dem (vergeblichen) Versuch, eine Landtagswahl in BaWü zu gewinnen.
        Das heisst, die Politik hat auf die Einstellungen reagiert, was sie in der Bevölkerung wahrnahm oder wahrzunehmen glaubte. Dass viele Umfrage-Fritzen ihr eigenes politisches Süppchen kochen, blieb dabei unberücksichtigt.
        Ungeachtet rationaler Erwägungen, ungeachtet essentieller Interessen etwa der Wirtschaft wechselte man die Farbe. Gegen Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens. Politiker erst recht - sie passen sich an.
        Damit will ich keineswegs sagen, dass Umwelt- und Klimaschutz dumm sind. Im Gegenteil. Schlimm wird es nur, wenn irrationale und inkompetente Figuren sich der Sache fanatisch annehmen.
        Gleiches gilt übrigens für die Bekämpfung des Rassismus - wenn man sich umsieht, was für Inquisitoren der Politischen Korrektheit und kleine Möchtegern-Blockwarte da mitlaufen, fragt man sich, neben wem man da eigentlich steht.
        Ich finde schon, dass die Kritik an den Grünen zum grossen Teil berechtigt ist. Die Inkompetenz und der religiöse Fanatismus auf einem Gebiet, das eigentlich hochrationales Handeln erfordern würde, geht von diesem Haufen Theologen, Sozialarbeiter, Germanisten, Theaterwissenschaftler, etc. letztlich aus.
        Ich finde, die Umwelt und das Klima sind zu wichtig, um ihren Schutz inkompetenten Sektierern zu überlassen.

  • Erzfeind jeder Diktatur ist das gute Gedächtnis, das erfogreich geschwächt wird. "Freiheit statt Sozialismus" war jahrzehntelange der Slogan der CDU. Natürlich war Freiheit positiv besetzt und Sozialismus pejorativ. Heute wird der Slogan einfach ins Gegenteil verdreht - und niemandem fällt es auf. Schlechtes Gedächtnis. Die bessere Zeit vor Merkel wurde aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt. Ganz ohne Streckbett und Zimmer 101. Das verstört mich zutiefst. Weiß niemand mehr, dass Deutschland einmal ein liberales Land war? Jedem Tierchen sein Plaissierchen? Meine Freiheit reicht soweit, dass sie die Freiheit des anderen nicht einschränkt? Alle diese in Kindertagen gelernten Alltagsklugheiten vergessen? In meinem Deutschland konnte man tatsächlich frei atmen, frei sprechen und schreiben. Alles vorbei. Und niemand erinnert sich an das liebenswerte Deutschland, mit dem man streiten konnte, ohne bestraft zu werden. Und ich hatte viel gestritten mit meinem Deutschland. Schlimmer noch: niemand will dieses Deutschland mehr. Man verträgt es nicht, man liebt die Knute.

  • Volle Zustimmung. Ein Bundespräsident der ein Gesetz wie die Neufassung von Paragraph 130 in dieser Form unterschreibt hat m.M. nach seine Berechtigung im Amt verwirkt und gehört zum Rücktritt aufgefordert ( hat ja bei einem Vorgänger wegen privater Gründe ja auch funktioniert). Es stellt sich nun die Frage wie ist dem woken Treiben bzw. diesen Glaubensfanatikern zu begegnen ? Es ist leicht vorstellbar dass allein die Benennung von Maßnahmen oder der Aufruf zu solchen bald dazu führt als Staatsterrorist angefeindet oder verfolgt zu werden.

    • Früher glaubte ich, es wäre unsere gesicherte Demokratie, die uns unsere Freiheit garantieren würde. Ein schlimmer Trugschluss! Heute weiß ich, jede Demokratie ist leicht korrumpierbar, wenn die Bürger das zulassen, wenn sie nicht mehr bereit sind, für ihre Rechte und Freiheit einzutreten. Wenn die Demokratie versagt, so wie gerade zum dritten Mal in Deutschland in 100 Jahren, dann hilft nur noch finanzieller Rückhalt, also Geld, um sich Freiheit zu erkaufen, zB durch das Weggehen ins Exil!

  • Inzwischen sind es Personen aller Einfärbungen (auch schwarz!), denen Macht und Machtausübung über alles, selbst über Freiheit und abgeleitete Rechte, geht. Es ist denen ziemlich egal, was im Grundgesetz steht: Papier ist geduldig. Und lässt sich aufweichen. Hauptsache, ein Quentchen Macht erobert, damit alimentiert werden und eine Absicherung der Lebensführung erhalten, für die andere ihr Leben lang schwer arbeiten und nicht den Bruchteil dessen, was die Bonzokratie sich selbst genehmigt, davon zu sehen bekommen.
    Das bei den agierenden Personen in diesem Land schon seit langem zu bemerkende "gegen die Interessen des deutschen Staatsvolkes handeln" lässt neben der Machtgier noch ein weiteres Motiv aufscheinen: Mutmaßliche Vertretung fremder Interessen gegen "Honorar", wie immer das ausieht.
    Ehrlich gesagt, ich habe den ganzen Laden mit dem Geschwätz von Klimakatastrophen und Angst vor dem Weltuntergang, sei es durch Sonneneinstrahlung oder durch Putin persönlich veranlasst, derart satt ... Aber das wollen die, jedenfalls bei dem Teil des Staatsvolkes, der noch ein wenig weiter denkt. Und daher muss man weitermachen und bei jeder Gelegenheit gegen diese Verdummungstendenzen angehen. Dafür ein herzlicher Dank an Herrn Schmid.

  • Das mit der Öko-Diktatur hat vor einigen Jahren (vor Corona) der Kabarettist Hagen Rether propagiert. Sein Grund war, daß die Leute nicht mehr Fleisch essen.

  • Kai Möllers Vermerk, dass niemand mehr weiß, wozu Freiheit eigentlich gut sein soll - das ist so dramatisch, weil die Verfassungstheorie ja sagt, dass kein Grundrecht in seinem "Wesenskern" eingeschränkt werden darf. Aber das BVerfG hat eben seinerzeit versäumt zu definieren, was der Wesenskern der Meinungsfreiheit sein soll. Und das werden wir nicht mehr nachholen können.
    Dabei wäre es nicht so schwer. Wenn ich nicht mehr meine eigenen Erfahrungen machen darf oder diese Erfahrungen nicht mehr in meine eigenen Worte kleiden, erinnern und kommunizieren darf und nicht mehr meine eigenen Gefühle und Schlussfolgerungen daran knüpfen darf - dann bin ich nicht mehr "ich", sondern ein Staatsroboter. Sicher, was ich hier formuliere, ist nichts grundlegend anderes als Möllers "Entfaltung" der "Persönlichkeit" - aber es macht das Problem doch anschaulicher und bedrückender.

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