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Das geheime Leben des Robert Habeck

Bei medialen Welterklärern und Politikern mit Plänen zum Gesellschaftsumbau fällt die Kluft zwischen Anspruch und Kompetenz auf. Das heißt – vielen anderen. Ihnen selbst nicht. Die Erklärung lautet: Walter-Mitty-Syndrom. Und das wirkt in Kombination mit Macht katastrophal

Warum, fragte sich kürzlich ein Tagesschau-Redakteur, trauen Menschen der Wissenschaft nicht? Beziehungsweise: Er erklärte seinem Publikum, „warum Menschen der Wissenschaft nicht trauen“.

Es gibt durchaus gute Gründe, einem Medienmitarbeiter reserviert zu begegnen, der das inzwischen wohlbekannte Phantom die Wissenschaft auf die Bühne führt. Darüber hinaus stellt sich eine Spezialfrage, die er gar nicht erst anschneidet: nämlich die, warum etliche Menschen gerade die Tagesschau für keine vertrauenswürdige Plattform der Wissenschaftsberichterstattung halten. Die Zurückhaltung des Publikums liegt beispielsweise an der mittlerweile legendären Meldung der immerhin noch reichweitenstärksten Nachrichtensendung, ein bisher verkannter afrikanischer Erfinder hätte den Energieerhaltungssatz ausgetrickst.

Warum also, um auf die Frage der Tagesschau zurückzukommen, „glauben viele Menschen nicht der wissenschaftlichen Evidenz?“ Abgesehen davon, dass ‚glauben‘ und ‚wissenschaftliche Evidenz‘ nur für Leute zusammenpassen, die auch die Wissenschaft für eine religionsähnliche Angelegenheit halten, abgesehen also davon findet die Tagesschau-Recherche natürlich nicht vor der eigenen Haustür statt, sondern auf einem altbekannten Exerzierfeld.

Der Beitrag über die Renitenten, die der Wissenschaft und womöglich auch der ARD nicht trauen, fädelt so ziemlich jeden verbrauchten Textbaustein auf seine Perlenschnur. Es kommt die Tabaklobby vor, also die Leugner von Nikotinschäden, die Fossillobby, die gefährlichen sozialen Medien und die bei diesem Thema fast unvermeidliche Sozialpsychologin Pia Lamberty in der Rolle der Expertin, die den Gedanken beisteuert: „Es geht vor allem um Bereiche, die stark im Fokus gesellschaftlicher Debatten stehen und die direkte Auswirkung auf unseren Alltag haben. Deshalb werden Klimaforschung oder Gender Studies mehr angezweifelt als Ingenieurswissenschaften oder Archäologie.“

Der Tagesschau-Text erwähnt dagegen nichts von ZDF-Mitarbeitern, die ihrem Publikum etwas von Bienen erzählen, die Weizen bestäuben oder von Redakteuren, die den Unterschied zwischen Boden- und Lufttemperatur nicht so richtig begreifen.

Auch nicht die prominente Grünenpolitikerin, die Strom im Netz speichern und die Grundlast mit etwas weniger tiefgefrorenen Hähnchen sichern will. Genauso wenig findet ein grüner Staatssekretär Beachtung, für den schon die Feststellung, es gebe nur zwei biologische Geschlechter, den Tatbestand der Transphobie erfüllt. Und kein Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit seiner bereits mehrfach geäußerten Ansicht, dieser oder jener Windpark könnte ein oder auch mehrere Atomkraftwerke ersetzen.

Der Text des Tagesschau-Redakteurs gleicht dutzenden zum Verwechseln ähnlichen Wortmeldungen darin, dass er viel Mühe darauf verwendet, das Bild von Wissenschaftsleugnern zu konstruieren und über ihre Motive zu spekulieren, aber nie die Frage der Kompetenz zu stellen. Warum sollte das Publikum in Wissenschaftsdingen und überhaupt eine Nachrichtenredaktion ernst nehmen, in der die Verantwortlichen an die Energieerzeugung aus dem Nichts glauben? Warum sollte es einer politischen Bewegung besonders viel Rationalität zutrauen, die einerseits das irreführende Motto  join behind the science ausgibt, bei der andererseits Energie- und Geschlechteresoterik aber fest zum Programm gehören? Was unterscheidet Leute, die an dutzende verschiedene Geschlechter glauben, eigentlich von Kreationisten? Warum sollte die Öffentlichkeit einen Gesundheitsminister für eine seriöse Instanz halten, der über ein nicht auf reguläre Weise entwickeltes Medikament behauptet, es hätte keine Nebenwirkungen? Das eigentlich Faszinierende besteht darin, dass sich diejenigen, die als Lenker der Gesellschaft weit über jedes politische Mandat hinaus auftreten, ohne den geringsten Selbstzweifel auch die Kompetenz dafür zuschreiben. Sie kommen gar nicht auf den Gedanken, dass sie mittlerweile selbst mit korrekten Botschaften auf Misstrauen stoßen würden, weil ein wachsender Teil der Öffentlichkeit sie für ungeeignete Boten hält.

Die unterdrückte Kompetenzfrage weist weit über die Medien hinaus. Das, was die Wohlmeinenden unter den Stichworten Klima, Geschlecht und Kapitalismusabschaffung unter hochfrequenter Benutzung der Begriffe ‘die Wissenschaft’, ‘Studie’ und ‘Experte’ Schritt für Schritt zu einer Orthodoxie formen, deckt sich weitgehend mit Gesellschaftsumbauplänen sehr ähnlich orientierter Politiker. Es gibt erhebliche Widerstände bei den Bürgern, die sich gegen die Wegtransformation ihrer Rechte und ihres Eigentums sträuben, weil sie der Versicherung von Robert Habeck und seinen Verbündeten misstrauen, für dieses Opfer bekämen sie später einen neuen „klimaneutralen Wohlstand“. Vor allem denjenigen, die über Erfahrung mit der letzten deutschen Diktatur oder zumindest Geschichtswissen verfügen, kommt das Tauschangebot bekannt vor, heute Freiheit abzugeben, um sich damit die bessere Zukunft zu verdienen.

Und auch hier vermuten die Transformatiker als Gründe für Misstrauen und Renitenz mangelnde Aufklärung der Bürger und das Wirken der allgegenwärtigen Populisten. Aber sie stellen sich selbst niemals die Frage, ob sie – einmal angenommen, es gäbe morgen zu ihren Plänen begeisterte neunundneunzigprozentige Zustimmung – überhaupt die Fähigkeiten dafür besitzen, ein Industrieland mit 84 Millionen Einwohnern und idealerweise ganz Westeuropa so umzubauen, dass am Ende nicht alles in Scherben liegt.

Auf ihre Talente und überlegenen Einsichten vertrauen ein Robert Habeck, eine Ricarda Lang, eine Maja Göpel, eine Luisa Neubauer so fest, wie es nicht einmal sehr, sehr erfolgreiche Firmengründer tun. Denn die wissen in aller Regel, wieviel schon in kleinen überschaubaren Systemen schiefgehen kann. Es gibt grundsätzlich zwei Arten der Selbstsicherheit. Einmal den allmählichen Erwerb, der Fähigkeiten verlangt, dazu sehr viel Arbeit, Versuch und Irrtum, außerdem die Fähigkeit, sich selbst mit einer gewissen Distanz zu sehen. Stellen sich Erfolge ein, gelten sie diesem Phänotyp immer als vorläufig. Daneben existiert ein Menschenschlag, der schon mit einem Selbstgefühl aus Titan aufzuwachsen scheint. Durch Fähigkeiten und Glück können diese Leute zu ähnlichen oder gleichen Ergebnissen kommen wie Erstere. Fällt eine Zutat zu knapp aus, möglicherweise auch beide, dann öffnet sich ein Abgrund. Menschen, die Unternehmen in die Pleite jagen, Organisationen ruinieren, Staaten ins Verderben führen und dabei eisern bis zum Schluss durchhalten, rekrutieren sich zu großen Teilen aus dieser Gruppe. Und Hochstapler zu einhundert Prozent.

Wer die Führungsebene beispielsweise des Bundeswirtschaftsministeriums näher ansieht, dem fällt die Gleichförmigkeit der Biografien auf. Robert Habeck arbeitete nach seinem Germanistik- und Philosophiestudium immerhin neben der Berufspolitik auch als Schriftsteller. Aber irgendwelche Berührungspunkte mit volkswirtschaftlichen Fragen finden sich in seinem Lebenslauf nirgends. Übrigens auch nicht in seinen politischen Schriften. Seine Staatssekretärin Anja Hajduk (Zentralabteilung) studierte Psychologie und machte seit 1997 Karriere in der Berufspolitik; der Parlamentarische Staatssekretär Michael Kellner (Wirtschafts-, Industrie- und Mittelstandspolitik) absolvierte ein Politikwissenschaftsstudium, danach eine Partei- und Parlamentskarriere. Die Parlamentarische Staatssekretärin Franziska Brantner (Außenwirtschaft): Politikwissenschaftsstudium, Arbeit für die UNO, die Bertelsmann-Stiftung, danach Berufspolitik. Habecks bis vor kurzem wichtigster Mann, Patrick Graichen: Studium Politikwissenschaften und Volkswirtschaftslehre, Ministerialbeamter, Direktor des durch Stiftungen finanzierten Lobbyvereins Agora Energiewende.

Über berufliche Erfahrungen in Unternehmen verfügen immerhin der für Wärme, Wasserstoff und Effizienz zuständige Staatssekretär Philipp Nimmermann (und zwar bei Banken), neben ihm der für Grundsatzfragen verantwortliche Udo Philipp (Banken, Bertelsmann), ganz am Rand auch Staatssekretär Sven Giegold (zuständig für EU-Politik, betrieb vor längerer Zeit einmal eine ökologische Wohnungsgenossenschaft). In seiner offiziellen Biografie auf der Ministeriumsseite fällt die riesige Lücke zwischen 1998 und 2007 auf. In jener Zeit wirkte Giegold an führender Stelle bei Attac, einer stramm antikapitalistischen Bewegung. Unternehmerische Erfahrung besitzt nur ein Einziger: der Parlamentarische Staatssekretär Stefan Wenzel. Er betrieb vor 25 Jahren einmal zusammen mit Geschäftspartnern einen Weingroßhandel, bevor er in die Profipolitik wechselte. Im Ministerium kümmert er sich um Strom und Netze.

Auf der Führungsebene einschließlich Minister kennen also gerade zwei Staatssekretäre Konzerne von innen, nur einer baute offenbar etwas Neues auf. Einen Fachmann oder eine Fachfrau für Energie, Netze und Speicher holte sich Habeck nicht in seine Leitungsetage. Für ein Ministerium, das sich erstens fast nur mit Energiefragen befasst und zweitens gerade darangeht, wild am größten Wirtschaftsorganismus Europas zu schrauben und hier und da auch große Teile herauszureißen, mutet das ein wenig dünn an.
Schon die konventionelle Politik der kleinen Schritte, wie sie Robert Habeck, Maja Göpel und andere verachten, kostet enorme Mühe. Vor der Idee, ein ganzes Land innerhalb kurzer Zeit umzubauen, würden viele zurückschrecken. Genaugenommen braucht es das Naturell Habecks, um sich in diese Arbeit zu stürzen.

Oder das von Svenja Schulze (Lebensstationen: Politikwissenschafts- und Germanistikstudium, Jusos, SPD-Berufspolitikerin), die kürzlich als Entwicklungshilfeministerin erklärte: „Die #Gentechnik hat in ihrer Geschichte noch keinen wesentlichen Beitrag zur #Ernährungssicherung geleistet. Ihr gesellschaftlicher Nutzen wird in der Theorie oft behauptet, aber in der Praxis zielt die Gentechnik auf Patente und Profite.“

Als PolWi-Diplominhaberin mit zwei Twittersätzen die gesamte grüne und rote Gentechnologie auszuradieren – die wenigsten brächten das fertig. In Robert Habecks Buch mit dem schillernden Titel „Wer wir sein könnten“ findet sich der Schlüsselsatz, der dieses ganz besondere Verhältnis zur restlichen Welt erklärt: „In der Politik ist Sprache das eigentliche Handeln.“ In seinem Werk „Von hier aus anders“ heißt es: „Es gibt keine Zwangsläufigkeit in der Politik. Energisches Handeln kann zu einem ehrgeizig gesteckten Ziel führen“.

Im englischsprachigen Raum gibt es den im Deutschen nahezu unbekannten Begriff Walter Mitty Personality, abgeleitet aus James Thurbers Kurzgeschichte „Das geheime Leben des Walter Mitty“, erstmals veröffentlicht 1939. Sie erzählt von dem sehr durchschnittlichen Walter Mitty, der von einem Tagtraum in den anderen gleitet, in denen er sich als Flugbootkapitän erfindet, der Maschine und Mannschaft mitten durch einen Hurrikan navigiert, als Spitzenchirurg, Gangster, Kampfflieger. Probleme löst er mit einem brillanten Handgriff oder Furchtlosigkeit. Jedenfalls so lange, bis ihn seine nörgelnde Ehefrau aus seinem Tagtraum reißt. Bei Thurbers Figur selbst handelt es sich um einen Mitty-Charakter der allermildesten und vernünftigsten Sorte: Er weiß, dass er sich nur den kleinen Eskapismus für Zwischendurch leistet. Denn der Begriff Walter-Mitty-Charakter oder -Syndrom beschreibt eigentlich Personen, denen der Unterschied zwischen Vorstellung und Wirklichkeit verschwimmt, bis sie glauben, tatsächlich aus ihrem Kopf heraus die Welt verändern zu können. Notfalls auch gegen die Gesetze von Physik und Ökonomie.

Sein offizieller Video-Podcast zeigt Robert Habeck außerordentlich häufig bei Besichtigungsterminen in Deutschland, etwa bei steifer Brise mit gelbem Schutzhelm auf einer Offshore-Windkraftplattform oder vor frisch errichteten Windkraftanlagen im Wald. Dem Publikum erscheint ein Minister, der daran glaubt, dass der Umbau des Landes durch sein persönliches Handauflegen schneller vorankommt.

Die Energieversorgung eines Industrielandes – auch diese Überzeugung sitzt bei ihm offenbar bombenfest – lässt sich am besten sichern, wenn schnell so viele wetterabhängige Erzeugungsanlagen wie möglich entstehen, während fast alle grundlastfähigen Kraftwerke demnächst vom Netz gehen sollen.
Vor kurzem erschien im Palladium Magazine  ein Artikel von Harold Robertsons über die Kompetenzkrise in westlichen Ländern, wobei sich der Autor vor allem auf die USA konzentriert. Was er beschreibt, gilt im Großen und Ganzen auch für Deutschland. Moderne Gesellschaften, so lässt sich sein Text zusammenfassen, zeichnen sich durch miteinander verwobene hoch komplexe technische Systeme aus, die sich ohne das Spezialwissen der dort Beschäftigten nicht aufrechterhalten lassen. Üblicherweise reagieren diese Systeme auf Belastungen resilient. Sie können also einzelne Fehler gut abpuffern. Durch ihre wechselseitige Abhängigkeit stützen sie einander auch in einem gewissen Maß. Nimmt die Kompetenz derjenigen ab, die Verantwortung für den Betrieb dieser Systeme tragen, etwa, weil Stellen im wachsenden Maß nicht mehr nach Fähigkeit, sondern nach politischen und Identitätskriterien besetzt werden, oder weil die Politik unerfüllbare Vorgaben macht, dann nimmt die Stabilität des Ganzen erst allmählich und dann immer schneller ab. An einem bestimmten Punkt schlägt die wechselseitige Abhängigkeit technischer Großsysteme ins Negative um: Dann kann eins beim Kollaps das nächste mit sich reißen.

Vor diesem Punkt befindet sich Deutschland mit seinem politischen Personal. Ganz allmählich dringt beispielsweise die Erkenntnis in Ministerien und unterstützende Think Tanks, welche Probleme sich in einem dichtbesiedelten Land ergeben, wenn gleichzeitig riesige neue Windparks und Photovoltaikflächen entstehen, trockengelegte Moore mit CO2-Reduzierungsbegründung wieder vernässt und zusätzlich ein Teil der landwirtschaftlichen Fläche stillgelegt werden sollen. Rotorentürme, das versteht auch ein Politikwissenschaftler, lassen sich selbst beim besten Willen nicht in Neusumpfland errichten. Energiespeicher auf Wasserstoffbasis existieren bisher nur im Kleinformat. Für die etwa 30 Gaskraftwerke, die nach Habecks Vorstellungen ab 2030 einspringen, wenn Sonnen- und Windkraft nicht ausreichend liefern, gibt es bisher nicht nur keine Planung. Wer sich in der Branche umhört, trifft auf rätselratende Fachleute, die nicht einmal wissen, wer sie überhaupt errichten und betreiben soll. Denn Anlagen zum Preis von gut einer Milliarde Euro pro Stück, die nur als Lückenfüller um die 2000 Betriebsstunden pro Jahr ans Netz dürfen, können mit Stromerzeugung unmöglich ihr Geld verdienen.

In der NZZ wies der in Deutschland offenbar nicht talkshowgeeignete Energieökonom Manuel Frondel vom Leibniz-Institut Essen auf die Grenzkuppelstellen hin, über die der länderüberschreitende Stromaustausch läuft. Sie verfügen nur über eine bestimmte Durchlasskapazität. Deshalb lassen sich nur begrenzte Elektrizitätsmengen aus dem Ausland importieren. Und auch nicht beliebig viele Megawattstunden zu den Nachbarn drücken, wenn sie hier niemand braucht. Für die Migration von Elektronen existiert eine Obergrenze, die sich weder durch Zureden noch durch Ehrgeiz aufheben lässt. Spätestens jetzt müssten die Technokraten der Transformation eigentlich ahnen, wohin der Versuch führt, das Unbedingte in einer bedingten Welt durchzusetzen.

Die wirklich hochkompetenten Techniker in den Leitwarten der Stromnetze vollbringen schon heute Kunststücke, um die Stromversorgung stabil zu halten. Für sie ist Reden nicht das eigentliche Handeln. Sie wissen, wie viele Zwangsläufigkeiten es in ihrem Fachgebiet gibt. Wenn sie gefragt würden, könnten sie erklären, welches Wissen nötig ist, um etwas extrem komplexes überhaupt am Laufen zu halten und welche Fähigkeiten es bräuchte, um das Ganze katastrophenfrei umzubauen. Umgekehrt gilt: Wer gar nicht erst weiß, was Grenzkuppelstellen sind, hält den Stromimport in beliebiger Höhe für unproblematisch. Und überhaupt alles Vorstellbare auch für durchführbar.

Der politische Walter-Mitty-Komplex besteht aus zwei sehr einfachen Elementen: Einerseits grenzenlosem Glauben an die Machbarkeit, zum anderen aus der Überzeugung, gerade seine völlig praxisfremden Exponenten könnten den Durchbruch erzwingen. Wer den Sprechakt für den Schlüssel zur Welt hält und vor seinem geneigten Publikum mit gerunzelter Stirn Möglichkeitsräume eröffnet, muss das vermutlich so sehen. Es gibt nur ziemlich wenige Leute, die alle Feinheiten der Energieversorgung verstehen. Aber von denen greift zum Glück so gut wie niemand mit groben Fingern und Überlegenheitsillusionen mitten ins offene Herz einer Volkswirtschaft.

Hier schließt sich die Klammer, die den medialen und den berufspolitischen Betriebsteil zusammenhält. Zur Wissenschaft verhalten sich Journalisten, die einen stromerzeugenden Fernseher für möglich halten, und Boden- von Lufttemperatur nicht unterscheiden können oder wollen, ziemlich genau so wie die Robert Habecks, Svenja Schulzes und Patrick Graichens zur Wirtschaft. Sie reden unentwegt davon; ihre Einsichten in Wissenschaft beziehungsweise Wirtschaft halten sie für besonders profund. Eine Ablehnung ihrer Botschaften erklären sie sich mit Verstocktheit der anderen und finsteren Machenschaften im Hintergrund.

Von Redakteuren, die schon an der korrekten Darstellung einfacher Sachverhalte scheitern, möchte sich eine wachsende Zahl von Bürgern nicht das Globalklima erläutern lassen. Sie misstrauen diesen Medienleuten irgendwann auch schon bei gesellschaftlich harmlosen Themen (wobei: die verschwinden nach und nach). Einer Kaste von Politikwissenschaftsdiplominhabern mit lebenslanger Parteikarriere würden viele Endverbraucher von Politik schon den Normalbetrieb des Landes nicht gern überantworten, vom großen Umbau gar nicht erst zu reden. Dieses Medien- und Politikmilieu stützt einander aus gemeinsamer Überzeugung, aber auch wegen einer faszinierenden psychologischen Ähnlichkeit auf beiden Seiten. Hier wie da stellen die Weltveränderer niemals die Frage nach dem Verhältnis von eigenem Wichtigkeitsgefühl und ihren Fähigkeiten. Zweifel empfinden sie als Anschlag auf ihre Persönlichkeit.

Ein psychologischer Ratgeber empfiehlt, Walter Mitty-Personen ruhig zuzuhören, sie aber nicht in ihren Vorstellungen zu bestätigen. In fast allen einschlägigen Fachtexten heißt es völlig zu Recht, Menschen mit diesem Syndrom verhielten sich generell völlig harmlos.
Das ändert sich erst – dann aber dramatisch – wenn es jemand mit diesem Persönlichkeitszuschnitt auf eine wirklich einflussreiche Position schafft. Und dann wesensverwandte mediale Begleiter findet, die dessen Größenphantasie als Überpolitiker unentwegt bestätigen.

Ordinären Bürgern geht es dann so wie einem Patienten auf einer Operationsliege, über den sich ein Walter Mitty beugt, der sich gerade in die Rolle des Medizingenies träumt. Und dummerweise ein echtes Skalpell in der Hand hält.

 

 

 


Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.


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Kommentare anzeigen (18)

  • Schämen Sie sich, Herr Wendt! Sie gehören wohl zu den ewig Gestrigen, die nicht einmal geglaubt haben, dass der Gardasee austrocknet. Dabei war das doch wissenschaftlich erwiesen. Sie Gardasee-Leugner!
    Im Ernst: Bei 'Zeller der Woche' habe ich gerade Bertrand Russell zitiert.
    "The fundamental cause of the trouble is that in the modern world the stupid are cocksure while the intelligent are full of doubts".
    Viele unsere Politiker und Journalisten leiden erkennbar am Dunning-Kruger-Effekt: sie sind zu dämlich, eine Ahnung davon zu haben, WIE dämlich sie sind. Denn um seine eigene Beschränktheit einzusehen, braucht man so etwas wie Grund-Intelligenz. Nur der Trottel hält sich für allwissend und traut sich Dinge zu, von denen er keine Ahnung hat.
    Ich bin auch Politologe, wie Graichen.
    Hätte man mir angeboten, als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium ein Gesetz zur Umgestaltung des Heizungswesens in Deutschland auszuarbeiten, ich hätte dem Erfinder dieses Angebots zwei Dinge empfohlen:
    Erstens, sich einen Psychiater zu suchen. Für sich selbst.
    Zweitens: einen Fachmann für Heizung - für das Gesetz.
    Was Russell angeht und seine Intelligenten, die Bedenken und Zweifel haben: Es herrscht beim Niedergang der Qualifikation in politischen Führungspositionen so eine Art Gresham's Law ("bad money drives out good money" - die englische Wiki gibt eine gute Darstellung). Je mehr schlechtes Geld im Umlauf ist, desto mehr wird gute Währung zurückgehalten und gehortet.
    Für die Politik bedeutet das: Wenn Leute wie Claudia Roth, Kevin Kühnert, Robert Habeck, und viele viele andere, die keine oder für ihren Job die falsche Ausbildung haben, Karriere machen, dann besetzen sie nicht nur diese Stellen anstelle von Qualifizierteren. Sie schrecken auch Qualifizierte ab - die mit ideologisierten, sich selbst überschätzenden Laien nicht zusammenarbeiten wollen.
    Vor allem aber zeigen sie anderen Unqualifizierten auf, dass man mit Ideologie, Moralgehabe, Lautstärke und der richtigen Vernetzung auch als Walter Mitty an Posten kommen kann, für die man eigentlich ein paar Nummern zu klein ist. Damit ziehen sie andere, gleichartige, nach sich.
    Eine moderne Industriegesellschaft ist wie ein Operationssaal in einer Klinik: Wenn man hier an den entscheidenden Stellen völlig Unqualifizierte werkeln lässt, dann freuen sich nur die Beerdigungsunternehmer.
    In diesem Sinne: flechten wir schon mal einen Kranz für Deutschland, wenn alles so bleibt.

    • Der Hinweis, sich einen Psychiater zu suchen, ist alles andere als satirische Überhöhung! Aber finden sie mal einen, der unabhängig geblieben ist in seinem Denken. Viel wahrscheinlicher ist, dass sie auf einen treffen, der zumindest total eingeschüchtert durch Propagandaoffiziere wie Reschke, Restle & Co. Einige werden sich sogar auf Lesch und Hirschhausen berufen, denn ihre Ärztekammern und -verbände verbieten sich jede Spur von Widerspruch oder Widerstand und sind unsolidarisch im Fall eines Falles. Die Transformation hat ihr Zerstörungswerk vorzüglich finanziert und ihre "Pioniere des Wandels" heißen "Letzte Generation" und "FFF". Es darf in faschistoiden Gesellschaften keinen offenen Dissens geben, jedenfalls nicht ungestraft! Wer will schon verboten oder beobachtet werden?

      • An anderer Stelle schrieb ich hier vor kurzem: zu viel und zu unglaubwürdige Propaganda kann den gegenteiligen Effekt hervorrufen, und ich hatte das Gefühl, dass Deutschland diesem Kipp-Punkt nahe sein könnte. Ein kleines Anzeichen dafür mag es sein, dass die Unterstützung für die Klimabewegung sich in letzter Zeit halbiert (!) hat. Die Berliner Zeitung (25.7.23) spricht von "dramatischen Verlusten über alle gesellschaftlichen Gruppen hinweg". Ich weiss nicht, wie gross das befragte Sample von 'moreincommon.de' war, aber 50% weniger sind schon eine Hausnummer. Das wäre selbst bei wenigen hundert Befragten wahrscheinlich aufschlussreich.
        Wir kennen alle die Beispiele aus der DDR und der SU, wo die Staatspropaganda auch nicht mehr ernst genommen wurde. Bei uns scheint es schneller zu gehen.

    • Wenn man als "Walter-Mitty-Person" in die obersten Ebenen der Führungen (welche auch immer) gelangen kann, dann konterkariert das eigentlich das "Peter-Prinzip" (das doch besagt, dass man nur so weit steigt, bis man die Stufe seiner eigenen Inkompetenz erreicht hat): Man ist dann ganz offensichtlich sogar noch einige Stufen weiter.
      Alles in allem hinterlässt das mit Blick auf die heutigen
      Führungsmann/frau/diversschaften aller Ebenen in dieser unserer Bundesrepublik (Ausnahmen wird es tröstlicherweise vielleicht auch geben) einen katastrophalen Eindruck, vor allem bei jenen, die denken können (und wollen) und doch kaum eine Möglichkeit haben, ihre Denk-Ergebnisse an die Öffentlichkeit zu bringen...
      Vielen Dank, Herr Wendt, für diesen Artikel.

  • Ich fürchte, es ist nicht nur der Walter Mitty Komplex, ich fürchte es ist der, "ich bin indoktriniert - gekauft" , oder "erpresst" Komplex, wobei ich auf Ersteres tippe, denn ich glaube, sie wissen genau was sie unter Anleitung der Great Reset Psychopathen tun. Dass dabei ein Großteil nur benutzt wird, um hinterher einen Tritt in den Allerwertesten zu bekommen, auch dafür scheint es an Intellekt zu fehlen, glauben sie doch, sich soviel Geld und Sicherheit schaffen zu können um auf ewig unantastbar zu werden. Diesen Individuen fehlt das Attribut Mensch zu sein. Wer sich mal mit dem Grundbild Psychopathie beschäftigt hat, wird mir wahrscheinlich zustimmen können.

  • Wille schlägt Vernunft. Immer. Granitener Wille schlägt noch mehr Vernunft. Noch immerer.

  • Habeck: „In der Politik ist Sprache das eigentliche Handeln.“
    Dazu das passende Bonmot: "Nicht das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht.

  • Chapeau! Es muss ein Seelending im Spiel sein, und zwar ein äußerst gefährliches. Gefährlich, weil Seilschaften und Strippenzieher, Phantasten und Oligarchen ins Feld der Politik gedrängt sind, die es um Himmels Willen besser lassen sollten. Ein Politiker der Großen Transformation - ich verwende statt "Transformatiker" lieber "Transformator" -, der in seinen Aufsagern "Die Wissenschaft" bemüht, beweist damit ja grundlegende und eben gefährliche Bildungsdefizite! Der "Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation", wie der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderung sein Hauptgutachten im Jahr 2011 nannte, strotzt von Phantasien und Anmaßungen. Er stellt sogar die Demokratie in Frage, weil er alternativlose Aufgaben der Politik ausgemacht zu haben glaubt, die nicht mehrheitsfähig sind. Hier kommen die "Pioniere des Wandels" ins Spiel, die mit gutem Beispiel vorangehen. Wissenschaftlich, versteht sich! Die Medien und Angela Merkel haben gewusst, weshalb sie das 420-Seiten-Gutachten damals nicht breit und öffentlich diskutiert haben. Heute sind diverse "Räte" (Sowjets) Fakt! Wie bequem, über einen billigen Staatsfunk zu verfügen, der weiß, welche Themen und Prioritäten wohlgelitten sind und welche nicht. Aktuell spielen ein Astrophysik-Satiriker und ein Medizinclown in den öffentlich rechtlichen Medien den Wissenschafts-Ball. Beide sind Menschen die "die Wissenschaft" für ihre Hybris unwidersprochen missbrauchen dürfen und dabei Fernsehmillionäre werden. Sie sind die Gesichter einer verkommenen, korrupten, politisch korrekten Wissenschaft, wie sie die führenden Wärmepumpen- und Perpetuum-mobile-Politiker und Transformatoren sie haben wollen. Welcher unbestechliche Wissenschaftler will sich bei dieser Herrschaft noch eine blutige Nase holen, indem er die Treibhausgas-These falsifiziert und den CO2-Zirkus für eine global(istisch) orchestrierte Manipulations-Kampagne von antidemokratischen Weltorganisationen erklärt? Es gibt gottlob noch eine erkleckliche Zahl von unbestechlichen und demokratischen Bürgern, die sich nicht durch die Staatspropaganda einschüchtern und in die cognitive disability haben treiben lassen. Man kann sich davor schützen, indem man sich konsequent vom Propagandafunk abwendet. Es sind Netz jede Menge qualifizierter und heilsamer Informationsangebote zu finden. Ich persönlich bin froh und dankbar, dass es publicomag.com gibt. (Freundliche Grüße an die Macher.)

  • Endlich kann ich etwas loswerden, was ich schon längst sagen wollte gegenüber den derzeitigen Politikern (und auch den "Helfershelfern", den Leid-Medien (kein Schreibfehler): Sie alle sind REALITÄTSLEUGNER: wäre es anders, würden sie eine im Sinne der Wähler relitätsbezogene Politik machen, die Presse und TV würden, wie vor 15 Jahren, wahheitsgemäß berichten, was ist und wir Bürger müssten keine reale Angst haben um unsere Zukunft. Und das hat wenig zu tun mit dem Klimawandel, da ernstzunehmende internationale Klimatologen absichtlich nicht zu Wort kommen dürfen, vermutlich, weil diese keinen ernsthaften Untergang erkennen können, wie er täglich in der regierungsnahen Presse und TV suggeriert wird. Siehe oben: Realitätsleugner eben.

    Was mich aber umtreibt: Was "Politiker" sich auch immer ausdenken, warum, um alles in der Welt, wehren/protestieren Wirtschaft und Industrie nicht gegen solche "Nachtwandler", die als Ziel den Untergang des Landes mittel- bis langfristig ins Auge gefaßt zu haben scheinen? Eher stellen sie ihren Betrieb ein oder verlassen sogar das Land und verlagern ihre Produktion (ausgerechnet) nach China.

  • "Deshalb werden Klimaforschung oder Gender Studies mehr angezweifelt als Ingenieurswissenschaften oder Archäologie.“ Bei Letzterem täuscht sich die Phantompsychologin womöglich und kann sich berechtigte Anzweiflungshoffnungen machen - sollten es andere der taz nachtun, die von "Nicht-binären Wi­kin­ge­r:in­nen" fabuliert. Vielleicht werden die Bestiarien der romanischen und gotischen Kirchen ja auch demnächst aufgrund neuester Erkenntnisse als 'gemäß der Natur abgebildet' definiert. Zwei der Schrumpfköpfe haben es immerhin schon bis zum Amazonas geschafft - Schmökel Habeck und Diät-Manager Özdemir, der mittlerweile so bedeutungsschwanger dreinschaut, als ob ihm in der nächsten Sekunde der Mehlwurm-Bratling wieder aus dem Gesicht fällt...

    • Der "anatolische Schwabe" C.Ö. hat immer schon dreingeschaut wie ein etwas umständlicher aber von sich überzeugter Oberlehrer. Ich habe mich gefreut ein Video zu sehen, in dem er einem milden "Störer" befahl, die Fresse zu halten. Seine Ergänzung "Wir sind hier in Deutschland!" bleibt mir bis heute unverständlich. Ein Oberlehrer der übelsten Art. Die Überforderung des Berufsaktivisten durch den Umgang mit Menschen außerhalb seiner linksgrünen Blase war ihm in diesem Moment deutlich anzusehen.

  • Hervorragende Analyse!

    Dazu passen die Untersuchungen von Dunning und Kruger
    Kruger, Justin, and David Dunning,
    J. Pers. and Soc. Psych. 77 (1999): 1121
    “Unskilled and Unaware of It: How Difficulties in Recognizing One’s Own Incompetence Lead to Inflated Self-Assessments.”

    Dunning, David, Kerri Johnson, Joyce Ehrlinger, and Justin Kruger.
    Current Directions in Psychological Science 12, no. 3 (June 2003): 83–8
    “Why People Fail to Recognize Their Own Incompetence.” 7.

  • Es fällt nicht auf, dass man den zukünftigen Generationen nichts zutraut, wenn man diesen eine bestimmte Welt überlasse bzw. hinterlässt. Grundsätzlich hinterlassen sämtliche Generationen den nachfolgenden Generationen immer ungefragt irgendwas, was man kritisieren könne. Wer so Leben und Natur wahrnimmt, hat ein negatives Menschenbild und fühlt sich Nachfolgenden intellektuell überlegen. Andererseits sollte die stetig zunehmende Entbildung Warnung sein, dass hier eine selbsterfüllende Prophezeihung stattfindet. Ob dies zufällig oder gezielt ideologisch, ist nebensächlich. Wichtig ist, dass die Manifestation der Dummheit ungebremst weiter geht. Dass das im zivilisierten Westen und nicht z.B. in China, im Iran oder im Südsudan passiert - sollte uns zu denken geben, bevor uns die heilversprechende Propaganda um die Ohren fliegt.

  • Hatten wir schon einmal, so ab 1933. Man hat AH ja immer einen ungesunde Halbbildung vorgeworfen. Unsere oben angesprochenen modernen Akteure haben dagegen eine solide und felsenfeste Ignoranz.

    • AH hätte es nicht gefallen, wenn man bei seinem OEvre den bildenden Künstler und den Buchschreiber unterschlagen hätte. Wäre er doch dabei geblieben!

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