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Der Baukasten des Robert Habeck

Medien loben die Ansprache des Grünen-Politikers zu Israel und Antisemitismus als große, ja historische Rede. Das war sie nicht. Sondern ein Sprechakt, aufgeführt für ein ganz bestimmtes Publikum

Von Jörg Hackeschmidt

Am 2. November stellte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima eine Video-Botschaft von Bundesminister Robert Habeck auf seine Website und bewarb sie auch in sozialen Medien wie „X“ (vormals Twitter). Sie trägt keinen Titel; das neun Minuten und 40 Sekunden lange Video wird als „Rede zu Israel und Antisemitismus“ bezeichnet.

Das dreieinhalb Seiten lange Manuskript lässt sich auch als PDF nachlesen, und zwar in fünf Sprachen: auf Englisch, Französisch sowie Hebräisch und Arabisch, was als ungewöhnlich bezeichnet werden darf. Knapp zwei Wochen später meldet die Nachrichtenagentur AFP, dieses Video habe schon mehr als 42 Millionen Aufrufe erfahren. Robert Habeck kann ohne Zweifel einen kommunikativen Erfolg verbuchen. Statistisch gesehen hat jeder Zweite in Deutschland sein Video angeklickt. Gleichzeitig erfährt man, dass seine Zustimmungswerte wieder steigen. Die hatten in letzter Zeit bekanntlich arg gelitten — aus guten Gründen.

Wie lässt sich sein Erfolg erklären? Und: Ist es nicht ein wenig merkwürdig, dass ausgerechnet der Bundeswirtschaftsminister den Terror-Überfall der Hamas auf Israel sowie die verstörende Zustimmung zu dieser Tat in Deutschland einordnet? Außerdem: Warum wird Habecks Videoclip von vielen als „Rede“, gar als verkappte „Rede an die Nation“ gefeiert?

Dass das mediale Justemilieu Habeck zujubelt, erstaunt nicht. Robert Habeck ist bekanntermaßen seit Jahren eine Art Posterboy derjenigen Kreise, die sich für progressiv oder linksliberal halten. Interessanter ist es, dass auch Zeitungen wie FAZ und Welt in den Jubel einstimmen. Ulf Poschardt, Chefredakteur von Welt und Welt am Sonntag, veröffentlichte bereits Stunden später einen Kommentar mit der Headline „Die neue Radikalität des Robert Habeck“, Poschardt schreibt, Habeck habe eine „Rede an die Nation gehalten“ und darin „die Staatsräson ausdekliniert“. Mit Blick auf Israel und den Antisemitismus in Deutschland sei ihm „eine Rede gelungen, die die Nation verändern kann. Weil sein Sound nicht nur einer einzigen Logik folgt – sondern mit zwei parallelen Codes arbeitet.“ Noch affirmativer reagierte der Mitherausgeber der FAZ, Jürgen Kaube, in einem längeren Stück zu Habecks Videobotschaft (siehe: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/robert-habeck-warum-seine-videobotschaft-neue-massstaebe-setzt-19286643.html).
Interessanterweise weist Kaube zu allererst darauf hin, dass Habeck mit seinen gut neun Minuten das Kunststück gelingen könnte, öffentliche Rede in Deutschland wieder attraktiver zu machen. Er setze „neue Maßstäbe“ in seinem Videoclip. Dass er Habeck auch noch in einem Atemzug mit berühmten Rednern wie Martin Luther King, J. F. Kennedy und W. Churchill nennt — nun ja. Vielleicht sollte an dieser Stelle noch erwähnt werden, dass Habeck in diesem Jahr auf Kaubes Vorschlag den Ludwig-Börne-Preis für Essayistik erhielt. Möglicherweise hält der FAZ-Herausgeber, der den Politiker seinerzeit dafür lobte, „Freiräume durch Nachdenklichkeit“ zu eröffnen, die Rede für den nachgelieferten großen Habeck-Essay, der sich vor der Auszeichnung nicht so recht auffinden ließ.

Es dürften vor allem drei Gründe sein, aus denen Habeck auf so große Resonanz stößt: Er stieß — erstens — in ein kommunikatives Vakuum, das namentlich der Bundeskanzler, aber auch andere Spitzen von Staat und Regierung erzeugt haben. Habeck war der erste Spitzenpolitiker der amtierenden Regierung, der sich ohne die sonst leider so typische Formelhaftigkeit mit dem verstörenden linken, woken und muslimischen Antisemitismus auseinandersetzt. Sicherlich haben sich andere Politiker in Staatsämtern ähnlich geäußert, beispielsweise anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 85. Jahrestag der Reichspogromnacht. Oder wie der Bundeskanzler bei der Einweihung der Synagoge in Dessau am 22. Oktober. Aber das waren Veranstaltungen mit einem eigenen Rahmen und klar umrissenem Publikum. Habecks Kommentierung dessen, was auf Deutschlands Straßen schiefläuft, oder wo Deutschlands Debatten entgleisen, war unter diesen Bedingungen in der Tat eine Art Rede an — oder zumindest eine Klarstellung für „die Nation“.

Zweitens, und da sind wir wieder bei Jürgen Kaube: Habeck ist einer der wenigen Spitzenpolitiker, der uns, das Staatsvolk sowie die interessierte Öffentlichkeit, wie Erwachsene anspricht. Und dabei weitestgehend auf das „Bullshit bingo“, also auf die toten, ausgelutschten und nicht selten unehrlichen Politphrasen verzichtet. Wobei er auch hier ein Feld besetzt, von dem sich andere Spitzenpolitiker fernhalten. Wer die Reden von Willy Brandt und Helmut Schmidt liest oder sich die Videos ansieht, stellt fest, dass es in früheren Zeiten als selbstverständlich galt, zu Bürgern wie zu Erwachsenen zu reden, statt sie wie Zurückgebliebene beziehungsweise Erziehungssubjekte anzusprechen.
Die unklaren Sätze und auch die unausgegorenen Absätze in seiner kleinen Ansprache verzeiht man Habeck, weil er uns unverstellt anspricht und auch klar sagt, was er meint. Ein guter Redner nämlich ist nicht jener, der hochgebildet und in gedrechselten Sätzen spricht, sondern derjenige, der ohne Umwege ausdrückt, was er sagen will. In dieser Hinsicht stellt Habeck den Gegenpart zu Bundeskanzler Scholz dar, der sich weigert, zu erklären und zu kommunizieren und sich nicht selten hinter einem maskenhaften Grinsen versteckt; er ist der Gegenentwurf zum unehrlichen Gedröhne von Bundespräsident Steinmeier — und im gewissen Sinn ein Gegenmodell zur Vernebelungsstrategin Angela Merkel.

Drittens: Wäre die Rede ähnlich aufgenommen worden, wäre sie von Finanzminister Christian Lindner online gestellt worden? Der wäre zwar auch nicht zuständig, verfügt aber zusätzlich über den Posten des Vorsitzenden einer Koalitionspartei. Nun, sicherlich nicht. Abgesehen von der erwartbaren Häme und Niedertracht von Seiten der überwiegend linken und grün-woken Medien, die die FDP bekanntlich ablehnen: Lindner hätte als Absender solcher Worte niemanden überrascht. Mit großer Sicherheit wäre von interessierter Seite eher die Frage aufgeworfen worden, ob eine klare Verurteilung linker Aktivisten und muslimischer Milieus nicht „rassistisch“ sei und „dem Kampf gegen rechts“ schade; und ob die FDP damit nicht den grünen Koalitionspartner über die Maßen provoziere, da es vielfache Verflechtungen der Grünen mit migrantischen Milieus fragwürdiger Provenienz und einer woken Kulturszene gibt. Kurzum: Ein solches Video von Lindner wäre als Provokation, als Besserwisserei oder ähnliches gedeutet worden. Das Besondere an Habecks Rede ist ihr Absender.

 

Der „doppelt codierte Sound“ des Robert Habeck

Es lohnt sich, noch ein wenig genauer auf die Ansprache zu schauen. Wir sehen den Wirtschaftsminister, der in seinem Büro das Ringlicht anschaltet und in seine Handykamera zu einem außenpolitischen Thema Stellung bezieht, das ein hässliches Echo auch in Deutschland hervorruft. Interessant ist, dass Habeck auftritt wie ein Kommentator, der ein Medium nutzt. Der Einstieg in die Rede ist in seiner Unbestimmtheit recht eigenartig und unter professionellen Gesichtspunkten missglückt: Es sei „viel passiert“ seit dem 7. Oktober, vor allem für „die Menschen“. Es gäbe jetzt „so viele Menschen“, deren „Leben von Angst und Leid zerfressen“ würde. Unbestimmter geht’s nimmer. Dann kommt er zu seinem Anliegen: der „öffentlichen Debatte“. Sie, die Debatte, will er, der Vize-Kanzler, im Folgenden „entwirren“. Ist das die Aufgabe oder die Kernkompetenz eines Wirtschaftsministers? Eher nein. Andererseits kann sich jeder, der über eine öffentliche Wirkung verfügt, an der Entwirrung wichtiger Debatten versuchen. Die Frage lautet, ob Habeck das gelingt.

Immerhin bezieht er im Folgenden recht klar Stellung: Antisemitismus sei inakzeptabel, egal, von wem er ausgehe. Antisemitismus gebe es auch bei Linken und bei „jungen Aktivisten“. Die Behauptung, dass Israels Sicherheit Deutschlands „Staatsräson“ ist, sei keine Leerformel. Er fordert die Muslime in Deutschland auf, sich von Antisemitismus zu distanzieren und versucht ihnen zu erklären, dass man nicht selbst Toleranz fordern könne, während man maximale Intoleranz praktiziere. Bei Lichte betrachtet sagt er lauter Selbstverständlichkeiten. Sogar Habeck-Fan Jürgen Kaube stellt beiläufig fest: „Kein Argument in Habecks Rede, das nicht schon zuvor bekannt gewesen wäre“. Spannend ist das alles nur, weil es implizit die grüne Gesellschafts- und Integrationspolitik samt „woker“ Ideologie in Frage stellt. Habeck spricht nicht als Minister, sondern als Leitfigur des grünen Milieus.

Und hier beginnen die Probleme mit der Ansprache. Die Sprecherrolle Habecks führt zu Ulf Poschardts Anspielung auf den „doppelt codierten Sound“ der Rede. Abgesehen davon, dass man das als Redner auf keinen Fall tun sollte – nämlich in Codes sprechen, die man knacken muss, und die nur für bestimmte Kreise gedacht sind – es bedeutet, dass man seine Rede in großen Teilen als Botschaft an die eigene Blase verstehen muss, an Parteifreunde und Anhänger. Aber in welcher Hinsicht? Als Klarstellung? Als Benennung des ideologischen Frontverlaufs? Oder als Beruhigung für das eigene Lager nach dem Motto: Wenn wir mehr oder minder so weitermachen wollen wie bisher, dann müssen wir zumindest das Narrativ anpassen.

Betrachtet man Habecks Einordnung auf diese Weise, dann macht die kurze, reichlich seltsame Passage Sinn, in der er überschwänglich die deutsche Sektion von „Fridays for Future“ lobt: Sie habe im Gegensatz zur internationalen Dachorganisation verstanden, dass die Hamas eine Terrorgruppe sei und diese Selbstverständlichkeit auch „konstatiert“. Das sei „mehr als respektabel“. Aber ist es das? Ist es „mehr als respektabel“, wenn der deutsche Ableger von „Fridays for Future“ um die Millionärserbin Luisa Neubauer erst nach mehreren Tagen und erkennbar widerwillig von der internationalen Mutterorganisation und Greta Thunberg rhetorisch abrückt, die mittlerweile offen antisemitisch agiert und mit der islamistischen Terrororganisation Hamas sympathisiert? Luisa Neubauer ist eine prominente Parteifreundin von Habeck. Was tut also die deutsche Anführerin dieser internationalen Bewegung jetzt: ändert „Fridays for Future Deutschland“ seinen Namen? Kappt Neubauer ihre Kontakte zu Thunberg und ihrem Umfeld? Wie wird die Bundesregierung, wie wird Habeck persönlich zukünftig mit „Fridays for Future“ umgehen? Oder reicht es, „einzuordnen“ und ansonsten ein wenig Gras über die Sache wachsen zu lassen? Dazu schweigt sich Robert Habeck aus. Nach seiner eigenen Erklärung will sich der deutsche Ableger von „Fridays for Future“ nicht von durch Greta Thunberg dominierten Dachorganisation trennen, sondern die Kontakte nur „aussetzen“ – was immer das heißt. Die alleinigen Rechte an dem Namen „Fridays for Future“ liegen seit Juni 2020 bei der Thunberg-Stiftung. Die gequälte Erklärung der deutschen FFF-Sektion klingt so, als würde die Filiale eines international tätigen Bulettenbraters mitteilen, die Kontakte zum Mutterkonzern auf nicht näher beschriebene Weise auf Eis zu legen – um dann aber unter dessen Logo unverdrossen weiter zu wirtschaften, weil ein echter Bruch dem Geschäft natürlich schaden würde.

 

Kein „skin in the game“

Von einer Führungsfigur der amtierenden Regierung dürfte man sich mehr erwarten als Diskurskritik. Habeck besitzt echte politische Macht. Die Grünen sitzen in der Regierung, die sich auf eine Mehrheit im Parlament stützt. Habeck (und seine Partei) sind also politisch am Drücker. Wenn er sich also zu einem drängenden, einem bedrückenden Thema äußert, das nichts mit seiner Ressortverantwortung, aber viel mit seiner so eitel zur Schau gestellten Vize-Regierungschef-Rolle zu tun hat, darf man als Bürger dieses Landes Konkretes erwarten. Zum Beispiel Sätze, die mit den Worten beginnen: „Ich werde jetzt folgendes tun, folgendes anstoßen, folgendes durchsetzen. Ich werde im Licht der Ereignisse dafür sorgen, dass dieses und jenes jetzt passiert.“ Von einem Vize-Regierungschef erhofft sich der Zuhörer die Begründung und Herleitung politischen Handelns und nicht, wie man dieses oder jenes zu finden hat.

Wenn man also behauptet, er hätte sich mit diesem Neuneinhalb-Minuten-Video in eine Reihe großer Politiker eingereiht, dann sollte man auch fragen: Was folgt jetzt daraus? Zu welchen schmerzhaften Kurskorrekturen ist der grüne Häuptling Habeck bereit? Denn das ist der Unterschied zu Politikern wie Winston Churchill, J. F. Kennedy oder Martin Luther King, die Jürgen Kaube in seinem Artikel nannte: Churchill hatte das, was er sagte, in die Tat umgesetzt, eine ganze Nation praktisch allein wieder aufgerichtet und kriegstüchtig gemacht. Kennedy hat nicht bloß vom Mond und der Raumfahrt gesprochen, sondern dafür gesorgt, dass sein ausgerufenes Ziel umgesetzt wurde. Martin Luther King lebte vor, wofür er politisch kämpfte – und bezahlte dafür mit dem Leben. Alle drei hatten das, was Briten und Amerikaner „skin in the game“ nennen: Sie lehnten sich weit zum Fenster hinaus. Sie hatten etwas zu verlieren. Wieviel hätte Habeck als Minister durch das zu verlieren, was er in seiner Rede gesagt hat? Was riskiert er? Was tut er, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen?

Folgenlose Worte machen noch keine große Rede, auch wenn sie in ein Vakuum des verdrucksten Schweigens anderer hineinstoßen.

Wenn also Habeck, wie Poschardt mehr hofft als meint, „den vulgären Multikulturalismus“ mit dieser Videobotschaft wirklich auf eine Weise beerdigt, die „jeden Hauch antisemitischen Gifts zum No-Go erklärt“ — wie ist es dann zu erklären, dass Habeck keinerlei Fingerzeige gibt, was er als Vize-Kanzler nun ändern wird? Welche Gespräche er mit dem Kanzler und der Innenministerin zu führen gedenkt, um Gesetzesverschärfungen zu erreichen oder die Zusammenarbeit mit radikalen Islamverbänden zu beenden? Und hat er eigentlich schon einen Termin mit seiner alten Parteifreundin Claudia Roth vereinbart, die als Kulturstaatsministerin ihre schützende Hand über eine latent oder auch offen antisemitische Kulturszene hält, siehe „Documenta“, deren Findungskommission gerade geschlossen zurücktrat, weil einer ihrer Mitglieder die Bewegung BDS – die Boykottbewegung gegen Israel – unterstützt? Was schwebt ihm vor, um die Unterwanderung deutscher Universitäten mit Hamas-Sympathisanten zu stoppen? Und sind eigentlich seine Parteifreundinnen Annalena Baerbock und Lisa Paus über den neuen Kurs informiert? Das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ berichtet inzwischen, dass die Bundestagsfraktion der Grünen keine Lust habe, dem geplanten Gesetz über erleichterte Abschiebungen zuzustimmen. Redet der Vize-Kanzler nicht mit den Abgeordneten?

Es fällt auf, was Habeck in seiner neunminütigen Ansprache alles nicht sagt. Er verlangt von seiner Parteifreundin Luisa Neubauer nicht den wirklichen Bruch mit der moralisch abgewirtschafteten Thunberg-Truppe. Er fordert zwar die deutschen Muslime in toto zur Distanzierung von der Ideologie des Antisemitismus auf – aber eben nicht Claudia Roth. Er stellt nicht die deutschen Hilfszahlungen in Frage, die in den Gazastreifen fließen.

Nur wenige Tage nach Habecks Rede reiste der immer noch einflussreiche Altvordere der Grünen Jürgen Trittin demonstrativ nach Ramallah, um von dort aus Israel die alleinige Schuld an der „Eskalation“ in der Westbank zu geben. Damit wandelte er auf den Spuren von Hans-Christian Ströbele, der 1991 fand, mit den SCUD-Raketen Saddam Husseins empfange Israel die gerechte Strafe für seine Politik. Nicht zum ersten Mal gewinnen Beobachter den Eindruck, dass die Grünen nach einer Art Baukastensystem ihren verschiedenen Anhängerstämmen nicht nur Unterschiedliches, sondern untereinander Unvereinbares anbieten. Das praktiziert die Partei schon sehr lange, zuletzt bei der weiteren Abbaggerung im Tagebau Lützerath. Damals schafften es die Grünen, sowohl dem Kohleabbau im Landtag von NRW zuzustimmen, als auch den Protest dagegen anzuführen. Sie besetzten einfach beide Positionen. Keine andere politische Kraft käme mit einem solchen Doppeldenk und Doppelsprech durch. Nur die Grünen, dank ihrer Lobredner in den deutschen Medien bis hin zu Blättern, die sich als bürgerlich verstehen.

Am klarsten äußerte sich Eric Gujer, Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, zu Robert Habecks Rede und den Reaktionen darauf. Die eigentlich konventionellen, wenig überraschenden Aussagen Habecks, schrieb er, seien offenbar nicht mehr selbstverständlich in Deutschland. Die Berliner Republik kombiniere mittlerweile „importierten Antisemitismus mit nationalen Eliten, die Israel ambivalent gegenüberstehen“. Habecks Rede mache das deutlich – aber eher ungewollt.

Fazit: Für eine gelungene Rede fehlt der Habeckschen Ansprache das Entscheidende: Sie weist nicht über sich selbst hinaus. Sie kündigt keine Veränderung an, keine Konsequenz. Nicht in der Gesellschaft, noch nicht einmal bei den Grünen selbst. Damit bleibt sie, um das heute so geläufige Wort zu benutzen, ein Sprechakt, eine performative Übung. Genauso, wie es sich bei Trittins Auftritt in Ramallah und bei Neubauers Manöver um performative Akte für ein bestimmtes Publikum handelt.

Deshalb gilt auch im Falle Habecks die biblische Weisheit: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.“

 

 


Jörg Hackeschmidt ist Mitglied des „European Speechwriter Network (ESN)“ und promovierter Historiker. Er arbeitete als Redenschreiber und Grundsatzreferent unter anderem im Bundeskanzleramt und Bundespräsidialamt. Zuletzt war er Mitglied im Leitungsstab von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Seit 2021 ist er freiberuflich tätig.


 

 

 

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15 Kommentare
  • Oskar Krempl
    17. November, 2023

    Zu guter letzt findet sich auch bei Publico etwas verspätet eine Betrachtung zu der Rede von Robert Habek von der ich das erste Mal hier (https://sciencefiles.org/2023/11/02/habeck-spricht-von-hamas-gaza-toten-kindern-angriffen-auf-juden-und-antisemitismus/ ) etwas gehört hatte.
    Ich halte es für höchste signifikant, daß er sich zu einem Them äußert für das er nicht zuständig ist, aber gleichzeitig zu dem von ihm verschuldeten heran rollenden Elend schweigt bzw. sich in plumpe Euphemismen flüchtet.
    Ich habe keinerlei meine dort geäüßerte Meinung zu revidieren, die da lautet
    “Die derzeitige Verwendung des Begriffes Antisemitismus ist schwachsinnig, weil zu den Semiten auch die Araber gehören. Aber Hauptsache die Propaganda kann simplifizierende Begriffe verwenden.
    Zurück zum Artikel. Habeck kann nicht, der ist schlichtweg intellektuell überfordert. Der ist schlichtweg eine Dumpfbacke (thick as a brick).”
    Der dortige Konflikt begann nicht erst am 7.Oktober 2023. Wenn man das Rad der Zeit etwas zurück dreht, stößt man auf eine paar Fakten, die nichts rechtfertigen, aber einiges erklären wie:
    Israel hatte die Hamas zur Zeit ihrer Entstehung finanziell als Gegengewicht zur Al Fatah von Arafat gefördert (“teile und herrsche”). Dann hatt die Hamas die damaligen Wahlen im Gaza-Streifen überraschend gewonnen, die Fatah wollte sie nicht an der Macht beteiligen, kurzer Bürgerkrieg mit einer siegreichen Hamas, danach gab es nie wieder Wahlen.
    Im Westjordanland herrscht eine vollkommen korrupte Fatah (von Israel korrumpiert) die sich dort gegen jede Wahl sperrt, weil sie ihr Ende bedeuten würde.
    Dazu kommen immer aggressivere Siedler (mittlerweile haben sich dort ~ 700.000 Siedler breit gemacht und es werden immer mehr; ist zwar alles nach internationalem Recht illegal, hat aber für Israel keinerlei Konsequenzen).
    Die ganze Region ist ein Pulverfaß mit einer brennenden Lunte.
    Wenn es nicht zu einem Umdenken auf beiden Seiten kommt, wird die ganze Region als ein riesiger Friedhof enden, es ist lediglich eine Frage der Zeit.
    So wie jetzt vorgegangen wird, wird es keinen Frieden geben, die Fatah wird niemals wieder im Gaza-Streifen herrschen. Verschwindet dort die Hamas, kommt ein noch ärgerer Nachfolger zum Zug.
    Die israelische Regierung hat sich in eine Sackgasse manövriert, nicht erst jetzt, sondern schon vor längerem.
    Nur zur Erinnerung, Rabin wurde nicht von einem Araber, sondern einem fanatischen Zionisten ermordet. “Bibi” Netanjahu ist nicht nur der Totengräber der israelischen Justiz, sondern auch des Staates Israel.
    Man könnte sich auch folgendes Video ansehen und anhören, wo ein israelischer Armee-Veteran seine Meinung vertritt:
    https://www.youtube.com/watch?v=1Rk1dAIhiVc
    Man könnte auch die Bücher des jüdischen Historiker Shlomo Sand lesen, um die Situation etwas besser zu verstehen.
    Leider beschreibt wohl dieses Video bei AUF1 die Situation am treffendsten:
    https://auf1.tv/stefan-magnet-auf1/juden-und-moslems-wir-koennen-diesen-krieg-nicht-verstehen-und-nicht-loesen?mc_cid=cd0e7d6238&mc_eid=493a751cc1
    Vielleicht wird jetzt verständlich, warum ich dieser Rede nichts abgewinnen kann und diesen Mann für vollkommen überfordert halte.

    • pantau
      22. November, 2023

      Herr Magnet unterstellt eine Symmetrie des Hasses und der Religiosität zwischen Moslems und Juden. Das halte ich für hinterfotzig und unplausibel. Zum Tragen kommt dabei ein taktischer Umgang mit der Dimension Ausnahme und Regel sowie Aktion und Reaktion. Die Stärke Israels ist, dass sich eine Fülle von Juden zitieren lassen, die redlich und unbestechlich genug sind, auf die Fehler Israels und Entgleisungen hinzuweisen. Aber sie sind die Ausnahme und nicht die Regel, und sie sind Reaktion, nicht Aktion. “Israelis filmen sich dabei, wie sie tote Moslemleichen schänden”. Das sagt Magnet. Wo ist die Quelle für sowas? Hamas?

  • Mina Schreiner
    18. November, 2023

    Diese Rede wurde von professioneller Seite geschrieben und er hat sie lediglich vorgetragen bzw. abgelesen.

  • Rainer Möller
    18. November, 2023

    Man könnte sowohl eine bessere Rede halten als auch einen besseren Kommentar dazu scheiben, wenn man einmal versuchsweise die vulgäre Kampfvokabel “Antisemitismus” durch etwas Präziseres ersetzen würde. Wer “Antisemitismus” sagt, für den reduziert sich Politik auf die Unterscheidung zwischen Freund und Feind.

    • Werner Bläser
      18. November, 2023

      Nein. Antisemitismus ist Rassismus in seiner Reinform. Keine politische Freund-Feind-Unterscheidung. Und zwar echter Rassismus, nichts Mehrdeutiges, nicht die politische Kampfvokabel, die Linke gegen alle und jeden einsetzen, der ihnen nicht passt. Mit politischen Gegnern kann ich diskutieren, mit Rassisten nicht.

      • pantau
        22. November, 2023

        Ich verstehe auch grundsätzlich nicht, warum man einen Begriff korrigieren müsste, bei dem es sowohl von Täter- als auch von Opferseite nie zu Mißverständnissen gekommen ist. Ein Antisemit hat noch nie die Araber gemeint und ein Jude kann damit rechnen, dass ein Antisemit unter 1000 Arabern den einen Juden findet. Jeder weiß auch, dass ein Zitronenfalter keine Zitronen faltet. Science files hatte sich groß und breit darüber ausgelassen, dass der Begriff so unscharf sei. Ich fand den Text wirklich idiotisch, auch wenn ich science files sonst sehr schätze.

  • Karsten Dörre
    18. November, 2023

    Wenn der Bundeswirtschaftsminister eine “Rede an die Nation” zur Innen- und Außenpolitik Deutschlands hält, dann ist diese Bundesregierung regierungsunfähig, in denen sich Minister in anderen Bereichen austoben. Erschwerend kommt hinzu, dass der Bundeswirtschaftsminister seinen Job im eigenen Ressort nicht macht. Dazu gehört, dass er alles unternehmen muss, dass die nationale Wirtschaft nicht abgewickelt wird. Und falls es richtig sei, dass diese Rede nötig war, dann sollten die Grünen den Staatsstreich oder den Koalitionsbruch wagen, wenn sie vom Bundeskanzler nichts erwarten.

  • Eloman
    18. November, 2023

    Bei aller Richtigkeit vieler Sätze aus Habecks Rede klang der Ton, in dem sie von ihm vorgetragen wurde, doch eher wie der des Vaters, der Malte-Torben im Restaurant darauf hinweist, dass es nicht richtig ist, die Gäste am Nebentisch mit Erbsen zu beschießen.

  • A. Iehsenhain
    20. November, 2023

    Habecks Umfragewerte sollen nach seiner Rede gestiegen sein? Das wäre ziemlich obszön. Andererseits könnte er es gerade gut gebrauchen, denn Vizekanzler ist er nicht länger – das ist seit 17. 11. 2023 Olaf Scholz, der nach dem Pressetermin Bundeskanzler Erdogan hinterherdackelte. Mit Habeck bekommt “KI” eine neue Bedeutung – ‘Künstliche Israelsolidarität’…

  • Wiesler
    21. November, 2023

    Wegen solcher Beiträge schaue ich täglich bei Publico vorbei. Derartiges hätte man früher vielleicht beim “Spiegel” lesen können. Nun eben hier.

  • pantau
    22. November, 2023

    Was mir ungeheuerlich auf die Nerven geht, ist die Behauptung, mit dem Staatsräsongefasel und den kurz gestreuten Schlagzeilen kurz nach dem 7. Oktober sei der mainstream plus Regierung pro Israel. Beide sind nicht mal neutral. Das ist nur der Firnis von Lippenbekenntnissen. Es gibt die über Jahrzehnte gehenden Studien zur Frage, ob die Nahostberichterstattung neutral ist. Schon im phoenix Interview mit dem israelischen Botschafter war der Firnis abgeplatzt.

    Habecks Rede ist ein weiteres Elaborat von Lippenbekenntnissen. Die Grünen sind Antisemiten und der “Konflikt” da unten ist der Abwehrkampf eines demokratischen Staates gegen einen Hass, der sich aus einem Buch speist, das als Religion fehlbezeichnet wird und eher “Mein Kampf Version 1.0” ist. Es ist vollkommen irrelevant für einen Antisemiten oder Rassisten, ob die verhasste Rasse gegen ihn Unrecht tut oder in welchem Ausmaß. Die Palästinenser würden auch dann Israel auslöschen wollen und ständige Angriffe fahren, wenn sie sich noch nie gewehrt hätten und ihre Landfläche nochmals halbiert hätten. Das ist doch die einfache Wahrheit. Ich sehe da keine “Komplexität”.

    • Leonore
      29. November, 2023

      @pantau
      “Die Palästinenser würden auch dann Israel auslöschen wollen und ständige Angriffe fahren, wenn sie sich noch nie gewehrt hätten und ihre Landfläche nochmals halbiert hätten.”

      Es ist in der Tat noch schlimmer.
      Die Palästinenser würden auch dann Juden hassen und umbringen wollen, wenn es Israel überhaupt nicht gäbe.
      Woher ich das weiß? Weil der Judenhaß der Muslime nicht 70, sondern 1 400 Jahre alt ist.

      Mohammed hat laut meinem Professor für Mittlere Geschichte die Juden “mit unversöhnlichem Haß verfolgt”, seit sie ihn ausgelacht hatten, nachdem sie Irrtümer über die jüdische Geschichte und Namensverwechslungen in den angeblichen Offenbarungen gefunden hatten. Der Professor sagte wörtlich: “Das war das folgenschwerste Lachen in der Weltgeschichte.”
      Diese Vorlesung fand lange vor 9/11 statt, der Islam war noch kein Problemthema.

  • Hajo Blaschke
    22. November, 2023

    Sorry, Semiten sind Araber, und Misrachim, aber keine Aschkenazi. Das kann man aus politischen Gründen bezweifeln, ist aber hinreichend wissenschaftlich bewiesen. U.a. von Artur Koestler und Shlomo Sand.
    Im übrigen, wer Churchill als großartiges Beispiel anführt, weil er die Briten 1941 kriegsgeil gemacht, tappt wohl in Geschichte herum wie ein Blinder im schwarzen Kasten. Churchill war der Hauptkriegstreiber und kann nur als Kriegsverbrecher in die Geschichte eingehen.

    • Materonow
      27. November, 2023

      Churchill tat das, was aus britischer Sicht lebensnotwendig war; einem gefährlichen Schreihals und Irren Paroli zu bieten mit allem, was ihm zur Verfügung stand. Er tat das, was notwendig war. Punktum!

  • Materonow
    27. November, 2023

    Habeck hat Selbstverständlichkeiten hinausposaunt und schon sowas gilt als politische Heldentat.
    Btw., man hätte solche Rede von Herrn Steinmeier oder von der Schlaftablette Scholz erwartet, aber da kam bekannterweise nichts.
    Müssen die islamischen Hetzer irgendwelche gravierenden Konsequenzen aus ihrer widerlichen Jubelei befürchten? Vermutlich nicht. Man erinnere sich an den Jubel aus den Staaten Islamistans, nachdem die Türme zusammenstürzten. Das wurde schnell unterbunden, weil man Uncle Sams Rache fürchtete. Vor dem Politzwerg Deutschland muß sich niemand fürchten.

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