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Voyeure der Gewalt

Unter westlichen Intellektuellen finden Täter der Hamas fanatische Unterstützer. Könnte es sein, dass die Rechtfertigung selbst extremer Gewalt nicht in erster Linie einer Ideologie entspringt, sondern einem bestimmten Persönlichkeitsmuster? Das würde die lange Beziehung zwischen Feinsinn und Blutbad besser erklären als der Blick auf Parolen und Ideen

Intellektuelle halten sich von Natur aus für Solitäre. Unterschiede entdecken sie wechselseitig sehr viel leichter als Ähnlichkeiten.

Aber diese Ähnlichkeiten gibt es, und nicht alle lassen sich mit der Konformität gerade im Medien- und Wissenschaftsbetrieb erklären. Patrick Bahners, Feuilletonist und Postkolonialismusreferent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, veröffentlichte kürzlich einen Kommentar auf X, vormals Twitter, an dem sich ein Wesenszug beschreiben lässt, der bei einem bestimmten Typus westlicher Intellektueller häufiger vorkommt als in der restlichen Gesellschaft. Jedenfalls entfaltet er sich in ihren Kreisen, während er bei anderen, die keinen Zugang zu den Mitteln der Meinungsproduktion besitzen, vielleicht auch existiert, aber stumm bleibt. Bahners äußerte sich zu den an Universitäten von Kalifornien bis Berlin vorgetragenen Forderungen, den Nahen Osten ‘from the River to the Sea’ zu dekolonisieren, Tel Aviv zu bombardieren und überhaupt eine ‘endgültige Lösung’ für das Problem Israel zu finden. Aus dem Mund erregter Bürgerkinder klingt das so: „There is only one solution/intifada, revolution.“ Der stets feinsinnige Redakteur der FAZ unterbreitete nun eine Deutung dieser Losungen, vielmehr einen Vorschlag:

„Es bedeutet ja auch nicht notwendig die ‚Auslöschung‘ Israels. Es bedeutet zunächst nur, dass ein sog. freies Palästina an die Stelle des Staates Israel treten soll. ‚Auslöschung‘ suggeriert gewalttätige, sogar genozidale Mittel.“

Diese Mittel wünscht Bahners nach eigener Erklärung nicht ausdrücklich, wenn in Gang kommen sollte, was er für wünschenswert, unvermeidlich oder zumindest legitim hält, nämlich die Beseitigung des weltweit einzigen jüdischen Staates. Seine Argumentation läuft darauf hinaus, dass die nach wie vor realexistierende Hamas auf die Selbstaufgabe Israels womöglich – denn wer kann schon in die Zukunft schauen – ganz anders reagieren würde als bei ihrem kurzzeitigen Vordringen auf israelisches Kernland am 7. Oktober 2023. Vielleicht würden die Anhänger Yahya Sinwars einige hunderte oder auch zehntausende Bürger des sog. freien Palästinas massakrieren und auch vor arabischen Israelis nicht haltmachen, die ihnen als Verräter gelten, aber dann noch knapp vor der genozidalen Schwelle zurückschrecken.

Möglicherweise, so Bahners’ These, endet die Existenz Israels also nicht mit der kompletten Auslöschung seiner Bevölkerung. Dass spätestens nach dem 7. Oktober 2023 fast alle Israelis unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung nicht wünschen, dass irgendetwas anderes an die Stelle ihres Staates tritt, spielt in den Überlegungen des Feuilletonisten von vornherein keine Rolle. Ihm geht es wie anderen Verantwortlichen in den Medien und im akademischen Betrieb um Kontingenz, also um das Durchspielen von Möglichkeiten unter der Annahme, alles könnte sich auch ganz anders verhalten, wobei es fremden Leuten zufällt, die Sache ganz praktisch auszuprobieren beziehungsweise zu ertragen. Er in der Pariser Straße kann nur Denkräume öffnen. Aus seiner Mitteilung sticht die Abneigung gegen Gewalt hervor, wozu auch der Wunsch gehört, die Details nicht aus unmittelbarer Nähe ansehen zu müssen.
Dieser Typus, den Bahners noch in einer relativ milden Form verkörpert, kommt seriell vor. Als Russell Rickford, Geschichtsprofessor an der Cornell University, in einer Ansprache erklärte, er fühle sich „berauscht“ und „energetisiert“ von der Nachricht über die Massaker der Hamas in Israel, teilte er seinem applaudierenden Publikum wenige Minuten später mit: „Ich verabscheue Gewalt, so, wie Sie es auch tun.“ Rickford hielt diese Rede zu einem Zeitpunkt, als es noch gar keine massive Gegenreaktion des israelischen Militärs gab, er griff also gar nicht zu der Genozid-Behauptung, mit der Studenten in New York und Berlin heute ihr burn Tel Aviv to the ground rechtfertigen. Ihm ging es um die reine Feier des Schlachtfests vom 7. Oktober – aber eben aus der Distanz.

Judith Butler, die bei einer Veranstaltung in Paris die Morde an 1200 jüdischen Zivilisten zum „bewaffneten Widerstand“ erklärte, legte ebenfalls Wert auf die Feststellung: „mir gefiel das nicht“, womit sie sich auf die praktische Ausführung dieses Widerstands und vor allem die Videoaufnahmen bezog, mit denen die Hamas ihre Taten dokumentierte. Als ein Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) bei Naika Foroutan, Professorin an der Humboldt-Universität Berlin und Leiterin des Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung anfragte, warum sie zwar viele verurteilende Worte über den Polizeieinsatz gegen die antisemitischen Studenten an ihrer Hochschule und selbstverständlich gegen das Vorgehen Israels im Gazastreifen verliere, aber kein einziges über den körperlichen Angriff auf eine DIG-Vertreterin durch eine Islamistin an der Universität Hamburg, antwortete die Migrationsexpertin, selbstverständlich verdamme sie auch diese Gewalt (die Frau vom DIG musste anschließend im Krankenhaus behandelt werden). Sie lehne gewalttätige Übergriffe generell ab, so Foroutan, sie werde aber auch weiter hinter der Forderung ‚free Palestine“ stehen. Von wem genau dieses Palästina befreit werden sollte, buchstabierte sie nicht aus. Die Akademikerin schrieb vor einigen Monaten in einem Beitrag für Focus Online über Deutschland: „es gehört niemandem per se“. Für das Gebiet zwischen Jordanfluss und Mittelmeer gilt das ihrer Ansicht nach offenkundig nicht. Das ZDF berichtete über die Prügelattacke in Hamburg übrigens unter der Überschrift „Streit nach Vorlesung zu Antisemitismus“.

Die Praxis von Intellektuellen, die persönlich kein Blut sehen können und deshalb die eigentliche Arbeit von Subunternehmern erledigen lassen, reicht weit in die Vergangenheit. Als Jean-Paul Sartre 1954 von seiner Rundreise durch die Sowjetunion zurückkehrte, verkündete er nicht nur, dort, in der Heimat der Werktätigen, herrsche eine „vollständige Freiheit der Kritik“, sondern auch, er werde jedem in die Fresse hauen, der etwas anderes behaupte.
Selbstredend legte er nie selbst Hand an, obwohl es nicht wenige Leute gab – sogar in der Intelligenzia –, die mit ganz anderen Eindrücken aus der UdSSR zurückkamen, beispielsweise Arthur Koestler. Sartre verbreitete nach 1944 die autobiografische Legende, er hätte unter der deutschen Besatzung in der Résistance gekämpft, vor allem „mit der Waffe des Theaters“. Sein 1943 entstandenes Stück „Les Mouches“ (Die Fliegen) beispielsweise sei eine codierte Attacke auf den Nationalsozialismus gewesen.

Jules Eden und Alex Clarke notierten in ihrer sehr britischen Polemik „50 Reasons to Hate The French“, Sartres NS-Kritik sei offenbar so gründlich camoufliert gewesen, „dass sie eine bewundernde Besprechung in der Zeitschrift ‚Das Reich‘ erhielt, die Goebbels persönlich herausgab“. Eine ganz und gar unverschlüsselte Abrechnung Sartres mit dem Dritten Reich erschien im August 1944 in der Zeitschrift „Combat“, ziemlich genau in den Tagen, als amerikanische Truppen in Paris einrückten. Sartres englischer Biograf Ronald Hayman bemerkte, der Philosoph und seine Gefährtin Simone de Beauvoir seien „im gleichen Moment auf die Seite der Resistance gewechselt wie die Polizei von Paris“.

Zur Geschichte speziell der französischen Intellektuellen gehört auch die offene Bewunderung vieler hommes de lettres für das Dritte Reich, zumindest in einer Zeit, als Hitler noch triumphierte. Eine große linksrheinische Delegation erschien 1941 auf Einladung des Vorsitzenden der Reichsschrifttumskammer Hanns Johst beim Weimarer Dichtertreffen, unter ihnen Pierre Drieu la Rochelle, Robert Brasillach, André Fraigneau und Jacques Chardonne. Joseph Goebbels, eigentlicher Organisator des Treffens, veranstaltete für die Gäste ein festliches Abendessen.

Der 1893 geborene Drieu de Rochelle durchwanderte als Intellektueller das gesamte Spektrum des Totalitarismus; in jungen Jahren neigte er dem Sozialismus zu, danach entdeckte er im Nationalsozialismus die wahre europäische Bewegung; in seinen kurz vor seinem Suizid 1945 entstandenen Notizen drückte er seine Hochachtung für Stalin aus. Mit zivilen Gesellschaftsformen wusste er zeitlebens nichts anzufangen. Die Linie neuzeitlicher Denker, die massenhafte Morde ausdrücklich anregten, als bedauerliche Notwendigkeit rechtfertigten oder wissentlich ignorierten, aber stets auf einen Mindestabstand zum eigentlichen Gemetzel achteten, lässt sich bis zur Jakobinerherrschaft zurückverfolgen.

Das führt zu einer grundsätzlichen Frage: Könnte es sein, dass es sich bei der intellektuellen Rechtfertigung von Gewalt in vielen Fällen gar nicht um ein Mittel zum Zweck handelt, sondern um etwas Ursprüngliches? Ein bestimmter Typus europäischer Denker empfindet Bewunderung selbstredend für sich selbst, gleich danach aber für Gewalt, die andere ausüben, wobei offenbar die Regel gilt, dass die Faszination mit der Grausamkeit der unmittelbaren Täter zunimmt. Gegen wen sich die jeweilige Vernichtungsaktion richtet, ergibt sich eher als nachgelagertes Problem aus der jeweiligen Zeitströmung, als dass die Frage am Anfang der Wirkungskette stünde. Es besteht entfernte Ähnlichkeit zwischen diesem Persönlichkeitszug und dem Voyeurismus: Hier wie da geht der Reiz von dem aus, was andere tun, aber auch vom eigenen Abstand – nie so dicht, um selbst in die Handlung verwickelt zu werden, aber immer noch nah genug, um mit den anderen ein symbiotisches System zu bilden. Von den konventionellen Voyeuren unterscheiden sich die Intellektuellen in ihrer Distanzbeziehung zur Gewalt dadurch, dass sie nicht nur passiv zuschauen, sondern das Schauspiel der Grausamkeit begründen, verteidigen, stimulieren und in manchen Fällen überhaupt erst die Idee dazu liefern.

Die Geschichte der europäischen Wortführer, Ideenkonstrukteure und Ideologieschöpfer bietet eine Fülle von Beispielen für die innige Beziehung zwischen Edelsinn und Blutbad, angefangen von den Theoretikern und Antreibern des französischen Revolutionsterrors über die Bewunderer der kommunistischen Diktatur, des italienischen Faschismus und des Nationalsozialismus, des Maoismus, der killing fields von Pol Pot und der Rechtfertigung der Roten Brigaden wie der RAF bis zur Verklärung von Hisbollah und Hamas. Es gab unter ihnen exquisite Fälle wie Luise Rinser, die in ihrer Jugend Huldigungsgedichte an Hitler schrieb, um dann in Kim Il-sung ihr neues Idol zu finden und die Humanität der nordkoreanischen Straflager zu loben, was die Grünen wiederum nicht davon abhielt, sie 1984 zu ihrer Bundespräsidentenkandidatin zu machen. Zwischen 1789 und der Gegenwart finden sich vergleichsweise nur wenige öffentliche Denker, die Gewalt gegen diese oder jene Gesellschaftsfeinde von Grund auf ablehnten, auch dann, wenn andere die Arbeit verrichteten. Michel Houellebecq gehört zu den wirklich raren Intellektuellenexemplaren: Er flirtete nie mit einer totalitären Ideologie, auch nicht in seiner Jugend. Bis heute versteht er sich ausdrücklich als Verteidiger der normalen Leute, natürlich in dem Bewusstsein, dass schon die Wendung ‚normale Leute‘ bei den meisten seiner Kollegen Brechreiz auslöst.

Der ideelle Überbau, der zu Massenmorden ermunterte, um sie dann durch Rabulistik abzusichern, stellte immer den wichtigeren Teil des Terrors dar. Mit dem Begründungsapparat für die gerechte Gewalt, an dem schon Jean-Jacques Rousseau mitbastelte, mordete es sich für die Revolutionstruppen in der Vendée erheblich leichter, nämlich mit gutem Gewissen. Die jakobinische Guillotine brauchte neben dem realen Schmierfett auch intellektuelles Gleitmittel, und sie bekam davon mehr als genug. Um in die Gegenwart zu springen: Ohne die Rechtfertigungsformeln aus dem Westen, ohne die Kostümierung der Hamaskader als postkoloniale Kämpfer, ohne die von tausenden westlichen Professoren, Studenten und Journalisten verbreitete Terrorapologetik gäbe es die Geldströme aus den Kassen westlicher Staaten nicht, die über Umwege an die Terrororganisation fließen, jedenfalls längst nicht in diesem Ausmaß. Und auch nicht den immer nachdrücklicher vorgetragenen islamischen Machtanspruch im Westen selbst.

Die Frage, ob es sich bei der Bewunderung eines bestimmten Intellektuellentypus für Massengewalt um einen grundlegenden Affekt oder vielmehr Defekt handelt, ist nicht banal. Denn das würde die Ausbrüche von Massengewalt durch die Jahrhunderte besser und vollständiger erklären als die Überzeugungssysteme selbst. Und auch den Umstand, dass die Geschichte der Massenmorde früherer Zeiten viele formal hoch gebildete Sinnverwalter nicht von der Bewunderung von Gewalteruptionen in ihrer eigenen Generation abhielt. Das gilt bis in die Gegenwart, in der die öffentlichen Debatten unentwegt um Achtsamkeit, Sensibilität, Traumatisierung und körperliche Unversehrtheit kreisen, und zwar nirgends so hingebungsvoll wie in Universitäten, Redaktionen und im Kulturbetrieb. Mit der These von der ursprünglichen Gewaltanbetung und der sekundären Idee lässt es sich auch leichter verstehen, warum sich so viele Figuren aus dem Milieu, die noch jede Erbse der strukturellen Gewalt durch zehn Matratzen spüren, dem radikalen Islam in die Arme werfen, warum Studenten an der Cornell University, die sich bisher kaum um Religion scherten, auf einmal kollektiv auf dem Campus gen Mekka beten. Das, was sie umarmen, steht zwar gegen alles, was sie sonst glauben, von der Vielzahl der Geschlechter bis zum Dauerkampf gegen das Patriarchat. Aber ihre Bewunderung für eine virile Eroberungsideologie mit ihrer positiven Einstellung zur Gewalt drängt bei ihnen offenbar alles andere zur Seite, eben deshalb, weil diese Zuneigung bei ihnen aus einer sehr tiefen Persönlichkeitsschicht kommt.
Mit dieser Annahme lässt sich auch eine Person wie Russell Rickford besser lesen. Ihm rutschte bei seiner Rede etwas heraus, was aus seinem Urinneren kam, als er rief, die Nachricht von dem Hamas-Massaker habe ihn berauscht. Erst etwas später meldete sich sein Professoren-Ich mit der Formel, er verabscheue natürlich Gewalt, die in Wirklichkeit nur bedeutet: Er verabscheut es, sie selbst auszuüben. Niemand fühlt sich berauscht und energetisiert von etwas, das er aus Prinzip ablehnt. Wenn bei Gewaltverherrlichung und Gewaltanstiftung psychologische Faktoren eine große und wahrscheinlich unterschätzte Rolle spielen, dann heißt das zum einen: Das Phänomen sitzt sehr tief und fest in der menschlichen Matrix. Es verschwindet vermutlich nie. Andererseits hilft ein besseres Verständnis für bösartige Prozesse denjenigen, die sie bekämpfen oder wenigstens eindämmen wollen. Das hieße, die oft gut getarnte Menschenfeindlichkeit bestimmter Ideologien nach wie vor offenzulegen, aber mindestens genauso darauf zu achten, wer sie verbreitet. Wenn die eigentlichen Gründe tief liegen, müssten auch die Gegenmittel tief ansetzen. Gegen den Diversitätsbegriff der Wohlgesinnten lässt sich im Einzelnen vieles vorbringen, aber hauptsächlich das Argument, dass er Diversität auf einem Gebiet sucht, wo sie fast nichts bedeutet. Wer die Selbstzerstörung von Institutionen verhindern will, muss nicht zuerst auf die Verschiedenheit von Hautfarben und Geschlechtsidentitäten achten, sondern auf eine ausreichende Varianz an Persönlichkeitstypen, gerade in der Sinnproduktion. Die Gefahr für die Gesellschaft beginnt dann, wenn sich in Universitätsleitungen, Redaktionen und sonstigen Gremien Personen mit sehr ähnlichen destruktiven Wesenszügen sammeln. Dass sie sich in Hautschattierung und Chromosomensatz unterscheiden, mildert das Problem nicht im Geringsten.

Möglicherweise kommen einmal Zeiten, in denen ein aufgeklärtes Verständnis von Vielfalt herrscht. Und mit sehr viel Glück entsteht irgendwann sogar ein gesellschaftlicher Ächtungsreflex gegen feinsinnige Gewaltvoyeure. Aber hier spricht wahrscheinlich schon die reine Illusion.

 

 

 

 

 

 

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Kommentare anzeigen (24)

  • Der (sehr gute!) obige Artikel berührt ein Gebiet, das auch vom Volksmund (also diesseits des Intellektuellenzirkels) verächtlich bedacht wird. Dort heißt es über einen Teil der Mitmenschen: "Wenn die jemandem nicht gewachsen sind und Angst vor ihm haben, ja, ja, dann machen die sich zu dessen Freund."
    Feigheit und Arschkriecherei können sich auch in intellektuellen Bahnen zeigen, wortreich geblümt und kaschiert.
    Es ist nicht verwerflich, Angst zu haben. Aber es ist verwerflich, so (also mit Feigheit und Arschkriecherei) mit seiner Angst umzugehen.

  • Ich denke, dass zu diesem Persönlichkeitsprofil die unterschwellige Einsicht in die eigene Bedeutungslosigkeit und fehlende Eigenwirksamkeit gehört, also ein Selbstwertdefizit. Ein fruchtbarer Boden für die Bildung einer narzisstischen Störung. Dieser Typus sammelt sich deshalb auch nicht von ungefähr in Universitäten, Verwaltungen oder Parteien, wird dort geradezu gepäppelt. Dieses schafartige Dasein ohne Verantwortung für das eigene Tun ist aber ein unterbewusster Leidensdruck für diese Exemplare, und fordert Kompensation. Was läge da also näher, als in das Hemdchen einer möglichst drastischen/grausamen und wirkungsvollen Aktion zu schlüpfen, um damit Eigenwirksamkeit zu simulieren? Ein sich selbstverstärkender Teufelskreis für diese Patienten, nichts anderes sind sie, denn an der Tür klopft schon die Scham und Schmach bezüglich der eigenen Feigheit, der sich das Bewusstsein durch Verdrängung oder Projektion erwehren muss (Abwehr).
    Leider fällt mir, wie Ihnen, Hr. Wendt, dazu auch keine generelle Lösung ein; außer vielleicht, den täglichen individuellen Kampf gegen diese Dummköpfe stoisch fortzuführen.
    Wie gewohnt guter Text, Hr. Wendt.

  • Sehr gute Analyse, werter Herr Wendt! Die "feinsinnigen Gewaltvoyeure"! Ja, ich bin auch überzeugt, dass es sie als Typus gibt. Sie sind zumeist solitäre Narzissten, unfähig, emotionale Bindungen einzugehen, mit einer Faszination für entgrenzte Gewalt. Gleichzeitig mimosenhafte Sensibelchen, die keiner Fliege ein Bein ausreißen könnten. Es sind kranke, bösartige Charaktere, von denen man nur wünschen kann, dass sie niemals in eine einflussreiche Position kommen mögen - aber genau dahin drängt sie ihr Narzissmus und ihre einzigartige Besessenheit.
    Ein weiteres Beispiel, die Koriphäe der Zwölftonmusik mit seiner plötzlich aufflammenden Faszination über den spektakuläer Untergang der Zwillinstürme von New York, ich meine, Karlheinz Stockhausen, der voller Inbrunst von sich gab: "Also was da geschehen ist, ist natürlich - jetzt müssen Sie alle Ihr Gehirn umstellen - das größte Kunstwerk, was es je gegeben hat."
    Dass sich in den Türmen Menschen befinden könnten, kam diesem hypersensiblen Cretin nicht in den Sinn.
    Dagegen möchte ich an meinen leider früh verstorbenen Schwager erinnern, er war ein begnadeter Fußballer und sensibler Ballkünstler - gleichzeitig war er der Metzger im Dorf, der auch die Hausschlachtungen machte. Er tötete Schweine und Rinder, nahm sie gekonnt auseinander und machte eine allseits geschätzte hausmacher Wurst. Er konnte den Anblick menschlichen Blutes nicht ertragen und hatte eine leichte Neigung zu Depressionen. In ihm würde ich einen natürlichen Antipoden zu all den Intelligenz-Bestien der Stockhausens und Bahners sehen! Er hatte lediglich Hauptschulbildung, aber durchaus sehr sensibel, feinsinnig - gleichzeitig grob-schlächtig, im eigentlichen Sinn des Wortes, ihm wäre niemals die Verherrlichung einer Barbarei in den Sinn gekommen.

  • Hinter all den intellektuellen Begründungen fürs Morden und Töten der Anderen schaut am Ende immer die mehr oder weniger klammheimliche Schadenfreude unglücklicher Kinder hervor. Eine Rachefantasie, die für einen kurzen Moment das Feuer all der niemals verarbeiteten Kränkungen in der Kindheit dieser Unglücksmenschen runter kühlt ohne dieses Feuer jemals löschen zu können. Ein Kichern und Kieksen hinter vorgehaltener Hand über das Unglück, dass einen dieses mal selbst nicht trifft. Ein kurzer Rausch, ein wenig Schämen danach, und dann der Wunsch nach mehr.

  • Eine sehr interssante Überlegung, ein seelischer Gewaltvoyeurismus der Intellektuellen.

  • Ein brillanter Artikel. Ein Thema das ein Buch verdient.
    Spontan fiel mir Karlheinz Stockhausen ein, der zu 9/11 meinte:
    „Also was da geschehen ist, ist natürlich – jetzt müssen Sie alle Ihr Gehirn umstellen – das größte Kunstwerk, was es je gegeben hat …“
    „Das sind also Leute, die sind so konzentriert auf dieses eine, auf die eine Aufführung, und dann werden fünftausend Leute in die Auferstehung gejagt. In einem Moment“.
    Auch er vergaß nicht hinzuzufügen: „Das könnte ich nicht“.

  • Kluge Betrachtungen, die von Reinhard Mohr in der heutigen Ausgabe der "Neuen Zürcher Zeitung" ergänzt werden.
    Das Verhältnis von Intellektuellen und der Macht ist seit langem Gegenstand von Untersuchungen.
    Tenor der Schriften: geht es um eine wie auch immer geartete Teilhabe an realer Macht, um die eigene Karrierechancen oder auch nur darum, im Strom mitzuschwimmen, verlieren allzu viele "Menschen des Geistes" alle Hemmungen und moralischen Standards (sofern zuvor vorhanden).
    Wenige sind es jedoch, die konkret zur Tat schreiten, sie schauen lieber von ihren Elfenbeintürmen aus sicherer Distanz den großen Transformationen zu (und suchen für sich selbst das Beste herauszuholen)
    Streng genommen handelt es sich bei den "propalästinensischen" Studenten aus gutem Hause, den höheren Töchtern, die für die "Klimarettung" und die eigene Karriere brennen, bei verbeamteten Wissenschaftlern oder gut bestallten Journalisten natürlich nicht um Intellektuelle, sondern im großen und ganzen um mediokre Mitläufer.
    Die Cleveren verlassen den Zug, sobald es brenzlig wird, andere dagegen sind Kanonenfutter und die große Mehrheit der anständigen Menschen hat von diesen Gestalten nichts Gutes zu erwarten.
    Die eigentlichen Strippenzieher bleiben häufig im Hintergrund und warten ab, bis "ihre Zeit gekommen ist".
    Nichtsdestotrotz ist es dringend nötig, dem gegenwärtigen Unwesen an den Hochschulen und dem sich immer offenerer artikulierenden Antisemitismus im öffentlichen Meinungsbild entschlossen entgegen zu treten. Passiert leider viel zu wenig.

  • Es besteht zumindest die Vermutung, dass verschiedene Menschen bestimmte Neigungen haben, siehe u.a. Sozio- und Psychopathen, oder eben auch die von Ihnen, Herr Wendt, geschilderten. Die Nazis/SS waren stolz darauf, „immer anständig geblieben“ zu sein, während Juden von ihnen willentlich ermordet wurden.

    Die Menschheit schiebt gerne Fehlverhalten auf den „Teufel“ etc. Dabei haben wir alle, „ach, zwei Seelen in unserer Brust“. Eine gutwillige und eine Abgrund tiefe und böswillige Seele. Jeder weiß, dass, um Fleisch zu essen, anderes Leben dafür sterben muss. Jedes Lebewesen muss es mehr oder weniger tun, um zu existieren. Ja, auch Hasen und Kühe müssen lebende Pflanzen essen, deren Leben muss daher auch geopfert werden. Es ist wohl ein Teufelskreis, der sich tragisch ewig wiederholt. Danke dennoch für die Benennung des Phänomens.

  • Sehr treffende und gut beobachtete Analyse, Herr Wendt. Wir haben es demnach mit einer RATIONALISIERUNG von Gewalt zu tun; das Verpackungs-Material zur Legitimierung von Gewalt ist – mal wieder und im Grunde immer – pure Ideologie. Und zwar so, wie man s gerade braucht.
    Die Umsetzung und Anwendung der Gewalt erfolgt arbeitsteilig: Der Intellektuelle sorgt für die Propaganda und die Umsetzung wird „outgesourct“.
    Herrlich, die Formulierung von dem Milieu, das „jede Erbse der strukturellen Gewalt durch zehn Matratzen spürt“, aber mit erschreckender Kaltblütigkeit zu einem monströsen Blutbad der Hamas mit Standing Ovations applaudiert – und damit eine „Zugabe“ einfordert.

  • Lieber Herr Wendt, es ist sicherlich "unbürgerlich", sich an Gewalt der eigenen Seite (insofern sie als unterdrückt wahrgenommen wird) zu "berauschen" oder enthusiasmiert zu fühlen. Aber da es nun einmal links und rechts vorkommt, sollten wir es als eine allgemein-menschliche Schwäche verstehen und verzeihen.
    Die bürgerliche Reaktion hingegen ist die, Gewalt der eigenen Seite zu ignorieren oder als "aufgezwungen" (von anderen verschuldet) zu verteidigen. (Auch von den Teilnehmern des Weimarer Dichtertreffens haben die meisten sich nicht an deutscher Gewalt berauscht, sondern sie ignoriert.)
    Aber die Folgen solcher Ignoranz sind auch problematisch. Vor allem die daraus folgende Doppelmoral, die z.B. BDS gegen die andere Seite (Palästinenser oder Russen) für völlig normal hält, während BDS gegen die eigene Seite (Israelis) himmelschreiend wäre.
    Folgen wir also dem Evangelium und beschäftigen uns zuerst mit dem Splitter im eigenen (bürgerlichen) Auge!

    • Es ist der Splitter im Auge des Anderen, aber der "Balken" im eigenen, werter Herr Möller.

      Siehe: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht? “ (Matthäus 7,3)

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