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Der Dammbruch passiert vor unseren Augen

Mit dem öffentlichen Verfall des US-Präsidenten kommt auch die Methode an ihr Ende, die Wirklichkeit mit Narrativen zu verdrängen. Es findet eine Revolutionierung der Öffentlichkeit statt, nicht nur in Amerika – durch Bilder, die sich trotz aller Mühe nicht mehr kontrollieren lassen

In etlichen Debatten vor der Präsidentschaftswahl gab es den einen Kippmoment zu Gunsten des einen und zum Schaden des anderen Kandidaten; einen Moment, den die Abstimmung ein paar Monate später dann bestätigte. Denn nur dann und nur deshalb fanden diese Momente überhaupt ihren Platz im kollektiven Gedächtnis.

Fast jeder politisch interessierte Amerikaner kann sie auswendig hersagen, selbst wenn sie schon lange vor seiner Geburt stattfanden.

Es gab die berühmte Debatte zwischen Richard Nixon und John F. Kennedy 1960; Nixon, damals Vizepräsident, hatte sich kurz vorher wegen einer Verletzung einem Krankenhausaufenthalt unterziehen müssen, außerdem litt er an einer Erkältung und kam leicht fiebernd ins Fernsehstudio. Seinen starken dunklen Bartschatten kaschierten seine Gehilfen mit dem Billigpuder Lazy Shave, der allerdings, gar nicht so lazy, im Schweiß der Scheinwerfer- und Fieberhitze wegschmolz. Nixon wirkte grau und kränklich und in seinem schlecht gewählten grauen Anzug wesentlich älter als der nur vier Jahre jüngere braungebrannte Kennedy (wobei der seinen Bronzeteint nicht nur der Sonne verdankte, sondern auch seiner damals öffentlich noch nicht bekannten Addisonschen Krankheit). Die äußere Erscheinung entschied das Rennen, der Vizepräsident verlor Wahl und Debatte gegen den vergleichsweise unerfahrenen Aufsteiger.

In dem einzigen Duell zwischen dem amtierenden Präsidenten Jimmy Carter und Ronald Reagan am 28. Oktober 1980 entschied der Herausforderer Debatte und Wahl mit einem einzigen ikonischen, an das Publikum gerichteten Satz: “Are you better off today than you were four years ago?” („Geht es Ihnen heute besser als vor vier Jahren?“ Carter antwortete auch noch – ehrlicherweise – mit „nein“. George H. W. Bush verspielte die Chance auf eine zweite Amtszeit in der Debatte gegen Bill Clinton nicht nur, aber auch, als er nervös auf seine Armbanduhr schaute und damit zeigte, dass er das Ende des Schlagabtauschs herbeisehnte. Unmittelbar nach dem Blick ans Handgelenk musste er dreimal Anlauf nehmen, um die Frage einer Zuschauerin zu erfassen. Hier scheiterte er nicht intellektuell, sondern an einer Klassenschranke.
In der Fernsehschlacht gegen die damals noch völlig siegesgewisse Hillary Clinton landete Donald Trump 2016 einen berühmten Kontertreffer. „Ich möchte nicht, dass du die Justiz kontrollierst“, meinte die Senatorin – worauf Trump antwortete: „Weil du dann im Gefängnis sitzen würdest.“

Aber nichts, gar nichts, solange Fernsehduelle in den USA überhaupt existieren, reicht auch nur annähernd an das Treffen zwischen Donald Trump und Joseph Biden am vergangenen Donnerstag heran. In dem Fernsehstudio fand vor Millionen Zuschauern eine öffentliche Hinrichtung statt, ausgeführt noch nicht einmal von Biden selbst, der sowieso nur noch wenig ausführt, sondern von seinen Gehilfen, seinen medialen Partnern, seiner Partei. Aber doch, selbst mitten in diesem „omnishambles“ (Yasha Mounk) gab es den einen Moment für das historische Gedächtnis. Da fast alle der älteren Medien Deutschlands bisher darauf verzichteten, konkrete Debattenausschnitte zu zitieren, soll das hier passieren. Es handelt sich nur um ein herausgegriffenes Stück unter zig anderen verwirrten Sätzen und mit Millionen verwechselten Milliarden. Als es um das Thema der medizinischen Versorgung ging, sagte Biden: “We’ve been making sure we are able to make every single person eligible what I’ve been able to do with the Covid, excuse me, everything we have to do with… look… we finally beat Medicare.” (“Wir haben sichergestellt, dass wir in der Lage sind, jeder einzelnen Person das Anrecht zu geben, was ich in der Lage war, mit Covid zu tun, entschuldigen Sie, alles, was wir zu tun haben mit …sehen Sie…am Ende schlagen wir Medicare.“ Im Video wirkt die Passage noch schlimmer als in Schriftform: Der Präsident setzte für mehrere Momente ganz aus und starrte nach unten, als würde er dort einen Spickzettel vermuten, der bei dieser Debatte allerdings verboten war. Sein Satz endet in einem kaum mehr verständlichen Brabbeln.

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Und hier entgegnete Trump mit zwei Sätzen, die vermutlich für die Zukunft bleiben: “I really don’t know what he said at the end of that sentence. I don’t think he knows what he said either.” („Ich weiß wirklich nicht, was er am Ende dieses Satzes gesagt hat. Ich glaube, er weiß auch nicht, was er sagte.“)
Dieser Kommentar wirkt nicht boshaft, sondern fast mitleidig. Vor allem beschreibt er eine Realität, die jeder Amerikaner eigentlich kennt, außerdem Millionen Beobachter über die USA hinaus. Jeder, der es wollte, konnte seit mehr als einem Jahr dem Verfall eines Menschen in Echtzeit zusehen. Viele Ältere kennen vermutlich auch ähnliche Momente von ihren Vätern und Müttern: Demenz deutet sich erst leicht an. Irgendwann lässt sie sich nicht mehr leugnen. Von einem bestimmten Punkt an dauert es nur noch wenige Wochen vom Gerade-noch-so-Zustand bis zum totalen Niedergang.

Es kommen zwischendurch auch wieder lichtere Momente. Aber sie ändern nichts am Verlauf der Krankheit. Dass es sich bei dem Menschen, der verfällt, um den Präsidenten einer Großmacht handelt, dass es vor aller Augen geschieht – dieses Schauspiel gab es noch nie. In Persuasion, einem linksliberalen, allerdings nicht orthodoxen Magazin, schrieb der dezidierte Trump-Gegner Quico Toro am Tag danach: „Biden wirkte wie jemand, der rund um die Uhr Fürsorge benötigt, der in der Lage ist, kurze Ausbrüche relativ kohärenter Rhetorik hervorzubringen, bevor er sich dann in neblige Inkohärenz stottert.“ Toro kommt in seinem Text zu der bemerkenswerten Feststellung: „Dass Joe Biden, dieser Joe Biden nicht mehr die Exekutive der Vereinigten Staaten leitet, ist völlig offensichtlich.“ Wer es an seiner Stelle tut, dazu stellt der Autor keine Vermutungen an. Aber genau diese Frage hängt spätestens seit Donnerstag über der größten Wirtschaftsmacht der Welt mit ihren gut 333 Millionen Einwohnern.

Bevor es um die Frage geht, wo die Macht wirklich liegt, soll es in diesem Text erst einmal darum gehen, wie es überhaupt zu dieser Lage kommen konnte. Und warum sie jetzt möglicherweise trotz aller Bemühungen unkontrollierbar entgleitet. Es fehlt seit der Debatte nicht an inständigen Bittgesuchen an Biden, den Weg freiwillig freizumachen. Tom Friedman schrieb in der New York Times, der wichtigsten antitrumpistischen und woken Medienplattform überhaupt, Biden sei ein guter Mann und ein guter Präsident, aber jetzt sei es wirklich Zeit, zu gehen.

Ähnliche Stimmen gibt es aus anderen Medien. Vor allem erhebt sich niemand aus dem Mitte-bis-Links-Lager, der jetzt noch meint, Biden sollte sich im November zur Wahl stellen. Das erste Problem besteht darin, dass Demenzkranke ihre Situation oft sehr viel besser einschätzen als ihre Mitmenschen. Im Fall des Präsidenten kommt eine Entourage dazu, die ihn darin auch noch bestärkt. Als Jill Biden zu ihm nach dem Desaster auf der Bühne sagte: „You did a great job. You answered every question“, wirkte sie eher wie eine Pflegerin, die ihren Schützling dafür lobt, wenn er noch selbstständig vom Bett zur Toilette und zurückfindet.

Niemand, wirklich niemand konnte die Szene bei der Feier zum 80. Jahrestag der alliierten Landung in der Normandie ignorieren, als Biden plötzlich dem Gastgeberehepaar Macron den Rücken zuwandte. Das, hieß es danach sofort aus dem Weißen Haus und in fast allen wohlmeinenden Medien, sei eine Referenz an die hinter den Festgästen platzierten Veteranen gewesen. Dass diese Erklärung gleichzeitig bedeutete, die Macrons, die sich, um die Situation zu retten, nach Biden umdrehten, hätten die Veteranen nicht ausreichend ehren wollen, klang zwar nicht besonders höflich, aber in der Not sind eben Opfer nötig. Zu den Bildern vom G7-Treffen in Italien, die Biden zeigten, wie er von den anderen zum Gruppenfoto aufgestellten Staatschefs wegtapert, bis ihn Georgia Meloni sanft am Arm fasst und zurückführt, hieß es: Der Präsident habe mit einem der Fallschirmjäger, die zu dem Gipfeltreffen ein Schauspringen veranstalteten, „interagieren“ wollen. Außerdem hätten Trump-Freunde die Szene entstellend geschnitten; sie sei, wie das Weiße Haus verkündete, sogar ein „Fake“.

Die Gesamtaufnahme fällt allerdings überhaupt nicht günstiger für Biden aus. Sie zeigt ihn gestikulierend, während der angesprochene Fallschirmjäger seinen Schirm zusammenpackt und das Staatsoberhaupt der USA nicht zur Kenntnis nimmt. Es existieren noch mehrere Videos, die einen Biden zeigen, der entweder in eine falsche Richtung läuft oder die Limousine verlässt und ratlos herumsteht, weil niemand ihm sagt, wohin er gehen soll. Im Juni 2022, also vor fast genau zwei Jahren, hielt der Präsident ungeschickterweise einen Zettel in die Kameras, der ihm detaillierte Anweisung für einen Termin mit den CEOs der Windkraftindustrie gab: „YOU take your seat. YOU give brief comments (2 Minutes).“

Manche Zeitungen wie die britische Daily Mail schrieben darüber. Die meisten Medien zogen es allerdings vor, über diese Verfallserscheinungen entweder gar nicht zu berichten, sie herunterzuspielen oder sofort entsprechend als trumpistische Kampagne einzurahmen – als wären bestimmte Ereignisse durch dieses magische Denken aus der Welt.

Die zweite und sehr viel tiefere Ursache für den Schlamassel der Demokraten und des verbündeten Medienapparats besteht darin, dass diese Stimmen sich nach dem jahrelangen Wegschauen und Zurechtbiegen urplötzlich erheben, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Denn noch wenige Monate vorher galt in dem homogenen Medienblock genau das Gegenteil als die einzig korrekte und moralisch vertretbare Parole.

Das Verfahren erinnert bei allen Unterschieden ein wenig an die Verdammung eben noch bejubelter und plötzlich gefallener Generalsekretäre im Ostblock. Auf einmal stellten die Zentralorgane dann ganze Listen der Schwächen und Fehler des eben noch unentbehrlichen Führers zusammen.

Zum dritten lässt bisher auch die Synchronisation zu wünschen übrig, die nötig wäre, um die Lage noch halbwegs im Griff zu behalten. Während Journalisten von neolinks bis Mitte ihre flehentlichen Bitten an Biden richten, jetzt zu gehen, und schon über mögliche Ersatzkandidaten spekulieren, etwa Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom, meldete sich der bei den Demokraten immer noch einflussreiche Barack Obama auf X mit einer Durchhaltebotschaft.

Die Funktionäre der Demokratischen Partei erklärten Biden ernsthaft zum Debattensieger; der Präsident selbst bescheinigte sich bei einem 18-Minuten-Auftritt in Raleigh vor gespenstischer Jubelkulisse vollste Einsatzbereitschaft für die nächsten vier Jahre.

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Das alles macht es a) noch schwerer als ohnehin, den alten Herren aus dem Oval Office zu komplimentieren und b), die Affäre politisch-medial noch argumentativ einigermaßen zurechtzuklopfen. Denn die Biegungen müssten mittlerweile um mehrere Ecken führen: Er ist ein „guter Präsident“ (New York Times), sollte jetzt aber bitte von der Bühne, verkündet aber gleichzeitig auf genau dieser Bühne seine Fitness und lässt sich von Anhängern als moralischer Gegenpol zur trumpistischen Finsternis feiern.
Sicherlich, Medien und besorgte Teile der Partei könnten ihn als nächstes unter Druck setzen, indem sie das mittlerweile öffentlich bekannte Tagebuch von Ashley Biden thematisch nach vorn schieben. Dort berichtet die Tochter ziemlich unverschleiert vom sexuellen Missbrauch durch ihren Vater. Das passt allerdings nur sehr schlecht zu den Rettungsnarrativen, die bis eben noch galten oder parallel kursieren. Genauer gesagt, es passt überhaupt nicht.

Wer einen Blick auf die wohlmeinenden deutschen Medien wirft, sieht den Prozess noch ein bisschen klarer, da er hier stark zeitverzögert abläuft. Außerdem gibt es hier keine auch noch so vorsichtige eigene Lagebeurteilung, sondern nur eine fast wortwörtlich blinde Gefolgschaft für das, was New York Times, CNN, die Spindoktoren des Weißen Hauses und der Demokraten jeweils verbreiten. „Ist Joe Biden seinem Amt gewachsen? Republikaner verbreiten beinahe täglich Videos, in denen der US-Präsident verwirrt und senil wirkt. Was steckt dahinter?, fragte das ZDF noch wenige Tage vor dem Duell. Die Möglichkeit, dass schlicht ein nicht mehr amtsfähiger, weil kranker Politiker noch nicht einmal dahintersteckt, sondern die Hauptrolle in dem Drama spielt, blieb dabei unerörtert. Elmar Theveßen, der Mann, der im ZDF stets die transatlantischen Dinge einordnet, versicherte vor kurzem noch, Biden sei „geistig voll in der Lage, das Amt auszufüllen. Das erleben wir.“

Mit „wir“ meinte er das White House press corps: dort, vor den Journalisten, so Theveßen, würde der Amtsinhaber ganz anders auftreten. Was nichts anderes heißt, dass Biden sein Stammeln, seine unverständlichen Reden, seine Orientierungslosigkeit und seine Berichte über Konversationen mit toten Staatsmännern wie Kohl und Mitterrand nur für die breite Öffentlichkeit aufführt, um im kleinen Kreis, wenn nur ausgewählte Meinungsprofis hinschauen, wieder ganz luzide zu wirken. Die ARD-Tagesschau wollte in dem Biden-Desaster am nächsten Tag um 5:50 Uhr erst einmal ein „scharfes Wortgefecht“ erkennen, um dann jeweils um 8:01 und 9:13 Uhr noch ein paar kritische Stimmen nachzuschieben, als es auch der Redaktion in Hamburg dämmerte, dass der Abend doch nicht so glänzend für den richtigen Kandidaten gelaufen war. Selbstredend stammten die relativierenden Anmerkungen dann nicht aus dem ARD-Haus, sondern fast nur von entsetzten Demokraten und amerikanischen Medienleuten.

Die Bedeutung des öffentlichen Bildes von Politik, die Rolle des meinungsprägenden Apparats, der Exekutive im Hintergrund und die Frage, wer die USA – und andere westliche Staaten – eigentlich zu lenken beansprucht, dieses Bündel gehört zusammen. Erstens kann eine breit aufgefächerte und gut ausgestattete Exekutive viel tun, gerade in den USA. Vor allem dann, wenn das Zusammenspiel mit wichtigen Medien und Plattformen funktioniert. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit beispielsweise zwischen FBI und Twitter unter dessen altem Chef Jack Dorsey mit dem Ziel, bestimmte Wissenschaftler in der Corona-Debatte auf die schwarze Liste zu setzen, ihnen also die Reichweite zu beschneiden, fand in der Ära Trump statt. Und es spricht nichts dafür, dass es mit Billigung des Präsidenten passierte.

Gerade in der Corona-Zeit komplettierte sich im institutionell-medialen Apparat der Allmachtsglauben, jedes Narrativ öffentlich durchzusetzen, jede Situation zurechtzubiegen – durch Begriffsprägung, eine eng begrenzte Pseudoöffentlichkeit und durch die moralische Verdammung aller Gegenstimmen. Und das nicht nur in den USA, sondern noch viel mehr in Ländern mit einer noch viel größeren Uniformität von Parteien, einem großen Medienaufgebot, Verbänden, NGOs, Gewerkschaften und Kirchen, wie sie in Deutschland herrscht. Diese Methode reichte ziemlich weit und ging lange gut. Mit ihr ließ sich beispielsweise jede Debatte über die Risiken der Corona-Impfstoffe lange in einen schalltoten Raum verfrachten. Auf diese Weise konnte ein Apparat vorübergehend einen Elefanten auf die Bühne zaubern, indem er aus einem bedeutungslosen Treffen von 25 Leuten am Potsdamer Seeufer eine zweite Wannseekonferenz fabrizierte.

Immerhin steht auch auf der Habenseite, dass eine EU-Kommissionschefin, gegen die Korruptionsermittlungen laufen, eine zweite Amtszeit antreten darf. Nach exakt diesem Muster – Erzählrahmen und Debattenteilnehmer vorgeben, Textbausteine endlos wiederholen, jeden Einwand dämonisieren – ließ sich bis eben auch das Bild des zwar alten, aber noch rüstigen Joseph Biden aufrechterhalten, zumindest für alle, die entweder sowieso glauben wollten oder zumindest den Stempel des antidemokratischen Finsterlings fürchteten. Die Parole hieß offenbar: Wichtig ist, dass er noch gehen und winken kann. Wir erledigen den Rest. Als besonders wirkungsvoll erwies sich dabei der Zauberstab, alles, jeden Realitätsausschnitt, auf den sich Trump, Le Pen, die AfD oder ein Milei beziehen, schon deshalb, weil die es tun, als falsch, verzerrt oder schlicht inexistent zu verdammen.

Diejenigen, die mit diesem Instrumentarium wirtschaften, unterschätzen allerdings vor allem einen Punkt. Und zwar den Punkt, an dem sie nicht sofort, aber nach und nach scheitern. „The Revolution Will Not Be Televised“, die Revolution wird nicht im Fernsehen übertragen, sang Gil Scott-Heron 1970. Für Revolutionen mag das stimmen. Für die Realität nicht mehr. Sie vermittelt sich nicht wie früher vor allem über Fotos, die sich arrangieren lassen, auch nicht wie ganz früher vor allem über Texte, sondern über bewegte Bilder. Und diese Bewegtbilder stammen oft auch nicht mehr von Fernsehstationen mit medialen Türwächtern. Sie wandern unlöschbar durch das Netz. Die Erzählung über den angeblich rechtsradikalen, von Trump beeinflussten Amokschützen Kyle Rittenhouse 2021 änderte sich vor allem dadurch, dass von dem gesamten Vorgang eine Videoaufnahme existierte, die eben etwas anderes zeigte – einen Akt der Selbstverteidigung gegen einen Mob.

Für die Wahrnehmung des islamistischen Anschlags von Mannheim spielte es eine wesentliche Rolle, dass hier ebenfalls eine Kamera in voller Länge mitlief. Als syrische und afghanische Jugendliche auf einen deutschen Jungen in Gera einprügelten, lief ebenfalls eine Handykamera mit und zwar sogar in der Hand eines Mittäters. Das Video ging durchs Netz, trotz der polizeilichen Bitten, es nicht zu verbreiten. Diese Bilder bewirken mehr als dutzende Statistiken über Ausländerkriminalität und hunderte Papiere über Integration. Unmittelbar vorher kollabierte die von Nancy Faeser, Manuela Schwesig, dem NDR und anderen aufgetischte Geschichte von dem angeblich mit Gesichtstritt malträtierten farbigen Kind in Grevesmühlen. Auch hier existierte ein Video, das einen ganz anderen Vorgang zeigte – nämlich den, der sich tatsächlich abspielte.

Zwar gibt es eben deshalb verstärkte Bemühungen auf EU-Ebene, „schädliche Inhalte“, wie sich der Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller ausdrückte, aus dem Netz zu entfernen. Das funktioniert allerdings noch nicht einmal in China lückenlos. Wo der staatlich-exekutiv-mediale Block versucht, bestimmte Dokumentationen der Wirklichkeit zu verdrängen, bildet sich dafür ein Schwarzmarkt, selbst unter dystopischen Verhältnissen. Bestimmte Realitätsbilder lassen sich außerdem überhaupt nicht abdrängen. Es gibt keine Möglichkeit, einen Präsidenten der USA vor der Öffentlichkeit zu verstecken. Für ihn ergeben sich immer Situationen, in denen ihm seine Entourage nicht mehr weiterhelfen kann, beispielsweise bei dem Fernsehduell. Die Bilder der Debatte lassen sich nie wieder tilgen. Sie brennen sich in das gesellschaftliche Bewusstsein ein. Was einmal existiert, gewinnt noch an Stärke durch den Versuch, es wegzuerklären. Durch die Dezentralisierung der Öffentlichkeit kommt die Praxis des ewigen Einrahmens, Hinbiegens, Kaschierens und Weglassens wortwörtlich sichtbar an ihr Ende.

Bei Deichen gibt es den großen, offensichtlichen Bruch, durch den das Wasser schießt, aber auch den so genannten Grundbruch. Dann sickert das Wasser an tausenden kleinen Stellen durch den weichen und maroden Damm. Der neue Strukturwandel der Öffentlichkeit vollzieht sich nach dem Muster dieses Grundbruchs. Und der lässt sich, anders als eine einzelne große Bresche, kaum wirksam bekämpfen.
Die zweite Lehre aus dem Biden-Drama lautet: Wer darauf setzt, Herrschaft an Institutionen und Formen vorbei auszuüben, kann am Ende genau daran scheitern. Wenn es darauf ankommt, lassen sich Regeln dann doch nicht beliebig zurechtkneten, vor allem dann, wenn auch die verbündeten Medien nicht mehr so auf die Öffentlichkeit wirken wie früher. Ein kranker Präsident, der sich selbst noch für fähig hält, lässt sich nicht ohne weiteres auswechseln. Im August muss der offizielle Nominierungskonvent der Demokraten stattfinden, es bleiben also nur noch wenige Wochen. Denn ab September beginnt in einigen Gliedstaaten schon die Briefwahl. Glückt die Auswechseloperation innerhalb kürzester Zeit nicht, schnappt die Falle zu. Das kann kein noch so gewiefter Apparat mehr verhindern. In gewissem Sinn läuft die Revolutionierung der öffentlichen Kommunikation jetzt doch im Fernsehen. Zwangsweise.
Und wir können sagen: Wir sind dabei gewesen.

 

 

 


Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.


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11 Kommentare
  • N. Borger
    30. Juni, 2024

    Ein kluger Beitrag. Aber- Joe Biden verfällt nicht erst seit dem letzten Jahr. Wer wollte, konnte diese Erscheinungen seine ganze Präsidentschaft durch verfolgen, schon im Vorwahlkampf 2020. Sein Auftritt in dem Duell zeigt aber in nicht mehr zu ignorierender Weise, daß die “alten” Medien (guter Begriff von Herrn Wendt) zu Biden über mehr als vier Jahre gelogen haben, wie sie es nur konnten, und daß dies jetzt für viele sichtbar wird. Und TikTok multipliziert dies in ungeahnter Weise.

  • Alexander Peter
    30. Juni, 2024

    Ihren Optimismus finde ich jedes Mal erfrischend und unerschütterlich.
    Denn die “Waffen” – die Kontrolle und der Zugang zur breitenwirksamen Öffentlichkeit – sind doch arg ungleich verteilt.
    Gleichzeitig erleben wir, dass sogenannte “Vordenker” (C. Emcke und al.) unverhohlen propagieren, der Öffentlichkeit nur noch das mitzuteilen, was die Leute “wissen sollen” und nicht etwa das, was sie wissen wollen und was tatsächlich vorgeht.
    Ebenso deutlich erkennbar sind die administrativen Anstrengungen, das Internet und jegliche Gegenöffentlichkeit “einzuhegen”.
    Im Falle der Fernsehdebatte Biden – Trump würde ich durchaus eine gewisse Absicht unterstellen, den armen Mann bloß zu stellen. Die Frage ist, wem es nutzt.
    Erschütternd finde ich, dass offenbar nur zwei alte Männer in der Lage sein sollen, die USA zu “regieren”.

  • F. Jungeleit
    30. Juni, 2024

    Ein anderes Szenarium – es läuft perfekt nach Drehbuch. Die TV-Duelle der zwei Präsidentschaftskandidaten finden in der Regel nach den Nominierungsparteitagen statt. Die Nominierung ist ab da in Beton gegossen. Die Begründung für die Vorverlegung, Biden und Trump werden es sowieso, ist wenig überzeugend. Die Vorwahlen bestimmen stets die Kandidaten, der Parteitag ist nur Zeremonie. Nichts ist anders als sonst!

    Aber warum dann so ein Schauspiel? Nach dem 25. Zusatzartikel (Absatz 4) kann ein amtsunfähiger Präsident ohne oder gegen seinen Willen abgesetzt werden. Dass die regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen diese Amtsunfähigkeit nicht längst bescheinigt haben, ist nicht nachvollziehbar – zumindest aus medizinischer Sicht. Aus der politischen Perspektive schon, bei Biden hätte dann die Vizepräsidentin Kamala Harris übernommen und wäre damit auch automatisch erste Präsidentschaftskandidatin der Demokraten. Harris ist nicht nur bei den Wählern sehr unbeliebt, man hält sie auch schlichtweg für inkompetent. Also Biden durchschleppen und bis kurz vor der Normierung offiziell im Oval Office platzieren. Dann schonungslos zur besten Sendezeit ins Schaufenster setzen und zum Abschuss freigeben. Damit ist nicht nur Biden Geschichte, sondern auch Harris. Und die schnellen Reaktionen aus dem Juste Milieu wirkten wie so oft orchestriert. Gavin Newsom, Gouverneur von Kalifornien, konnte sich zumindest, als er unmittelbar nach den Duell auf Biden angesprochen wurde, ein kurzes Grinsen nicht verkneifen. Und würde Biden wirklich verzichten, tippen viele auch auf Gavin Newsom. Aber vielleicht steht im Drehbuch, sollte es eins geben, der Name einer Person, die bereits acht Jahre im Weißen Haus lebte – Afroamerikanerin und sehr beliebt in den USA.

  • A. Schifferdecker
    30. Juni, 2024

    Wenn die Wahrheit weh tut, dann lügen wir, und wir lügen so lange, bis wir nicht mehr wissen, dass es sie gibt. Doch es gibt sie immer noch. Jede Lüge macht Schulden bei der Wahrheit. Und früher oder später müssen diese Schulden zurück gezahlt werden.“ – aus dem Fünfteiler Chernobyl (zitiert in Doom von Niall Ferguson)

  • Werner Bläser
    1. Juli, 2024

    Biden regiert offenbar schon lange nicht mehr. Das ist in den USA gar nicht einmal so ungewöhnlich – sehr oft ist der Stabschef des Weissen Hauses oder eine Figur in ähnlicher Position der eigentliche “Macher” hinter dem Präsidenten; oft ist es ein Team. Bush jun. hatte Wolfowitz und Karl Rove (das “Hirn” des Präsidenten), Reagan schlief des öfteren bei Kabinettssitzungen ein – das machte aber nichts, da er sich mit Personen umgab, von denen er wusste, dass sie in seinem Sinne handeln würden, z.B. James A. Baker, Donald Regan und Edwin Meese.
    Willy Brandt hatte seinen Ehmcke, der ihn gelegentlich sogar aus dem Bett holen musste mit den Worten “Willy, aufstehen, wir müssen regieren”.
    Regierungschefs, die tatsächlich noch “eigenhändig” regieren, sind eher in der Minderheit. Kohls Ede Ackermann war eher fleissiger Sherpa als Lenker – der “Chef” wollte sich die Fäden ungern aus der Hand nehmen lassen.
    Aber Biden ist schon ein Extremfall. Er erinnert stark an das Buch von Pierre Accoce, “Ces malades qui nous gouvernent”, von 1976. Manche Länder können es sich leisten, von Kranken regiert zu werden (auch Napoleon war gegen Ende seiner Herrschaft schwer krank), andere – wie Atommächte – nicht.
    Rätselhaft bleibt, was sich die Demokraten dabei dachten, diesen Mann in eine Debatte gegen Trump zu schicken. Oft glauben pathologische, gewohnheitsmässige Lügner irgendwann ihren eigenen Lügen – möglich ist, dass die ihre eigenen Narrative verinnerlicht haben. Die Verschwörungshypothese, dass man ihn präsentierte, um ihn absägen zu können, halte ich für abwegig. Wäre man so vorgegangen, hätte man einen klaren Ersatzkandidaten in der Hinterhand haben müssen. Aber der ist nicht zu sehen.
    Der von einer Leseschwäche geplagte und in vielen Themen recht woke Gavin Newsom hätte sich schon vorher öfter aus der Deckung wagen und bekannter machen müssen. Und Obamas Frau nach vorne zu schieben, wie es hier im Forum ein Beitrag andeutet, und wie es auch der gemässigte republikanische Senator Ted Cruz vermutet, halte ich für problematisch.
    Die Dame ist zwar recht beliebt, aber das ist bei uns Thomas Gottschalk auch. Trotzdem kann man nicht einfach Beliebtheit in gute Chancen für ein hohes politisches Amt übertragen. Wer würde schon Thomas Gottschalk wählen?
    Sie würde als “Obama Administration Nr. III” angesehen werden – eine Aussicht, die für viele Wähler nicht unbedingt Begeisterungsstürme hervorrufen dürfte. Immerhin hat Obama den USA einige schwerverdauliche Entscheidungen hinterlassen, an denen sie bis heute knabbern. Er vergrösserte signifikant die US-Truppenstärke in Afghanistan, was ja bekanntlich im Desaster und im Imageverlust endete, zog sich aber aus dem Irak zurück und überliess dem IS (wesentlich gefährlicher als die Taliban – der IS erlebte seine zweite Blüte fast unmittelbar nach der Rückzug der USA) und dem Iran dieses Einflussgebiet, und er zeigte gegenüber Putin fast die gleiche Naivität wie Merkel (siehe dazu den Artikel von A. Karatnycky in ‘Foreign Policy’, 11 July 2023).
    Zudem haben die USA ein sich verschärfendes Migrationsproblem. In ihrer letzten Rede als First Lady unterstrich sie ausgerechnet das Diversitätsprinzip für die amerikanische Gesellschaft und den Wert der Immigranten für das Land. Positiv für sie dürfte zu Buche schlagen, dass sie nicht unter die radikalen Woken ihrer Partei gehört und dass die US-Wirtschaft unter Obama nicht schlecht lief. Allerdings dürften viele Wähler sie als eine Marionette ihres Ehemannes sehen. –
    Zum Zusammenbruch der herrschenden Narrative: ja, so etwas geschieht meist schleichend. Die linken Narrative haben sich schleichend, peu à peu, durchgesetzt, über viele Kanäle, die “unter der Oberfläche” der normalen öffentlichen Kommunikation verliefen (keine schlechte Leistung angesichts der Tatsache, dass dies z.T. noch vor dem Internetzeitalter begann), sie erodieren jetzt auch fast ebenso langsam, allerdings kann es plötzliche Risse geben. Die Ermordung des Mannheimer Polizisten und des jungen griechischstämmigen Schülers in Bad Oeynhausen waren wohl solche plötzlichen Risse.
    Da können selbst professionelle Realitätsverdreher nicht mehr dagegen anlügen.
    Allerdings bleiben das in dem Sinne (!) Einzelfälle, in dem sehr viele Bürger davon nicht unmittelbar betroffen sind.
    Wovon hingegen fast jeder betroffen ist, ist der Niedergang der deutschen Wirtschaft, die Höhe der Strompreise, die Heizungsregelungen, Haussanierungszwänge, und ähnlicher Irrsinn. Das spürt nahezu jeder in seinem Portemonnaie. Und deshalb dürfen wir dem Himmel danken, dass er unsere linke Spintisiererkaste mit so wenig Verständnis für Ökonomie ausgestattet hat.
    Sie behandeln die Ökonomie mit demselben Prinzip mit dem sie alle anderen Gebiete behandeln: Ideologie schlägt Fakten.
    Damit graben sie sich letztlich ihr eigenes Grab. Ich wünsche frohes Buddeln.

    • Alexander Wendt
      1. Juli, 2024

      Ronald Reagan machte selbst Scherze darüber. Einer lautete: „Ich habe angeordnet, mich jederzeit zu wecken, wenn es die nationale Sicherheit erfordert – wenn es sein muss, sogar während der Kabinettssitzung.“ Ein anderer: „Ich trinke nie Kaffee nach dem Mittagessen. Der hält mich am Nachmittag nur unnötig wach.“ Es ist so, wie Werner Bläser schreibt: Sein Rezept lautete, die Posten mit geeigneten Leuten zu besetzen, die großen Ziele vorzugeben aber nicht mehr einzugreifen, solange es in die gewünschte Richtung lief. Allerdings war er auch immer in der Lage, entscheidende Dinge selbst in die Hand zu nehmen und vor allem, diese wichtigen Situationen zu erkennen. Bei dem berühmten Treffen mit Michail Gorbatschow in Reykjavik war er es, der in seinem Gespräch mit dem Generalsekretär, das viel länger dauerte als geplant, den Durchbruch für Verhandlungen über eine Reduzierung der Atomraketen zustande brachte. Eine nicht unbedingt Reagan-ergebene Zeitung titelte damals: „So far. So good.“ Er konnte, wenn es darauf ankam, seine Worte sehr wirkungsvoll setzen. Etwa, als er in Berlin sagte: “Mr. Gorbachev, tear down this wall!“ Genau diese Fähigkeit, die Fäden an den wirklich wichtigen Stellen in die Hand zu nehmen und richtig zu benutzen, traut einem Biden niemand zu.
      Vielen Dank für Ihre Ausführungen, die genau diese Dialektik von Laufenlassen und Zugreifen umfassend beleuchten.

      Alexander Wendt

      • Werner Bläser
        1. Juli, 2024

        Natürlich haben Sie Recht, Herr Wendt. Ein interessantes, weil zum grossen Teil deklassifiziertes Beispiel bietet das “Executive Committee Meeting of the National Security Council on the Cuban Missile Crisis on 23rd October 1962”. Es wird hier klar, wie ein Präsident oftmals führt (hier: Kennedy; andere politische Führer haben natürlich auch andere Führungsstile). John F. Kennedy lenkte die Diskussion über die amerikanische Reaktion auf den Move Chruschtschows “an der langen Leine”. Er liess seine Experten – von denen er welche mit ganz unterschiedlichen Grundmentalitäten berufen hatte, ganz im Gegensatz etwa zur Praxis der jetzigen deutschen Regierung – ihre Positionen darlegen. Aber es war ganz klar, dass er das letzte Wort haben würde.

  • Wiesler
    1. Juli, 2024

    Meine Hoffnung ist, dass es bei dem Thema Energiewende genau so passiert. Die Wirklichkeit wird den Menschen ungeplante Stromsperren schicken, die nicht zu leugnen sein werden. Allerdings halte ich die Deutschen für besonders ausdauernd, das wird dauern.

  • Andreas Rochow
    1. Juli, 2024

    Selbst Psychiater, lehne ich jede Form der Ferndiagnose ohne einvernehmliche Untersuchung strikt ab, auch deshalb, weil sie dazu missbraucht werden kann, den Fern-Diagnostizierten herabzuwürdigen und zu stigmatisieren. Volles Verständnis habe ich hingegen für das breite Entsetzen über die Aussetzer des Präsidenten der USA auf offener Bühne und vor laufenden Fernsehkameras. Anstatt die auch von jedem Laien erkennbaren groben mentalen und körperlichen Defizite zum Anlass zu nehmen, den Präsidenten krank zu schreiben und aus dem Rennen zu nehmen, wird sein Versagen schöngeredet. Allein die maskenhaft erstarrte Mimik des Präsidenten erweckt den Eindruck, dass hier eine Marionette agiert. Die massenmediale Einladung zum Voyeurismus ist in höchstem Maße unwürdig! Ich verleihe das Würdelos-Etikett an die Hintermänner und -frauen, die diese Vorführung eines Gebrechlichen zu verantworten haben. Was ist mit den “Demokraten” nur geschehen?

  • A. Iehsenhain
    1. Juli, 2024

    Ziemlich deprimierendes Polit-Theater. Statt Politiker-Fersehduellen sollten die TV-Anstalten lieber “Don Camillo und Peppone” oder “Tin Men” ausstrahlen.

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