X

Mit dem Heben seiner Augenbraue konnte er eine Geschichte erzählen, mit seinem Lächeln eine Tragödie

Zum Tod von Donald Sutherland

„Wenn es möglich wäre“, sagte Donald Sutherland einmal, als er nach seinem beruflichen Ideal gefragt wurde, „dann wäre ich als Schauspieler gerne die Entsprechung von Alberto Giacometti und seiner Kunst.“

Darin lagen gleich drei Weis- und Wahrheiten: Zum einen überlegte der 1935 geborene Kanadier tatsächlich, als Bildhauer zu arbeiten, bevor es ihn dann doch zur Bühne und zum Film zog. Zweitens ähnelte der knochige,1,92 Meter große Mann mit dem markanten Schädel einer Giacometti-Skulptur. Und in seinem Spiel suchte er, wann immer es ihm der Stoff erlaubte, wie der von ihm geschätzte Künstler die Verdichtung, den Minimalismus der Mittel. Für Sutherland bedeutete es eine Lebensentscheidung, als er 1957 nach London ging, um zu spielen. „Ich glaube nicht, dass jemand in meiner Generation Schauspieler wurde, um Geld zu verdienen“, meinte er viele Jahre später: „Mir kam das nie in den Sinn. Ich bekam 8 Pfund in der Woche für meine Auftritte in London. Als ich zur Besetzung eines Stücks im Royal Court gehörte, verdiente ich 17 Pfund in der Woche, das war 1964.“

Berühmt machte ihn – nach seinen Bühnen- und Filmanfängen in Großbritannien – seine Rolle als ‘Hawkeye‘ Pierce in Robert Altmans überdrehter Kriegskomödie „M*A*S*H.“ von 1970. Schon ein Jahr später kam für ihn die Hauptrolle in dem Kriminalfilm „Klute“; in Federico Fellinis „Casanova“ von 1976 konnte er eine ganz neue Seite seiner wandelbaren Person zeigen: die des Erotomanen. Die Rolle (von insgesamt fast 200), mit der er sich vielleicht am stärksten ins kollektive Gedächtnis einprägte, übernahm er 1978 in der Dystopie „Invasion of the Body Snatchers“ (deutsch: „Die Körperfresser kommen“). Dort gelangt eine fremde Spezies in Form einer schleimigen Substanz auf die Erde, die sich nach und nach der Menschen bemächtigt. Die befallenen Personen ändern sich äußerlich nicht, verwandeln sich aber in emotionslose Automaten, die sich nur noch in einer formalisierten, floskelhaften Sprache unterhalten und Autoritäten bedingungslos gehorchen. Es gibt für sie nur noch einen Affekt: Sobald sie einen echten, also noch nicht von innen eroberten Menschen entdecken, zeigen sie auf ihn und geben einen hysterischen Schrei von sich, mit dem sie die anderen Automatenwesen alarmieren. Sutherland spielt einen Wissenschaftler, der versucht, sich zusammen mit einer kleinen Gruppe von Kollegen zu retten. Die Schlussszene gehört bis heute zu den ikonischen Bildern der Filmgeschichte.

Nur wenige große Schauspieler schaffen es, ihre Brillanz zu halten. Ganz wenige steigern sich im Alter noch. Wer sich mit der Fähigkeit des späten Donald Sutherland vertraut machen will, mit dem Heben einer Augenbraue eine ganze Geschichte zu erzählen und mit seinem schiefen Lächeln eine Tragödie, der sollte die zehnteilige Serie „Trust“ von 2018 sehen, die das reale Drama der Entführung von John Paul Getty Jr. als Stoff nimmt, um daraus eine großartige Erzählung über zwei Familien zu spinnen: die des britischen Getty-Öl-Clans, und die der ‘Ndrangheta-Familie, die damals eben jenen John Paul Getty III in Rom entführte, den 16-jährigen Enkel des sagenhaften Ölmilliardärs John Paul Getty, der als Patriarch über ein Industriereich und seinen Hofstaat herrscht. Sutherlands alter Getty ist geizig und bösartig, charmant und luzide, und das in einem leichtfüßigen Wechsel, der die Figur immer von einer neuen Seite präsentiert, sobald der Zuschauer glaubt, sie ganz begriffen zu haben. Dass die Serie herausragt – aus den erzählerischen Serien der letzten zehn Jahre wie auch aus dem Werk Donald Sutherlands –, liegt an dem Regiegenie Danny Boyle, natürlich auch an den anderen Weltklasseschauspielern an seiner Seite wie Hilary Swank und Harris Dickinson. Aber vor allem an Sutherlands Gabe, mit kleinsten Gesten eine Figur so lebendig zu machen, dass der Zuschauer sie nicht mehr vergisst.
Am 20. Juni starb Donald Sutherland im Alter von 88 Jahren in Miami.

 

Alexander Wendt: Weitere Profile:

Kommentare anzeigen (5)

  • Donald Sutherland war/ist/bleibt eine Ikone.
    Als Erstes kam mir der Film "Tod in Venedig" in den Sinn. Aber da spielt er ja gar nicht mit, eine Verwechslung mit "Wenn die Gondeln Trauer tragen".
    An den Film "Die Körperfresser kommen" kann ich mich nicht erinnern. Die Thematik des Films scheint mir ziemlich aktuell zu sein.

  • Er ist auch einer meiner absoluten Lieblingsschauspieler. Seine Liebesszenen mit Julie Christie in "Wenn die Gondeln Trauer tragen" von Nicolas Roeg (Geschichte von Daphne du Maurier) sind eine Meisterwerk. Auch hier spielt sich die eigentlich "Aktion" eher im glücklichen Lächeln des Schauspielers ab als im tatsächlich Gezeigten. Als ich vor rund 40 Jahren zum ersten Mal im Winter nach Venedig kam, habe ich mir sofort einen der Hauptschauplätze des Films, die Kirche San Lazzaro dei Mendicanti, angesehen. Deren unterkühlt-unheimliche Schönheit kontrastiert wirkungsvoll mit der Wärme der erotischen Szenen.
    Genau so beeindruckend: Die Rolle eines Nazi-Killers in "Die Nadel" (nach einem Roman von Ken Follett).
    Seinen skurrilen Humor zeigte er in einem Interview mit der BBC, noch auf Youtube ("Donald Sutherland's Farting Stories", Graham Norton Show).
    Er gehörte nie zur typischen vorderen Reihe der Hollywood-Prominenz, lebte in Kanada. Er hatte diese Art von Präsenz, angesichts seiner Klasse, auch nicht nötig. Damit gehört er in eine Kategorie mit anderen Schauspiel-Grössen, die es nie zu wirklichen absoluten Publikumslieblingen schafften, wie Fred Gwynne, Rod Steiger, Donald Pleasance... RIP!

  • Die "Body Snatchers" hätten wahrlich auch in den Jahren 2020-2023 spielen können, dann als "Die Covidfresser kommen". Allein die Impfzentren erinnerten mich stark an die Lagerhallen aus besagtem Filmklassiker, in denen jene Schmarotzer-Gurken gezüchtet wurden, die für die Transformation eine Rolle spielten. Roegs "Wenn die Gondeln Trauer tragen" (nach "Don`'t look now" von Daphne du Maurier) hat am Ende sogar noch etwas von einem politischen Menetekel, nämlich, dass man keinem Roten hinterherlaufen sollte. Herrlich ist die Episode bei "Die Todeskarten des Dr. Schreck", wo Dr. Carroll (Sutherland) (nichts davon ahnend, dass er mit einer Blutsaugerin verheiratet ist) am Ende von seinem Kollegen Dr. Blake (Max Adrian) auf eine vermeintlich falsche Fährte gelenkt und schließlich in den Knast gebracht wird. Mit der abschließenden Feststellung: "Diese Stadt ist nicht groß genug für zwei Ärzte...und zwei Vampire", dann fliegt er als Fledermaus von dannen. Ja – Donald Sutherland war einer der Vielseitigsten des Films und es ist schön, dass er an dieser Stelle gewürdigt wird. Vielen Dank, Herr Wendt!