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Der UDEMismus in unserer Zeit: ein kurzer Lehrgang

Neuerdings hören Sie immer öfter: „unsere Demokratie“. Gewöhnen Sie sich besser schnell daran. Denn die Entfaltung der neuen Ordnung ist schon weit fortgeschritten in einer Zeit, da Neosowjets gegen die Ostler kämpfen

Verehrter Leser, hier spricht die Stabsstelle für gutes Denken und Meinen zu Ihnen. Sie haben noch nichts von uns gehört? Sie sollen uns kennenlernen, vorzugsweise durch den folgenden Text. Bestimmt kommt Ihnen aber die Wendung ‚unsere Demokratie‘ vertraut vor.

Falls sie vorwitzig fragen, was Unseredemokratie von der Demokratie alten Typs unterscheidet: allerhand natürlich. Wäre beides das Gleiche, dann bräuchte es ja das besitzanzeigende Fürwort zur Unterscheidung nicht, oder? Es gibt viele Möglichkeiten, Unseredemokratie, kurz UDEM, zu erklären, aber eigentlich nur eine wirklich leicht fassliche, die wir hier verwenden. Zum historisch-dialektischen UDEMismus gehört nämlich die Erkenntnis, dass eventuelle gesellschaftliche Friktionen daher rühren, dass die Oberen dem Rest ihre Ansichten einfach noch nicht gut genug erklären.

Also: In der alten Demokratie gab es unübersehbar einen Problembären, nämlich den Bürger. Sobald dieser wieder in seine uralte Rolle als Endverbraucher einer Politik findet, um die sich exklusiv andere kümmern, laufen gesellschaftliche Prozesse weitgehend ruckelfrei. Also, im Moment gerade nicht, dafür aber in der näheren Zukunft, das heißt im höherentwickelten Zustand Unsererdemokratie. Wir können es auch noch kürzer sagen: UDEM bedeutet, ein bisschen mehr Venezuela zu wagen. Das erfordert einen systemischen Ansatz gleich auf mehreren Gebieten nach einem Muster, das dieser kleine Leitfaden Ihnen näherbringen will. Beginnen wir mit der Rechtspflege und hier wiederum mit einem etwas ausführlicher geschilderten Beispiel, gewissermaßen einem Best-Practice-Exempel.

Um wegen eines Kunstwerks in Deutschland vor Gericht zu landen, muss sich ein Künstler schon erheblich anstrengen. So schien es jedenfalls vor der Zeit mit hohem Tabuverschleiß. Wie schnell und leicht es mittlerweile geht, erfuhr Simon Rosenthal am 28. November 2022, als er einen Strafbefehl des Amtsgerichts Bamberg über 50 Tagessätze respektive 3250 Euro wegen Volksverhetzung in den Händen hielt. Seine Straftat bestand nach Ansicht des Gerichts in einer von ihm hergestellten und bei Instagram geposteten Digitalcollage, die eine rechteckige Parfümflasche zeigt. Sie trägt die Aufschrift „Covid“ und in Frakturlettern den Satz: „Impfen macht frei“.

Die Grafik nimmt wortwörtlich jenen Satz auf, den der bayerische CSU-Landtagsabgeordnete Thomas Huber am 20. August 2021 auf Twitter postete, hier sogar versehen mit einem Hashtag.

Huber löschte den Satz später wieder. Allerdings hatte er damit nur eine bis heute nachlesbare Wendung von Ministerpräsident Markus Söder vom Juli 2021 leicht abgewandelt: „Impfen ist der Weg zur Freiheit“. Ganz ähnlich hieß es auch in einem Zeit-Text vom 29. Juli 2021 unter der Überschrift „Frei und immun“, in dem kontrafaktisch behauptet wurde: „Wer sich nicht impfen lässt, gefährdet andere. Das rechtfertigt Zwangsmaßnahmen.“
Rosenthal tat also, was dem traditionellen Selbstverständnis von Künstlern entspricht: Er suchte und fand ein Bild für den zynischen Umgang mit dem Begriff ’Freiheit’. „In der Zeit von 2G konnte man fast nirgendwo hin“, sagt er im Gespräch mit Publico: „Insofern machte Impfen tatsächlich frei. Aber es war eine Freiheit unter Zwang.“ Seine Digitalcollage sei als direkte Reaktion auf den Twittersatz Hubers entstanden: „Das Bild sollte daran erinnern, dass in Deutschland so eine Äußerung wieder möglich ist.“ Rosenthal spitzte also noch nicht einmal etwas zu, sondern zitierte lediglich einen CSU-Politiker, den die Justiz übrigens nie behelligte.

Um zu verstehen, wie der Bamberger Richter Matthias Bachmann überhaupt auf den juristischen Gedanken kommt, Rosenthal hätte sich als Künstler, der nur die Zeitläufte mit seinen Mitteln kommentiert, der Volksverhetzung schuldig gemacht, muss man dem abstrusen Text des Strafbefehls in seinen wesentlichen Windungen folgen. Das Zeitdokument öffnet zum einen den Blick auf das intellektuelle Format des Personals, das heute hier und da im Justizapparat sitzt, zum anderen auch auf das gesellschaftliche Klima in Deutschland, in dem der UDEMismus mehr und mehr eben diese Zeitläufte bestimmt. Und das weder zufällig noch schleichend; Personen in Politik, Medien, tiefenstaatlichen Organisationen und neuerdings auch der Judikative treiben diese Transformation durchaus willig voran.

In dem Strafbefehl gegen den Künstler heißt es: „Die Phrase ‚Impfen macht frei‘ ist angelehnt an die Wendung ‚Arbeit macht frei‘. Diese wurde, wie Sie wussten, als zynische Toraufschrift an den meisten nationalsozialistischen Konzentrationslagern verwendet, u. a. in Auschwitz. Die Konzentrationslager, insbesondere das Lager in Auschwitz, stehen stellvertretend für die Verfolgung von Minderheiten während der nationalsozialistischen Diktatur, vor allem aber für die systematische und staatlich organisierte Deportation, Inhaftierung und Ermordung der europäischen Juden (Holocaust). Deshalb wird die Wendung ‚Arbeit macht frei‘ gemeinhin als Chiffre und Synonym für den Holocaust verstanden.“ Abgesehen von der sprachlichen Perle der Konzentrationslager, die stellvertretend für Verfolgung stehen: Mit der Verrenkung, aus dem Spruch, der schon lange vor dem Beginn des Holocaust an etlichen Toren von NS-Lagern stand, etwa in Dachau, eine „Chiffre und Synonym für den Holocaust“ zu machen, also zu unterstellen, ‚Arbeit macht frei‘, egal mit welcher Absicht zitiert, bedeute inhaltlich das gleiche wie ‚Judenmord‘ – mit diesem bizarren Manöver also fällt ein Amtsrichter heute in seinem Apparat offenbar nicht mehr negativ auf, solange die Haltung dahinter stimmt.

Normalerweise gilt es als ungeschickt, die Botschaft eines Bildes auszubuchstabieren, obwohl sie eigentlich jeder durchschnittlich intelligente Betrachter kapiert, aber in diesem Fall muss das offensichtlich vorsorglich geschehen: Der junge Künstler aus Bamberg also setzt sich mit dem Stilmittel der Frakturschrift und dem Bezug auf den Satz „Arbeit macht frei“ kritisch mit der Tatsache auseinander, dass ein Politiker in der Corona-Impfdebatte den Freiheitsbegriff auf eine Weise pervertiert, mit welcher er selbst die Assoziation zur NS-Zeit wachruft, dass er also eine historische Lektion entweder vergessen oder gar nicht erst gelernt hat. Und womit der CSU-Mann ja, wie erwähnt, nicht allein stand.

Der Bamberger Richter macht daraus die Beschuldigung, der Künstler hätte in seiner Collage die G2-Praxis und die damals debattierte Impfpflicht dem Holocaust gleichgestellt, woraus er dann den eigentlichen Schuldspruch destilliert. Wörtlich heißt es in diesem verschriftlichten Hirntremor:
„Ihnen war bewusst, dass die staatlichen Corona-Maßnahmen und eine Impfung gegen Covid-19 in keinerlei Zusammenhang stehen mit der Verfolgung von Minderheiten, insbesondere der Judenvernichtung, zur Zeit des Nationalsozialismus, und dass Ihr Beitrag geeignet ist, gegenüber der Allgemeinheit die haltlose Auffassung zu vermitteln, ungeimpfte Personen hätten ähnliche Repressalien zu erleiden wie die Juden zur Zeit der nationalsozialistischen Diktatur, was wiederum einer Vergiftung des politischen Klimas Vorschub leistet und zu einer aggressiven Emotionalisierung bestimmter Bevölkerungskreise führen kann, bis hin zu einer Herabsetzung von Hemmschwellen, mit unmittelbar rechtsgutgefährdenden Folgen.“

Die in der Tat haltlose Auffassung, der Künstler setze den geplanten Impfzwang mit dem Holocaust gleich oder auch nur in Beziehung, fabriziert in diesem Fall nur einer, nämlich der Richter selbst. Man könnte auch spätestens aus dem Abstand des Jahres 2024 auf die Idee kommen, dass eher der Satz „Impfen macht frei“ eines CSU-Landespolitikers bis heute der Vergiftung des gesellschaftlichen Friedens erheblichen Vorschub leistet, genauso wie die Drohung des damaligen CDU-Ministerpräsidenten Tobias Hans an Ungeimpfte: „Ihr seid jetzt raus aus dem gesellschaftlichen Leben“, die Forderung der bayerischen Grünenpolitikerin Katharina Schulze, „den Handel endlich für die Ungeimpften zu schließen“ und derlei Aussprüche mehr, zumal es sich bei den Urhebern um Mandatsträger mit realer Macht handelte, wie sie ein relativ unbekannter Künstler des Jahrgangs 1981 eher nicht besitzt. Die politische Forderung nach dem Ausschluss eines nicht eben kleinen Teils der Bevölkerung aus dem zivilen Leben spricht übrigens ebenfalls nicht dafür, dass diejenigen, die sie aufstellten, besonders viel aus der Geschichte gelernt hätten. Höchstens so viel wie die ZDF-Mitarbeiterin Sarah Bosetti, die ein paar Millionen Bürger zum Blinddarm der Gesellschaft erklärte („rechts und unten“). Folgerichtig besitzt sie mittlerweile so viele Preise wie Hermann Göring weiland Orden.

Diese Verhältnisse setzen bei dem einen oder anderen vielleicht tatsächlich die Hemmschwelle herunter, bestimmte Parteien nicht mehr zu wählen und/oder die Demokratieabgabe sinnvoller zu investieren, wobei weder das eine noch das andere irgendein Rechtsgut gefährdet, dafür aber das Lebens- und Geschäftsmodell ziemlich vieler Leute. Warum der Richter die groteske juristische Gleichung ‘kritisches Zitieren eines CDU-Politikers, nämlich „Impfen macht frei“ gleich irgendwie Holocaust, und Bezug zur Impfpflicht gleich Verharmlosung des Holocaust‘ überhaupt aufstellte, erschließt sich aus Absatz 3 des Volksverhetzungsparagraphen:
„(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.“

Dass Rosenthal die Shoa weder billigt, leugnet noch verharmlost, schon deshalb nicht, weil er sie gar nicht explizit anspricht, bemerkt eigentlich jeder, sofern er sich nicht gerade verpflichtet sieht, eine künstlerische Äußerung zum Meinungsdelikt zurechtzubiegen. Übrigens wurde der Volksverhetzungsparagraf in der Corona-Zeit noch einmal verschärft, und das ohne jede öffentliche Debatte und geradezu klammheimlich im so genannten Omnibusverfahren, das heißt, die Gesetzesänderung wurde an ein sachlich völlig anderes Gesetz gekoppelt und spätabends im Verbund von den Ampelparteien durchgewunken.

Die Gerichtsverhandlung jedenfalls, bei der es nicht nur um eine Collage geht, sondern die Frage, wie weit Meinungs- und Kunstfreiheit in der UDEM reicht, findet am 29. Oktober 2024 um 13 Uhr im Amtsgericht Bamberg, Raum 29 statt. Und ganz nebenbei, da man sich ja nicht unnötig dumm stellen muss: Hätte der junge Künstler eine gegen die AfD gerichtete Collage mit einer NS-Assoziation angefertigt, wäre ihm kein Strafbefehl ins Haus geflattert, sondern mindestens eine Anfrage für eine regionale Talkshow.

Verfahren dieser Sorte finden mittlerweile zu oft und regelmäßig statt, als dass sie als Einzelfälle gelten könnten. Vor einigen Monaten musste ein Bürger aus dem schönen Gmund am Tegernsee vor Gericht, weil er am Zaun seines Grundstücks ein völlig harmloses Plakat mit einer Habeck- und Baerbock-Karikatur angebracht hatte. Immerhin gab es einen Freispruch.

Kurz danach traf es einen anderen Tegernsee-Anwohner, den Autor Rainer Meyer, besser bekannt unter seinem nom de plume Don Alphonso. Er meinte auf Twitter, es gäbe einen Wirtschaftsminister, der in einer Gruppe von Profialkoholvertilgern auf dem Bahnhofsvorplatz nicht negativ auffallen würde, wobei er noch nicht einmal einen Namen nannte. Derjenige in Berlin, der sich angesprochen fühlte, stellte neben seiner rastlosen Arbeit für ein anderes Deutschland beziehungsweise gerade in diesem Rahmen Strafantrag; einen Freispruch bekam Meyer erst in der zweiten Instanz.

In Köln musste sich jemand vor Gericht verantworten, der öffentlich geäußerte Sätze wie die von CSU-Huber, Katharina Schulze und anderen über Ungeimpfte und Maßnahmengegner sammelte und ins Netz stellte, und zwar wegen des irrsinnigen Vorwurfs, er hätte damit eine Feindesliste zusammenkompiliert. Auch hier endete die staatsanwaltschaftliche Bemühung mit einem Freispruch.
Aber erstens führt die Verfolgung legaler und legitimer Meinungsäußerungen durch die Justiz auch dann zu einem Verschleiß von Zeit, Kraft und Nerven, wenn am Ende keine Strafe steht. Zweitens gibt es inzwischen auch keine Garantie mehr auf einen milden Ausgang. Eine Justiz, um die man sich als Demokrat alten Typs keine Sorgen zu machen bräuchte, würde derartige Verfahren gegen harmlose Normalbürger ja gar nicht erst anstrengen. Und drittens argumentieren geschulte Spätleninisten respektive Vorkämpfer von UDEM wie Familienministerin Lisa Paus: Wenn so viele am Ende durch das Netz der Strafverfolgung schlüpften, müsse der Staat diese Maschen eben enger zurren. Bei Prozessen der aufgeführten Art marschieren übrigens Cousins und Brüder des Angeklagten garantiert nicht im Verhandlungssaal auf, höchstens wedelt ein Einzelbürger ein bisschen mit dem Grundgesetz. Und das kann ein Vertreter von UDEM nun wirklich problemlos ab.

Soweit also die Politisierung von Justiz und ganz nebenbei auch die des Verfassungsschutzes. Denn genauer betrachtet erfüllen die avantgardistischen Staatsanwälte und Richter ja nur die vom Geheimdienst geprägte Deliktformel der Staatsdelegitimierung mit juristischem Leben.

Es geht aber nicht nur um den inneren Umbau bestehender Institutionen, sondern auch um neue Durchsetzungsstrukturen. Der Sowjet von Gütersloh Der unter Förderung der hochlöblichen Bertelsmann-Stiftung, der Mercator-Stiftung und des Bundesinnenministeriums ausgeloste „Bürgerrat gegen Desinformation“ überreichte Nancy Faeser am 12. September eine ganze Reihe von Vorschlägen, um Bürger künftig vor Fehlbehauptungen zu schützen. Nein, nicht vor Falschnachrichten wie „wer sich nicht impfen lässt, gefährdet andere“. Dafür wäre es ja ohnehin zu spät, und wir wollen nach vorn schauen, nicht wahr. Gehen wir die wichtigsten Punkte schnell durch:

„Die Bundesregierung möge prüfen“, lautet eine der 28 Empfehlungen, „ob auf Grundlage der Definition von Desinformation eine strafrechtliche Verfolgung oder anderweitige Sanktionierung möglich ist.“ Desinformation wird definiert als „gezielte Falschinformation, die verbreitet wird, um Menschen zu manipulieren. Ziel ist es, öffentliche Debatten zu beeinflussen, die Gesellschaft zu spalten sowie den Zusammenhalt und die Demokratie zu schwächen.“ Hier sehen Sie in vorbildlicher Klarheit, dass und wie sich UDEM vom Vorgängermodell unterscheidet: Die Gesellschaft muss zusammenstehen. Einfluss auf öffentliche Debatten darf durchaus sein, nur eben nicht durch Hinz, Kunz und sonstige Gesellschaftsfriedensgefährder.

Vor- wenn nicht Irrwitzige könnten jetzt meinen, „gezielte Falschinformation, die verbreitet wird, um Menschen zu manipulieren“, diese Formulierung passe doch auf Correctiv und deren Wannseekonferenz-Märchen so perfekt wie beispielsweise ein Böhmermann auf das eimerförmige ZDF-Sendebetriebsgebäude in Mainz.

Wie weit das gefehlt wäre, zeigt der nächste Vorschlag des Bertelsmannrats: „Wir empfehlen, ein Desinformationsranking von Aussagen politischer Akteurinnen und Akteure während des Zeitraums des Wahlkampfes einzuführen. Das Ranking soll von einem gemeinwohlorientierten, unabhängigen Medienhaus/Kollektiv (beispielsweise Correctiv) aus kontinuierlich gesammelten Daten erstellt werden.“

Außerdem im Angebot des nicht kremlgesteuerten, sondern homegrown Sowjets: Ein „freiwilliges Siegel für qualitativen Journalismus“ zu schaffen, das eine „unabhängige Stelle“ verleihen soll, vermutlich so transparent und repräsentativ wie der Bürgerrat selbst. Für Bürger soll es, nächster Vorschlag, verpflichtende Schulungen in Gestalt von Elternabenden geben. Zur Begründung heißt es: „Erwachsene sind besonders schwer zu erreichen, da sie oft nicht mehr zur Schule gehen und ihre Meinungen gegebenenfalls verhärtet sind. Um genau diese Bevölkerungsgruppe dennoch zu erreichen, können verpflichtende Maßnahmen dabei helfen, die Diskussionsbereitschaft zu erhöhen und gleichzeitig wichtige Kompetenzen zu vermitteln.” Bei diesen Enthärtungsseminaren sollte es im nächsten Schritt zur auch zur Pflicht werden, Erzeugnisse des Siegeljournalismus zu lesen. Denn ohne Konsumenten wäre die ganze Mühe ja glatt umsonst.

Mit Freiwilligkeit, einem Konzept aus der schlechten alten patriarchalischen Zeit, braucht diesen Ratsmitgliedern niemand zu kommen. Die schlagen nämlich auch vor: „Es wird eine Stabsstelle Desinformation in der Pressestelle des BMI eingerichtet, die den BMI-Presseverteiler nutzt, um alle Medienschaffenden regelmäßig zum Thema Desinformation zu versorgen.“

Auch von der Vorstellung, die Desinformation einfach dem journalistischen Selbstlauf zu überlassen, müssen wir uns in UDEM verabschieden. Bei der geplanten Stabsstelle handelt es sich übrigens um unsere Schwesterbehörde. Eine weitere Idee des Rates besteht darin, Veröffentlichungen auf sozialen Plattformen vorzugsweise bei „sensiblen Themen“ künftig mit künstlicher Intelligenz auf Triggerworte zu durchforsten. „Bei einer Einstufung des Beitrags als Desinformation wird der Post nicht veröffentlicht“.

Die Innenministerin nahm diese Vorschläge am 12. September erfreut entgegen, und zwar mit den Worten: „Ich danke allen Beteiligten für das freiwillige und ehrenamtliche Engagement. Wir werden die Empfehlungen jetzt auswerten und prüfen, inwieweit sie in die weitere Arbeit des BMI in diesem Themenfeld einfließen können.“ Und Faeser ist dabei nicht allein.

Sehen Sie, hier können Sie den Unterschied zwischen der nicht mehr zeitgemäßen alten Demokratie – gewissermaßen dem Verbrenner unten den Gesellschaftsformen – und UDEM besonders schön studieren: Selbst ein altautoritärer Innenministerknochen von der Härte eines Friedrich Zimmermann wäre nicht mit Angehörigen eines dubios zusammengecasteten Gremiums vor die Kamera getreten, um Vorschläge entgegenzunehmen, eine gerichtlich mehrfach zertifizierte Schwindelbude mit der Oberaufsicht über den Journalismus zu betrauen, flächendeckend Zensur einzuführen und Bürger in Zwangskurse zu schicken. Ein wiederauferstandener Zimmermann hätte ihnen stattdessen gesagt: „Gehen Sie doch nach drüben“ und sich nicht schlecht darüber gewundert, dass der Rat mit seinen Vorschlägen gerade Bürgerumtriebe eindämmen will, wie sie östlich der Elbe stattfinden. Die sozialdemokratische Nach-Nach-Nachfolgerin des Erzreaktionärs verspricht dagegen, den Maßnahmenkatalog in die politische Praxis zu überführen, wo immer es geht. Das zeigt: Es ändern sich in diesem Land nicht nur ein paar Dinge an der Oberfläche, sondern in der Tiefe.

Der eine oder andere fragt sich vielleicht: Was sind das für Leute, die in diesen Bürgerräten sitzen und darüber nachsinnen, wie sich Deutschland wieder ein bisschen totalitär machen lässt? Das Achimer Kreisblatt stellt ein Mitglied namens Benjamin Bäuml aus Achim, NRW, vor und zitiert ihn so: „Die Gefahr der Desinformation sei eben, ‘dass die Leute das glauben‘, sagt Bäuml. Doch missbräuchlicher Journalismus ist eben nicht das einzige Mittel der Meinungsmache, der Manipulation der Massen.“ ‘Missbräuchlicher Journalismus’, lieber Leser, an solche Wendungen müssen Sie sich in UDEM gewöhnen, genauso wie an friedensgefährdende Kunstwerke und „umstrittene Literatur“. Die kommt gleich vor, ich will nur vorher noch darauf hinweisen, dass die deutsche Ausgabe von Facebook inzwischen Postings zensiert, die weder eine Beleidigung noch eine Falschdarstellung beinhalten, sondern nach Ansicht irgendwelcher humanoiden oder technischen Putzerfische einfach unterbleiben müssen. Soweit also zu der immer noch virulenten Vermutung, Bertelsmannstuhlkreise, Tiefenstaatsorganisationen und ähnliche Kräfte würden im echten Leben kaum etwas bewirken.

Umstrittene Literatur also: Die finden Leser beispielsweise in der Berliner „Bibliothek des Konservatismus“, die seit einiger Zeit zu einem Bibliothekenverbund gehört, worüber sich grüne Abgeordnete in der Hauptstadt empörten. Diese Politiker treffen dort im „Experimentierlabor Berlin“ (ARD), wo auch ein Vermieterführerschein und die 15-Minuten-Stadt auf dem Vorschlagzettel stehen, problemlos auf eine Zeitung, die schlagzeilt: „Neurechte Bücher: so leicht findet man umstrittene Literatur“.

Es handelt sich natürlich durchweg um völlig legale Titel, die auch in der Deutschen Nationalbibliothek stehen. Aber darum geht es nicht, sondern um die zu leichte Verfügbarkeit von Schund & Schmutz. Und hier kommen wir zum dritten und letzten Feld der Umgestaltung nach der Meinungsjustiz und den Bürgerkontrollräten: die Medien selbst, die schon vieles von sich aus richtig machen. Nur: In der Vergangenheit trieben sie ihre Propaganda (die sie noch nicht einmal so nennen wollten), zu verschämt und bieder. Auch das passte zu früheren Vorstellungen vom Zusammenleben, aber nicht mehr zu UDEM. In der neuen Ordnung dürfen die Medienschaffenden den Stolz auf ihre Missionsriemen offen zeigen. Sie sollen sogar. Wenn sich bei der ARD-Sendung „Die 100“ ein Mann öffentlich vom AfD-Wähler zu einem Unsererdemokraten bekehrt, und sich herausstellt, dass es sich um einen Kleindarsteller und Tatortkomparsen handelt, dann haben künftig defätistische Kommentare aus den eigenen Reihen wie „das ärgert die Macher selbst am meisten“ zu unterbleiben.

Klar ärgert es sie, dass so etwas auffliegt. Der Kollege vom WDR liegt außerdem schon richtig bei der Beschimpfung derjenigen, die eine böse Absicht der ARD wittern. Denn es handelt sich selbstredend um eine gute Absicht. Nur künftig hängen wir so etwas nicht mehr an die große Glocke, Herr Restle. Wir verstehen uns doch?
Und Witze im Netz darüber gibt es auch nicht mehr lange.

Witze entstehen in UDEM mittelfristig nur noch in zugelassenen und geprüften Bereichen, etwa in Böhmermannhausen. Nein, für Hemmungen gibt es hier keinen Platz. Die zeigt der Richter in Bamberg ja auch nicht, ebenso wenig Frau Bosetti, die 120 Sowjetmitglieder, Bertelsmannstiftungspersonen, nicht die Innenministerin und Thomas Haldenwang schon gar nicht. Keinerlei Zweifelblässe, ob das nicht alles ein bisschen zu viel des Grundguten wäre. In der alten Zeit stimmte das vielleicht. Aber jetzt bricht eben eine neue Epoche an. Die verlangt auch von den Narrativschaffenden andere Saiten und Seiten.
Beim Tagesspiegel etwa gibt es ganz frisch einen Acht-Punkte-Ratgeber für Unseredemokratie-Eltern, wie sie ihre undemokratischen Kinder richtig erziehen. Wie, Sie meinen, so etwas wie „undemokratische Kinder“ würde selbst der fanatischste Hauptstadtjourno nicht wirklich in seine Tastatur hacken?

Oh doch, das tut er. Und demnächst noch ganz andere Sachen. „Unsere Demokratie“ bedeutet: Sie befindet sich in den richtigen Händen. Demokratie und Vielfalt haben eins gemeinsam: Sie sind nicht für jeden da.

Wir leben in einer Übergangszeit. Möglicherweise finden wir von der Stabsstelle uns ganz am Ende auf der Verliererseite wieder. Aber bis dahin zapfen wir noch einige alte Mentalitätsschichten an, die in diesem Land nach wie vor erstaunlich viel hergeben. Solange sich Leute freiwillig für Zensurräte melden und uns entgegenarbeiten, kann die Lage für uns so schlecht nicht sein.

 

 

 

 

 


Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.


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