Donald Trump sagt die Unwahrheit, übertreibt maßlos, hantiert mit irreführenden Aussagen und reißt Sachverhalte sinnentstellend aus ihrem Zusammenhang. Nicht ständig, aber auch nicht selten. Und nicht erst seit dem Präsidentschaftswahlkampf 2024. Darum soll es hier auch gehen, aber nicht nur.
Dieser Text widmet sich einem Gebiet, das ein großer Teil der US-amerikanischen Journalisten nur unwillig und ein gutgesinnter Teil deutscher Medienschaffender grundsätzlich nie betritt: Die absurden Aussagen, die Verdrehungen und Irreführungen, mit denen Kamala Harris ihre Kampagne betreibt. Zwar bewegt sie sich bei vielen ihrer Auftritte so weit im Allgemeinen, dass sie in Hinblick auf Fakten kaum etwas falsch machen kann, etwa, als sie auf die Journalistenfrage, was die Biden-Harris-Administration gegen die Inflation unternommen habe, die Antwort gab, Inflation sei ein großes Problem, denn Dinge würden teurer: „Bread costs more, gas costs more.“ Trotz dieser rhetorischen Technik bleibt in ihren Reden und den Tweets ihres Hauptquartiers immer noch sehr viel übrig, was klar durch jede Faktenprüfung fällt – vorausgesetzt, es findet eine statt. Seit sich die Umfragewerte zu ihren Ungunsten drehen, erhöht sich die Schlagzahl ihrer irreführenden und erfundenen Behauptungen deutlich. Aber noch vor der Liste ihrer wichtigsten Unwahrheiten soll es um einen typischen Trumpismus gehen und gleichzeitig um eine Antwort auf die Frage, warum ihm seine vielen unbelegten Behauptungen und Wirklichkeitsverbiegungen bei einem erheblichen Teil der US-Wählerschaft nicht schaden.In der Fernsehdebatte mit Kamala Harris am 10. September machte Trump eine Ausführung, die ihm bis heute nachhängt und Gegenstand unzähliger Memes wurde. Als er über illegale Migration sprach, erzählte er die Geschichte von den haitianischen Einwanderern, die in Springfield, Ohio, Hunde und andere Lieblinge der Einwohner verspeisen würden: „In Springfield essen sie Hunde. Die Leute, die dort hereinkamen, sie essen Katzen. Sie essen, sie essen die Haustiere der Leute, die dort leben.“ Im Original: In Springfield, they’re eating the dogs. The people that came in, they’re eating the cats. They’re eating, they’re eating the pets of the people that live there.” Die Behauptung stammte nicht von Trump selbst, sie kursierte schon einige Zeit vor der TV-Debatte in sozialen Netzwerken, wo sie nach dem Muster entstand und sich ausbreitete wie viele andere moderne Sagen. Am Anfang stand jemand, der selbst nichts bezeugen konnte, sondern sich auf eine angeblich glaubhafte Versicherung einer anderen Person berief.
Im Fall der geschlachteten Katze von Springfield heißt die Person, auf die offenbar alles zurückgeht, Erika Lee: Sie schrieb auf Facebook, ihre Nachbarin habe ihre Katze vermisst, nach ihr gesucht und dabei in der Nachbarschaft ein von Migranten aus Haiti bewohntes Haus entdeckt, auf deren Veranda mehrere ausgeweidete Haustiere an Stricken gehangen hätten. Tatsächlich wurde jedoch die Katze einer Bekannten ihrer Nachbarin vermisst und im Haus der geschlachteten Tiere stellte sich die Begebenheit als Erzeugnis der stillen Post heraus. Lee löschte ihren Facebook-Eintrag wieder. Dafür, dass sie das Gerücht aus rassistischen Motiven verbreitet hätte, spricht nichts: Lee ist Mutter einer halbschwarzen Tochter.
Die Mär vermischte sich obendrein noch mit dem authentischen Fall einer tatsächlich aufgegessenen Katze, der sich im August 2024 in Ohio zutrug, allerdings in der Kleinstadt Canton, gut 175 Meilen von Springfield entfernt. Bei der Täterin handelte es sich um eine psychisch gestörte Frau ohne Migrationsgeschichte.
Trump schnappte also in der Debatte vor Millionenpublikum eine zusammengequirlte Geschichte auf, die ihm gut in sein zentrales Thema zu passen schien, nämlich die real existierende Migration. Und deren Folgen wiederum zeigen sich in Springfield besonders drastisch. In die Stadt, in der in den Sechzigern noch gut 80 000 Menschen lebten, und die mit dem Niedergang der klassischen Industrie auf 60 000 schrumpfte, kamen innerhalb kurzer Zeit zwischen 10 000 und 15 000 Migranten aus Haiti, die einen temporären Schutzstatus genießen. Diese schnelle Zuwanderung aus dem Süden veränderte Springfield, und zwar nach Ansicht vieler Bürger zum Schlechteren. Als Vivek Ramaswamy, Unternehmer, früherer Kandidat in den Vorwahlen und Trump-Unterstützer, am 19. September zu einer Bürgerversammlung einlud, sprachen die Leute in der vollen Halle nicht über Haustiere, sondern über das veränderte Klima in der Stadt:
Viele der Haitianer, so die Klage, würden mit schrottreifen Autos fahren und Verkehrsregeln ignorieren, was schon zu vielen Unfällen geführt habe, etliche besäßen für ihren Wagen keine Versicherung, die meisten sprächen außerdem kein oder kaum Englisch, was die Regelung von Konflikten extrem erschwere. Die Stimmung in Springfield kippte schon im August 2023, als ein Migrant aus Haiti in einen Schulbus fuhr; ein 11-Jähriger starb dabei, mehrere Kinder erlitten Verletzungen. Die Stadtverwaltung, so lautete eine wiederkehrende Beschwerde bei der Veranstaltung, lasse die Bürger mit diesen Problemen allein. Trump benutzte in der Debatte mit Harris also ein faktisch falsches Beispiel, um in schriller Weise eine reale Entwicklung zu illustrieren, die Millionen Amerikaner als negativ empfinden. In der Amtszeit von Joe Biden und Harris kamen etwa fünf Millionen Migranten in die USA, darunter schätzungsweise 2 Millionen illegale (nicht insgesamt 21 Millionen, wie Trump in der gleichen Debatte am 10. September behauptete). Eine offenbar große Zahl von Wählern traut dem Ex-Präsidenten zu, vor allem die Zahl der ungesetzlichen Grenzübertritte zu senken und sehen es ihm nach, wenn er die Katzengeschichte einstreut und eine statistische Größe kurzerhand vervierfacht. Sie trauen es umgekehrt Kamala Harris nicht zu, die in einem Interview mit dem ihr sehr freundlich gesinnten Sender CBS meinte, das Problem der ungesteuerten Immigration gebe es schon lange („a long-standing problem“), die Zahlen hätten sich zuletzt außerdem halbiert, und die den Hinweis des Interviewers überging, dass sich die Grenzübertritte in ihrer Amtszeit allerdings vorher vervierfacht hatten.
Falschbehauptungen allein bringen traditionell keinen Kandidaten um den Wahlsieg. Es geht immer um das Gesamtbild des Bewerbers. Was die Frequenz und Drastik kontrafaktischer Äußerungen angeht, liegt Harris mit Trump nahezu gleichauf. Nur erfährt sie eben eine sehr viel sanftere Behandlung durch die gleichen Medien, die sich kollektiv auf die Katzenlegende ihres Gegenspielers und jede andere Verdrehung stürzen.
Die folgende Aufzählung berücksichtigt längst nicht alles, was Harris in ihrer Kampagne an objektiv Falschem und Irreführendem verkündete, sondern dokumentiert nur eine kleine Auswahl.
In einer Wahlkampfrede am 18. Oktober erklärte sie (und bekräftigte es zusätzlich auf X), dass bei der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021 durch Trump-Anhänger mehrere Angehörige der Sicherheitskräfte getötet worden seien. Dafür trüge der frühere Präsident die Verantwortung. An dieser Behauptung stimmt nichts.
Bei der Besetzung des Kapitols in Washington am 6. Januar kamen zwar mehrere Menschen ums Leben: Ashli Babbitt, eine unbewaffnete Frau, die zu den Eindringlingen gehörte, wurde von einem Polizisten erschossen. Eine Person starb im Gedränge an einer Drogenüberdosis, drei weitere an natürlichen Ursachen. Aber kein einziger Sicherheitsbeamter verlor wegen der Ereignisse in und um das Kapitol sein Leben. Unmittelbar nach dem 6. Januar erklärten etliche Medien den Beamten der United States Capitol Police Brian David Sicknick zum mittelbaren Opfer: Einer der Eindringlinge hatte ihn im Gebäude mit Pfefferspray besprüht, am nächsten Tag starb Sicknick an zwei kurz aufeinanderfolgenden Schlaganfällen. Der zuständige Gerichtsmediziner kam allerdings zu dem eindeutigen Schluss, dass kein Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen bestand und stellte eine natürliche Todesursache fest. In dem Fall ermittelten noch die Metropolitan Police Washington D. C. und das FBI; keine der Behörden kam zu einem anderen Ergebnis. Harris servierte hier also eine reine Erfindung. Nicht anders verhält es sich mit dem angeblichen „Trump abortion ban“, „Trumps Abtreibungsverbot“, das ihr Kampagnenteam in mehreren X-Postings beschwört.
Ein „Trump-Abtreibungsverbot“ existiert schlicht nicht und kann nicht existieren – die Regelungen zur Abtreibung liegen in der Hoheit der einzelnen US-Staaten. Eine gesetzliche Bundeszuständigkeit dafür existierte nie. Im Jahr 2022 und damit in Bidens Amtszeit kippte eine Mehrheit des Obersten Gerichts in einer spektakulären Entscheidung das historische Urteil Roe vs. Wade von 1973, das Abtreibungen grundsätzlich unter den Schutz der amerikanischen Verfassung stellte. Seitdem herrschen in den einzelnen Bundesstaaten sehr unterschiedliche Regelungen, von weitgehender Abtreibungsfreiheit wie in Kalifornien bis zu restriktiven Regeln in konservativen Staaten. Trump erklärte mehrfach, er wolle auch in einer zweiten Amtszeit keine Bundeszuständigkeit für Abtreibungen schaffen. Die Kompetenz dafür soll seiner Meinung nach dort bleiben, wo sie liegt. Wie der Politiker, der in seiner Amtszeit bis 2020 nie einen Versuch unternahm, die Abtreibung auf Bundesebene zu regeln und der seit 2020 kein Amt mehr ausübt, ein Abtreibungsverbot zustande gebracht haben sollte, erklärt Harris nirgends.
Den von ihr frei erfundenen „Trump abortion ban“ brachte Harris außerdem mit dem Tod von Amber Nicole Thurman in Verbindung – sie klagte ihren Gegner in einer weiteren Rede an, den Tod der jungen Frau zumindest indirekt verschuldet zu haben. Die 28-Jährige aus Georgia starb im August 2022 an einer seltenen Nebenwirkung einer medikamentös eingeleiteten Abtreibung, die sie in einer Klinik in North Carolina vornehmen ließ. Grundsätzlich wäre die Abtreibung auch in ihrem konservativen Heimatstaat möglich gewesen, allerdings nur in den ersten sechs Wochen der Schwangerschaft. Thurman entschied sich aber erst danach, ihre Zwillinge nicht auszutragen.
Einige Journalisten und Aktivisten argumentieren, sie hätte eine chirurgische Abtreibung (die in Georgia nicht gestattet ist) höchstwahrscheinlich gut überstanden. Aber erstens gibt es auch dafür keine Garantie, zweitens gelten Abtreibungspillen als relativ sicher und drittens fand die Behandlung eben nicht in Georgia statt, sondern in einem Staat, in dem ein demokratischer Gouverneur regiert. Dass Harris trotz dieser Faktenlage Thurmans Tod für ihren Wahlkampf ausschlachtet, wirkt nicht nur abstrus, sondern auch schäbig.
In der Debatte gegen Trump am 10. September leistete sich Harris zwei weitere gravierende Falschaussagen. Weniger zurückhaltend könnte man auch sagen: Lügen. Zum einen reaktivierte sie die schon längst zigfach widerlegte Darstellung, Trump habe für den Fall, dass er nicht gewählt würde, mit einem „Blutbad“ gedroht: „Um an der Stelle klar zu sein, Donald Trump, der Kandidat, hat gesagt, in dieser Wahl wird es ein Blutbad geben, wenn das Ergebnis nicht seinen Wünschen entspricht.“ (“And be clear on that point, Donald Trump, the candidate, has said in this election there will be a bloodbath if […] the outcome of this election is not to his liking.”)
Hier präsentierte die Vizepräsidentin eine lupenreine Fake News, die auf eine Trump-Äußerung in einem völlig anderen Zusammenhang basiert. In Wirklichkeit benutzte er dieses Wort in einer Kundgebungsrede am 16. März 2024 in Ohio, als er über die US-Autoindustrie sprach, die er von chinesischen Importen bedroht sieht. Das Zitat lautet: „Wir werden einen 100-prozentigen Zoll auf jedes einzelne Auto erheben, das über diese Linie (die Grenze) kommt und du wirst nicht in der Lage sein, diese Autos zu verkaufen. Wenn ich gewählt werde. Nun, wenn ich nicht gewählt werde, wird es ein Blutbad für das Ganze geben (gemeint: Amerikas Autoindustrie) und das wird noch das Geringste sein. Es wird ein Blutbad für das Land werden.“ (“China now is building a couple of massive plants where they’re going to build the cars in Mexico and think, they think, that they’re going to sell those cars into the United States with no tax at the border. […] We’re going to put a 100 percent tariff on every single car that comes across the line, and you’re not going to be able to sell those cars. If I get elected. Now, if I don’t get elected, it’s going to be a bloodbath, for the whole — that’s going to be the least of it. It’s going to be a bloodbath for the country. That’ll be the least of it. But they’re not going to sell those cars.” Das Merriam Webster Dictionary führt als eine Bedeutung von “bloodbath” an: ein “major economic disaster”, also ein „wirtschaftliches Unglück von großem Ausmaß“.
Genau in dieser durch den Kontext völlig klaren Bedeutung benutzte Trump die Wendung. Trotzdem rissen viele US-Medien sie routiniert aus dem Zusammenhang, etwa CBS, ihre deutschen Nachahmer folgten umgehend, beispielsweise die Tagesschau.
In der Fernsehdebatte kochte Harris außerdem einen uralten Schwindel noch einmal auf – die Legende, Trump habe 2017 die Antisemiten und Neonazis, die damals in Charlottesville linken Demonstranten gegenüberstanden, verharmlost und gelobt. „Erinnern wir uns an Charlottesville“, so die Kandidatin, „wo der Mob Fackeln trug und antisemitischen Hass ausspie. Und was sagte der Präsident damals? ‘Es gab gute Leute auf beiden Seiten‘.“
(“Let’s remember Charlottesville, where there was a mob of people carrying tiki torches spewing antisemitic hate. And what did the president then at the time say? ‘There were fine people on each side.’”)
Hier entstellt Harris die tatsächlichen Worte Trumps sogar noch gröber als in der Blutbad-Legende. Denn in einer Erklärung vom 14. August 2017 verdammte er ausdrücklich diesen Mob und das mit Formulierungen, die keinen Raum für Interpretationen lassen: „Wie ich am Samstag sagte, verurteilen wir auf das härteste diese empörende Zurschaustellung von Hass, Heuchelei und Gewalt – das hat keinen Platz in Amerika. Wie ich es schon oft gesagt habe, unabhängig von der Hautfarbe, wir leben alle unter den gleichen Gesetzen […] Rassismus ist ein Übel und die, die in seinem Namen Gewalt verursachen, sind Kriminelle und Schurken, einschließlich des KKK (Ku Klux Klan), Neonazis, Anhänger der Lehre von der weißen Überlegenheit und anderer Hassgruppen, die gegen alles stehen, was uns als Amerikanern lieb ist.“
(“As I said on Saturday, we condemn in the strongest possible terms this egregious display of hatred, bigotry and violence – it has no place in America. And as I have said many times before, no matter the color of our skin, we all live under the same laws. We all salute the same great flag, and we are all made by the same almighty God. We must love each other, show affection for each other and unite together in condemnation of hatred, bigotry and violence. We must rediscover the bonds of love and loyalty that bring us together as Americans. Racism is evil, and those who cause violence in its name are criminals and thugs, including the KKK, neo-Nazis, white supremacists and other hate groups that are repugnant to everything we hold dear as Americans.”)
Wenn er meinte, es habe sowohl unter den rechten als auch den linken Demonstranten in Charlottesville „gute Leute“ gegeben, dann bezog er das garantiert nicht auf den rassistischen Mob, wie Harris es ihm anzuhängen versucht. Mit der völlig haltlosen Unterstellung, Trump hätte sich auf die Seite von Neonazis gestellt, rechtfertigte die Chefredaktion des Stern 2017 dessen Titelbild, das den Präsidenten in einer Montage mit einem zum Hitlergruß erhobenen Arm darstellt.
Mit der Blutbad-Geschichte und der falschen Nazi-Unterstellung demonstrierte Harris erstens Willen zur Faktenverdrehung, der im krassen Gegensatz zu dem Bild steht, das ihr zugeneigte Journalisten zeichnen, nämlich das der integren, souveränen Demokratin, die das zerrissene Land wieder heilen möchte. Zum zweiten spricht ihr gezielter Einsatz von Falschbehauptungen auch für eine argumentative Not: Sie bestreitet ihre Kampagne über weite Strecken nicht damit, ihre eigene Bilanz als Vizepräsidentin vorzulegen und ein detailliertes Regierungsprogramm zu entwerfen, mit dem sie die Probleme des Landes angehen möchte. Ihr Hauptthema lautet stattdessen: Trump, Trump und nochmals Trump.
Je schlechter es in den Umfragen für sie aussieht, desto stärker kapriziert sie sich zusammen mit ihren Beratern auf die Metaerzählung, in dem Republikaner stecke in Wirklichkeit der amerikanische Hitler mit fertigen Diktaturplänen. ‘Ich oder der Faschismus# – so lautet ihr letzter Versuch, die Wahl noch für sich zu entscheiden. Für die Trump = Hitler-Strategie verbreitet sie neuerdings sogar eine journalistische Fabrikation, die den vorläufigen Tiefpunkt im Niedergang linker US-Medien markiert.
Harris‘ mittlerweile mehrfach auf X verbreitete Behauptung, Trump wünsche sich Generäle, wie Hitler sie hatte, stützt sich ausschließlich auf einen Artikel des Atlantic vom 22.Oktober 2024. Atlantic seinerseits stützt sich auf gar nichts, sondern tritt mit diesem Text auch seinen letzten Rest Journalismus in die Tonne.
In dem Text des Autors Jeffrey Goldberg heißt es: „Als seine Präsidentschaft sich dem Ende zuneigte und in den Jahren danach zeigte er (Trump) mehr und mehr Interesse an den Vorzügen der Diktatur und an der absoluten Kontrolle über das Militär, von dem er glaubte, dass es ihm die Herrschaft sichern würde. ’Ich brauche die Sorte von Generälen, die Hitler hatte’, sagte Trump in einem privaten Gespräch im Weißen Haus zwei Leuten zufolge, die gehört hatten, wie er das sagte.“
(“As his presidency drew to a close, and in the years since, he has become more and more interested in the advantages of dictatorship, and the absolute control over the military that he believes it would deliver. “I need the kind of generals that Hitler had,” Trump said in a private conversation in the White House, according to two people who heard him say this.”)
Die beiden angeblichen Ohrenzeugen bleiben in dem Text namenlos, es gibt noch nicht einmal eine Andeutung zu ihrer Identität, auch keinen Hinweis, wann das Gespräch stattgefunden haben soll. Und noch nicht einmal eine Formulierung, die darauf schließen lässt, ob der Autor selbst mit den beiden vorgeblichen Gesprächsteilnehmern redete oder nur mit jemandem, der ihre Aussage – ähnlich wie in der Springfield-Geschichte – von irgendwoher an den Journalisten weiterreichte. In dem Text findet sich sogar das Dementi des Trump-Sprechers Alex Pfeiffer: „Präsident Trump hat das niemals gesagt.“ Natürlich beweist das nichts zugunsten Trumps, nur galt zumindest früher einmal: Wer Anschuldigungen erhebt, sollte mehr vorweisen als anonyme Zeugen, von denen niemand weiß, ob sie überhaupt existieren. Bei einer minimalen Restseriosität hätte Atlantic wenigstens schreiben müssen: „die das gehört haben wollen“.
Selbst auf diese formale Distanz verzichtet das Blatt – und machte stattdessen den angeblichen Trump-Satz zur Überschrift. Harris und ihre PR-Leute übernahmen wiederum das Gerücht, als würde es sich um eine bewiesene Tatsache handeln und befeuerten damit ihre Kampagne, die sich in den letzten zehn Tagen vor der Wahl fast ausschließlich um den Topos der drohenden Trump-Diktatur dreht. Der Subtext dazu lautet: Ich, Harris, mag zwar keine besonders überzeugende Kandidatin sein – aber ihr müsst mich trotzdem wählen, um Amerikas Hitler im letzten Moment zu stoppen.
Die Strategie leidet unter der offensichtlichen Schwäche, dass Harris nicht erklären kann, warum Trump die Diktatur nicht schon in seiner Amtszeit einführte, als er die Gelegenheit dazu hatte. Diesen wunden Punkt scheint sie damit kompensieren zu wollen, dass sie die Hitler-Analogie in Dauerschleife wiederholt, wodurch sie sich allerdings etwas abnutzt.
Ganz nebenbei liefert das angeblich drohende Ende der amerikanischen Demokratie durch den Orange Man auch die Begründung für alle kontrafaktischen Behauptungen des Harris-Lagers: Im Endkampf der hellen Kräfte gegen die dunkle Seite der Macht darf es keine Zurückhaltung geben. Bei einem ihrer jüngsten Wahlkampfauftritte sagte Harris auf die Frage, ob sie Trump für einen „Faschisten“ halte: „Ja, das tue ich“.
Mit anderen Worten: Dann ist gegen ihn auch alles erlaubt.
Zwischen der Wahlkampf-Berichterstattung in den USA und in Deutschland lässt sich ein Unterschied ausmachen, der viel über die jeweilige Medienlandschaft aussagt. Die Washington Post, der niemand Sympathien für Trump unterstellt, nahm sich nach der Fernsehdebatte im September nicht nur Falschaussagen von Trump vor, sondern auch einige von Harris. Das Wall Street Journal demontierte die Trump-Nazi-Erzählung der Demokraten sogar ziemlich gründlich. Die New York Times, das Hausblatt der Progressisten schlechthin, merkte immerhin an, der ermahnende Ton, in dem Ex-Präsident Barack Obama Schwarze auffordert, gefälligst für Harris zu stimmen, könnte womöglich das Gegenteil bewirken, die Washington Post verspottete Obama sogar als „scolder in chief“, als obersten Schimpfer, der Wähler durch moralische Erpressung statt mit Argumenten gewinnen wolle. In der Einheitsfront von ARD und ZDF bis Spiegel und Süddeutsche gibt es noch nicht einmal diese gelegentliche Distanz.
Was und vor allem wie sie über Harris schreiben, erinnert stark an ihre Inszenierung der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock im Wahlkampf 2020. Bekanntlich gab es damals vor allem einen Faktor, der die medialen Bemühungen störte: Baerbock selbst.
Wohlmeinende deutsche Journalisten bauen schon an dem erklärenden Narrativ für den Fall, dass Harris am 5. November verliert: Dann, so erläuterte es kürzlich eine ARD-Frau für die Tagesschau, liege das vor allem an den schwarzen und den Latino-Männern, die als Machos eine Frau als Präsidentin nicht akzeptieren könnten. Damit wäre durch das deutsche Gebührenfernsehen die Frage schon präventiv geklärt, wer die Schuld am amerikanischen Faschismus trägt, der 2025 anbricht: jedenfalls nicht die Kandidatin.
Eine kritische Überprüfung von Harris‘ Aussagen findet auch in Deutschland statt. Nur eben nicht durch einen Apparat, der jährlich neun Milliarden Euro an Gebührengeldern kassiert, nicht durch ein staatlich finanziertes Correctiv, nicht durch die Journalistenpreis-Medien. Für die ergibt sich nach einem Trump-Sieg übrigens ein ernsthaftes Problem: Den Orange Man, der als Komet auf die Erde zurast und den Mund aufreißt, um sie zu verschlingen – das druckte der Spiegel schon 2017. Seine Zeile: „Das Ende der Welt.“ Den darunter platzierten Spruch „(wie wir sie kennen)“ konnte man sich schon damals sparen.
Wie steigert man so etwas? Nicht ganz einfach. Aber einer Branche, in der Elmar Theveßen als US-Experte gilt, und die Claas Relotius zum „Journalisten des Jahres“ wählte, wird auch dazu garantiert etwas einfallen.
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Die Redaktion