An das Gute glauben, diese Wendung trifft nicht ganz den Punkt. Wir hoffen auf das Gute. Darin liegt ein feiner, aber wichtiger Unterschied.
Es gibt einen Gegenpol zur Hoffnung auf das Gute, nämlich das Wissen um die Existenz des Bösen. Wir wissen, dass das Böse nicht abstrakt existiert. Es nimmt leichter Gestalt an als die Güte. Zumindest in irdischen Verhältnissen erscheint das Zerstörerische ursprünglicher und konkreter als das, was baut und heilt. Dafür gibt es einen einfachen Grund: Die Zerstörung fällt unendlich leichter als ihr Gegenteil. In den Anschlägen auf ein Fest in Solingen oder auf den Weihnachtsmarkt von Magdeburg tritt das Bösartige so rein und konkret hervor, wie es bei dem Guten nur in sehr seltenen Fällen geschieht.Der Glaube an einen gütigen Gott (den des neuen Testaments, der Alte kannte auch Wut und Rachsucht) kehrt dieses niederdrückende irdische Verhältnis um, indem er das Gute an die erste und ursprüngliche Stelle setzt und die Existenz des Bösen als Abfall von Gott erklärt. Diese Umkehrung des miserablen irdischen Verhältnisses macht den Kern des Christentums aus, noch einmal verdichtet in dem Satz von Jesus: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Darin liegt keine Weltflucht, keine Naivität, keine Leugnung des Bösen, sondern eine ungeheure gedankliche Leistung, die dem Zerstörerischen ein Trotzdem entgegenstellt.
Die Frage, wie Gott in seiner Welt das Böse und vor allem so viel Böses zulassen kann, geht deshalb ins Leere. Wäre das Gute und die Güte so allgegenwärtig und konkret, wie wir es beim Zerstörerischen erleben, würde die Güte die Welt durchdringen, gäbe es das Böse nur als Abstraktum – dann bräuchte es gar keinen Gott nach der christlichen Vorstellung. Denn alles befände sich dann schon im bestmöglichen Zustand, der auch das Hoffen überflüssig macht. Bei der Idee einer Güte, die trotzdem existiert – so jedenfalls die Hoffnung – handelt es sich um einen Punkt im Außerhalb, zu dem sich jeder ins Verhältnis setzen kann. Es ist ein Angebot. Christentum lässt sich als fortgesetzte Hoffnung beschreiben, die sich zu seltenen Gelegenheiten und immer nur vorläufig erfüllt.
Naiv wäre es, auf das Gute zu hoffen und die Existenz des Bösen zu vergessen oder sie zu verdrängen. Um sich zu diesen Begriffen in Beziehung zu setzen, muss man nicht Christ sein. Das Christentum gehört zu unserem tiefen kulturellen Erbe, es lässt sich deshalb auch in Formeln jenseits der Religion übersetzen. Egal, ob jemand der Kirche angehört oder sich als Agnostiker sieht – es gibt für alle gute Gründe darüber nachzudenken, warum dieser Kern der christlichen Erzählung seit mehr als zweitausend Jahren diese Anziehungskraft besitzt, auch für sehr viele, die nicht im traditionellen Sinn glauben. Das Hoffen gehört zu den großen menschlichen Grundkonstanten. Hoffnung und Trost hängen als Urbegriffe aneinander. Die meisten von uns sind trostbedürftige Existenzen und wer diesen Gedanken für sich zurückweist und erklärt, er bräuchte keine Tröstung und für Hoffnung habe er keine Verwendung, dem fehlt ein urtypisch menschlicher Zug. Vor ihm schreckt man noch mehr zurück als vor dem schattenlosen Peter Schlemihl.
Der eine Fixpunkt liegt im Außerhalb. Aber in die Welt hinein richtet sich der vielleicht großartigste Satz der gesamten Bibel: „Fürchtet euch nicht.“
Und zwar nicht deshalb, weil es nichts zu fürchten gäbe. Sondern, weil der Trost das letzte Wort haben soll.
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