Publico verabschiedet das alte und beginnt das neue Jahr mit einem kleinen Preisausschreiben. Wir suchen die Wortschöpfung 2024 aus dem Volksmund, und bevor es ans Einreichen, Begründen, Auslosen und Gewinnen geht, müssen wir kurz erklären, wonach die Redaktion sucht.
Wenn bestimmte Phänomene wiederkehren, erinnern sich zumindest Ältere mit Osthintergrund daran: Das gab es schon mal, jedenfalls vor einer Zwischenzeit, die dann doch erstaunlich schnell vorbeizischte. Populäre Wortschöpfungen ohne identifizierbaren einzelnen Urheber kommen eigentlich nur in Gesellschaften mit gestörter öffentlicher Kommunikation vor. Der Volksmund betätigt sich als kollektiver Erfinder nur dann, wenn die Lücke zwischen Normalbürgerwahrnehmung und offiziösen Textblöcken ihm genügend Platz lässt. Wobei wir beim Thema des kleinen linguistischen Jahresrückblicks wären, den Neuwörtern des Jahres 2024. Wie gesagt: Lange bundesrepublikanische Jahre gab der so genannte Volksmund kaum etwas her. Ab etwa 2015 sprang die Worterfindung dann wieder an. Mittlerweile liegt sie fast auf dem Niveau der überhaupt recht untoten DDR, beziehungsweise der Tätärä, wie der VEB Hass & Hetze sie damals nannte. Schon damals fanden die Neuschöpfungen auf zwei Gebieten statt: erstens die Neologismen, zweitens die Paraphrasen. Mit beidem entstand eine realitätsnahe Sprache, während Aktuelle Kamera und Parteiblätter ein Kaderwelsch benutzten, das erstens kein normaler Mensch sprach, und das zweitens, um es mit den Worten des Germanisten Dr. Habeck zu sagen, an keine Dimension der Wirklichkeit heranreichte. Zu den Neuerfindungen gehörte beispielsweise das Arbeiterschließfach für Plattenbauwohnung oder Erichs Lampenladen für den aufwendig illuminierten Palast der Republik. Die Banane in den Farben der DDR wiederum parodierte Honeckers Satz vom „Sozialismus in den Farben der DDR“; bei dem als Banane in den Farben der DDR bezeichneten Lebensmittel handelte es sich um eine Spreewaldgurke. Manche Paraphrasen kursierten nur in exklusiven Kreisen. Chefredakteure beispielsweise, die damals offenbar auch ein kleines Ventil brauchten, nannten den Leiter der Propagandaabteilung des ZK der SED Heinz Geggel, zu dem sie regelmäßig einbestellt wurden, hin und wieder Doktor Geggels. Natürlich nur dann, wenn sie meinten, dass sich niemand von VEB Horch & Guck in ihrer Nähe befand. Nach 1990 trat die oben erwähnte längere Pause ein. Es gab keinen ausreichend großen Raum mehr zwischen der Realitätswahrnehmung von Normalbürgern und Angehörigen der politmedialen Klasse. Überhaupt ließen sich Politiker und Journalisten, Parteien und Medien im Großen und Ganzen gut unterscheiden. Der Volksmund schwieg also. Im Westen kannte man seine schöpferischen Fähigkeiten sowieso kaum.
Das änderte sich 2015, als sich der Wahrnehmungs- und Sprachspalt in der Ära der DDR-geschulten Angela Merkel wieder öffnete, und das sehr schnell und weit. Aus den Zeitungen und Fernsehsendungen erfuhren die Bürger damals, dass Schutzsuchende aus Syrien zu uns kämen, dankbare Menschen, ganz überwiegend Frauen mit Kindern, und natürlich auch einige Männer, Ärzte und Ingenieure, die sich nach Freiheit sehnten, an einem neuen Wirtschaftswunder mitwirken und überhaupt die langweilige Republik bunter gestalten würden. Das, was die Bürger selbst sahen, unterschied sich davon beträchtlich, angefangen damit, dass Syrien plötzlich bis Tunis und Marokko reichte. Das Treiben der schutzsuchenden Importakademiker auf der Domplatte zu Silvester in Köln entsprach auch nicht ganz der Schilderung aus dem offiziellen Katalog. Deutschland änderte sich wie von Katrin Göring-Eckardt vorhergesagt drastisch. Und die Wiederbelebung des Volksmunds gehörte dazu. Er betätigte sich wie weiland im sozialistischen Osten wieder auf beiden Feldern. „Merkellego“ für die Betonsperrklötze, die rund um die Weihnachtsmärkte unsere Art zu Leben schützen – beziehungsweise manchmal eben doch nicht, weshalb es auch eine neue Art zu sterben gibt –, bei diesem Begriff handelt es sich um eine echte Schöpfung. Bei den Goldstücken wiederum paraphrasierte das Kollektiv außerhalb der politmedialen Zone die berühmten Worte des mittlerweile vergessenen Martin Schulz, der meinte, was die Flüchtlinge uns brächten, sei „wertvoller als Gold“. Hier lässt sich das Volksmundprinzip sehr schön erklären: hätte der Politiker damals die Realität nicht ganz so dreist und hemmungslos verkleistert, wäre auch der ironisierte Begriff der Goldstücke nicht entstanden. Bunt erfuhr eine Durchtränkung mit Ironie, und zwar in einem solchen Maß, dass viele Politiker und Redakteure es irgendwann aus ihrem Textbaukasten warfen.
Publico sucht nach dem oben beschriebenen Muster die beste Wortneuschöpfung und die bemerkenswerteste Ironisierung des Jahres 2024. Es steht schon einiges auf der Liste. Beispielsweise der Neubegriff bademanteltauglich, angewendet folgendermaßen: ‚eine bademanteltaugliche Formulierung‘. Das Schöne an aktuellen Volksmundschöpfungen ist, dass sich ihre Bedeutung jedem erschließt. Selbst einem Spiegel-Redakteur, der sie nie und nimmer in einem Artikel verwenden würde. Auf dem parodistisch-ironisierenden Gebiet gehört gesundes Journalistenempfinden (Netzfund) zur Jahresausbeute, also die Fähigkeit, Joe Biden für höchstfidel und einen Meinungsartikel von Elon Musk für „verfassungsfeindliche Agitation“ (Handelsblatt) zu halten.
Weitere Neuprägungen: Wokenkuckucksheim (vorgeschlagen von Michael Klononvsky, Quellenangabe: VEB Volksmund), Schwatzkopf (brachte es nach der Hausdurchsuchung bei Stefan Niehoff zu einem eigenen Hashtag auf X), außerdem die schon etwas speziellere Fährenflucht von Robert Habeck, der damals in Schlüttsiel Anfang des Jahres nur hauchknapp den Mistgabeln der Wutbauern entkam, jedenfalls nach dem Binnenalstergarn des Relotiusmagazins. Dem erzählte er später übrigens, er sei damals fast ausgestiegen – zwar nicht aus der Fähre, aber aus der Politik: „Da brach das Politische voll in meinen privaten, familiären Schutzraum ein“. Also wie ein Hausdurchsuchungstrupp früh um sechs, nur mit dem Unterschied, dass die Umstände hier kein zum Schuriegeln bestimmtes Bürgerchen inkommodierten, sondern ausnahmsweise einmal einen Hochgestellten, der die Bauern am Ufer zwar gar nicht zu sehen, aber ein kleines bisschen zu hören bekam. Ein Ironiebegriff 2024 lautet übrigens: Starkkopf.
Worin besteht nun die Aufgabe für Sie? Ganz einfach: Sie können per Mail an Publico aus der hier aufgeführten Auswahl die Wortneuschöpfung des Jahres 2024 und den Ironiebegriff ´24 auswählen, aber auch eigene Begriffe einreichen, jeweils bei schon vorgeschlagenen wie auch neu eingereichten Worten mit knapper Begründung. Ein Trio, bestehend aus Michael Klonovsky, Bernd Zeller und dem Publico-Herausgeber wählt dann erstens völlig subjektiv Neologismus und Ironiewendung 2024 aus – und zweitens drei der Einsender. Auf sie warten folgende Preise: Ein signiertes Exemplar von Michael Klonovskys neuem Acta-Band „Alles für Buntland“, eine signierte Ausgabe von Bernd Zellers „Frechheit“ und ein gewidmeter Band von „Verachtung nach unten“.
Einsendeschluss ist der 15. Januar 2025.
Publico wünscht allen einen schönen Jahreswechsel – und den Teilnehmern Glück bei der Ziehung.
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