Nach allem, was die Öffentlichkeit über Robert Habeck weiß oder zumindest wissen könnte, nach gut drei Jahren seiner Amtszeit und dem Zustand des Landes, speziell in dem Bereich, für den sein Ministerium zuständig zeichnet, kommt ein Beobachter nicht um die Frage herum: Wie lässt sich der phänomenale Erfolg dieser Person erklären?
Denn um einen Erfolg handelt es sich ohne jeden Zweifel, wenn ein verantwortlicher Politiker mit seiner Bilanz trotzdem in überfüllten, grün ausgeleuchteten, schlecht belüfteten Hallen am Ende seiner Monologe mit segnend ausgebreiteten Armen vor dem Publikum steht, das die Augen zu ihm aufschlägt und sich am Ende mit den Zeichen echter Ergriffenheit erhebt. Sie kommen freiwillig, und Ergriffenheit gehört zu den Zuständen, die Schauspieler imitieren können, aber nicht Laien. So etwas geschieht nicht grundlos. Wem das gelingt, der muss dafür Mentalitätsvorräte aufspüren, um sie nicht nur gelegentlich, sondern dauerhaft anzuzapfen.Die Wendung Erfolgsgeheimnis, eigentlich eine abgenutzte Phrase, passt hier ausnahmsweise perfekt. Denn erstens handelt es sich wirklich um einen Erfolg. Zweitens lässt er sich nicht erklären, zumindest nicht nach herkömmlichen politischen Maßstäben. Wer schreiben würde: ‘Zu Robert Habeck fällt mir nichts ein‘, der beginge einen Fehler, zumindest einen halben. Denn die Gründe dafür, dass er dort steht, wo er steht, liegen auch, aber nicht nur in seiner Person. Durch ihn spricht ein Phänomen, das, um es habeckmäßig zu sagen, sehr viel größer und mächtiger ist als er.
Bevor sich dieser Text mit Robert Habecks eigentlichem Kraftquell befasst, soll es kurz um den Stand seiner politischen Bemühungen gehen. Jetzt, im Winterwahlkampf des Jahres 2025, erlebt er einen persönlichen Höhepunkt, dem wahrscheinlich nichts derart Großartiges mehr folgt. Denn Robert Habeck will nicht ins Kanzleramt einziehen. Das weiß auch jeder, er am allerbesten. Er strebte schon 2021 eine andere Wunschposition an, nämlich die des grünen Kanzlerkandidaten mit allem, was seiner Meinung nach dazugehört: das überlebensgroße eigene Bildnis auf dem Münchner Siegestor, Bühnenmonologe vor Anhängern, durchchoreografierte Küchentischgespräche, Befragtwerden im öffentlich-rechtlichen Rundfunk: „Was hätten Sie lieber, den Posten des Bundeskanzlers oder den Literaturnobelpreis?“ Diese Position besetzt er jetzt, und er lebt sie noch vier lange Wochen aus.
Besser kann es für ihn nicht mehr werden. Bei der Position des Wirtschaftsministers handelte es sich dagegen nicht um sein Sehnsuchtsziel. Im Wahlkampf 2021 traf sich Habeck mit dem Chef einer Polizeigewerkschaft, außerdem mit einem hohen Beamten des Sicherheitsapparats, um zu eruieren, was sie von ihm im Amt des grünen Innenministers halten würden. Die Reaktionen fielen jeweils sehr zurückhaltend aus. Aber das allein hätte seine Pläne wahrscheinlich noch nicht geändert. Am Ende entschied der Kabinettszuschnitt, in dem der Innenministerposten auf Wunsch des Kanzlers an eine Frau fiel, die er über diesen Umweg zur hessischen Ministerpräsidentin zu machen beabsichtigte.
In Habecks programmatischen Schriften („Wer wir sein könnten“) findet sich kaum ein Bezug zur Ökonomie. Es gibt die einen oder anderen früheren Äußerungen, die sich im weitesten Sinn als wirtschaftspolitische Vorstellungen interpretieren lassen. Um einige davon soll es in diesem Text auch gehen. Aber alles in allem wünschte er sich schon damals eine Art von Gesellschaftsministerium, das seinem Zug zum autoritären Denken und seinem Größenbedürfnis etwas besser entspricht als das Ressort, das er dann tatsächlich abbekam. Immerhin führte er es dann mit der Absicht, beispielsweise die Anwendung einer bestimmten Heiztechnik zu belohnen und andere zu bestrafen, was sich wiederum nicht ohne ein umfangreiches Kontrollregime bewerkstelligen lässt.
Industriebranchen benötigen seiner Meinung nach keine Entlastung, sondern die steuernde und kontrollierende Hand des Staates; Unternehmer und Bürger spielen bei ihm vor allem die Rolle der Steuer- und Abgabenlieferanten, die sie, wie er sie in diesem Wahlkampf wissen lässt, noch nicht im ausreichenden Umfang erfüllen. Seine Ausführungen zu den Gefahren der Meinungsfreiheit ganz allgemein und der Notwendigkeit der X-Einschränkung im Besonderen zeigen, wo seine politischen Leidenschaften liegen. Jedenfalls nicht darin, öfter als unbedingt nötig in die viel zu kleine Welt von Entfernungspauschale, Insolvenz-, Steuer- und Sozialrecht hinabzusteigen, also dorthin, wo die Realität einen schneller umzingelt, als man ‘Möglichkeitsraum‘ sagen kann. Dafür hält man sich Personal im Ministerium, für Detailsklärenwirspäter. Seine Vorlieben und Abneigungen erhellen recht gut, warum ihm die deutschen Wachstums- beziehungsweise Schrumpfungszahlen ganz offenkundig nichts ausmachen. Es handelt sich schlicht nicht um sein Metier.
Dass Habeck das tiefsitzende Bedürfnis eines nicht gerade kleinen Teils der Deutschen nach autoritärer Rhetorik gegen die eigenen Landsleute mindestens so präzise erkennt wie weiland Angela Merkel, erklärt allerdings nur einen Teil seiner Anziehungskraft. Auch sein herausgestelltes Großmogultum, mit dem er andeutet, welche Gegner seiner gefühlten Kragenweite entsprechen – nämlich Musk und Trump –, gehört zum Gesamtpaket. Allerdings nur als Beigabe, nicht als Hauptattraktion. Eine Antwort auf die Frage, warum gerade der realexistierende Robert Habeck Zehntausende anzieht und zur ehrlichen Begeisterung bringt, lässt sich nur in einem Phänomen finden, das sich in seiner Wirkung nicht auf das grüne Kernmilieu beschränkt. Und auch nicht auf Deutschland.
Robert Habeck verdankt seinen Aufstieg und seine Position der Tatsache, dass er besser als jeder andere Politiker in Deutschland die Macht des Puerilismus versteht, also der Neigung erwachsener westlicher Menschen, sich kindlich zu verhalten, die eigene Reife möglichst weit hinauszuzögern und im Idealfall ganz zu vermeiden. Kurz: Er repräsentiert und versteht die infantile Gesellschaft wie niemand sonst. Kinderwachsene oder besser formalerwachsene Reifeverweigerer stellen eine große Wählerschicht, die auch in den kommenden Jahren nicht einfach verschwinden dürfte, auch wenn die äußeren Verhältnisse für diesen Typus in Zukunft nicht mehr ganz so förderlich ausfallen könnten wie in den vergangenen zehn Jahren. Puerile Personen verteilen sich nicht gleichmäßig in der Gesellschaft. Man trifft sie in bestimmten Stadtteilen und bestimmten Berufen deutlich häufiger an als in anderen. Wie in allen großen und bedeutenden Zeitströmungen mussten auch für die Entstehung der puerilen Gesellschaft mehrere Entwicklungen selbstverstärkend ineinandergreifen.
Drei Prozesse lassen sich hier unterscheiden. Beginnen wir mit dem informationstechnischen. In mehreren Büchern, zuletzt in „The Anxious Generation“ (deutsch: „Generation Angst“), beschreibt der amerikanische Autor Jonathan Haidt gestützt auf eine Fülle an Material, was die Dauerbenutzung von Smartphones und die Dauerpräsenz auf Plattformen wie TikTok mit der Psyche von Kindern und Jugendlichen anrichtet. Wer mit beidem aufwächst, entwickelt nur eine rudimentäre Konzentrationsfähigkeit, eine kurze Aufmerksamkeitsspanne, eine geringe Frustrationstoleranz. Die kaum noch unterbrochene Verbindung zum Bildschirm und zu Plattformen, die ständige Dauerreize aussenden, konditionieren das Belohnungssystem auf Stimulation in extrem kurzen Abständen. Alles davon wirkt dem normalen Reifevorgang direkt entgegen. Zur Reife gehört erstens die Zunahme der Konzentrationsfähigkeit, die es wiederum überhaupt erst ermöglicht, auch längere und komplexe Aufgaben zu bewältigen, zweitens die erlernte Fähigkeit, mit Schwierigkeiten, Kritik und Niederlagen umzugehen, und drittens die Überwindung des Bedürfnisses nach unentwegter Belohnung.
Sehr widerstandsfähigen Naturen gelingt es vielleicht, die Verwandlung vom Kleinkind zum Erwachsenen trotz Mobiltelefon, zehnstündiger täglicher Bildschirmzeit und zehntausenden TikTok-Videos zu durchlaufen. Aber selbst das kostet eine psychische Kraft, die besser an anderer Stelle der Persönlichkeitsbildung aufgehoben wäre. Viele, sehr viele treten allerdings mit der Aufmerksamkeitsspanne, dem Narzissmus und der Belohnungssucht eines Sechsjährigen in das formale Erwachsenenalter ein.
Darunter liegt noch ein tieferer und historisch älterer Schub, der ins puerile Zeitalter führte, eine Erscheinung, die bis heute den Kern der woken Weltsicht bildet: Die Absolutsetzung der persönlichen Gefühle. Schon in seinem Buch „La tentation de l’innocence“ von 1995 zog Pascal Bruckner die Verbindung zwischen Infantilismus und Selbstviktimisierung, und zwar als Opfer selbst zugeschriebener Leiden, hauptsächlich jenen, von einer Struktur diskriminiert und unterdrückt zu werden. Wer es einmal lernt, sich nicht als Individuum mit eigener Entscheidungsmöglichkeit zu definieren, sondern als Mitglied eines Anspruchs- und Opferkollektivs, so Bruckner, der konserviere für sich als Erwachsener gleich zwei kindliche Grundgefühle: das der Abhängigkeit des eigenen Lebens von anderen und die Delegation jeder Verantwortung an andere.
Die sogenannte standpoint epistemology gehört zu den Kerndogmen der Wokeness, die Festlegung also, es habe objektiv als Verletzung zu gelten, was jemand subjektiv so empfindet. In dieser neuen Welt verschob das daran interessierte Milieu Begriffe grundsätzlich: Als verletzend und traumatisierend galt nun nicht mehr nur ein körperlicher Angriff, sondern schon ein falsches Wort, als toxisch nicht nur eine Giftsubstanz, sondern jede Umgebung, die jemand als ungemütlich empfand. Natürlich galt und gilt die Selbstveropferungstechnik nicht für alle und jeden. Ein weißer Arbeiter etwa hat sich nicht zu beklagen, wenn ihn Mitglieder der erwachten Elite als white trash, Insasse des basket of deplorables oder Diesel-Dieter beschimpfen. Für die Richtigen erschließt die Opfer- und Anlagerhetorik dagegen ein weites Feld.
Viele fragen, warum das Transgenderthema diese überragende Bedeutung gewinnen konnte, es betreffe doch nur eine winzige Minderheit. Ganz einfach: Es öffnete den Opferwettbewerb endgültig für alle, die bisher mangels dunkler Hautfarbe oder einer anderen Minderheitszugehörigkeit nicht daran teilnehmen konnten. Wer sich beispielsweise als nichtbinär definiert, findet immer jemanden, der ihn oder sie mit dem falschen Pronomen anspricht. Das lässt sich umgehend als Verletzung reklamieren, unabhängig davon, welche Privilegien jemand ansonsten genießt.
Erwachsenwerden bedeutet, sich nicht nur von den Eltern zu emanzipieren, sondern auch von der absoluten Herrschaft des gefühlten Ich. Die eigenen Emotionen, so lernten es jedenfalls Generationen westlicher Menschen, spielen eine wichtige, aber eben nicht die zentrale Rolle im Leben. Der Wokismus mag sich in seinem Ursprungsland allmählich zurückziehen wie nach einer Flut. Seine vermutlich wichtigste Hinterlassenschaft verschwindet dadurch noch lange nicht: Millionen von kalendarisch Erwachsenen, die sich zum einen als hilflose Opfer definieren, zum anderen als hemmungslose Ankläger, kurzum: als puerile Wesen.
Drittens kommt ein ökonomischer Faktor dazu. Nie in der Geschichte gab es im Westen jedenfalls für einige Jahre eine spezielle Verbindung zwischen Wohlstand und Gesinnung, die es hunderttausenden Sprösslingen vor allem der urbanen Mittel- und Oberschicht erlaubte, gut bezahlte Positionen zu besetzen, die weder besondere Kompetenz noch Anstrengung erforderten, sondern nur einen gewissen Pedigree. Neben Konzentrationsfähigkeit, Frustrationstoleranz und der Lösung von der ausschließlichen Gefühlswelt macht normalerweise noch etwas Viertes ein Erwachsenenleben aus: Arbeit. Und wiederum unter konventionellen Bedingungen besteht Arbeit darin, eine Sache herzustellen oder einen Dienst zu leisten, die beziehungsweise den andere für so nützlich halten, dass sie freiwillig dafür bezahlen. Das bringt Anstrengung und Mühsal mit sich, vor allem verlangt diese Konstellation meist, nicht zuallererst das zu tun, was einem selbst am besten behagt. Mit der Ausdehnung der Kindheit ins Arbeitsleben ging auch diese ehemals eiserne Regel erst einmal bis auf Weiteres unter.
In den goldenen Zeiten des Wokismus, als Unternehmen sich reihenweise DEI-Abteilungen (Diversity, Equity, Inclusion) leisteten, große Plattformen Zensurabteilungen aufbauten und Firmen Generation-Z-Vertreter in der Hoffnung anheuerten, das würde ihnen junge Kunden verschaffen, gab es im Netz hunderte Videos aus dem Inneren von Facebook, Twitter und anderen Firmen, in denen hauptsächlich junge Frauen andere durch ihren Arbeitsalltag führten, der sich zwischen kuscheliger Lounge, Smoothie-Bar und Yogamatte abspielte. Gleichzeitig ging eine Flut von Kurzfilmchen durch TikTok, in denen sich nicht etwa junge Bäcker, Busfahrer und Krankenschwestern, sondern höhere Töchter über Arbeitsstress, lange Anfahrtswege und zu wenig Freizeit beklagten. Videos der ersteren Sorte nehmen in den USA mittlerweile im Zug der DEI-Demontage rapide ab. Aber gerade in Deutschland mit seinem Schattenreich von staatsgepäppelten NGOs, Meldestellen, Gutachter- und Diesunddasagenturen dürfte die Sonderökonomie noch eine Weile erhalten bleiben, in der man nicht sät und ackert, aber trotzdem reichlich erntet. Mit anderen Worten, in der man so lebt wie Kinder bei wohlbegüterten Eltern.
Ach ja, neben der Arbeit und den sonstigen aufgezählten Bedingungen gibt es noch ein weiteres Merkmal der Reife: die Fähigkeit, Scham zu zeigen und sich ganz allgemein gemäß gängiger, nicht weiter erklärungsbedürftiger sozialer Erwartungen zu verhalten. Die grüne Bundesspitze – in diesem Fall ohne Robert Habeck, der sich gerade anderswo auf Wahlkampftour befand – demonstrierte bei ihrem Betriebsausflug am 25. Januar nur wenige Tage nach den Morden von Aschaffenburg ihre Vorstellung von würdiger Repräsentation so, dass sich manche im Netz fragten, ob es sich tatsächlich um echte Bilder handelt.
Ja, sie sind echt.
Verbindet man die gerade aufgezählten Hauptpunkte der puerilen Gesellschaft, dann ergeben sich wie beim Malen nach Zahlen schon die deutlichen Umrisse der grünen Partei und des Gesellschaftsteils, der sie trägt. Das Bild gewinnt noch an Schärfe, wenn wir uns der vorerst letzten Stufe des Puerilismus zuwenden. Neuerdings bestreiten vor allem junge Frauen, aber auch Formalmänner ihre Infantilität gar nicht mehr. Im Gegenteil, sie betonen ihren Status. Einer der großen weltweiten via TikTok verbreiteten Trends lautet doll core; erwachsene Frauen, bisweilen auch Männer, wetteifern unter diesem Hashtag darum, sich möglichst puppenhaft zu schminken und zu kleiden. Auf der Plattform Pinterest gibt es den Einrichtungstrend für 2025 zu bestaunen, cute homes, der darauf hinausläuft, vor allem Schlafzimmer ähnlich wie Kinderzimmer herzurichten. Die hochwertigen Materialien zeigen an, dass sich die Tipps nicht an wirkliche Kinder richten, sondern an Personen mit eher überdurchschnittlichem Einkommen.
Schon seit etwa 2017 finden professionell organisierte und gefilmte Wettbewerbe im Steckenpferdreiten statt, deren Teilnehmerinnen sich überwiegend schon in der Pubertät oder darüber befinden. In der Sphäre der progressiven urbanen Eliten gehört es zum statusanzeigenden Kleidungsstil, nicht nur übergroße Jacken, Pullover und Hosen zu tragen, sondern auch XXL-Brillen, die fast jedes Gesicht verkindlichen.
Bei der folgenden Bilderreihe handelt es sich nicht um verschiedene Aufnahmen derselben Person, sondern – von links nach rechts – um die Vorsitzende der Grünen Jugend Jette Nietzard, die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bayerischen Landtag Katharina Schulze, drittens eine zugeschaltete Politikwissenschaftlerin bei Phoenix und viertens ein Model für Taschen einer Sorte, die genau dieser Frauentyp gern kauft.
Zur Ähnlichkeit in Typus und Aufmachung kommt noch die Neigung, beim Reden den Kopf schiefzuhalten, ohne Bezug zum Gesagten zu lächeln, intensiv zu grimassieren und die Stimme nach oben zu legen, also möglichst alle Register zu ziehen, um so unerwachsen wie möglich zu wirken. Wie immer bei einem Großtrend gibt es auch jemanden, der ihn noch ein bisschen weiter treibt als die anderen, etwa diese politpathologische Nachwuchskraft der Habeckschen Partei.
Die Grünen bieten sich dem puerilen Teil der Gesellschaft als ideale Partei an, in ihr wirken schon seit längerem puerile Musterfiguren, manche von ihnen demonstrieren auch sehr schön, dass sich die vorsätzliche Reifeverzögerung wortwörtlich spielend bis ins siebte Lebensjahrzehnt retten lässt, solange andere für die nötige materielle Grundlage sorgen. Überhaupt gibt es keine andere politische Kraft, die das von Helmut Schelsky schon 1977 beschriebene Prinzip „Die Arbeit tun die anderen“ derart konsequent zu ihrem zentralen Motto machte.
Das zog von Anfang an eine bestimmte Klientel als Mitglieder und Wähler an, heute allerdings, trotz ihres relativen Niedergangs, immer noch doppelt so viele wie in den Anfangsjahren. Aber innerhalb dieser Partei wiederum gibt es nur den einen, dessen Hauptmotto lautet: Lasset die Kinderwachsenen zu mir kommen. Er breitet für sie sie Arme aus. Er lässt sie wissen: Ich verstehe euch vollständig. Das beginnt mit der Inszenierung der Bühnenfigur Robert Habeck, in der viel harte Arbeit steckt, die ausnahmsweise kein anderer tut, sondern wirklich er selbst mit seinem Beraterteam. Zu den Ergebnissen dieser Mühen gehört beispielsweise die Aufmachung in den so genannten Küchentischgesprächen – eine Kopie von WG-Diskussionen –, für die sich der 55-jährige Vizekanzler der immer noch größten Industriemacht Europas sein Haar kunstvoll verstrubbelt, in einen Zottelpullover schlüpft und erst einmal die Form klärt: „Wollen wir du sagen?“. Gleich im ersten Gespräch mit einer jungen Frau präsentiert er sich mit schiefem Kopf als Zuhörer; alles in seiner Körpersprache sagt: Ich fühle dich.
Eine Webseite, die für die grüne Twitteria KI-gestützte Inhalte zum Lobpreis von Robert Habeck produziert, zeigt folgende Animation: einen Habeck-Kopf, der so lange an einem Windrad befestigt kreist, bis die fertigen Links und Videoschnipsel zu einem beliebigen Themenbereich vorliegen. Der Name des Maschinchens lautet Robobert. Nachdem sein Werbeteam sein überlebensgroßes Bild an die Feldherrenhalle an das Siegestor in München gestrahlt hatte, und zwar ohne Genehmigung, freute sich Habeck öffentlich über das Piratige dieser Aktion.
Es handelt sich um den gleichen Mann, der einen Strafantrag gegen einen bayerischen Rentner unterschrieb, welcher bei X das völlig harmlose Schwachkopf-Meme weiterpostete. Vor das innere Auge zumindest der erwachsenen Beobachter tritt hier ein Gymnasiast, der gern mit Luftgitarrensololächeln als kleiner Rebellräuberpirat auftritt, sich aber auch beim Direktor wegen einer Schulhofschubserei beklagt, sofern sie unbefriedigend ausgeht. Mit diesem Persönlichkeitstypus identifizieren sich mehr Wahlberechtigte, als es ausgewachsenen Bürgern lieb sein kann.
Darüber liegt aber noch eine andere und wichtigere Ebene. Er vermeidet es zwar bei seinen Hallenauftritten wie auf seinen Plakaten, irgendetwas aus seinem ministeriellen Bereich anzusprechen, also der Wirtschaft. Aber ganz lässt es sich eben doch nicht vermeiden. Manche meinen, er würde jedes Mal einen taktischen Fehler begehen, wenn er sich darauf einlässt, konkrete Sachverhalte wie die Entfernungspauschale und das Einlagensicherungssystem anzusprechen, oder wenn er einen Abstecher ins Steuer- und Sozialabgabenrecht unternimmt. Hören wir bei seiner Ausführung zur Einlagensicherung und Basel II, wie es im Radio hieß, mal kurz rein: „Daran siehst du ja, also dann, wenn du sagst eins zu vier, ist ja offensichtlich, dass also sozusagen mehr, mehr sch… schuldnerischer Verkehr im Umlauf ist als, ääh, das reale Geld. Das ist ja, ist ja, wenn du von eins auf fünf oder acht gehst, dann sind ja sozusagen 90 Prozent nicht abgedeckt, sozusagen, das ist ja der Arm-Finger-Vergleich.“ Diejenigen, die nicht zu der von ihm angesprochenen Klientel gehören, erinnern Auftritte dieser Art an die ARD-Sendung „Dingsda“, in der bekanntlich Kinder mit ihren Möglichkeiten Begriffe aus der Erwachsenenwelt beschreiben sollen. Bei dem Sendekonzept handelte es sich übrigens um eine Kopie der CBS-Show „Children’s Play“. Auf bemerkenswert viele wirkt diese Art zu Reden allerdings erstens völlig authentisch – was im gewissen Sinn auch zuträfe, wäre die Person nicht ausgerecht Wirtschaftsminister – , zweitens erkennen Zehntausende darin gerade ihre eigene Abneigung wieder, sich mit Zahlen und überhaupt mit mess- und bewertbaren Vorgängen zu befassen.
Habeck gibt ihnen das Versprechen, dass hinter dieser banalen bedingten Welt, in der er seine Laienhaftigkeit geradezu exzessiv ausstellt, das Eigentliche und sehr viel Wichtigere liegt: die Welt des Unbedingten, in der Wunsch, Wort und Fantasie die Hauptrollen spielen. Der Schlüssel dazu findet sich in seinem Buch „Wer wir sein könnten“: „In der Politik ist Sprache das eigentliche Handeln.“ Zwar weiß jeder, dass in der Politik wie auch in vielen anderen Bereichen Sprache vieles mitentscheidet. Zum Erwachsensein gehört aber auch die Fähigkeit, Reden und Handeln nicht miteinander zu verwechseln. Wenn es ein Metier gibt, in dem er sich ganz zu Hause fühlt, dann die Metapolitik, in der das Wort selbst die neue Welt schaffen soll. Vor kurzem forderte der deutsche Vizekanzler: „Das nächste X, das nächste Google muss aus Deutschland oder Europa kommen.“
Im vergangenen Jahr endete übrigens der Versuch, zwei EU-Plattformen zu kreieren – bei ihrer offiziellen Beerdigung im Mai 2024 zählte EU Voice 40 und EU Video sechs Accounts. Die Frage, warum das letzte und auch einzige Plattformunternehmen Europas, nämlich SAP, schon 1972 entstand, und weshalb danach nichts mehr kam, stellt sich ein Robert Habeck gar nicht erst. Für ihn entstehen Unternehmen und ganze Branchen ähnlich wie ein Golem aus staatlichen Fördermitteln und dem eingehauchten politischen Imperativ („muss kommen“). Küchentisch und Siegestor bilden bei ihm nicht die jeweiligen Eckmarkierungen, die das Konventionellpolitische einschließen. Sie stehen bei ihm vielmehr als Zeichen zur Ausklammerung des Wirklichen. Zwischen Küchentisch und Siegestor liegt bei ihm nichts außer ihm selbst.
Man höre einmal hinein in sein neues Buch „Den Bach rauf“, deklamiert von ihm selbst. Darin spricht er von seiner Sehnsucht, sich „aus all dem Getöse zurückzuziehen“, „die Tür von innen abzuschließen“, um dann den Bogen zu dem ihn selbst erschütternden Bekenntnis zu schlagen, dass er trotz allem die Probleme des Landes lösen will. Auf die Problembeschreibung verwendet er in dem Werk wenig Mühe, er teilt auch nicht mit, wie er künftig die bestehenden Miseren wenigstens nicht noch weiter verschlimmern will.
Der Autor Jordan B. Peterson zog sich auch wegen des folgenden Satzes aus „12 Regeln fürs Leben“ den Hass vieler Progressiver zu: „Bring dein eigenes Zuhause in Ordnung, bevor du die Welt kritisierst“. Damit traf er exakt den Punkt der performativen Unreife. Einem Jugendlichen sieht man es nach, wenn er aus seinem vermüllten Zimmer heraus die globale Ökonomie umbauen will. Ein Erwachsener weiß, dass bei ihm irgendwann Anspruch und Ergebnis einigermaßen zusammenpassen sollten. Es gibt eine Möglichkeit, dieser Realitätsprüfung zu entgehen. Sie heißt Eskapismus, und der wiederum lässt sich am besten durch die Weigerung ins Werk setzen, in die Erwachsenenwelt einzutreten. Auch im puerilen Reich wissen die meisten vermutlich, dass das nächste Google nicht aus diesem Deutschland und diesem EU-Europa kommt.
Gerade deshalb wünschen sie sich einen Robert, der ihnen wenigstens davon erzählt. Die Vorläufer der Grünen, die Achtundsechziger, apostrophierten Zeitgeschichtsschreiber als „die Kinder von Marx und Coca Cola“. Das stimmte zwar nie richtig. Aber bei dem begeisterungsfähigen Publikum rund um den grünen Kanzlerkandidaten handelt es sich wirklich und wahrhaftig um die Kinder von Paulo Coelho und Detoxtrank, für die sich die eine Tür zum Kinderzimmer öffnet, wenn sie selbst die Tür zur Realität absperren.
Wer seine Unreife demonstrativ ausstellt, der möchte gerade keinen Erwachsenen wählen, der ihn aus dem Kinderland abholt. Er möchte einen Animateur, der ihn dort möglichst gut unterhält und darüber hinaus das Kinderland mit Förderprogrammen und salbenden Reden in Schuss hält. Für diese Aufgabenbeschreibung eignet sich nun einmal niemand unter den 84 Millionen Bewohnern dieses Landes besser als Robert Habeck. Wenn es eine Person gibt, aus deren Mund die Puerilen dieser Republik garantiert niemals die Aufforderung hören werden, sich endlich erwachsen zu benehmen, dann ihn. Wer seine Gedanken lieber auf die Welt und Menschheit richtet als auf seine unmittelbare Umgebung, wer findet, dass ein schlimmes Wort mindestens genauso oder noch mehr verletzt als ein Messer, und wer Erwerbsarbeit hauptsächlich als das wahrnimmt, was andere tun, der findet in ihm seinen Menschen und sein Wort. Er gehört mit seinen ersten grauen Strähnen nicht unmittelbar zu ihnen, sondern verkörpert so etwas wie einen älteren Bruder, der seinen Wuschelpulloverarm um sie legt und ihnen sagt, dass sie unbedingt so bleiben sollen, wie sie sind.
Mit Trump und seinem Gefolge betreten Erwachsene die Bühne. Man sollte sich durch den juvenilen Säbeltanz des neuen Präsidenten anlässlich seiner Amtseinführung nicht von diesem Umstand ablenken lassen. Robert Habeck verkörpert den reinsten Gegenentwurf zu ihm. Das und die relative Menge, die er anspricht, garantieren ihm noch viele Jahre in der deutschen Politik. Nur seine großartige Kandidatenzeit ist Ende Februar vorüber.
Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.
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Bernd Zeller
26. Januar, 2025Der grauenvolle Link auf Claudia Roth muss aber mit einem Warnhinweis versehen werden. Ich fühle mich als Opfer.
Moaning Myrtle
26. Januar, 2025Schöner Text in der Charakterisierung der Basisklientel. Aber deren Rolle in der Dominierung des Zeitgeistes wird abgeräumt werden, das Abschneiden vom Herkunftsland wird das über eher kurz als lang erzwingen.
Die charakterisierten Probleme der Generierung solcher Persönlichkeiten bleiben aber bestehen und damit das schon bestehende Erbe in Form der Gesamtheit solcherart gebogener Leute. Aber eben auch die Perpetuierung als weiterhin nicht unterbrochene ständige Rekrutierung neuer Generationen. Gerade die neurobiologische Deformation über die Technik ökonomischer Schwergewichte mit zweifelhaften Intentionen (deren Einfluss und sogar Stärkung unter Trump sich in diesem Moment schon deutlicher zeigen) ist ja nicht beseitigt, noch nicht einmal verstanden. AI ist hier übrigens vorn dabei. Wer die regelmäßig benutzt (wie ich als Softwareschreiber) registriert bei nicht verstellter Beobachtung schon Effekte wie bei einem Navi. Hilft, aber das kognitive “offloading” macht auch schlechter gerade im Sinn einiger Kernpunkte des Artikels (Konzentration, Merkfähigkeit).
Und auch der politisch daran interessierte Arm strampelt fleißig weiter.
Aber gut, einen Schritt nach dem Anderen. Irgendwo muß man anfangen und das Wegräumen dieses infantilen Haufens ist ein Anfang.
Christoph Nielen
26. Januar, 2025Lieber Herr Wendt,
Ich kann es nicht fassen ! erneut meinen herzlichsten Glückwunsch zu dieser Analyse.
Diese „Schrift“ sollte, so wie sie ist, als Habilitation von jeder Universität, die noch irgendeinen Funken an Redlichkeit im Fach Soziologie wahlweise Psychologie in sich trägt, anerkannt werden. Viel Glück !
Ich erinnere mich an die erste Rede von Meister Habeck nach Beginn des Einmarsches Russlands in die Ukraine vor dem versammelten Bund Deutscher Industrieller – BDI-. Ich schätze 50% der Zuhörer waren in ihrer puerilen Seele tief ergriffen.
Maria Leuschner
26. Januar, 2025Die immer kindlicher und schriller werdenden Stimmen der Radiojournalistinnen vor allem im Deutschlandfunk ertrage ich nicht mehr und schalte ab.
Immo Sennewald
26. Januar, 2025Danke an Alexander Wendt für die präzise, treffende und von Sachkenntnis bis in die Details gestützte Analyse. Wichtig erscheint insbesondere das Verhältnis der enormen Zahl von staatlichen, korporativen oder kollektiven Zuwendungen Abhängiger zu den von selbständiger, produktiver Arbeit Lebenden. Die Wirkung moderner Medien verstärkt diese Entwicklung – auch das sieht der Autor treffend. Die Bewirtschaftung der Gefühle mit dem Ziel, die informelle Dimension der Macht total zu beherrschen, wird offenbar.
Paul Hungus
26. Januar, 2025Die Idealisierung der eigenen Opferrolle wurde wunderbar herausgearbeitet, vielen Dank dafür!
Die angeführten Trends für die Gestaltung der Schlafzimmer und der Kleidung würde ich jedoch eher im japanischen “Kawaii” suchen: “ursprünglich ist das der japanische Ausdruck für „liebenswert“, „süß“, „niedlich“, „kindlich“ oder „attraktiv“. Mittlerweile steht er für ein ästhetisches Konzept, das Unschuld und Kindlichkeit betont und sich auf alle Bereiche der japanischen Gesellschaft ausgedehnt hat.” (Wikipedia). Bei der jüngeren Genereation hat die popkulturelle Bedeutung (Musik, Mode, Mangas) asiatische Länder mit der der USA zumindest gleichgezogen.
Wolfgang Kreipe
26. Januar, 2025gut gelungener text. ich nenne diese verhalten der nachwachsenden generationen gerne wohlstandsverwahrlosung. andererseits wird ein großteil dieser mitbürger bald erkennen, dass die welt so nicht funktioniert