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Wochenrückblick: Verschwörungstheorie vs. Verschwörungspraxis

Erster Advent, oder, wie es heute heißt: mit einer Kerze 200 Mikrogramm Stickstoffoxid pro Kubikmeter auf relativ kleinem Raum erzeugen. Bekanntlich handelt es sich bei dem Einkerzenkranz nur um des schrecklichen Anfang, aber auch 200 Mikrogramm sind schon das Fünffache des Grenzwertes für den Straßenverkehr, bei dessen geringfügiger Überschreitung in Deutschland ohne Zögern eine halbe Innenstadt oder eine Ruhrgebietsautobahn für ältere Diesel gesperrt wird.

Und zwar ohne nennenswerte Aufregung bei den praktisch enteigneten Besitzern älterer Diesel, die ein wenig murren und sich abends im Fernseher die Protestbilder aus Paris erklären lassen*. Das Faszinierende, ja geradezu Unheimliche daran ist, dass jeder –wirklich jeder – mittlerweile über die Absurdität des 40-Milligramm-Grenzwertes hinreichend unterrichtet ist. Beziehungsweise über die Gefährlichkeit von Adventkränzen.

Aber ohne die Fähigkeit, mitzumachen und mitzuziehen, und zwar auch und gerade bei dem offensichtlichsten Blödsinn, ohne diese fast singuläre Tugend dieses Landes bliebe schließlich jede große gesellschaftsverändernde Maßnahme in der Etappe stecken.

Übrigens: Wenn zu Zeiten der DDR die Insassen des Staates eine herausragend groteske Entscheidung ihrer Führung mit dem Spruch bedachten: „die Genossen werden sich schon etwas dabei gedacht haben“, dann war das damals ganz überwiegend ironisch gemeint und entspricht ganz und gar nicht der eigentlich nur in Westdeutschland gebräuchlichen Redensart: „Das kam aber im heute-journal.“

*Dass die gewalttätigen Ausschreitungen während der Gelbwesten-Demonstration in Paris durch die so genannten Casseurs vom Staat organisiert worden wären, um die Bewegung zu diskreditieren – gegen diese Erzählung führt Manfred Haferburg aus der Achse des Guten solide Gründe an. Der in Paris lebende Autor beschreibt, wie sich die Casseurs von ganz allein zeigen, wenn es Aussicht auf Randale gibt. Und außerdem, dass die meisten Franzosen das Phänomen ganz gut einordnen können, anders als die meisten deutschen TV-Anstalten.

In der Schweiz liegt der Grenzwert für Stickstoffoxid an Arbeitsplätzen bei 6000 Mikrogramm pro Kubikmeter (Deutschland 950). In der eben vergangenen Woche wurde eine zuerst in “The Lancet” veröffentlichte Studie über die Lebenserwartung der Europäer bekannt. Danach stehen Schweizer alpenhoch an der Spitze (Frauen über 85 Jahre, Männer 82, 1). Auf dem letzten Platz unter allen Westeuropäern rangieren die Deutschen mit 83,1 und 78, 2 Jahren.

Einen linearen und monokausalen Grund wollen wir nicht behaupten, wir sind ja nicht die Deutsche Umwelthilfe und heißen nicht Jürgen Resch, bei dem die Deutschen jährlich in Divisionsstärke an Stickstoffoxid sterben, allerdings nur rein rechnerisch. Aber dass das Mutterland der Feinstaubzonen, der abgeschalteten Atomkraftwerke und der Gen-Angst bei der Lebenserwartung, um mit Angela Merkel zu sprechen, noch Herausforderungen zu bewältigen hat: dieser Umstand gehört schon in die große und wachsende Rubrik nicht von direkt falschen, aber grob unhilfreichen Statistiken.

Wer behauptet, bei der Deutschen Umwelthilfe handle es sich um einen windigen und zeitweise auch von Toyota mitfinanzierten Abmahnverein, der mithilfe völlig abstruser Grenzwerte die deutsche Autoindustrie gerade erfolgreich zerschießt, so einer gehört höchstwahrscheinlich zur Kategorie der Verschwörungstheoretiker.

So wie auch der stellvertretende Vorsitzende der Unionsbundestagsfraktion Arnold Vaatz, der in der vergangenen Woche nicht nur nicht für den UN-Migrationspakt stimmte, sondern auch noch öffentlich erklärte, bei dem abermaligen und verschärften Rauswurf des Berliner Stasi-Gedenkstättenleiters Hubertus Knabe durch den Berliner Linkspartei-Kultursenator Klaus Lederer handle es sich um eine politische Intrige. „Im Bundestag gilt Vaatz als Verschwörungstheoretiker“, informierte der Tagesspiegel seine Leser, ohne näher ins Detail zu gehen. Beim Tagesspiegel gilt es als Journalismus, anonyme Stimmen etwas über Leute zu behaupten zu lassen, die der Redakteur schlecht aussehen lassen will, ohne etwas Brauchbares gegen sie zu finden. In dem von Vaatz angesprochenen Fall des gefeuerten Hubertus Knabe gibt es nun tatsächlich Details mit der Anmutung eines Films über eine Verschwörung, wobei es allerdings ein bisschen zu knüppeldick kommt, um noch als glaubwürdig durchzugehen. Da schrieben mehrere Frauen der Stasi-Gedenkstätte an den Senator und schilderten Belästigungsvorwürfe gegen Knabes Stellvertreter. Der informierte nicht etwa Knabe, den zuständigen Direktor, sondern traf sich mit den Frauen und nutzte die Zeit, um eine Mehrheit für die Abberufung Knabes im Stiftungsrat zu organisieren. Dann ging in Lederers Behörde ausgerechnet eine Akte verloren, die Knabe von dem Vorwurf entlastet, nichts zur Aufklärung der anonymen Belästigungsvorwürfe getan zuhaben, von denen er später auf Umwegen doch erfuhr. Und Anfang vergangener Woche, nachdem das Landgericht Berlin die sofortige Weiterbeschäftigung Knabes als Direktor verfügt hatte, hebelte der Linkspartei-Senator diesen Beschluss mit Hilfe einer anderen Kammer und offenbar wohlgesonnenen Richtern wieder aus. Wie gesagt, es klingt ein bisschen überdreht, mit anderen Worten, wie ein dystopisches ARD-Fernsehspiel über einen rechten Politiker, der 2020 einen linken Kritiker kaltstellen lässt. Da es aber im richtigen Leben stattfindet, könnte man sogar von einer Verschwörungspraxis sprechen.

Um zu Vaatz zurückzukommen: Wer das tut – genau wie jemand, der den UN-Migrationspakt kritisiert – muss damit rechnen, ein Verschwörungstheoretiker genannt zu werden.

Im englischen Sprachraum gibt es dafür den Begriff Gaslighting, abgeleitet von Patrick Hamiltons später verfilmtem Bühnenstück Gaslight von 1938: Dort versucht ein Mann, seine Ehefrau davon zu überzeugen, sie sei wahnsinnig, um sie in eine Anstalt abzuschieben. Er entwendet eine Brosche und redet ihr ein, sie habe das Schmuckstück verloren. Plötzlich fehlt ein Bild in der Wohnung; er sagt, dort habe nie eins gehangen. Das Gaslicht in der Wohnung dimmt sich scheinbar selbst auf Funzelstärke herunter und leuchtet dann wieder hell. Der Mann behauptet, er könne nichts Auffälliges erkennen, seine Frau bilde sich das Lichtflackern ein. Nach einer Weile glaubt sie tatsächlich, sie sei auf dem Weg, verrückt zu werden. Gaslighting bedeutet also, jemandem seine Wahrnehmung auszureden und ihn davon zu überzeugen, mit ihm stimme etwas nicht.

Im Bühnenstück beziehungsweise im Film klärt sich am Ende alles auf.

So läuft es im Drama immer. Anderenfalls könnte man das Stück ja keinem Publikum zumuten.

 

 

 


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13 Kommentare
  • Peter Müller
    3. Dezember, 2018

    Ach, störende Fakten sind “nicht hilfreich”.
    Wissenschaft und ein klarer, kühler Kopf war gestern. Heutzutage fehlt die ruhige, ordnende Hand in den Medien und in der Politik gleichermaßen.
    Dazu kommt, dass bestimmte Ängste stets von bestimmten Kräften geschürt werden. Diese haben eine politische Agenda und möchten den gutgläubigen, gutwilligen Bürger in eine bestimmte Richtung treiben.
    Vom “Waldsterben” redet, glaube ich, heute nicht einmal mehr Anton Hofreiter und vom “Atomtod” durch
    Atomreaktoren eigentlich auch keiner mehr.
    Wird ein Zeisig an einer Autobahnbaustelle gesichtet, hat das Projekt sehr lange zu warten, werden Vögel in einer Windkraftanlage geschreddert, schweigen die Dauerempörten.
    Gleiches Bild bei der “Migration”: exorbitante Geburtenraten in den Herkunftsländern sind für die UN scheinbar kein Thema, “Verpflichtungen” der Zielländer hingegen sehr wohl.
    Man merkt die Absicht und ist verstimmt.

  • Paul Möllers
    3. Dezember, 2018

    “Ohne Zögern eine halbe Innenstadt” sperren – Ha! Zögern könnte ja schließlich schon unter Spalterverdacht stehen!
    DLF, die 10.003.: “Ist die Automobilindustrie also wichtiger als das Klima?” Wieder einmal übernahm heute die DLF-Fachraft – ohne Zaudern und Zögern! – das besonders hartnäckige “Nachhaken” und das “Einordnen” der wohl gerade z u sachlich vorgebrachten Argumente und .. Zahlen (!). Da konnte dieser sich redlich abmühende CDU-Abgeordnete also nicht auf eines der üblichen Anna-Lena-Robert-Wohlfühl-Interviews hoffen, nein, es grätschte der “kritische” Vertreter des ÖRR – mit Auftrag! – in fast jeden Satz hinein.
    Wie sagte es Herr Kachelmann: “das naturwissenschaftliche Prekariat”? Zu erweitern wäre es noch um das Feld der Wirtschaft, selbst mit wenig Sachwissen kokettieren ist in der GEZ-Welt kein Hindernis! Wozu rief man kürzlich in der F.A.Z. auf? “Haltung versus Spaltung”.
    Apropos Haltung: der NZZ-Artikel von Serrao über die Migrationspaktdebatte in der ARD lässt sich übrigens 1:1 auf den…DLF übertragen. Wenig überraschend also, wie die umtriebige Gudula Geuther* hier unter der Überschrift “Bundesregierung muss besser kommunizieren” doppelt einnordete, ist es wohl der globale Erziehungsauftrag? Mit Maas schwadronierte sie über das “Verhetzungspotential” und monierte, Gottfried Curio reihe ohnehin nur Behauptungen aneinander, emotional sei er dazu. “Herz statt Hetze” – das gelingt eben nur den Spezialkräften.

    *Wohl teilzeitbeschäftigt bei der Bundeszentrale für politische Bildung… Ist er da wieder, der Bildungsauftrag?
    https://www.deutschlandfunk.de/abstimmung-bundestag-stellt-sich-hinter-un-migrationspakt.1783.de.html?dram:article_id=434634

  • DummeFrage
    3. Dezember, 2018

    Gibt es den für denn Ausstoß der Kerze auch Belege? Das scheint mir recht viel.

  • B.Rilling
    4. Dezember, 2018

    Ich würde gern etwas Kluges schreiben, jedoch fällt mir die Tage kaum noch etwas dazu ein. Noch vor drei Jahren hätte ich vieles, was heute passiert für völlig unmöglich gehalten. Dieses unrühmliche Stück um Herrn Knabe zeigt nur, wie schlimm es schon wieder ist. Was waren wir damals naiv, als wir dachten, wir hätten diesen furchtbaren Wahnsinn endgültig besiegt!

  • René Nacht
    4. Dezember, 2018

    “Aber ohne die Fähigkeit, mitzumachen und mitzuziehen, und zwar auch und gerade bei dem offensichtlichsten Blödsinn, ohne diese fast singuläre Tugend dieses Landes bliebe schließlich jede große gesellschaftsverändernde Maßnahme in der Etappe stecken.” Danke Herr Wendt für diese Zeilen… Als man den Deutschen in den 30er Jahren erzählte sie seien die Herrenrasse, fanden die das so toll, dass sie quasi ausnahmslos dem Casseur aus Österreich bedingungslos hinterherrannten. Und ich behaupte, dass diese epochale Menschheitskatastrophe NUR mit den Deutschen machbar war.
    Und was erleben wir momentan? Ist es nicht auch schon wieder dieses besinnungslose Hinterherrennen hinter einer verqueren Ideologie? In Deutschland, mal wieder und exklusiv? Inclusive aber all der verachtenswerten Handlungen von Politik, Medien, Vereinen ,Kirche, linksgrünen Gutmenschen (die neue “Herrenrasse”?) etc. etc. gegenüber Demokraten und “normalen” Staatsbürgern und Steuerzahlern? Wo Existenzen gezielt vernichtet werden, zu Gesinnungsschnüffelei und gnadenloser Verunglimpfung bis hin zur (UNGLAUBLICHEN) kontrollierenden Beobachtung von kleinen Kindern?? Und,Und,Und??
    Ja und wann werden im Morgengrauen die ersten abgeholt, nur weil sie Fragen stellten oder anderer Meinung waren? Mir wird angst und bange vor dem, was da noch kommt – wenn dieser deutsche Irrsinn weiter so rasend schnell um sich greift.

  • The Angry Ossel
    4. Dezember, 2018

    “…zu Zeiten der DDR….war das damals ganz überwiegend ironisch gemeint und entspricht ganz und gar nicht der eigentlich nur in Westdeutschland gebräuchlichen Redensart: „Das kam aber im heute-journal.“
    Das ist des Pudels Kern, die Mutter aller Miseren.

  • Dr. Jörg Gerke
    4. Dezember, 2018

    Der Vorwurf einer Verschwörungstheorie kann doch nur dann ein Vorwurf sein, wenn es sichere Erkenntnis ist, daß es keine Verschwörungen gibt. Die Kritiker von Verschwörungstheorien haben also diesen Nachweis zu bringen, bevor ihr Argument eine Bedeutung erlangen kann.

    • Jens Richter
      8. Dezember, 2018

      Das ist eine befremdliche Ansicht für einen Promovierten, der wissenschaftlich denken und arbeiten können sollte. Wer behauptet, muss belegen, bzw. in der Mathematik und Logik beweisen, nicht die anderen das Gegenteil. Sogenannte Verschwörungstheorien (der Begriff Theorie ist zu viel der Ehre) sind solange üble Nachrede, Verleumdung oder sogar Rufmord bis sie belegt werden. Übrigens bestehen Quasare aus Speisequark. Nicht? Dann beweisen Sie das Gegenteil.

  • Dreggsagg
    4. Dezember, 2018

    Zu dem ganzen giftgrünen Bockmist mit den Stickoxydwerten fällt einem nur noch Satire ein:
    Ein Wort mit fünf Z:
    Mordzazvenzkranzkerzen!

  • ROTOR
    4. Dezember, 2018

    Mich wundert immer wieder eines: Warum wird diese unselige Feinstaubdebatte nicht endlich in Zusammenhang mit dem Geoengineering gebracht? Wenn ich mir vorstelle, dass es abertausende Tonnen an Giftstoffen sind, die uns das Wetter vorgaukeln und irgendwann unten ankommen. Die versickern doch nicht einfach im Boden. Das Zeug wird immer wieder aufgewirbelt und die Autofahrer holen sich den Dreck per Gebläse ins Auto.

  • Stephan
    4. Dezember, 2018

    Der Begriff „Verschwörungstheorie“ war mir seit jeher suspekt. Die meisten Dinge laufen nach der Logik des galoppierenden Schwachsinns ab – Unbildung und Ignoranz sind in dieser von Frau Merkel vor Jahren ausgerufenen „Bildungsrepublik Deutschland“ herrschaftsstabilisierende Machtfaktoren. Manche Dinge sind so schlicht, dass man sie gar nicht anzusprechen wagt. Über die Kontroverse über Feinstaubwerte hinaus, steht der „fragende Arbeiter“ vor folgendem Problem: Nimmt man die herrschende Zivilisationskritik beim Wort, müsste in Ländern ohne Industrie die Lebenserwartung höher sein als in Ländern, die Chemie, Physik, Elektrotechnik etc. als kulturelle Errungenschaften (noch) pflegen. Warum werden bei uns die Renten im statistischen Schnitt noch in Lebensjahren gezahlt, die in weiten Teilen der Welt nicht einmal zur Hälfte erreicht werden? Die politisch gewollte Ignoranz ist jedoch nicht vom Himmel gefallen: ich glaube, dass in den letzten Jahren der deutsche Pädagoge wieder einmal ein Übersoll an recht- oder besser linksgläubiger Indoktrination geleistet hat – die Bundesländer Bremen und Berlin bieten dafür abschreckende Beispiele.

  • Silas Loy
    4. Dezember, 2018

    Wenn sich die hochmögende deutsche Autoindustrie von einer sogenannten Deutschen Umwelthilfe zerschiessen lässt, dann ist sie sowieso nicht zu retten. – Und der völlig unverhältnismässige regelrechte Vernichtungswille des Senators Lederer ist keine Verschwörungstheorie, sondern ereignet sich vor aller
    Augen am hellichten Tage.

  • Prof. Meier-Bergfeld
    7. Dezember, 2018

    Die größte Verschwörung stheorie ist die, es gäbe keine Verschwörungen. Nicht bei Caesar, nicht bei Baboeuf, nicht am 20. Juli, nie. Pmb

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